18970220_ltb00461897_Volkswirtschaftsausschussbericht_Petition_gewerblicheKrankenversicherung_fürKinderalsBeitriebsgehilfen

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Letzte Änderung 02.07.2021, 12:02
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,ltp08,ltb0,lt1897,ltb1897
Dokumentdatum 2021-07-02
Erscheinungsdatum 2021-07-02
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XLVI. der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtages. L Session, 8. Periode 1897. Beilage XLVI. 3?3<?rtd)t des volkswirtschaftlichen Ausschusses über die Petition des Theobald Lsoser und Genossen von Lustenau betreffend die Krankenversicherung der im Gewerbebetriebe der Eltern verwendeten Rinder als Gehilfen. Hoher Landtag! Die Petenten führen in ihrer Eingabe an, dass die k. k. Bezirkshauptmannschaft in Feldkirch im Jahre 1895 durch die Gensdarmerie in den Gemeinden ihres Bezirkes zu dem Zwecke Erhebungen machen ließ, ob alle gewerblichen Hilfsarbeiter bei einer Krankencasse versichert seien. Diese Erhebungen haben ergeben, dass viele Kinder, welche im Gewerbebetriebe ihres Vaters, beziehungsweise ihrer Eltern ganz oder nur theiliveise als Gehilfen verwendet werden, bei keiner Krankencasse angemeldet oder versichert waren, was nach Ansicht der k. k. Bezirkshauptmannschaft nicht sein dürfe und dass von Seite dieser Behörde alle Gewerbeinhaber zur Anmeldung beziehungsweise Kranken-Versicherung ihrer im Gewerbebetriebe beschäftigten Kinder aufgefordert ivorden seien, diese Aufforderung habe eine Anzahl Gewerbetreibender (vorwiegend Sticker) von Lustenau veranlasst, unter Berufung auf §M:, Gesetz vom 30. März 1888 an die k. k. Bezirkshauptmannschaft das Ansuchen zu stellen, es wollen ihre im eigenen Gewerbebetriebe beschäftigten Kinder von der Krankenversicherungs­ pflicht befreit werden. Alle diese Gesuche seien abweislich beschieden worden und zwar mit der Motivierung, dass der Gewerbeinhaber durch den Antritt des Gewerbes, Mitglied einer Gewerbegenossenschaft geworden sei und deswegen seine Gehilfen krankenversicherungspflichtig seien. Im weitern begründen die Petenten den Rechtsstandpunkt wie folgt: Der § 1 des Gesetzes vom 20. März 1888 spricht ebenso wie § 1 des Unfallversicherungs­ gesetzes vom 28. November 1887, Nr. 1 R.-G.-Bl. 1888 ausdrücklich nur von Arbeitern und sind nach Absatz 2 dieser §§ Hausgenossen, selbst beim Baugewerbe wie auch laut § 3 Absatz 3 des erstcitierten Gesetzes die Angehörigen des eigenen Hausstandes selbst bei industriellen Erzeugnissen von der Ver­ sicherungspflicht ausgenommen. 299 Beilage XLVI. XLVI. der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtages. Unter Arbeiter können offenbar nur die gewerblichen Hilfsarbeiter int Sinne des VI. Haupt­ stückes der Gewerbeordnung verstanden werden, welche auf Grund eines Lohnverhältnisses zur Arbeits­ leistung in einem bestimmten Gewerbe verpflichtet sind und verweist auch der §72 der G.-O. hinsichtlich des Rechtsverhältnisses zwischen Dienstgeber und Hilfspersonal auf das 26. Hauptstück des a b. G. B. über den Lohnvertrag und spricht auch der § 73 ausdrücklich von einem Dienstverhältnisse und vont Dieitstgeber. Alles dieses ist entschieden nicht vorhanden, weitn wir unsere eigenen im Familie »verbände lebendeit Kinder zu Dienstverrichtmtgen in unserm gewerblichen Betriebe verwenden, ivas vielfach nur aushilfsweise uitd nebst Besorgung der Hausgeschäfte, der Ökonomie ttnd der Feldarbeiten geschieht. Zwischen dem Vater resp, den Eltern uitd ihrett Kindern besteht kein Dienstverhältnis, gerade so wenig als ein solches zwischen dem Gatten und der Gattin besteht, und doch sollen Kiiider verpflichtet sein, zur Krankenversicherung, die Gattitt aber nicht. Nicht kraft eines Lohitvertrages, sondern ans Grund der tut § 144 a b. G. B. ben Eltern eingeräumten