19881101_Heimat_Wolfurt_02

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Letzte Änderung 27.06.2021, 13:37
Gemeinde Wolfurt
Bereich oeffentlich
Schlagworte: heimatwolfurt
Dokumentdatum 1988-11-01
Erscheinungsdatum 1988-11-01
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Heft 2 Zeitschrift des Heimatkundekreises Nov. 88 Handwerker. «Schnidarles» Schreinerei an der Schulstraße 1912. Meister und Gesellen arbeiteten bei gutem Wetter im Freien. Inhalt: 4. Entwicklung der Wirtschaft I. (Volaucnik) 5. Hofsteiger Bauern (Heim) 6. Auf dem Weg zum März '38 — Wolfurt in den 30er Jahren (Natter) Gewerbe im vorigen Jahrhundert DIE AUTOREN: Mag. Christoph Volaucnik, geboren 1960 in Bregenz, hat seine Jugendjahre in Wolfurt verbracht und wohnt jetzt in Bregenz. Er hat Geschichte studiert und arbeitet im IndustrieArchiv in Feldkirch. Siegfried Heim, geboren 1931 in Wolfurt und hier auch ansässig, ist Hauptschuldirektor und betreut das Wolfurter Gemeinde-Archiv. Alexander Natter, geboren 1952, ist in Wolfurt aufgewachsen und wohnhaft. Er ist Lehrer an der Berufsschule in Bregenz und leitet in Wolfurt das Katholische Bildungswerk. Die Bilder: Reproduktionen von Hubert Mohr aus «Wolfurt in alten Bildern», 1983, und Nachdrucke aus Ernst Mummenhoffs «Der Handwerker», 1924; und aus privaten Sammlungen. Unter diesem Titel hielt Mag. Volaucnik am 27. September 1988 einen Vortrag im Kultursaal, der den Zuhörern die Veränderungen der Einnahmequellen der Bevölkerung im Laufe der Zeit bewußt machte. Wir beginnen heute mit dem Abdruck des Manuskriptes. Der Leser möge nicht vergessen, daß das arme Bauerndorf Wolfurt im Jahre 1809 nur 1.143 Einwohner und auch 1880 erst 1.623 Einwohner zählte, während die industrialisierte Marktgemeinde heute fast 7.000 Einwohner beherbergt. Christoph Volaucnik I. Wirtschaft 1.1 Landwirtschaft Die Landwirtschaft bildete im 18. und 19. Jahrhundert für den größten Teil der Bevölkerung den Haupterwerbszweig und prägte die Lebenssituation, den Alltag und die Sozialstruktur des Dorfes. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts kam es in der Agrarstruktur der Hofsteiggemeinden zu einem Umbruch. Während Jahrhunderten erfolgte der Getreideanbau in gemeinschaftlichem Feldbetrieb und wurde die Weide gemeinsam benützt. In Wolfurt, wie übrigens auch in den anderen Hofsteiger Gemeinden, wurde eine Dreifelderwirtschaft geführt, die auf einem Wechsel von Anbau und Brache aufbaute. Im 18. Jahrhundert gab es in Wolfurt 4 bedeutende Felder:1 das Unterfeld, das hochgelegene Oberfeld, das Weidach- und das Flotzbachfeld. In einem Turnus wurde das Brachfeld auf dem Unterfeld und dem Oberfeld abgewechselt, während die anderen Felder mit Korn und Hafer bebaut wurden. In einem Bericht von 1793 wurde der Erdäpfel- und Türkenanbau als nachteilig für das Dreifeldersystem bezeichnet. Der Türken wurde damals fast nur auf dem Brachfeld gepflanzt und der vermehrte Anbau dieses immer wichtiger werdenden Nahrungsmittels setzte dem uralten Dreifeldersystem ein Ende. Eine Weide in den Feldern war durch den Türkenanbau nicht mehr möglich, sodaß es 1792 zur Aufhebung der Weide im Gebiet der Gemeinde Wolfurt kam. Diese Aufhebung der Weide erfolgte nach einer geheimen Abstimmung am 24. August 1791. Trotz des klaren Ausgangs der Abstimmung beschwerten sich die Mehrerauer Lehensbauern beim Abt der