18920323_ltb0551892_Bericht_Volkswirtschaftsausschuss_Gemeindegesuche_Bludesch_Ludesch_Thüringen_Ziegenweideverbot_in_Waldungen

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Letzte Änderung 01.07.2021, 19:20
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltm_,ltp07,lt1892,ltb1892,ltb0
Dokumentdatum 2021-07-01
Erscheinungsdatum 2021-07-01
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LV» der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtags. II. Session der 7. Periode 1891/92. Beilage LV. des volkswirthschaftlichen Ausschusses betreffend die Gesuche der Gemeinden Bludesch, kudesch und Thüringen bezüglich des Verbotes der Ziegenweide in Waldungen. Hoher Landtag! Die Petenten führen in ihren Eingaben an, daß sie sich schon wiederholt an die k. k. Behörden gewendet haben um die Erlaubnis zum Auftrieb der Ziegen in die Waldungen zu erwirken. Alle ihre diesbezüglichen Bemühungen seien jedoch erfolglos geblieben. In der Eingabe der Gemeinde Thüringen wird unter anderem Folgendes angeführt: „Was zunächst den Schaden betrifft, den die Ziegen nach Angabe der Forstorgane im Walde anrichten sollen, so ist derselbe mehr ein eingebildeter, als ein wirklicher. Jedermann, der mit dem Walde und den Bedingungen seines Gedeihens auch nur einigermaßen vertraut ist, weiß, daß die Ziegen den Wald in seinem rascheren Wachsthume etwas hemmen können, daß aber nach Ueberwindung dieses Hemnisses die Pflanzen nur um so üppiger gedeihen und kräftiger sich entwickeln. Das lehrt schon der oberflächliche Blick auf Wälder, in denen die Weide von Ziegen benutzt wurde; hier gewahrt das Auge viel mächtigere Stämme und eine viel kräftigere Bewurzelung derselben. Die Nichtzulassung der Ziegenweide an der Vegetations-Grenze hat sicherlich ihre Berechtigung, sie hat keine, wenn sie auf das Flachland und Mittelgebirge ausgedehnt wird, was immer auch eine sich selbst genügende Bücherweisheit dagegen Vorbringen mag. Zudem fällt es heutzutage Niemandem ein, die Ziegen in einen jung aufwachsenden Wald treiben zu wollen, wo die Gipfeltriebe der Bäume leicht von den Thieren abgefressen werden können, vielmehr gedenkt jeder Vernünftige sie im hochstämmigen Walde weiden zu lassen. Welchen Schaden aber die Ziegen anrichten sollen ist rein unerfindlich. Uebrigens hat der Wald z. B. an den Hirschen einen weit gefährlicheren Feind, als an den Ziegen. Jene dürfen ihr Unwesen treiben, die Kuh des Armen d. i. die Ziege wird hingegen von der Waldweide ausgeschlossen. Sind solche Vorkommnisse nicht im höchsten Grade geeignet Unmuth in der Bevölkerung wachzurufen. Und sollte der Wald auch wirklich einigen Schaden dadurch erleiden, weil Ziegen die Weide darin benützen, so wird dieser reichlich durch den Vortheil ausgewogen, den der arme Mann der Ziege verdankt, aber auch nur dann verdankt, wenn er dieses nützliche Thier auf frische Weide treiben kann. Wie viele Gulden erspart sich eine arme Familie jährlich dadurch, daß sie eine Ziege halten und von ihr den nothwendigen Milchbedarf sich beschaffen kann." 275 Vellage LV. LV. der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Vorarlberger Landtages. Der volkswirthschaftliche Ausschuß findet die Klagen der petitionierenden Gemeinden vollkommen gerechtfertigt. Es erscheint im höchsten Grade unbillig, wenn dem armen Bauersmanne, der nicht so viel Grund und Boden sein eigen nennen kann, daß er auf demselben