19101012_ltb00541909_Volkswirtschaftsausschussbericht_Anträge_betreffend_Teuerung

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Letzte Änderung 05.07.2021, 14:37
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,ltp10,ltb0,lt1910,ltb1910
Dokumentdatum 2021-07-04
Erscheinungsdatum 2021-07-04
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Syntax Warning: Invalid number of shared object groups 54. Beilage zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. II. Session der 10. Periode 1910. Beilage 54. Bericht des volkswirtschaftlichen Ausschusses über die Anträge betreffend die Teuerung. Hoher Landtag! Die Herren Abgeordneten Rüsch und Dr. Kinz legten dem Landtage eine Eingabe vor, ' in welcher auf die allbekannte Tatsache der Teuerung hingewiesen wird und auf die besonderen Umstände, unter welchen infolgedessen gerade Vorarlberg leidet. Ohne daß in der Eingabe zweckgemäß erscheinende Maßregeln gegen die Teuerung selbst erwähnt werden, lautet der gestellte Antrag dahin: Der hohe Landtag wolle: I. Einen Teuerungsausschuß wählen und denselben beauftragen: 1. sofort durch Sachverständige, unter denen sich a) Mitglieder der Handels- und Gewerbekammer für Vorarlberg, b) Mitglieder des landwirtschaftlichen Vereines für Vorarlberg, c) Mitglieder der Sektion Vorarlberg des Bundes österreichischer Industrieller, d) Mitglieder des Fremdenverkehrsvereines für Vorarlberg, e) k) g) Vertreter der Städte und Märkte Bludenz, Bregenz, Dornbirn, Feldkirch, Götzis, Hard, Hohenems, Lustenau und Rankweil und Vertreter der Arbeiterschaft und der Staats- und Privatbeamten, eventuell auch Vertreter der Approvisionierungsgewerbe befinden müssen, die Mittel und Wege festzusetzen, durch welche der herrschenden Teuerung abgeholfen werden kann, 245 54. Beilage zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. II. Session der 10. Periode 1910. 2. dementsprechende Anträge in der bevorstehenden Session des Landtages zu stellen, nach denen A) der hohe Landtag im eigenen Wirkungskreise den schädlichen Wirkungen der herrschenden Teuerung zu begegnen vermag und B) die Reichs-Vertretung und Regierung zu Maßnahmen aufgefordert wird, welche denselben Erfolg sichern. II. Diesen Anträgen gemäß beschließen, bezw. die Durchführung veranlasfen. Diesem Anträge entsprechend hätte also vorerst eine durch den Landtag einzuberufende Versammlung der verschiedenen Interessenten Mittel und Wege festzusetzen, durch welche der Teuerung abgeholfen werden kann, und wenn diese Mittel und Wege gefunden sind, an den Landtag sowohl als auch an Reichsvertretung und Regierung mit geeigneten Vorschlägen heranzutreten. Anläßlich der ersten Verhandlung im hohen Hause wurde von der Wahl eines eigenen Teuerungsausschusses abgesehen und die Beratung und Berichterstattung dem volkswirtschaftlichen Ausschüsse übergeben. Dieser hat in 2 Sitzungen sich mit diesem Gegenstände beschäftigt; zur zweiten waren über Einladung des Vorsitzenden fast sämtliche Landtagsabgeordnete erschienen und beteiligten sich sehr eingehend an der Debatte. Schon ziemlich anfangs stellte es sich heraus, daß der von den Antragstellern vorgeschlagene Weg nicht als geeignet erschien; es mußte als ausgeschlossen betrachtet werden, noch innerhalb dieser Landtagssession eine wohlvorbereitete Beratung im Sinne der Antragsteller durchzuführen. Sollte der Landtag aber augenblicklich noch Entschließungen fassen, so mußte er