Mehrerau, daß sie durch die Aufhebung der Weide ihre Felder nicht mehr instandhalten können, da ihre Felder zu weit auseinanderliegen. Über den Umfang des Ackerbaus, die für den Ackerbau verwendete Grundfläche und die Ernteergebnisse sind leider nur wenige Unterlagen vorhanden. Als einzige brauchbare Quelle stehen die Erinnerungen des Feldvermessers und letzten Klosterammanns der Mehrerau, Mathias Schneider, zur Verfügung. Er erwähnte für 1814 folgende Getreidearten mit bebauter Fläche:2 Vesen Hafer Roggen Weizen 77 34 3 0 Jauchart Jauchart Jauchart Jauchart Gerste 5 Jauchart Erdäpfel 49 Jauchart Hanf 9 Jauchart Türken 77 Jauchart (Anmerkung: Ein Jauchart entspricht in Hofsteig 44, 59 Ar) 3 Herausgeber: Heimatkundekreis Wolfurt Für den Inhalt verantwortlich: Siegfried Heim, Funkenweg 11, 6922 Wolfurt Satz und Repro: Norbert Mayr, 6922 Wolfurt Druck: Adolf Lohs Ges.m.b.H., 6922 Wolfurt Besitzer von n-Kühen Jahr 1785 1794 1846 1888 Besitzer Total 148 139 288 213 Kühe Total 317 343 358 426 1 28 27 98 2 86 61 82 3 28 28 22 4 11 11 2 5 3 8 2 6 1 2 2 2 7 Durchschnittliche Zahl pro Besitzer 2, 26 2, 10 1, 70 2, 00 Prozentzahlen Kühe 1785 1794 1846 1880 1 14, 2 19, 4 47, 1 2 61, 4 43, 8 39, 4 3 14, 2 20, 1 10, 5 4 7, 8 7, 9 0, 9 5 2, 1 5, 7 0, 9. 6 0, 7 1, 4 0, 9 Weizenschnitt mit Schnidarles Rudolf und seinen Helfern 1940 im Ried Ein weiterer Hinweis findet sich in den Erinnerungen des Malers Engelbert Köb, der über seine Jugendzeit berichtet.3 Für die Zeit 1870-80 gibt er an, daß die Felder zwischen Wolfurt und Lauterach, auf denenjetzt geheut wird, mit Hanf, Hafer, Weizen, Gerste und Türken bebaut waren. Er berichtet, daß man im Spätsommer vor lauter Türken in den Feldern den Himmel nicht mehr gesehen habe. Köb gibt also selbst den Hinweis, daß sich ab 1870 die Landwirtschaft von Getreideanbau zu reiner Viehzucht gewandelt habe. Diese Umwandlung dürfte mit der Einfuhr billigen Getreides nach Eröffnung der Vorarlbergbahn und der Arlbergbahn in engem Zusammenhang stehen. Gegen diese billigen Importe war der Anbau in Vorarlberg nicht mehr konkurrenzfähig, während die Nachfrage nach gutem Vieh und Milchprodukten gestiegen sein dürfte. Neben dem Ackerbau waren die Viehzucht und die Milcherzeugung eine wichtige Einnahmequelle und Ernährungsgrundlage der bäuerlichen Bevölkerung. Es wäre aber verfehlt, die heutige Viehzucht mit Hochleistungsrindern als Bezugsrahmen für die Landwirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts zu nehmen. Kleinbäuerliche Substinenzwirtschaft dominierte die Landwirtschaft, da die Erträge aus der Milcherzeugung in der Selbstversorgung der Bauernfamilien aufgegangen sein dürfte. Die Bauern verfügten in der Regel nur über ein bis zwei Kühe, sodaß ein Verkauf der Milcherträge bzw. des Tieres kaum möglich war. Anhand der Angaben in den Vermögenssteuerbüchern von 1785, 1794 und 1846 können folgende Angaben über die Betriebsgrößen nach Kuhbesitz gemacht werden:4 4 Interessanterweise ändern sich die Betriebsgrößen und die durchschnittliche Zahl der Kühe pro Besitzer in diesen knapp 100 Jahren kaum. Einen kleinen Einbruch gibt es nur im Jahre 1846 als der Durchschnitt auf 1, 7 Stück pro Besitzer abfiel. Bei einer genaueren Durchsicht der Steuerbücher fällt unter der Bauernschaft eine kleine Gruppe von «Mittelbauern» auf, die über 4 bis 5 Stück verfügen. Im Dorf gab es