19081006_ltb00541908Petitionsausschussbericht_Subventionsgesuch_JugendfürsorgevereinTirol_Vorarlberg

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Letzte Änderung 05.07.2021, 15:32
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,ltp09,ltb0,lt1908,ltb1908
Dokumentdatum 2021-07-04
Erscheinungsdatum 2021-07-04
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Inhalt des Dokuments

54 der Beilagen zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. V. Session der 9. Periode 1908 Beilage 54. Bericht des j)etitionsausfchusses über ein Gesuch des „Iugendfürsorgevereines für Tirol und Vorarlberg" um Unterstützung aus Landesmitteln. Hoher Landtag! Die Leitung des Jugeudfürsorgevereines für Tirol und Vorarlberg richtete unter dem 29. Juli d. I. eiu Gesuch an den hohen Landesausschuß von Vorarlberg mit der Bitte um Unter­ stützung aus Landesmitteln. Dieses Gesuch wurde gemäß Beschluß des hohen Landesausschusses vom 25. August dem hohen Landtage in Vorlage gebracht und von diesem dem Petitionsausschusse zur Berichterstattung und Antragstellung überwiesen. Im bezeichneten Gesuche wird darauf hingewiesen, daß die moderne Entwicklung der wirt­ schaftlichen und sozialen Verhältnisse immer dringender ein energisches Eingreifen dritter zu Gunsten der Jugend erfordern, da die in erster Linie zur Erziehung und Verpflegung der Kinder berufenen Eltern in vielen Fällen nicht mehr im Stande sind, ihren Pflichten als Erzieher und Ernährer nachzu­ kommen; sei es, daß der Kampf um das tägliche Brot sie daran hindert, sich in gehöriger Weise ihren Kindern zu widmen, sei es, daß sie infolge moralischer Defekte, besonders wegen der immer mehr um sich greifenden Trunksucht nicht mehr fähig sind, die Erziehung der Kinder zu leiten. Die Eingabe fährt dann wörtlich fort: „Das staatliche Institut der Vormundschaft hat sich längst als zu schwach erwiesen, die Jugend unter den heutigen Verhältnissen genügend zu schützen, insbesonders fehlen ihr meist die finanziellen Mittel zur Durchführung der getroffenen Verfügungen. Nur große Vereinigungen, welche zu den Vormundschaftsbehörden in den engsten Beziehungen stehen und von ihnen sowie von der hochwürdigen Geistlichkeit und den Lehrern wirksam unterstützt werden, vermögen hier mit größerem Erfolge einzugreifen. Diese Erkenntnis führte in zahlreichen Ländern zur Schaffung solcher Vereine und unter anderen auch zur Gründung des Jugendfürsorgevereines für Tirol. Wie zweckmäßig, ja notwendig dieser Verein für Tirol ist, zeigt am besten, daß er seit seinem Bestände für über 1500 jugendliche Personen um Hilfe angerufen worden ist und daß ihm vom Lande Tirol für die Jahre 1906 und 1907 ein Betrag von je K 10, 000 gewährt wurde. Dieses unerwartet schnelle Ausblühen des Vereines legte den Wunsch nahe, deffen Tätigkeit auch auf Vorarlberg auszudehnen und wurde bei der letzten Vollversammlung dies zum Beschluß erhoben." Der Name des Vereines sowie dessen Statuten wurden infolgedessen entsprechend abgeändert und es gehören nun statutengemäß aus Vorarlberg dem Vereinsausschusse ohne Wahl an: 367 Beilage 54. 54 der Beilagen zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages. Der Landeshauptmann von Vorarlberg und der Generalvikar für Vorarlberg; der Bürger­ meister von Feldkirch, weil in dieser Stadt ein Gerichtshof seinen Wohnsitz hat und der Leiter der in Vorarlberg (Feldkirch) zu errichtenden Geschäftsstelle. In den Ausschuß können entsenden je einen Vertreter: a) Der Landesausschuß von Vorarlberg. b) Jeder Stadtschulrat und jeder Bezirksschulrat von Vorarlberg. c) Jede mehrere politische Bezirke umfassende Lehrervereinigung. Endlich kann auch der Kinderrettungsverein in Jagdberg zwei Vertreter entsenden. Es ist bekannt, daß der Verein zur Rettung verwahrloster Kinder in Vorarlberg gleiche Ziele verfolgt wie der Jugendfürsorgeverein für Tirol und Vorarlberg und es liegt daher die Frage auf der Hand, ob beide Vereine in Vorarlberg neben einander bestehen können, ohne daß der eine den andern in seinem Wirken behindert. Über diese Frage drückt sich die Eingabe folgendermaßen aus: „Wenn auch in Vorarlberg bereits der Kinderrettungsverein zu Jagdberg besteht, so glaubt die Leitung des