diese aus dem eigenen Schoße schöpfen und nicht auf dem Umwege einer eigens einzuberufenden Landesversammlung. Der volkswirtschaftliche Ausschuß entschloß sich daher, ohne die vorgeschlagene Enquete abzu­ halten, dem hohen Landtage Anträge zu stellen, welche besonders die Fleischteuerung ins Auge fassen. Er konnte dies umso leichter tun, als die Fleischteuerung eine allgemeine ist, der gegenüber das kleine Land Vorarlberg keine besonderen neuartigen Maßregeln treffen kann; es kann sich vielmehr nur der allgemeinen Bewegung anfchließen und aus den vielen Rezepten und Hilfsmitteln, die in solcher Zeit reichlich genug empfohlen werden, diejenigen herausgreifen und empfehlen, die als geeignet und praktisch durchführbar erscheinen. Die von den Antragstellern vorgeschlagene Beratung der Jnteressentenvertreter wird trotzdem abgehalten werden können, wenngleich die ihr vorzulegende Aufgabe eine Aenderung erfahren wird. Es erfcheint als zweckgemäß, den vom volkswirtschaftlichen Ausschüsse gestellten Anträgen ' einige Erwägungen vorauszuschicken, zum Teile solche allgemeiner Natur, teils solche vom speziell vorarlbergischen Standpunkte. Ueber die Teuerung klagen alle Länder, alle Staaten. Alte Chroniken verzeichnen Jahre schwerer Teuerung, die verursacht wurde durch Krieg oder Mißernte; Friede und eine gute Ernte pflegten das Übel rasch zu beheben; mit solchen Zeiten hat die gegenwärtige Teuerung nur wenige Vergleichungspunkte gemeinsam. Wohl spricht auch heute manchmal eine schwache Ernte stark mit und ähnlich der zu rasch gewachsene Konsum, welchem trotz guter Jahre die Produktion nicht folgen konnte. Im scharfen Gegensatze aber zu alter Zeit bildet das Großkapital die Preise und von Jahr zu Jahr erweitert sich seine Einflußsphäre und erschwert dadurch jede Gegenaktion. Der Geldwert sinkt ständig in unserer Zeit, in einem Jahrzehnt fast mehr als früher in 100 Jahren, dazu das Steigen aller Löhne, wodurch sowohl das Urprodukt als auch schließlich die fertige Ware im Preise steigt, was für den Konsumenten alles Verteuerung des Lebens bedeutet. Die Lebenshaltung ist int Vergleich zu früher eine reichlichere, unsere Zeit hat Bedürfnisse, die man früher weniger kannte. Die beim Volke übliche Nahrungsweise hat ebenfalls Verschiebungen erfahren, der Fleischkonsum nahm sehr stark zu, was in allen jenen Familien die Ausgaben steigern mußte, welche angewiesen sind, alles Fleisch zu kaufen. 246 54. Beilage zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. II. Session der 10. Periode 1910. Von größter Bedeutung für die richtige Beurteilung der Teuerungssrage, soweit sie Vorarlberg betrifft, ist aber der Umstand, daß das Land für feine Bevölkerung fast keine Lebens mittel produziert, mit Ausnahme von Milch und deren Produkten; der Feldbau, sei es nun Gemüse, Mais, Kartoffeln usw. ist aus ein Minimum zurückgegangen. Die industrielle Tätigkeit schien besseren Ertrag der Arbeit zu liefern, was vor dreißig Jahren bei den niedrigeren Preisen gerade dieser Artikel zutreffend gewesen sein mag. Seither sind aber die Preise hiefür gestiegen, die größere Beoölkerungszahl weist stärkeren Bedarf auf; die heimische Landwirtschaft ging ganz zur Zucht über und erzielte dabei glänzende Erfolge, liefert aber nur wenig Schlachtvieh. Auch die Milchproduktion wurde gehoben, gleichzeitig aber auch deren Verwertung und die Preise; der gute Ruf, den unsere Milchprodukte gerade