aber nur wenige «Großbauern», die neben einem sehr großen Viehbestand auch über beachtlichen Grundbesitz verfügten. Die wenigen bedeutenden Bauern hatten auch Alprechte im Bregenzerwald für die Sommerung ihres Viehs. Während 1785 nur die zwei reichsten Bauern im Dorf Weiderechte am Hirschberg hatten, werden 1794 bereits 8 Bauern genannt, die über Alpweiderechte verfügten, wobei 3 auf die Alpe Hirschberg, 4 auf die Alpe Ries und 1 auf die Alpe Kreyen (Egg) fallen. Auch die Handwerker besaßen Vieh und landwirtschaftliche Fläche. Neben den Kühen gab es in der Landwirtschaft natürlich weiteren Viehbesitz, der sich im ausgehenden 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts stark vermehrte. Dazu einige Zahlen:5 Jahr 1807 1869 1880 1910 1923 Pferde 46 56 38 88 56 Rinder 49 Kälber 36 178 249 314 Schafe 2 20 35 248 Ziegen Schweine Stiere 1 5 1 19 113 406 12 235 209 192 427 206 5 Seit der Jahrhundertmitte kam es zu Verbesserungen in der Landwirtschaft Vorarlbergs. Der Vorarlberger Landwirtschaftsverein versuchte, durch Vorträge, Kurse und Ausstellungen die Bauern über die Errungenschaften der modernen Agrarwirtschaft zu informieren. Wie aus den Jahresberichten und dem Wochenblatt des Landwirtschaftsvereins hervorgeht, wurden auch in Wolfurt Vorträge von Wanderlehrern des Landwirtschaftsvereins abgehalten. Aus diesen Vorträgen entwickelte sich in einigen Vorarlberger Gemeinden Landwirtschaftliche Fortbildungsschulen. Auch in Wolfurt wurde von Wendelin Rädler 1869 die Gründung einer solchen Schule erörtert. In der Gemeindesitzung vom 11.6.1869 wurde dieser Antrag abgelehnt. Im Protokoll wurde dazu folgendes vermerkt: «(diese Schule) ist im Volk unbekannt und nicht für notwendig erachtet, da die Landwirtschaft regelmäßig betrieben wird.»6 Einen bedeutenden Fortschritt für die Wolfurter Landwirtschaft bedeutete die Gliederung der Sennereigenossenschaft im Jahre 1871. Diese Genossenschaft begann mit 34 Mitgliedern und verarbeitete in ihrer ersten Arbeitsperiode 47.513 Maß Milch. Im Betriebsjahr 1874 hatte sich der Mitgliederstand auf 48 Personen erhöht und 53.210 Maß Milch wurden zu 4.825 Pfund Butter, 9.212 Pfund Käse, 4.826 Pfund Zieger und 39.906 Maß Molke verarbeitet.7 und Geräte. So wurde im Jahresbericht des Landwirtschaftsvereins angegeben, daß der Mechaniker Fischer 6 Getreideputzmühlen mit Handbetrieb und der Mechaniker Dür 5 Dreschmaschinen, 4 Getreideputzmaschinen und 5 Strohstühle im Berichtsjahr 1871 erzeugt hatten.9 Es wurden durch die Gemeinde auch der Obstanbau und die Bienenzucht gefördert. 1897 wurde in einer Gemeindeausschußsitzung über den Nutzen des Obstanbaus diskutiert und festgestellt, daß dieser «für die Lehrpersonen ebenfalls lohnend wäre in die Hand genommen und mit den Schülern praktiziert werden solle .. .»10 Wendelin Rädler erreichte, daß die Gemeinde für die Bepflanzung der Gemeindegründe 50 Birnenbäume bestellte und einpflanzen ließ." Rädler war auch der Initiator einer Gemeindebaumschule, die der Bevölkerung die theoretische und praktische Obstbaumpflege näherbringen sollte. Er konnte 1899 die Verwendung der Inselgründe als Gemeindebaumschule im Gemeinderat durchsetzen. Diese Obstbaumpflanzungen sollten das Ortsbild von Wolfurt in unserem Jahrhundert entscheidend prägen. Das nunmehr vorhandene Obst hatte nicht nur als Grundsubstanz für den Most eine Bedeutung, sondern war für die Nahrungs- und Vitaminversorgung der Bevölkerung wichtig. 