18980105_ltb00491898_Sprachenausschussbericht_über_Antrag_Angelegenheit_Sprachenverordnung_18970422

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Letzte Änderung 02.07.2021, 09:17
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,lt08,ltb0,lt1898,ltb1898
Dokumentdatum 2021-07-02
Erscheinungsdatum 2021-07-02
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XLIX. der Beilagen zu den ^tenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtages. II. Session, 8. Periode 1898. Beilage XLIX. Wori«Ht des öprachenausschusses über den Antrag der Herren Abgeordneten Ganahl und Genossen und über den Antrag der Abgeordneten (DIj und Genossen in Angelegenheit der ^prachenverordnungen vom 5. und 22. April J897 und der allgemeinen tage, in Österreich. Hoher Landtag! Die innere Lage der cisleithanischen Reichshälfte ist dermalen eine äußerst trübe. Die von der Regierung im April v. I. erlassenen Sprachenverordnungen bildeten die unmittelbare Veranlassung der bedauerlichen Vorgänge im Reichsrathe, die alle und jede fruchtbringende Thätigkeit desselben lähmten und jedes gedeihliche Wirken unmöglich machten. Eine Reihe dringender, unaufschieb­ barer legislatorischen Arbeiten wurden verhindert, und nur mit Zuhilfenahme des für äußerste Nothfälle vorgesehenen § 14 der Verfassung kann die Staatsmaschine noch einigermaßen in Gang erhalten werden. Die außerdem allenthalben sich steigernde Beunruhigung der Bevölkerung, die Vorfälle wie sie sich in Böhmen und auch anderswo abspielten, bilden die äußeren Merkmale des erbitterten nationalen Kampfes, der dermalen innerhalb der Grenzen des altehrwürdigen Habsburgerreiches tobt. Mit Besorgnis erfüllten diese Verhältnisse und Zustände jeden Patrioten, und immer lauter erschallt der Ruf nach Beendigung des Kampfes, nach Wiederherstellung des nationalen Friedens, nach Beseitigung der demselben entgegenstehenden Hindernisse. Die meisten Landtage der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder haben in dieser Frage bereits Stellung genommen, und die in der Sitzung des Landtages vom 3. d. M. eingebrachten zwei Anträge bezwecken, dass auch der Landtag des Landes Vorarlberg seine Ansicht in dieser für unser Reich so hochwichtigen Frage zum Ausdruck bringe. Der Antrag der Abgeordneten Ganahl und Genossen lautet: 261 Beilage XLIX. XLIX. der Beilagen zu den ftenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtages. Der h. Landtag wolle beschließen: „Indem der Landtag des Landes Vorarlberg es beklagt, dass der Reichsrath in der letzten Session durch die bekannten Vorgänge gehindert war, den für das Staatswohl so bedeut­ samen Aufgaben, die seiner Berathung und Beschlussfassung harrten, sich zu widmen, be­ dauert er mit der Wirkung nicht minder die Ursache derselben, welche in den Sprachen­ verordnungen vom April 1897 zu erblicken ist, die sich als eine schwere Kränkung des deutschen Volkes in den Sudeten-Ländern darstellen, und spricht die Hoffnung aus, eine h. Regierung werde nicht zögern, die den deutschen Besitzstand schädigenden Bestimmungen der Sprachenverordnungen aufzuheben, um sodann eine gesetzliche Regelung der Sprachen­ frage anzubahnen." Der Antrag der Abgeordneten Oelz und Genossen verlangt einfach die Stellungnahme des Landtages zu der in Folge der Sprachenverordnungen geschaffenen politischen Lage in Oesterreich. Der Sprachenausschuss beklagt mit den Antragstellern die durch die bekannten Vorgänge im Abgeordnetenhause herbeigeführte Verhinderung so vieler wichtiger und bedeutsamer Aufgaben und verlangt, dass die Sprachenverordnungen, die die unmittelbare Veranlassung zu den Vorgängen im Abgeordneten­ hause bildeten, soweit dieselben den deutschen Besitzstand und die Interessen des deutschen Volkes schädigen, aufgehoben und mit thunlichstcr Beschleunigung die gesetzliche Regelung in gerechter und den thatsächlichen Verhältnissen entsprechender Weise angebahnt werde. Es ist an dieser Stelle nicht nothwendig, näher auf die vielbesprochenen Sprachenverordnungen einzugehen. Das darf aber mit Fug und Recht behauptet werden, dass sic nicht den thatsächlichen