19081001_ltb00501908_Wahlreformausschussbericht_Gesetzentwürfe_Wahlpflichteinführung_Landtagswahlen_Gemeindeausschusswahlen

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Letzte Änderung 05.07.2021, 15:38
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,ltp09,ltb0,lt1908,ltb1908
Dokumentdatum 2021-07-04
Erscheinungsdatum 2021-07-04
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50 der Beilagen zu den stenogr. Berichten des Vorarlberger Landtages V. Session der 9. Periode 1908. Beilage 50. Bericht des Wahlreformausschusses betreffend die Gesetzentwürfe, womit für die in Gemäßheit der Landtagswahlordnung vorzunehmenden Wahlen in den Landtag des Landes Vorarlberg (Beilage 43) und in Gemäßheit der Gemeindewahlordnung vorzu­ nehmenden Wahlen in den Gemeindeausschuß der Gemeinden des Landes Vorarlberg (Beilage 44) die Wahlpflicht eingeführt wird. Hoher Lanötag! In dem Berichte, mit welchem der Wahlreformausschuß dem hohen Hause die Gesetzentwürfe betreffend die Erlassung einer Landtagswahlordnung und einer Gemeindemahlordnung, ferner betreffend eine Abänderung der Landesordnung und Gemeindeordnung zur Beschlußfassung vorlegte, wurde der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die erwähnten Gesetze in der Folge einen wohltätigen Einfluß auf das öffentliche Leben erwarten laffen. Der Wahlreformausschuß ist aber der Meinung, daß diese Gesetzentwürfe, um ihrem Zwecke ganz zu entsprechen, eine notwendige Ergänzung durch die Einführung der Wahlpflicht erheischen. Der Wahlreformausschuß legt daher dem hohen Hause aus eigener Initiative Gesetzentwürfe betreffend die Einführung der Wahlpflicht für die Landtags- und Gemeindewahlen vor. Wenn man im allgemeinen sagt, daß Rechte und Pflichten korrelative Begriffe sind, so darf man diese Beziehung auch auf das Wahlrecht und die Wahlpflicht anwenden. Leider traten an manchen Orten anläßlich von Wahlen Erscheinungen zutage, welche man zu mindest unerfreuliche nennen muß. Schon Wochen, ja Monate vor dem entscheidenden Wahltage setzte die Wahlagitation ein und griff mitunter zu Mitteln, welche vom moralischen Standpunkte nicht inrmer einwandfrei waren. Der Beweis für diese Behauptung liegt wohl in der Erlassung des Wahlschutzgesetzes. Aber auch in Fällen, wo in der Vorbereitung der Wahlen keine moralischen Entgleisungen vorkommen, steigert sich nicht selten die Aufregung derart, daß sie störend im Erwerbs- und sogar im Familienleben empfunden wird. Gar mancher Wähler sieht heute dem Wahltage geradezu mit Sorge entgegen, weil ihn dieser Tag in eine Pflichtenkollision bringt. Die eigene Überzeugung, die moralische Wahlpflicht, verlangt oft die Stimmabgabe, während seine geschäftlichen Interessen ihn von der freien Ausübung des Wahl­ rechtes oft abhalten. Durch solche Zustände muß der Mensch verbittert werden, verliert den Glauben an Recht und Gerechtigkeit und verstärkt schließlich die Reihen jener, welche sich auf dem Wege des Umsturzes der heutigen Gesellschaftsordnung die politische Freiheit erringen wollen. 351 50 der Beilagen zu den stenogr. Berichten des Lorarlberger Landtages. V. Session der 9. Periode 1908. Es ist Pflicht aller jener, welche auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens Einfluß nehmen können, nach Kräften dahin zu wirken, daß diese Auswüchse der praktischen politischen Betätigung verschwinden. • Diesem Ziele dient auch die Wahlpflicht. Die Wahlpflicht mäßigt die Wahlagitation, bewirkt einen ruhigeren Verlauf der Wahlen und gibt dem einzelnen Wähler erst die volle Freiheit in der Ausübung des Wahlrechtes. Die Erfahrungen, welche man mit der Wahlpflicht für die Reichsratswahlen machte, wurde von allen Parteien als äußerst wohltuende erklärt und bestimmten darum den Wahlreformausschuß ebenfalls, die sinngemäße Anwendung derselben für die Landtags- und Gemeindewahlen in den vorliegenden Gesetzentwürfen durchzuführen. Zudem wurde versucht, jede Härte in den betreffenden Bestimmungen auszuschalten, da die Wahlpflicht nur für jene Landtagswähler, welche ihren Wohnsitz in einer Gemeinde des Landes und nur für jene Gemeindewähler, welche ihren Wohnsitz im Wahlorte haben, festgesetzt wurde. Wenn die Wahlpflicht für alle Fälle wünschenswert erscheint, so ist sie für die Verhältnis­ wahlgemeinden geradezu eine Notwendigkeit. Proporz und Wahlpflicht bedingen sich gegenseitig. Nur dann, wenn Wahlpflicht besteht, wird die Gemeindevertretung einer V rhältniswahlgemeiude so zusammen­ gesetzt s in, daß alle Parteien und Jntereffengruppen der betreffenden Gemeinde ihrer wirklichen Stärke entsprechend vertreten sind und auf die Gemeindeverwaltung in gerechtem Maße Einfluß nehmen können. Der Wahlreformausschuß ist der Anschauung, daß das Werk der Wahlreform erst durch die Einführung der Wahlpflicht seine Vollendung erfahre und stellt daher folgende Anträge: Der hohe Landtag wolle beschließen: „1. Den vorliegenden Gesetzentwürfen, Beilage 43 und 44, a) betreffend die Einführung der Wahlpflicht für die Wahl der Landtagsabge­ ordneten, und b) betreffend die Einführung der Wahlpflicht für die Wahl der Gemeindeaus­ schüsse, wird die Zustimmung erteilt. 2. Der Landesausschuß wird ermächtigt, vor Erwirkung der Allerhöchst kaiserlichen Sanktion dieser Gesetzentwürfe entweder aus eigener Initiative oder über Wunsch der Regierung etwa sich als notwendig herausstellende Textesänderungen be­ ziehungsweise Ergänzungen, soweit sie weder grundsätzliche Bestimmungen schaffen noch auch solche tangieren, mit der Regierung zu vereinbaren und beschlußweise vorzunehmen." Bregenz, den 1. Oktober 1908. Josef Ölz. Jodok Fink, Obmann. Berichterstatter. Druck von I. N. Teutsch, Bregcuz. 352