1897 wurde auch von den Lehrern und den Lehrschwestern für Anschauungsszwecke ein Bienenhaus errichtet, um die Schüler praktisch in die Bienenzucht einzuführen. Die Unkosten für die beiden Bienenhäuser wurden mit Gemeindemitteln bestritten.12 1.2 Handwerk Über die Geschichte und die Bedeutung des Wolfurter Handwerks im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert haben sich nur wenige Quellen erhalten. Bei der Darstellung der Handwerksgeschichte des Dorfes sind wiederum die Vermögenssteuerbücher 1755, 1771, 1785, 1794, 1816 und die Erwerbssteuerverzeichnisse von 1838 und 1881 als Quellen heranzuziehen.1 Aus diesen Steuerbüchern wurde folgende Strukturdarstellung des Handwerks versucht: 1755 3 1 1771 1 1 1 1 1785 1 2 2 1 1794 1 1 1 1 3 2 1 3 1838 4 3 1 3 3 1 1 1 4 1 3 2 1846 2 3 1 1 1 1 1 3 2 5 1 1881 5 1 3 3 1 2 3 2 1 5 3 1 1 7 Metall Nahrung Bau Auch der Viehbestand in Wolfurt stieg ab 1870 enorm an. Die Gemeinde unterstützte diese intensive Viehzucht mit dem Ankauf von Zuchtstieren. Einzelne Bauern erhielten für den Ankauf des Zuchtstiers von der Gemeinde das Geld, mußten das Tier den Gemeindeangehörigen aber zur Verfügung stellen. 1873 wurden beispielsweise wegen der ungenügenden Zahl von Stieren und der ständig steigenden Zahl an Rindern und Kühen von der Gemeinde 4 Stiere eingekauft.8 Die in Wolfurt ansässigen Mechaniker und Schlosser verfertigten besonders für die Landwirtschaft Maschinen 6 Schmied Schlosser Mechaniker Müller Bäcker Metzger Melber Zimmermann Schreiner Steinmetz Maurer Ziegler Glaser Spengler Ofensetzer 2 2 2 1 1755 Textil Leder Weber Schneider Schuster Strumpfwirker Sattler/Tapezierer Gerber Stricker Seiler Hafner Wagner Drechsler Küfer Barbier/Friseur Stickferker 2 1 2 1771 1 2 2 1785 1794 1 2 1 3 1838 1 2 1 1846 1881 1 3 4 1 10 1 1 2 1 1 1 1 1 4 1 1 1 1 1 1 2 - 2 Wie man in der Tabelle sieht, war die Berufsstruktur im ausgehenden 18. Jahrhundert auf die Bereiche Metall-, Holz-, Leder- und die in einem eigenen Kapitel noch zubehandelnde Textilverarbeitung beschränkt. Eher gering ist der Bereich Nahrungsmittelgewerbe vertreten. Die im 19. Jahrhundert steigende Zahl der Schmiede und Schlosser dürfte mit der Nachfrage nach technischen Erzeugnissen für den landwirtschaftlichen Bedarf erklärt werden. Zu einer Auffächerung der Berufsstruktur im Baugewerbe kam es erst im 19. Jahrhundert (Glaser, Ziegler, Maurer). Die Entwicklung dürfte mit dem allgemeinen Bevölkerungswachstum und dem erhöhten Bedarf an Wohnhäusern im 19. Jahrhundert zusammenhängen. Als eine neue Berufsgruppe im Baugewerbe werden im Steuerbuch von 1846 die Ziegler genannt. Der bedeutendste und vermögendste Ziegler war 1846 Josef Anton Schertler, der über sehr beachtlichen Grundbesitz im Schätzwert von 8.750 Gulden, über Kapitalbesitz von 7.370 Gulden und einen Viehbestand von 3 Kühen und 2 Pferden verfügte. Als wichtigster Besitz in der VermögensaufstellungSchertlerswird jedoch sein Kalk-und Ziegelofen genannt. Eine weitere Ziegelhütte war in den Händen von 2 Besitzern, die ihren Anteil an der Hütte mit 250 Gulden angaben und nur über ein bescheidenes Vermögen verfügten. Als ein weiterer Ziegler wird 1846 ein Josef Dür genannt, der zu den vermögenden Bürgern zählte. Diese Ziegelhütten befanden sich im Flotzbach