eine Kuh halten könnte, das Halten der Ziegen so sehr erschwert wird. Man sollte glauben, daß alle Factoren, die nur irgendwie die Lage des armen Bauersmannes erträglicher machen könnten, ihr Möglichstes dazu bei­ tragen würden. Es ist fast unerklärlich, daß hier die k. k. Behörden den dringenden und gewiß größtentheils aus der Nothlage des ärmeren Theiles der bäuerlichen Bevölkerung hervorgehenden Ansprüchen der­ selben so selten entsprechen, obwohl ihnen die Verordnung der k. k. Statthallerei für Tirol und Vorarlberg vom 24. Februar 1855 unter gewissen Einschränkungen die Berechtigung einräumt. § 1 dieser Verordnung lautet: „Das Weiden der Ziegen im Walde unterliegt für alle Besitzer von Ziegen, sie mögen zugleich Waldeigenthümer sein oder nicht, folgenden Beschränkungen." „§ 2 Ganz verboten ist die Ziegenweide an lockeren Bergabhängen, längs der Straßen, an Wegen und Zäunen, dann in Blößen, Schlägen und Jungwaldungen, in den übrigen Waldtheilen kann sie, jedoch in den im Plenterhiebe bewirthschafteten Wäldern nur ausnahmsweise — mit Vor­ sicht und unter Einschränkungen gestattet werden." .„Der § 3 bestimmt weiters, daß „dort, wo sich solche ausnahmsweise Weideplätze befinden, werden dieselben für die betreffende Gemeinde jährlich bei der Forsttagsatzung bestimmt." Nach diesen Bestimmungen sollte man doch glauben es würde dem Ansuchen armer Ziegen­ besitzer um Bewilligung zur Benützung der Waldweide öfters, wenigstens unter gewissen Bedingungen entsprochen. Doch es scheint, daß dieses in neuerer Zeit äußerst selten geschieht, wenigstens geht aus der Eingabe von Bludesch hervor, daß sie mit ihren diesbezüglichen Gesuchen und Recursen durch alle Instanzen abgewiesen wurde. Auch das höchste befremdet aber ein derartiger Vorgang, wenn man steht, wie gerade itt jenen Kreisen, wo das Verbot der Ziegenweide so strenge gehandhabt wird, man andererseits auf die Schonung des Wildes (Hirsche, Rehe u. s. w.) einen so hohen Werth legt und dieselben mit allen zu Gebote stehenden Mitteln fördert. Es ist ja allbekannt, wie das Wild oft in den Wäldern Schaden verursacht, und zwar nicht immer am meisten durch das Abfressen der jungen Bäume, als vielmehr durch das Abkratzen der Rinde. Von den k. k. Behörden und Forstaufsichtsorganen wird die Nichtbewilligung der Ziegenweide in Wäldern fortwährend damit begründet, daß dem Walde ein großer Schaden erwachse. Wie aber aus den Eingaben der Gesuchsteller ersichtlich ist, sind dieselben diesbezüglich durchwegs anderer Anschauung. Sie behaupten, daß die jungen Waldbäume durch die Ziegenweide vielleicht in den ersten Jahren in ihrem Wachsthume ein wenig zurück gehalten werden, daß aber dadurch die junge Pflanze mehr und festere Wurzeln fasse und nachher um so üppiger wachse und gedeihe. Die Gesuchsteller scheinen durch diese Behauptung darauf hindeuten zu wollen, daß durch das Abfressen der jungen Waldbäume, soweit davon der Gipfeltrieb ausgenommen ist, eine ähnliche Wirkung hervorgebracht werde, wie das durch das Zurückschneiden der jungen Obstbäume und der Rebe u. s. w. in allseitig anerkannter Weise der Fall ist. Diese Anschauung der Petenten beruht offenbar auf einem langjährigen Anschauungsunterricht derselben und dürfte deshalb für Fachkreise wenigstens der Beachtung und Erwägung werth sein. Es kann nun selbstverständlich nicht Sache des volkswirthschaftlichen Ausschusses sein, hierüber ein maßgebendes Urtheil abzugeben, dagegen scheint dem Ausschüsse ein anderer Umstand doch darauf hinzu­ deuten, daß die Ziegenweide dem Walde nicht so schädlich ist, als von den Forstorganen angenommen wird. Die Wälder, welche von den Petenten für die Ziegenweide in Aussicht genommen wurden, sind meistens Gemeindewaldung. Das Einschreiten für die Ziegenweide in diesen Waldungen erfolgt in allen drei Fällen durch den Gemeindevorstand der betreffenden Gemeinden. 