auswärts genießen, entführt sie uns, und höchst bedauerlicherweise kreuzen sich auf den Wegen rein landwirtschaftlicher Gebiete unsere gute Butter mit Margarine oder anderen minderwertigen Ersatzmitteln. Den Hauptgewinn bei vielen Produkten haben nicht die Produzenten, sondern der Zwischenhandel. Dieser und mächtige Kartelle müssen als die hauptsächlichsten Preistreiber bezeichnet werden. Der volkswirtschaftliche Ausschuß kann es nicht als seine Aufgabe betrachten, dem Landtage zu empfehlen, allen diesen Erscheinungen gegenüber Stellung zu nehmen, das ist Aufgabe der Reichsvertretung, die schon letztes Jahr einen Teuerungsausschuß wählte, welchem zwei Vorarlberger Abgeordnete als Mitglieder angehörten, die dort gerade mit Rücksicht auf die Verhältnisse im Lande geeignete Anträge stellten. Wir erwähnen nur die Anträge der Abgeordneten Fink und Drexel, betreffend Ausgestaltung der Transportmittel zwecks leichterer Zufuhr der täglichen Lebensmittel; Herabsetzung der Frachttarife, Abschluß eines Handelsvertrages mit Argentinien, baldige Durchführung des in den Balkanverträgen vorgesehenen Fleischimportes, bedingungsweise Herabsetzung der Getreidezölle usw. Augenblicklich ist am schwersten fühlbar die Fleischteuerung; die hohen Mehl­ preise des letzten Jahres sind infolge der außerordentlich guten Ernte gesunken, müßten freilich viel tiefer stehen, wenn nicht die Börse und große Geldkräfte den natürlichen Gang künstlich hemmen würden. Der volkswirtschaftliche Ausschuß kann, wo es sich um augenblickliche Maßnahmen handelt, diese Frage beiseite lassen, ebenso die der Wohnungsreform, obwohl die steigenden Wohnungspreise ein Kapitel der Teuerung bilden, das aber bereits chronisch geworden und als solches behandelt werden muß. Akuten Charakter hat augenblicklich die Fleischteuerung, umsomehr, als wir erst am Anfänge jenes Vierteljahres stehen, das bekanntlich stets die höchsten Fleischpreise aufwies. Es steht daher zu befürchten, daß, wenn nicht rasch eingegriffen wird, die Preise in den nächsten Wochen so steigen, wie wir sie tatsächlich noch nie hatten. Als Ursache der Fleischteuerung erscheint unmittelbar die Tatsache, daß Österreich zu wenig eigenes Schlachtvieh hat, die Zufuhr vom Ausland aber zu schwach ist, um das Übel zu beheben. Daß die Viehbestände Österreichs zu schwach sind, hängt damit zusammen, daß zwei ganz schlechte Futterernten in den letzten Jahren die volle Entivicklung hemmten und andererseits der Fleischkonsum, die Nachfrage nach Fleisch, so zunahm und allgemein laut wurde, daß auch im günstigsten Falle die Produktion nicht hätte so rasch können Schritt halten. Die hohen Preise für Kalbfleisch verlockten viele Landwirte schon das junge Tier zu verkaufen, wozu sie auch durch den Mangel an Arbeitskräften veranlaßt wurden. Dieser Umstand wirkte hemmend auf die Viehbestände und mußte schließlich eine Preissteigerung hervorrufen. Dieser Erscheinung gegenüber gibt es ein Mittel, das wenigstens für einige Zeit mildernd eingreifen und regulierend wirken kann: Belebung und Stärkung des Marktes durch Einfuhr von Fleisch. Um das zu erzielen, haben zahlreiche Stimmen der Öffentlichkeit empfohlen: rasche Durchführung der vom österreichischen Reichsrate längst beschlossenen Handelsverträge mit den Balkanstaaten. In diesen 247 54. Beilage zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. 