und an der Ach, wobei die Flotzbacher Hütten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergrößert und modernisiert wurden. Auf eine noch ältere Tradition konnten die Wolfurter Steinmetze zurückblicken, die in mehreren Steinbrüchen Sandstein abbauten. Die in den Steuerbüchern von 1785 und 1797 genannten Steinmetze verfügten neben den Anteilen am Steinbruch auch über landwirtschaftlichen Besitz und Vieh. Neben dem in Rickenbach in Privatbesitz befindlichen Steinbruch gab es im Dorf unter dem Pfarrhof einen in Gemeindebesitz befindlichen Steinbruch, der von der Gemeinde verpachtet wurde.2 In einer von der Handelskammer 1904 veröffentlichten Statistik des Baugewerbes befanden sich in Wolfurt 3 Steinmetze und 4 Zimmermeister, aber kein Maurer.3 Eine besondere Bedeutung und einen guten Ruf hatten im 18. und im 19. Jahrhundert die lederverarbeitenden Betriebe. In einem amtlichen Bericht des Jahres 1791 über die «Professionisten» der Herrschaft Bregenz wurden die Wolfurter Rot- und Weißgerber Caspar Haltmayer, Anton Höfle und Josef Greußing als «beachtliche Gerber mit Lederhandel» bezeichnet.4 Die Bezeichnung der Behörde läßt den Rückschluß zu, daß diese Gerber nicht, wie damals bei den Landhandwerkern üblich, nur für den lokalen Bedarf arbeiteten, sondern einen überregionalen Lederhandel begonnen hatten. Im Steuerbuch von 1785 wird eine Gerberei genannt, die einen Ledervorrat im Wert von 500 Gulden hatte und ab 1794 wird als großer Gewerbebetrieb eine «Lohstampf» genannt. In dieser Lohstampf wurde von den Gerbern Rinde (Eiche und Tanne) zu einer Masse gestampft, die als Gerbemittel verwendet wurde. Im Lauf des 19. Jahrhunderts ging die Anzahl der Gerber zurück, doch blieb als bedeutender Gerbereibetrieb die Fa. Ferdinand Haltmeyer im Kirchdorf bis zur Jahrhundertwende erhalten. Über die Ausbildung, die Auftragslage und die Betriebsgröße der Wolfurter Handwerker sind keine Informationen erhalten geblieben. Die Steuerbücher des 18. und teilweise des 19. Jahrhunderts geben aber über das Vermögen, den landwirtschaftlichen Besitz und den Hausbesitz der Handwerker Auskunft. Bei einer Untersuchung des Viehbesitzes der Handwerker fällt auf, daß 1785 und 1794 bei den Handwerkern noch bedeutender Viehbesitz vorhanden war, der aber 1846 stark zurückging. Dazu einige Zahlen: 1785 waren von 16 vorhandenen Handwerkern 14 Kuhbesitzer und 4 Pferdebesitzer, 1794 waren von 21 Handwerkern 19 Kuhbesitzer, während 1846 von 28 ausgewiesenen Handwerkern nur noch 21 Viehbesitzer waren. Fast alle Handwerker 9 Die Maurer haben die große Mauer am Tobelbach fertiggestellt und halten sie mit nassen Tüchern feucht. Jetzt legen sie die Rollierung für die Unterlindenstraße (1913) 8 verfügen auch über landwirtschaftlichen Grund und über Hausbesitz, waren also mit Sicherheit in der Landwirtschaft tätig und dürften, wie in allen Landgemeinden Vorarlbergs damals üblich, den Beruf des Handwerkers nur nebenberuflich ausgeübt haben. In der Reihe dieser «Bauernhandwerker» gab es aber auch Armutsfälle, die kaum über Grundbesitz und keinen Viehbestand verfügten, also ganz auf ihre Einnahmen als Gewerbetreibende angewiesen waren. 