Jugendfürsorgevereines doch, daß auch für letzlereu Verein sich in Vorarlberg ein reiches Feld der Tätigkeit finden werde und zwar schon deshalb, weil dessen Aufgaben und Wirkungskreis wesentlich andere sind und sich nur in den Zielen, nicht in den anzuwendenden Mitteln mit denen des Kinderrettungsvereines decken. Während das Schwergewicht des Kinderrettungsvereines nämlich in der Erhaltung der Jagdberger Anstalt und der Unterbringung der gefährdeten Jugend in ihr besteht, denkt der Jugendfürsorgeverein wohl überhaupt nicht, keinesfalls aber in Vorarlberg an die Gründung eigener Anstalten. Der Jugendfürsorgeverein will vor allem die verwahrloste oder gefährdete Jugend ermitteln, durch Anträge an das Vormundschaftsgericht und die von diesem zu treffenden Verfügungen eine entsprechende Erziehungstätigkeit zu Gunsten der ihrer bedürftigen Jugend anregen und für deren Durchführung Sorge tragen, wobei an Anstalts­ erziehung nur in letzter Linie gedacht ist, wo diese uottut, aber selbstverständlich in Vorarlberg wohl nur der Jagdbergerverein in Betracht kommeit kannDie Kooperation der beiden Vereine ist dadurch wie von selbst gegeben. Andererseits empfiehlt es sich nach allen Erfahrungen, die der Jugendfürsorgeverein in Tirol gemacht hat, in keiner Weise die Aufgaben des Jagdberger-Kinderrettnngsvereines und des Jugendfürsorgevereines zu verschmelzen und deren Verfolgung einem einzigen Ver­ kitte zu Übertragen. Die praktische Tätigkeit im Jugendfürsorgevereine wird immer in erster Linie von Richtern oder ehemaligen Richtern am besten geübt werden können. Sie auch noch mit einer Änstaltsverwaltung belasten, hieße ihren Schultern zu viele heterogene Aufgaben auf­ bürden. Dadurch könnte die Erreichung beider Ziele ernstlich in Frage gestellt werden. Es ist, wie schon erwähnt, selbstverständlich, daß der Verein ebenso wie in Tirol auch in Vorarlberg jede Beeinträchtigung bestehender Vereine strengstens vermeiden, nicht gegen sie oder auch nur neben ihnen, sondern ausschließlich in einträchtigem Zusammenwirken mit ihnen, in Vorarlberg also speziell mit dem Kinderrettungsvereine in gemein­ samer Arbeit seine hohen Ziele zu erreichen trachten wird." Aus Vorstehendem geht hervor, daß der Jugendfürsorgeverein nicht blos in Tirol seit den wenigen Jahren seines Bestandes eine sehr segensreiche Tätigkeit entfaltet hat, sondern daß er diese Tätigkeit statutengemäß schon in nächster Zeit durch Errichtung einer Geschäftsstelle in Feldkirch auch auf Vorarlberg ausdehnen wird. Dasselbe Ziel wie der Jugendfürsorgevereiu verfolgt in Vorarlberg bekanntlich schon seit mehr als zwei Jahrzehnten der Kinderrettungsverein mit großem Erfolge und wurde derselbe auch im Verlaufe dieser Zeit mit namhaften Widmungen und Beiträgen vom hohen Landtage unterstützt. 368 V. Session der 9, Periode 1908. Beilage 54. Der Petitionsausschuß ist überzeugt, daß der Kinderrettungsverein auf Jagdberg sein ausge­ dehntes Feld wie bisher in segenbringender Arbeit bebauen werdeDessenungeachtet wird auch der Jugendfürsorgeverein für Tirol und Vorarlberg bei dem Umstände, daß er das gleiche Ziel in anderer Weise und mit anderen Mitteln zu erreichen sich bestrebt, neben dem Kinderrettungsvereine in Jagdberg seine sich gestellte Aufgabe in unserem Lande erfüllen und eine dankenswerte Tätigkeit entfalten können, so daß die zwei Vereine nebeneinander und miteinander arbeiten, sich gegenseitig ergänzend und unterstützend in Lösung ihrer Aufgaben, der Erreichung des gemeinsamen Zieles zuzustreben in der Lage sein werden. Der Petitionsausschuß kann es daher nur begrüßen, wenn der Kinderfürsorgeverein seine Tätigkeit in Vorarlberg in der gedachten, im vorstehenden näher bezeichneten Weise bald beginnt und bringt ihm Anerkennung und Vertrauen zum Ausdruck, indem er dem hohen Landtage empfiehlt, dem Kinderfürsorgevereine für Tirol und Vorarlberg als Unterstützung einen Stifterbeitrag zu widmen. Antrag: Der hohe Landtag wolle beschließen: „Das Land Vorarlberg tritt dem Kinderfürsorgevercine für Tirol und Vorarlberg mit dem Betrage von K 200'— als Stifter bei." Bregenz, am 6. Oktober 1908. Johann Köhler, Dekan Mayer, Obmann. Berichterstatter. Druck von I. N. Teutsch, Breqcnz. 369