Vorarlberg und Föderalismus

Abgeordneter zum Nationalrat Pius Fink, ein Neffe des Jodok Fink, spricht im österreichischen Parlament über Föderalismus. Einleitend stellt er fest, er wolle "in einer Zeit der Demarkationslinien" nicht mißverstanden werden, es wünschten "ohne Unterschied der Parteien" alle nur, daß aus einem "befreiten Land" möglichst bald ein freies Land werde, und er werde in seinen Ausführungen nur auf Grundsätzliches abzielen. Zum Thema kommend distanziert Fink sich von dem in den Bundesländern vor Jahren zu hören gewesenen "Ausdruck", Wien bilde in Österreich den "Wasserkopf". Vielmehr stehe dieser Kopf "uns" "gut zu Gesicht", von ihm leuchte ja das Diadem verehrungswürdiger Abgeklärtheit, leuchte eine lange Lebenserfahrung, die nicht nur diesem Staate, sondern die Europa viel gegeben habe und in den Ländern freue man sich mit den Wienern, daß die Wunden, die der Krieg der Bundeshauptstadt geschlagen habe, wieder zu heilen begännen. Von einem Wasserkopf könne nach seinem Dafürhalten nur die Rede sein, "wenn wir einseitig, zentralistisch verwalten wollten". Ein solches Beginnen schadete letzten Endes auch Wien selbst, "da der ganze Körper kranz werden und die Reaktionen in den Bundesländern zu separatistischen Umtrieben führen würde". Nachdem Fink die unerwünschten Folgen einer zentralistisch regierten Demokratie nochmals andeutet, kommt er zur Erklärung der Entwicklung des Föderalismus, den er, auch mit Blick auf die Schweiz, mit der Topographie der Alpenstaaten begründet, wo es sich "ja um Gebirgslandschaften, die in viele Kammern abgeteilt sind" handle, wobei die einzelnen Kammern "historisch und bevölkerungsmäßig, landschaftlich und wirtschaftlich Einheiten" bildeten auf die Rücksicht zu nehmen das Gemeinwohl erfordere, und charakterisiert ihn als von unten und nach unten wirkendes staatstragendes Institut mit ideellen volkserzieherischen und materiell ausgleichend wirkenden Elementen: Der Föderalismus umschließe die staatsbildenden Kräfte, er mache die Heimat und die bodenständige Kultur für das Staatsleben fruchtbar. Der Föderalismus bringe aber auch Beamte und Bevölkerung in gegenseitige Fühlung, und es werde bei beiden Verantwortung und Freude am staatlichen Miterleben erzielt. Die Bundeshauptstadt liege ja nicht in der Mitte des Staates: Von Bregenz aus sei es, grob gesehen, nach Paris und Wien ein gleich weiter Weg. Dort wo der finanziell Bessergestellte Mittel habe, seine Angelegenheiten zu beeinflussen, wenn sie an einer zentralen Stelle behandelt würden, fehlten dem "kleinen Mann", dem "Durchschnittsbürger" diese Möglichkeiten in der Regel. Freilich wolle vernünftiger Föderalismus nicht die bewußte Niederhaltung der Zentralgewalt, zumal "das Blut der Wirtschaft und der sozialen Aufgaben in Wirkung und Ausgleich den ganzen Staatskörper durchströmen" müßten, sondern er erstrebe "ein besonnenes Ausmaß der Verteilung der öffentlichen Ausgaben auf den Staat, die Länder und die Gemeinden". Sodann schlägt der Abgeordnete einen großen historischen Bogen in die frühe Neuzeit, aus welcher er den Stadtschreiber Gugler gleichsam als Gewährsmann für die unveränderten mentalen Verhältnisse der Vorarlberger auftreten läßt, indem jener 1570 nach Wien berichtet habe, daß die Vorarlberger solche Demokraten seien, daß auf sie kein Druck ausgeübt werden dürfe. Fink attestiert, dieses Geschlecht der alten Freibauern sei nicht ausgestorben und ihre Gesinnung habe sich auch bei denen bewährt, die eigentlich keine Freibauern und überhaupt keine Bauern seien und kann also rückwärtsblickend zur Prognose gelangen, dieser Personenkreis sei, wenn ihm vernünftige Freiheiten zugestanden wurden, immer, besonders in Notzeiten, treu und opferbereit zur österreichischen Schicksalsgemeinschaft gestanden. Der Sinn für diese gegebenen Tatsachen längen dem Wiener auch heute noch im Blut. Fink schloß seine Rede unter Beifall auch mit einem Appell an den österreichischen Beamten, der sich hierin seit je von den Beamten zentralistisch regierter Staaten unterschieden habe, und es sei zu hoffen, daß diese Gegebenheiten, die dem Staate nicht schadeten, sondern ihn stärkten, anerkannt und geschützt blieben.

 

Quelle: Digitalisiertes Protokoll der 16. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich - V. Gesetzgebungsperiode. - 22. Mai 1946

 

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