1794 gehörten von den 21 genannten Handwerkern 4 zu den ärmeren Schichten im Dorf, da sie kaum Grund und nur unbedeutendes bis kein Vermögen hatten. Größere Gewerbebetriebe wie die 2 Mühlen, die Lohstampf und der Steinbruch dürften aber wahrscheinlich professionell betrieben worden sein, obwohl auch der Müller, Gerber und die Steinmetze Viehbestand und teilweise bedeutenden Grundbesitz hatten. Da es sich aber bei diesen Betrieben um kapitalintensive Gewerbe handelte, kann doch mit einer professionellen Tätigkeit gerechnet werden. Bedeutende Umwandlungen erlebte das Handwerk im 19. Jahrhundert. Durch gesetzliche Neuordnung, die von der völligen Freiheit der Handwerksausübung bis zur Reglementierung in der Gewerbegesetznovelle von 1884 ging, wurde die Existenz des Handwerks stark betroffen. Die Entwicklung der Industrie bedeutete für das Handwerk eine Konkurrenz in den Bereichen der Wasserkraftnutzung und vor allem in der Personalrekrutierung. Auch die Maschinenstickerei, die ab 1870 in Vorarlberg einen bedeutenden Aufschwung nahm, bot manchem armen Handwerker einen beliebten neuen Erwerbszweig. Die Kalkhütte an der Bregenzerstraße 1908 10 Wie sich diese Umformungen auf das Wolfurter Handwerk auswirkten, ist nur schwer nachzuweisen. Wie vorhin bereits erwähnt, handelte es sich bei den Handwerkern in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts um Personen mit starkem landwirtschaftlichen Hintergrund. Wie diese Personen, die sich ja nicht alleine von den Einnahmen aus dem Handwerk ernähren konnten, diese Veränderungen im wirtschaftlichen Bereich überstanden, ist quellenmäßig leider nicht nachvollziehbar. Für das Jahr 1832 hat sich im Gemeindearchiv eine Stellungnehme der Gemeinde erhalten, die über die Lage des Handwerks Auskunft gibt. Darin wird das Gewerbe als unbedeutend bezeichnet, die Gewerbetreibenden nur als Taglöhner eingestuft, die als Schneider und Schuster bei den Bauern um Lohn arbeilen.' Die Gemeinde gibt aber über die übrigen Gewerbetreibenden keinerlei Auskunft. Leider gibt es für dieses Jahr kein Steuerbuch, das über die finanzielle Lage und Besitzverhältnisse der Bevölkerung und besondes der Handwerker Auskunft geben könnte. Im Steuerbuch von 1846 wird aber eine große Anzahl verschiedenster Handwerksberufe genannt, die in Wolfurt sicher auf die längere Tradition zurückblicken können. Die Gewerbenovelle von 1884 schrieb die Gründung von Zwangsberufsgenossenschaften vor. In Wolfurt war es am 26.10.1883 zu einer vorbereiteten Sitzung und im Frühjahr 1884 im Gasthaus Adler zu den kurz hintereinander folgenden konstituierenden Sitzungen der Berufsgenossenschaften der Handelsleute und Wirte, der Handwerker und der Sticker gekommen.6 Als Vorstand der Handwerkergenossenschaft wurde der bereits erwähnte Ziegler Josef Anton Schertler gewählt. Das Interesse an dieser Berufsgenossenschaft scheint, wie aus einem zeitgenössischem Zeitungsartikel zu entnehmen ist, nicht sehr groß gewesen zu sein/ Die Handwerksgenossenschaft Wolfurt wurde in den folgenden Jahren auf die Gemeinden Schwarzach und Bildstein ausgedehnt und wies im Jahre 1892 94 Mitglieder auf.8 1899 wurde vom Gemeindevertreter Wendelin Rädler die Gründung einer Gewerblichen Fortbildungsschule in Wolfurt vorgeschlagen.9 Es kam in dieser Angelegenheit zu einer Sitzung mit den Wolfurter Volksschullehrern und dem Vertreter der Gewerbegenossenschaft Conrad Doppelmayr. Da die Schülerzahl aus dem Handwerkerstand zu gering für eine staatliche Subvention war, wurde beschlossen, die Fortbildungsschule in kleinem Stil zu