276 II, Session der 7. Periode 1891/92. Beilage LV. Es ist nun doch nicht anzunehmen, daß die an der Spitze der Gemeinde stehenden Männer für die Ziegenweide in den Gemeindewaldungen eintreten würden, wenn sie aus- langjähriger Ersahrung und eigener Anschauung zur Ueberzeugung gekommen wären, daß dadurch der Wald einen be­ trächtlichen Schaden erleiden würde. Die Gemeindevorstände sind vielmehr gewiß darauf bedacht, daß das Stammvermögen der Gemeinde erhalten und vermehrt, jedenfalls aber daß es nicht geschädiget werde. In Anbetracht dessen müssen — falls die Gemeindevorstände in der Ziegenweide hie und da etwa noch einen kleinen Schaden für den Wald erblicken würden — dieselben zum mindesten über­ zeugt sein, daß ihre ärmeren Gemeindeangehörigen aus der Ziegenweide in den Gemeindewäldern mehr Nutzen ziehen, als dadurch Schaden entstehe, oder mit anderen Worten, daß der Nutzen den die Ziegenbesitzer aus der Waldweide ziehen den eventuellen Schaden am Walde wenigstens aufwiege. Auch darf nicht übersehen werden, daß selbst von jenen Gemeindegliedern, die etwas besser situiert, daher in der glücklichen Lage sind, sich für ihren Milchbedarf auch während des Sommers eine Kuh Hallen zu können und sonach die gemeinsame Ziegenweide in den Gemeindewäldern für sich nicht in Anspruch nehmen müssen, gegen das Vorgehen ihrer ärmeren Gemeindegenossen so weit be­ kannt keine Einsprache erheben. In Anbetracht dieser Umstände glaubt der volkswirthschaftliche Ausschuß, es sollte auf die In­ teressen der Ziegenbesitzer doch mehr Rücksicht genommen werden. Der Ausschuß hält es deshalb für angezeigt, wenn der Landesausschuß diesbezüglich mit der hohen k. k. Regierung ins Einvernehmen tritt und auf Grund des Resultates dieser Verhandlungen entweder einen eigenen Gesetzentwurf ausarbeite, in welchem möglichst genau und präcis bestimmt würde, daß und unter welchen Bedingungen die Ziegenweide in Waldungen zu gestatten sei oder daß, wenn der Landesausschuß im Sinne des Landtagsbeschlusses vom 21. September 1888 eine Abänderung des Forstgesetzes vom Jahre 1852 mit der hohen k. k. Regierung vereinbart, in den bezüglichen Gesetzentwurf Bestimmungen Aufnahme finden, welche auch die Interessen der Ziegen­ besitzer nüch der gedachten Richtung wahren. Es erhebt der volkswirthschaftliche Ausschuß daher folgende Anträge Der h. Landtag wolle beschließen: 1. Die Petitionen der Gemeinden Bludesch, Ludesch und Thüringen werden der hohen k. k. Regierung zur eingehenden Würdigung abgetreten. 2. Der Landesausschuß wird beauftragt entweder in einen separaten Gesetzentwurf oder bei Abänderung des Forstgesetzes im Einvernehmen mit der hohen k. k. Regierung die Ziegen­ weide in den Wäldern regelnde Bestimmungen aufzunehmen und diesbezügliche Vorlagen dem Landtage seiner Zeit zu unterbreiten. Bregenz, den 23. März 1892. Johann Thurnher, Jodok Fink, Berichterstatter. Obmann. Druck von I. N. Teutsch, Bregenzs 277