Bedürfnissen angemessen sind, indem die gleichen Bestimmungen für einsprachige wie für gemischt­ sprachige Bezirke und Landestheilc festgesetzt wurden. Der Sprachenausschuss ist der Anschauung, die Regelung der Sprachenfrage solle im Wege der Gesetzgebung erfolgen, damit die Erlassung so wichtiger, tief in das Leben des Staates und der Völker eingreifenden Bestimmungen nicht nur vom Belieben und Willen einer Regierung abhängig bleibe, iveil sonst nicht ausgeschlossen sei, dass nicht immer das praktische Bedürfnis allein, sondern auch politische Erwägungen und Gründe den Inhalt solcher Bestimmungen zu beeinflussen imstande wären. . . Punkt 1 des. dem hohen Landtage zu unterbreitenden Antrages giebt dieser Anschauung Aus­ druck, und wurde der Wortlaut dieses Antrages von den Vertretern der Majorität und Minorität nach längeren Verhandlungen angenommen. Die Majorität des Ausschusses war aber der Anschauung, mit der Aufhebung der Sprachen­ verordnungen beziehungsweise mit der gesetzlichen Regelung der Sprachenfrage fei das Uebel nicht bleibend beseitiget und behoben. Es sollte vielmehr zur Herbeiführung bleibend geordneter Verhältnisse die Verständigung der Nationen unter sich selbst angestrebt werden. Das zweckentsprechendste Mittel aber, ein dauerndes friedliches Einvernehmen zwischen den verschiedenen unser Reich bewohnenden Völkern herbeizuführen, findet der Sprachenausschuss darin, dass Vorsorge getroffen würde, den christlichen Geist im Volke ztl stärken und zu beleben. Insbesondere sollten unsere Gesetze und staatlichen Institutionen, vorzüglich auch die Schule auf den Grundsätzen des Christenthumes beruhen. Auf der Basis christlicher Weltanschauung würden sicher die verschiedenen Rasionen unseres wetten Reiches sich besser gegenseitig vertragen und an Stelle der jetzt leider mitunter vorkontmenden Selbstüberhebung, des Hasses und der Herrschsucht, gegenseitige Achtung, Liebe, Versöhnlichkeit und Gerechtigkeit treten. Kommen aber wieder einmal solche dem christlichen Geiste entspringende Grundsätze zur Geltung, dann werden die verschiedenen Nationen im friedlichen Wettstreite arbeiten und wirken, sie werden alle im Staate ihren Hort und Schirm finden, sie werden Oesterreich dadurch zu neuer Kraft, zu neuem Glanze erheben. Oesterreich kann nicht regiert werden, wie ein anderes Reich, es kann und darf nicht die eine Nation die Hegemonie an sich reißen und die andere unterdrücken, sondern es müssen sich alle Nationen wohl fühlen, geschützt in ihren Rechten und in ihren Freiheiten. 262 II. Session der 8. Periode 1898. Beilage XLIX. Die jetzigen Verhältnisse in unserer Reichshülfte schwächen auch unsere Stellung zur Gesammtmonarchie. Ungarn hat es von den Tagen Deals bis heute verstanden, wenig Lasten auf sich zu nehmen, aber dabei doch eine dominierende Stellung uns gegenüber zu erringen. Bei dem Kampfe, der gegenwürig weite Gebiete Cisleithaniens durchtobt, wird unsere Stellung aber immer noch eine schwächere, und die jüngsten Ereignisse haben bewiesen, dass Ungarn nahezu daran ist, den Ausgleich zu decretieren, und wir können daher auch in dieser Hinsicht nur mit Besorgnis der Zukunft entgegen­ sehen. Die Verständigung der Rationen ist daher auch unbedingt nothwendig, wenn wir für unsere Reichshälfte die ihr gebührende Stellung in der Monarchie erringen wollen. Der Landtag von Vorarlberg ist van jeher dafür eingetreten, dass das Gesetzgebungsrecht der Landtage thunlichst erweitert werde. Er hält, soweit es sich nicht um allen Theilen des Reiches ge­ meinsame Bedürfnisse handelt, an der Anschauung fest, dass eine Reihe Arbeiten und Angelegenheiten viel besser durch die Landesvertretungen als durch ein Reichsparlament besorgt werden könnten. Durch die Einführung der direkten Wahlen im Jahre 1873 ist sehr zu Ungunsten der sachgemäßen Behandlung der dem Reichsrathe zugewiesenen Agenden eine viel weitere Kluft zwischen den Landesvertretungen und der Reichsvertretung entstanden. Die Einführung der direkten Wahlen erfolgte mit Umgehung, ja mit offener Verletzung der Landesordnungen. Roch in der Sitzung vom 