18960123_ltb0441896_Bericht_Volkswirtschaftsausschuss_SelbständigerAntrag_ungarischerAusgleich

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Letzte Änderung 01.07.2021, 21:11
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,ltp07,lt1896,ltb1896,ltb0
Dokumentdatum 2021-07-01
Erscheinungsdatum 2021-07-01
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XLIV. der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtags. VI. Session, 7. Periode 1896. Beilage XLIV. Weicht des volkswirtschaftlichen Ausschusses über den Antrag der Abg. Mart. Thurnhsr und Genossen betreffend den ungarischen Ausgleich. Hoher Landtag! Die Bestimmungen des im Jahre 1867 mit Ungarn abgeschlossenen Ausgleiches wurden von allem Anfänge an als eine Bevorzugung Ungarns und als eine Benachtheiligung und Schädigung der diesseitigen Reichshälfte angesehen und aufgefasst. Die Überweisung einer 7O°/oigen Quote auf die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder hinsichtlich der Aufbringung der Kosten für die gemeinsamen Angelegenheiten war schon nach den damaligen Verhältnissen eine viel zu hohe und die Kräfte der beiden Contrahenten nicht gleich­ mäßig berücksichtigende. Sie war um fo weniger gerechtfertigt, als Ungarn verhältnismäßig nur geringfügige Beiträge zur Amortisation und Verzinsung der gemeinsamen Staatsschulden übernahm und diese Schulden im Übrigen unserer Reichshälfte gleichsam vollständig aufbürdete. Die Zuwendung der Zollerträgnisse zur Bestreitung der gemeinsamen Angelegenheiten in­ volviert eine weitere Benachtheilung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. Die in Cisleithanien eingehenden Zölle übersteigen die in Ungarn eingehenden um das sechsfache, indem erstere circa 43 Millionen, letztere kaum 7 Millionen betragen. Run kann und will nicht behauptet werden, dass die in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern zur Verzollung gelangenden Waaren ausnahmslos für diese Länder bestimmt sind, sondern es muss als selbstverständlich angenommen werden, dass diese Waaren zu einem erheblichen Theile in d!ie ungarische Reichshälfte gelangen, wie aber auch umgekehrt ein ansehnlicher Theil der in Üngarn ver­ zollten Waaren nach Cisleithanien transferirt wird, sonach die Zolleinnahme, wie sie jede Reichshälfte aufweist? nicht gerade als Maßstab der diesbezüglichen beiderseitigen Heranziehung zur theilweisen Deckung der Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten angenommen werden kann. Dessenungeachtet besteht wohl kein Zweifel, dass die jetzige Art und Weise der Verwendung des Zollgefälles nur Ungarn Vortheil bringt. An Stelle dieser Verwendung des Zollgefälles zu den Kosten der gemein- 265 Vellage XLIV. XLIV. Beilage zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtags. samen Angelegenheiten erschiene für uns eine angemessene Auftheilung desselben auf die beiden Reich­ hälften entsprechender und gerechter. Außer dieser allgemeinen finanziellen Benachtheiligung der diesseitigen Reichshälfte haben sich, sei es durch unzureichende Bestimmungen der getroffenen Vereinbarungen, sei es durch unrichtige Interpretation und Handhabung derselben seitens der ungarischen Regierung, Zustände herausgebildet, die mit einem einheitlichen Zoll- und Handelsgebiete unvereinbarlich sind und sowohl die diesseitige Landwirtschaft als auch die Industrie tief schädigen. In dieser Beziehung ist z. B. zu erwähnen das Vorgehen Ungarns beim sogenannten Mahl­ verkehr, ein Vorgehen, das unser Mühlengewerbe arg schädigte, ja geradezu ruinierte und zudem das Zollgefälle ungerechtfertigter Weise schmälerte. Das Abgeordnetenhars des h. Reichsrathes hat sich bereits veranlasst gesehen, die Regierung aufzufordern, der Frage des Mahlverkehrs ihre Aufmerk­ samkeit zuzuwenden, eine Enquete diesfalls durchzuführen, die bestehenden Missstände abzustellen, im Einvernehmen mit der ungarischen Regierung die bestehenden Verordnungen einer Revision zu unter­ ziehen und Vorsorge zu treffen, dass dieser Verkehr im Gesetzgebungswege geregelt oder ganz auf­ gehoben werde. Hinsichtlich der in Ungarn errichteten Petroleumraffinerien