Rechte, die Handlung ihrer Kinder zu leiten, können dieselben voit ihren üt der Familie lebenden Kittdern die Beihilfe in ihrem Erwerbe verlangen und sind die Kinder dieses auch zu leisten verbunden und nicht kraft des Gewerbegesetzes, sondern kraft der den Eltern ditrch den § 139 a b. G. B. auferlegten Verpflichtung, für das Leben und die Gesundheit der Kinder zu sorgen, haben die Eltern auch ein krank gewordenes Kind nicht nur auf die Dauer von 4 Wochen, sondern durch die ganze Zeit der Krankheit zu pflegen. Da es im Lande Vorarlberg bei der ausgedehnten Stickerei-Industrie häufig vorkommt, dass der Vater seine Kinder neben andern häuslichen und ökonomischen Arbeiten auch ztt gewerblichen Ver­ richtungen verwenden muss, uttd beispielsweise die Stickereigenossenschafts-Krankencasse aber nur Stickerei­ gehilfen gegen Krankheit versichert, so tritt der Umstand ein, , dass die in einer solchen Casse Versicherten während der Zeit, in welcher sie andere Arbeiten verrichten, im Erkrankungsfalle keinen Anspruch stuf Versicherung haben, obwohl der Gewerbeinhaber die Versicherungsbeiträge ohne Unterbrechung bezahlen müßte, was noch eine weitere Ungerechtigkeit wäre. Zunt Schluffe stellen die Petenten die Bitte, der hohe Landtag wolleflsich bei der k. k. Regierung dahin verwenden, dass die politischen Behörden angewiesen werden, die im Familieitverbande lebenden Kinder, welche zu gewerblichen Verrichtungen im Gewerbebetriebe ihrer Eltern verwendet werden, über Ansuchen der Elterit von der Kranken-Versicherungspflicht im Sinne des § 4, Gesetz. vom 30.UNärz 1888, R.-G.-Bl. Nr. 33, zu befreien. Der volkswirtschaftliche Ausschuss hat diesen ihm zugewiesenen Gegenstand in der Sitzung vom 18. Februar in Verhandlung gezogen und findet nach Beurtheilung der Sachlage das Ansuchen der Petenten für gerechtfertigt und zwar umsomehr, weil in Vorarlberg, besonders auf dem Lande, auch neben den Gewerben Landwirtschaft betrieben wird und gerade deswegen den Eltern das ungestörte Recht bewahrt bleiben soll, ihre Kinder je nach der Fähigkeit und Bedürfnis in ihrem Betriebe zu verwenden. Dieses würde bei einer solchen Jitterpretation des Krankenversicherungs-Gesetzes, wenn auch nicht gerade unmöglich gemacht, doch sehr erschwert, beim jeder Gewerbetreibende wäre gezwungen, alle seine Kinder, sobald sie der Volksschule entwachsen wären, bei einer Krankencasse ohne Unterbrechung zu versichern, da er sie sonst gar nie, auch nicht vorübergehend, zu einer gewerblichen Verrichtung ver­ wenden könnte ohne sich der Gefahr auszusetzen, bestraft zu werden, wie dies beispielsweise bei einer größeren Anzahl Gewerbetreibender der Gemeinde Höchst im Jahre 1896 der Fall war. Da im Lande Vorarlberg den Eltern das Bewusstsein im allgemeinen nicht abhanden gekommen ist, dass sie die Pflicht haben, ihre Kinder in gesunden und kranken Tagen zu erhalten und zu ver­ pflegen, und weil dies auch (einzelne Fälle ausgenommen) selbst von den ärmsten geschieht, so ist der volkswirtschaftliche Ausschuss der Anschauung, dass es nur billig und gerecht sei, wenn die in der geordneten Familie lebenden Kinder, insoferne sie im Gewerbebetriebe ihrer Eltern ganz oder theilweise zu gewerblichen Verrichtungen verwendet werden, von der Krankenversicherungspflicht über Einschreiten 300 I. Session der 8. Periode 1897. BeilageXI^VI. der Eltern befreit werden, wenn in Ansehung des § 4 Gesetz vom 30. März 1888 nicht ganz triftige Gründe dagegen sprechen, und stellt daher folgenden Antrag: „Der hohe Landtag wolle beschließen, die Petition des Theobald Hofer und Genossen von Lustenau wird der h. f. k. Regierung zur wohlwollenden Würdigung und thunlichsten Berücksichtigung abgetreten." Bregenz, den 20. Februar 1897. Josef Fink, Engelbert Bösch, Obmann. Berichterstatter. Truck von I. N. Teutsch, Bregenz. 301