Geheimes Aktionsprogramm einer europäischen Verschwörung in Amerlügen?

Die Abgeordneten Dr. Pittermann, Prinke und Genossen richten im Nationalrat an den Bundesminister für Inneres eine dringliche Anfrage betreffend die Enthebung von Polizeibeamten durch eine Besatzungsmacht. Abgeordneter Pittermann trägt die Begründung vor. Das Recht, auf dem sich die österreichische Verwaltung vollziehe, beruhe auf zwei Grundlagen: auf der vom Alliierten Kontrollrat genehmigten Bundesverfassung und auf dem erneuerten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946. Letzteres sei eine oktroyierte, dem österreichischen Volk ohne vorheriges Einvernehmen und ohne Mitbestimmung auferlegte Rechtsnorm. Eingebettet in verfassungstheoretische Darlegungen kommt der Abgeordnete auf den Anlaßfall zu sprechen, daß durch "einen einseitigen Akt eines der Teile der Alliierten Kommission in Österreich ein schwerer Eingriff in die Regierungsgeschäfte erfolgte, indem Staatsbeamte, denen die österreichischen Gesetze die Ausübung ihres Amtes ausdrücklich garantieren, durch einen einseitigen Akt von ihrem Dienstplatz entfernt wurden" und fragt, ob denn die vorgenommenen Handlungen auf Grundlage des Alliierten Kontrollabkommens vorgenommen worden seien.

Bundesminister für Inneres Helmer beantwortet die Anfrage in einer längeren Erklärung, nachdem er den Sachverhalt dargestellt hat. Demnach wurde der Sicherheitsdirektor Niederösterreichs zur sowjetischen Kommandatur berufen, wo ein Offizier ihm eröffnete, drei höhere Polizeibeamte seien sofort ihres Dienstes zu entheben und bestand, nachdem der Sicherheitsdirektors erklärt hatte, eine Entscheidung darüber habe ausschließlich das Bundesministerium für Inneres zu treffen, darauf, die Beamten sofort außer Dienst zu stellen. Helmer habe, vom Sicherheitsdirektor informiert, den Sachverhalt schriftlich dem Direktor der internen Division des sowjetischen Elements zur Kenntnis gebracht mit der Erklärung, daß das Bundesministerium für Inneres nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften des österreichischen Beamtenrechtes keinen Anlaß finden könne, die Dienstenthebung der Beamten auf Grund der so allgemeinen Anschuldigungen zu verfügen. Ungeachtet seiner Note sei den genannten Beamten durch die jeweiligen sowjetischen Stadtkommandanten unter Heranziehung der dortigen Bürgermeister mit sofortiger Wirkung die weitere Ausübung des Dienstes untersagt worden. Eine nach Befassung des österreichischen Ministerrates in dieser Sache erfolgte Vorsprache des Bundeskanzlers, des Vizekanzlers und des Außenministers beim sowjetischen Hochkommissar für Österreich habe zu keiner Haltungsänderung der sowjetischen Seite geführt. Währenddessen habe eine von den betroffenen Beamten selbst beantragte Disziplinaruntersuchung keine konkreten Anschuldigungspunkte ergeben. In einer abschließenden, sechspunktigen Erklärung proklamiert Helmer unter anderem seine feste Entschlossenheit "in jedem derartigen Fall Recht und Gerechtigkeit zu achten und darauf zu bestehen, daß sich Untersuchung, Verfahren und Rechtsspruch ausnahmslos und uneingeschränkt an die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung halten."

In der anschließenden Debatte über die dringliche Anfrage kommt als Erster der Kontraredner Abgeordneter Koplenig, KPÖ, zu Wort.

Koplenig bemerkt eingangs, es sei schon zu einer Gewohnheit in diesem Haus geworden, daß beinahe in jeder Sitzung eine der beiden Mehrheitsparteien eine Anfrage an einen Minister richtet, die sich mit der Frage der Souveränität beschäftige. Es habe mit diesen Anfragen und ihrer Beantwortung jedoch eine eigenartige Bewandtnis, denn sie dienten dazu, die Propaganda gegen eine der Besatzungsmächte zu nähren und unter dem Titel des Kampfes für die Souveränität den Interessen einer anderen Besatzungsmacht zu dienen. Die Kommunisten seien immer für die uneingeschränkte Souveränität Österreichs eingetreten und seien nicht jene Partei, die, als Österreich Opfer der deutschen Okkupation geworden war, ihre Anhänger aufgefordert habe, freudigen Herzens mit Ja zu stimmen. Die letzten Wochen hätten, führt der Abgeordnete etwas später an, eine Reihe von Tatsachen gebracht, die zum Nachdenken Anlaß geben müßten. Man habe es erlebt, daß in Ischl österreichische Staatsbürger, die sich in keiner Weise gegen eine Besatzungsmacht vergangen hätten, wegen einer Demonstration für ein Achtelliter Milch für österreichische Kinder und gegen den Schleichhandel vor ein amerikanisches Militärgericht gestellt und zu schweren Strafen verurteilt worden seien.

Nach Anführung mehrerer Beispiele erklärt Koplenig, Souveränität sei unteilbar. Die Methode des stillschweigenden Hinnehmens der Eingriffe von der einen Seite und des Geschreies über die gleichen Eingriffe von der anderen Seite sei kein Kampf für die Souveränität Österreichs, sondern eine Methode der Irreführung der Bevölkerung.

Später bezichtigt der Abgeordnete den Staatssekretär im Bundesministerium für Inneres, dem mit dem Innenminister die Sicherheit des Landes anvertraut sei, "für die Unsicherheit Propaganda zu machen". Dieser Propagandaredner der Österreichischen Volkspartei gehe im ganzen Lande mit der lächerlichen Behauptung hausieren, die Kommunisten hätten in Amerlügen in Vorarlberg ein geheimes Aktionsprogramm einer europäischen Verschwörung, einer europäischen Revolution ausgearbeitet. Die "Lüge von Amerlügen" habe selbstverständlich einen politischen Grund. Der Herr Staatssekretär sei in der Politik genügend bewandert, um genau zu wissen, daß es sich um eine provokative Fälschung handle. Aus der Geschichte der letzten Jahre sei auch zur Genüge bekannt, daß es von der Fälschung in der Propaganda zur Organisierung von Provokationen nur ein kleiner Schritt sei.

 

Quelle: Digitalisiertes Protokoll der 62. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich - 5. Gesetzgebungsperiode - 22. Oktober 1947

 

 

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