erhoben sich vielseitig Klagen über unreelles Gebaren derselben und die dadurch bedingte Verkürzung des Zollgefälles und die Schädigung des österreichischen Petroleumhandels. Durch die grundsätzliche Ausschließung der österreichischen Industrie von öffentlichen Liefe­ rungen in Ungarn wird unsere Industrie, durch die Gewährung von vertragswidrigen Refactien und andere ähnliche Maßnahmen die diesseitige Landwirtschaft geschädigt. Unter dem Titel „Waarenstatistik" wird für alle nach Ungarn eingeführten Waaren eine eigene Gebür erhoben, außerdem werden an den Grenzen Manchen errichtet, so dass in diesen Ein­ richtungen gleichsam der Keim eines ungarischen Eingangszolles für die aus der diesseitigen Reichs­ hälfte bezogenen Waaren erblickt werden muss. Die von den Ungarn verlangte Änderung in der Auftheilung der Einnahmen aus einer Reihe Verzehrungssteuerartikel würde eine weitere Benachtheiligung der cisleithanischen Reichshälfte involvieren. Die diesseitige Landwirtschaft wurde auch vielfach geschädigt durch den Mangel oder die laxe Handhabung veterinär polizeilicher Vorschriften in Ungarn. Die Fälle, in denen Viehseuchen von Ungarn nach der diesseitigen Reichshälfte eingeschleppt wurden, sind äußerst zahlreich. Dadurch wurde der Handel und Verkehr mit Vieh sehr beeinträchtigt und gehemmt, indem oft die Absperrung einzelner Kronländer gegeneinander verfügt werden musste, und auch das Ausland sich zur Ergreifung ähnlicher Maßnahmen veranlasst fand. Musste die Quote für die Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten für die diesseitige Reichs­ hälfte von allem Anfänge an als eine zu hohe angesehen werden, so erscheint sie heute in diesem Ausmaße bei dem großen Umschwünge, den Ungarn in den letzten Jahrzehnten auf allen Gebieten genommen hat, als vollständig unhaltbar und es ist Sache der Regierung, mit allem Nachdrucke für Herabsetzung derselben einzutreten. Dasselbe ist der Fall hinsichtlich Abstellung der geschilderten, unsere Reichshälfte schädigenden Zustände. Die Regierung wird sich zwar sicher ihrer Pflicht und Verantwortung vollständig bewusst sein und demgemäß alle ihre Kräfte einsetzen, um unsere Interessen zu wahren. Es ist aber un­ zweifelhaft ein Rückhalt für sie und eine Stärkung ihrer Position gegen Ungarn, wenn sie und der Mitcontrahent weiß, dass hinter den zu stellenden Forderungen nicht nur die Regierung, sondern die ganze diesseitige Reichshälfte wie ein Mann steht. Der Regierung stehen auch hinreichende Mittel zur Verfügung, den gerechten Forderungen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder Geltung zu verschaffen. 266 VI. Session der TJßeriobe 1896. Beilage XLIV. Die von verschiedenen Seiten ergangene Forderung nach Kündigung des Zoll- und Handels­ bündnisses kann zwar wohl nur in dem Sinne aufgefasst und verstanden werden, dass an Stelle der jetzigen Vereinbarungen andere, bessere, die Interessen unserer Reichshälfte mehr wahrende Be­ stimmungen treten sollen. Denn jeder aufrichtige Patriot würde eine durch die Unnachgiebigkeit Ungarns etwa eintretende weitere Lockerung der ohnedem losen Bande zwischen den beiden Reichs hälften sicher bedauern. Immerhin besitzt aber die Regierung in dem Kündigungsrechte eine scharfe Waffe, mit der die Ungarn sicher nicht in nähere Berührung kommen werden wollen. Auf Grund dieser Darstellungen erhebt der volkswirtschaftliche Ausschuss den Antrag: Der h. Landtag wolle beschließen: „Die h. k. k. Regierung wird auf Grund des § 19 L.-O. aufgefordert, bei den bereits begonnenen Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn mit aller Entschiedenheit dahin­ zuwirken, dass einentheils die geschilderten, unsere Industrie undj.Landwirtschaft tief schädigenden Zustände beseitiget, und die wirtschaftlichen Interessen und Rechte der dies­ seitigen Reichshälfte nach allen Richtungen gewahrt werden, und anderntheils diesmal eine gerechte Auftheilung der Beitragsquote zu den Kosten der gemeinsamen Angelegen­ heiten erfolge." Bregenz, 23. Januar 1896. Johannes Thrrrnher, Martin Thurnher, Obmann. Berichterstatter. ------------ — Druck von I. N. Teutsch, Bregenz. 267