11. Session der 10. Periode 1910. ist vorgesehen, daß sowohl aus Rumänien als besonders aus Serbien Fleisch eingeführt werden kann, in einer Menge, die geeignet ist, den österreichischen Marktpreis in etwas zu regulieren. Bekanntlich muß das einzuführende Vieh bereits an der Grenze geschlachtet werden. Es wäre nun gewiß von unserem Standpunkte aus an und für sich die Einfuhr einer entsprechenden Anzahl lebenden Viehes wünschenswert, doch bestehen dagegen sehr ernste Bedenken wegen Ein­ führung von Tierseuchen und die rundweg ablehnende Haltung Ungarns. Unter diesen Umständen empfiehlt es sich daher, die rasche Einführung dieses bewilligten Fleisches anzustreben, mit dem in unseren Verhältnissen begründeten Verlangen nach einer Marktstelle im Lande selbst, welche direkt Fleisch aus den Balkanländern beziehen kann. Von vielen Seiten wird die Einfuhr von argentinischem Fleisch empfohlen; es scheint fast ausgeschlossen, daß argentinisches Fleisch bis nach Vorarlberg vordringt. Es ist auch bei weitem nicht gleichwertig mit dem unsrigen; dessen Einfuhr aber auf die großen Plätze wird wohltuend die Preisbildung beeinflussen und so rückwirkend auch unsere heimischen Fleischpreise in etwas wenigstens erniedrigen. In beiden Fällen wäre freilich der Provenienznachweis zu erbringen. Ein Hilfsmittel, das vielleicht nur für Vorarlberg in Betracht kommt, ist die Einfuhr von französischem Vieh nach Vorarlberg. Nach Mitteilungen kommen französische Ochsen bei einem Gewichte von zirka 700 kg franko und verzollt Bregenz um K 80'— bis 100'— per Stück billiger als ungarischer oder mährischer Auftrieb. Dies würde nicht blos billigeren Preis bedeuten, sondern die augenblicklich am notwendigsten erscheinende Vermehrung des Angebotes. Eben kommt die Nachricht, daß die k. k. Regierung die Einfuhr von 25 Stück Ochsen per Woche bewilligt habe. Dem Wunsche ist damit teilweise entsprochen, nur müßte die Zahl bedeutend erhöht werden in Anbetracht der gerade zur Zeit sehr schwachen Beschickung des Bregenzer Marktes. Diese drei Vorschläge erscheinen als durchführbar und sind geeignet, im Sinne unserer Bestrebungen zu wirken. Die k. k. Regierung hat bereits die Einfuhr einer Probesendung von 25.000 kg argentinischen gefrorenen Fleisches für den Wienerplatz genehmigt. Wir können nur wünschen, daß der Versuch gut ausfällt. Von manchen Seiten in Österreich wurde ein Ausfuhrverbot für Vieh verlangt. Ein solches wäre für Vorarlberg sehr schädlich und für die Preisbildung, soweit es unser heimisches Vieh betrifft, zwecklos, da wir Zucht- und nicht Schlachtvieh ausführen. Es wäre ganz verkehrt, zu glauben, daß durch die eben besprochenen und ähnliche andere Vorschläge der Fleischnot dauernd wird abgeholfen werden können. Der durch die österreichische Einfuhr gesteigerte Absatz des Auslandes wird einem natürlichen Prozesse folgend entsprechend der gesteigerten Nachfrage höhere Preise fordern. Vielmehr muß das Grundübel bekämpft werden dadurch, daß die österreichischen Viehbestände gehoben und unsere Landwirte bewogen werden, in erhöhtem Maße Viehzucht zu treiben. Es gibt veischiedene Mittel, die nach der Seite hin zweckdienlich erscheinen. Eine eingehende Besprechung derselben erscheint an dieser Stelle nicht notwendig, wohl aber war der volkswirtschaftliche Ausschuß der Meinung, der Landtag solle auch in dieser Beziehung deutlich Stellung nehmen. Für Vorarlberger könnte noch ein weiteres Hilfsmittel von Wert sein, dessen offene Gestattung wir