14. Februar 1895 fasste der Landtag folgenden Beschluss: „Der Landtag spricht sich dafür aus, dass die Reichsrathswahlen im Sinne des October-Diploms und der in Kraft stehenden Landesverordnungen durch die Landtage er­ folgen sollen." Kann nun schon eine Reichsvertretung, die nicht mehr in innigem Zusammenhänge mit den Landesvertretungen steht, wie es früher der Fall war, die eigenartigen Verhältnisse der einzelnen Länder nicht in genügender Weise kennen und daher entsprechend berücksichtigen, so haben die Vorgänge seit Einführung der direkten Wahlen und besonders in der letzten Zeit bewiesen, dass der Reichsrath als eilte sehr schwerfällige Maschine nicht in der Lage ist, alle ihm zugewiesenen Agenden zu bewältigen. Es ist daher sehr zeitgemäß, wenn neuerdings auf die Nothwendigkeit der Entlastung des Reichsrathes und Erweiterung des Wirkungskreises der Landtage hingewiesen und eine dahingehende Forderung gestellt wird. Der Sprachenausschuss erhebt den Antrag: Der hohe Landtag wolle auf Grund des § 19 Landesordnung beschließen: „1. Der Landtag des Landes Vorarlberg beklagt es, dass der Reichsrath in seiner letzten Session durch die bekannten Vorgänge gehindert war, den für das Staatswohl so bedeutsamen Aufgaben, die seiner Berathung und Beschlussfassung harrten, sich zu widmen; nicht minder bedauert der Landtag aber auch die unmittelbare Veranlassung dieser Vorgänge, welche in den Sprachenverordnungen vom April 1897 zu erblicken ist, welch letztere eine Kränkung des deutschen Volkes in Böhmen und Mähren und eine Schädigung seiner Interessen involviert, und spricht die Hoffnung aus, die hohe Regierung werde nicht zögern, die Bestimmungen der Sprachenverordnungen, insoweit dieselben den deutschen Besitzstand schädigen, aufzuheben und mit thunlichster Beschleunigung die gesetzliche Regelung der Sprachenfrage in einer der Gerechtigkeit und den thatsächlichen Bedürfnissen entsprechenden Weise anzubahnen. 2. Zur Herbeiführung bleibend geordneter Verhältnisse bedarf es aber der Verständigung unter den Nationen selbst. Ein dauernd friedliches Einvernehmen zwischen den verschiedenen, unser Reich seit Jahrhunderten bewohnenden Völkern und Nationen ist aber nur dann möglich, wenn der Geist des Christenthumes wieder im Volke erstarkt, wenn dieser Geist in den Gesetzen und in den staatlichen Institutionen, insbesondere auch in der Schule wieder 263 XLIX. der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtages. Beilage XLIX. zur Geltung gelangt, und bei den verschiedenen Nationen auf Basis christlicher Weltan­ schauung an Stelle der Selbstüberhebung, des Hasses und der Herrschsucht, gegenseitige Gerechtigkeit und Liebe tritt, uild so unser Reich in neuem Glanze erstrahlt nicht nur als Schutzwall für uns Deutsche, sondern auch als Schirm und Hort aller anderen unter dem weisen Scepter unseres erhabenen Monarchen stehenden Nationen und Völker. Das friedliche Einvernehmen zwischen den Völkern unserer Reichshälfte, gegründet auf christlicher Gerechtigkeit und Billigkeit, erachtet der Landtag auch als das einzig erfolg­ reiche Mittel, unsere Reichshälfte zu befähigen, die ihr gebührende Stellung in der Monarchie wieder zu erringen. 3. Der Landtag, getreu seinen seit Decennien festgehaltenen Grundsätzen und dem von iljni jederzeit eingenommenen Standpunkte erblickt angesichts der betrübenden Vorkommnisse im Abgeordnetenhause mehr denn je in einer Erweiterung des Gesetzgebungsrechtes der Land­ tage und in einer Entlastung der mit Agenden zu überhäuften Reichsvertretuug ein Mittel zur Besserung der allgemeinen Lage in Oesterreich, weil dadurch das Reichsparlament von allem ihrem Wesen nach in den einzelnen Ländern nach der Verschiedenheit der Verhältnisse in den selbständig zu regelnden Angelegenheiten losgelöst, viel leichter in die Lage gesetzt wird, die allen Theilen des Reiches gemeinsame» Bedürfnisse mit der nöthigen Gründlich­ keit zu behandeln und zum Wohle der Gesammtheit zu befriedigen." Bregenz, am 5. Jänner 1898. Mart. Thurnher, Johann Kohler, Berichterstatter. Obmann. Druck von I. N. Teutsch, Bregenz. 264