direkt empfehlen: daß es unseren Bauern gestattet ist, Vieh> das sie selbst gezogen oder wenigstens mehrere Monate besitzen, zu schlachten, der Bevölkerung anzubieten und im Detail zu verkaufen. Dadurch würden auch ganz besonders unsere Bauern zur Viehmast angeeifert. Nicht unbesprochen darf aber jene große geheime Macht bleiben, die zwischen dem produzierenden Bauern und der kaufenden Bevölkerung steht, welche die großen Märkte beherrscht, deren Beschickung stark beeinflußt und mehr als alle anderen Faktoren Preise diktiert. Nur 248 54. Beilage zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. II. Seffion der 10. Perio =r 1910. eine kräftige Hand wird da allmählich helfen können und vielleicht hilft kein anderes Mittel als mit Beseitigung dieses Zwischenhandels die Versorgung des Volkes mit Fleisch neu zu organisieren. Auch den Metzgermeistern^muß gesagt werden, daß sie in solcher Zeit sich hüten, mehr Gewinn zu beziehen, als was als gerechter Lohn bezeichnet werden muß. Daß manche Gegenden Österreichs, auch benachbarte, billigere Fleischpreise haben als Vorarlberg, läßt sich mit den paar hundert Kilometern weiterer Bahnfahrt nicht genügend erklären; noch merkwürdiger ist die Tatsache, daß wöchentlich einige hundert Ochsen aus Österreich nach München und Frankfurt ausgeführt werden, an der Grenze einen Zoll von zirka 50 Mark per Stück bezahlen, mit dem Schlußresultat, daß man in München billigere Fleischpreise hat, als bei uns. Auch die Frage der Zölle wird von den Antragstellern kurz gestreift: Es muß zugegeben werden, daß die gegenwärtigen Zölle, zum Teil sind es Schutzzölle, ein ganzes System bilden, das in einer Zeit eingeführt wurde, die wirtschaftlich von der heutigen sich stark unter­ scheidet; schließlich sind doch die wirtschaftlichen Verhältnisse der erste und wichtigste Gesichts­ punkt für die Festlegung und den Umfang eines Zollsystems. Es ist daher eine Reform begründet und zum Teile von unserem Standpunkte aus sehr wünschenswert. Dabei muß freilich bedacht werden, daß nicht blos die landwirtschaftlichen Zölle, z. B. für Getreide, Fleisch, Futtermittel einseitig herabgesetzt werden können, sondern daß die gleiche Forderung auch den Jndustriezöllen gilt; der Berichterstatter hat schon letztes Jahr im Teuerungsausschusse den Antrag eingebracht: „Die k. k. Regierung wird aufgefordert, entsprechend den geänderten Bedürfnissen und der wirtschaftlichen Entwicklung eine Reform der Handelspolitik vorzubereiten, wobei mit Ausschluß jeder Hochschutzpolitik die bestehenden Schutzzölle in entsprechender Weise abzu­ ändern sind." Bei alldem darf aber nicht vergessen werden, daß wir in allen Zollfragen an die Zustimmung Ungarns gebunden sind, daß dieses mit seinen fast ausschließlich landwirt­ schaftlichen Produkten andere Tendenz hat als das stark industrialisierte Österreich und manche der in letzter Zeit in Österreich erhobenen Forderungen weist es rundweg und ohne darüber auch nur zu verhandeln ab. Bestünde Österreichs Volk und dessen Länder trotzdem auf Durch­ führung einzelner solcher Wünsche zoll- und handelspolitischer Art, dann bliebe vorerst nichts anderes übrig, als im Jahre 1917 keinen Ausgleich mit Ungarn einzugehen, das bisherige Verhältnis zu künden und Österreich zu einem stelbständigen Zollgebiet zu machen. Vielleicht ist kein Land in Österreich, das diesen Schritt mehr überlegen müßte als wie Vorarlberg und zweckmäßig erscheint es, im gegebenen Augenblicke daran zu erinnern, daß der oft gehörten Forderung nach Öffnung der Grenzen für Fleisch und Getreide Ungarn widerspricht, dem das Recht hiezu neuerdings der letzte Ausgleich gab, welchen die österreichische Industrie, unser Gewerbe und die gesamte industrielle Arbeiterschaft entschieden verlangte, während unsere österreichischen Bauern nur ungern, zum Teile gar nicht zustimmten. Hinsichtlich jenes Teiles des Antrages, der eine Besprechung der Jnteresfentenvertreter wünscht, legt der volkswirtschaftliche Ausschuß dieser zwar nicht die Bedeutung bei, daß es ihr gelinge, „die Mittel und Wege festznsetzen, durch welche der herrschenden Teuerung abgeholfen werden kann", immerhin aber kann es ganz zweckmäßig sein, verschiedene Erscheinungen unseres heimischen wirtschaftlichen Lebens zu besprechen, besonders insoweit sie mit der Teuerung deren Ursachen und den dadurch bedingten Folgen zusammen hängen. Die Frage auf welchem Wege die Verproviantierung des Volkes erfolgt, welche Faktoren die Preise bilden, welche Leben-mittel nicht gebräuchlich sind, sich aber sehr wohl empfehlen; was in dieser Hinsicht zu ändern wäre; welche Produktionszweige neben den bestehenden ohne Störung derselben eingeführt werden könnten und ähnliche Fragen unseres heimischen wirtschaft­ lichen Lebens eignen sich sehr wohl für eine Beratung in einem weiteren Kreise aus Männern der verschiedenen Volksschichten. Dabei kann manche ersprießliche Anregung fallen, sei es der Selbsthilfe oder der Arbeit in Vereinen oder Anregungen für die Landes- oder Reichsvertretung. 249 54. Beilage zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. II. Session der 10. Periode 1910. Der volkswirtschaftliche Ausschuß stellt daher den Antrag: Der hohe Landtag wolle beschließen: 1. Die k. k. Regierung wird aufgefordert: a) unverzüglich die Einfuhr von Fleisch aus den Balkanstaaten zu fördern und auch in Vorarlberg eine Marktstelle für direkten Import serbischen Fleisches zu bestimmen, b) die Einfuhr von argentinischem Fleisch in größerem Umfange zu bewilligen, c) die zeitweilige Einfuhr von französischem Schlachtvieh für Vorarlberg in größerer Anzahl zu gestatten, d) dafür zu sorgen, daß das Recht der Landwirte, ihr Vieh zu schlachten und im Detail zu verkaufen, nicht beeinträchtigt werde, mit allen geeigneten Mitteln die österreichische Landwirtschaft, insbesondere den kleinen Viehzüchter zu unterstützen, daß es ihm möglich werde, ohne außerordentliche Mehrbelastung eine größere Anzahl von Vieh aufzuziehen. 2. Die Reichsratsabgeordneten und die k. k. Regierung werden aufgefordert, mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß: e) a) endlich jeder wuchertreibende Zwischenhandel unmöglich gemacht, b) baldigst ein Kartellgesetz geschaffen werde, sowie ein solches gegen Warenwucher, c) durch ein Gesetz geeignete Bestimmungen erlassen werden, nach welchen die Maximalpreise der wichtigsten Lebensmittel durch die Gemeindevertretungen fest­ 3. gesetzt werden können. Der Landesausschuß wird beauftragt, durch Einvernahme von Jntereffentenvertretern und Sachverständigen festzustellen, welche Mittel etwa geeignet wären, die Teuerung im Lande abzuschwächen, das Volk ihr gegenüber widerstandsfähiger zu machen und die heimische Produktion zu heben. Bregenz, den 12. Oktober 1910. Obmann: Berichterstatter: Jodok Fink. Dr. Drexel. Druck von I. N. Leutsch in BregeÜz. 250