gründen, wobei ursprünglich mit 3 Stunden Schulzeit pro Woche während der Wintermonate gerechnet wurden. Im Lehrplan waren gewerbliches Zeichnen, Rechnen und Schriftverkehr vorgesehen. Die Handwerkergenossenschaft übernahm die Bezahlung der Lehrergehälter freiwillig und ersuchte die Stickereigenossenschaft und die Genossenschaft der Händler um finanzielle Unterstützung. Der Unterricht wurde probeweise im November 1899 eingeführt, wobei die Stundenzahl auf 4 Stunden erhöht wurde.10 Über die Schülerzahl und das Lehrpersonal gibt eine Statistik des Jahre 1903 Auskunft. Es wurden 36 Schüler von 2 Lehrern während 7 Wochenstunden unterrichtet." Die Kursdauer betrug 7 Monate. 1906 befaßte sich der Gemeindeausschuß mit der Gewerblichen Fortbildungsschule. Die Gemeinde stellte fest, daß die Zahl der Gewerbetreibenden und damit auch die Zahl der beschäftigten Lehrlinge immer mehr zurückgehe. Die Frequenz der Schule ließ stark nach und die ganze Problematik wurde dem Schulausschuß zur Beratung vorgelegt.12 Über das Ergebnis dieser Verhandlungen sind keine Unterlagen vorhanden. Im Sitzungsprotokoll 1909 der Handelskammer findet sich ein Hinweis auf die Gewerbliche Forbildungsschule Wolfurt. Die Handelskammer stellte in diesem Jahr die Subvention an die Schule wegen Untätigkeit ein.13 11 1912 scheint es zu einem Wiederbelebungsversuch der Schule gekommen zu sein, da der Kammerrat Praeg sich in einer Subventionssitzung der Handelskammer für eine neuerliche finanzielle Unterstützung der Schule einsetzte.14 Auffallend ist besonders der Hinweis in der Gemeindesitzung von 1906, daß die Anzahl der Gewerbetreibenden in Wolfurt stark zurückgehe. Über die Ursache dieses Rückgangs können nur Vermutungen angestellt werden. Es ist möglich, daß der Stickereiboom für das mangelnde Interesse der Schüler verantwortlich war.15 1.3 Textilverarbeitung in Wolfurt Seit dem Mittelalter wurde von den Bauern Flachs angebaut und für den Eigenbedarf Leinwand gewoben. Über professionelle Leinwandweber in Wolfurt wird in einer vom Oberamt in Bregenz erstellten Übersicht aus dem Jahre 1767 berichtet.1 Josef und Joachim Geiger sowie ein Martin Herburger werden als für den allgemeinen Verkauf und auf Lager arbeitende Leinwandweber erwähnt. In den Steuerbüchern von 1762 und 1771 werden diese beiden Weber mit ihrem Vermögen genannt.2 Josef Geiger besaß 1762 ein Haus (Wert 190 Gulden), 2 Kühe und verfügte über beachtlichen Grundbesitz. Es gelang ihm, bis 1771 sein Vermögen beachtlich zu vermehren. Sein Gut wurde auf 600 Gulden geschätzt, er besaß jetzt 3 Kühe und hatte ein Reinvermögen von 821 Gulden. Er gehörte mit diesem Vermögen und dem beachtlichen landwirtschaftlichen Besitz zu den besser verdienenden Handwerkern und Bauern im Dorf. Jacob Geiger, ebenfalls Weber, war mit einer Kuh und einem Vermögen von 75 Gulden vergleichsweise eher arm. Neben diesen professionellen Webern gab es eine Reihe von Bauern, die während des Winters grobe Bauernleinwand, auch «BLÄZ» genannt, für den Eigenbedarf woben. Diese grobe rauhe Leinwand war wegen ihrer mangelnden Qualität nicht für den Verkauf geeignet und diente allein der Selbstversorgung. In der amtlichen Wirtschaftsübersicht von 1767 wird neben der Leinwandweberei bereits die Baumwollweberei für Wolfurt genannt. Im Auftrag der Bregenzer Baumwollmanufaktur «von der Trave», der ersten Baumwollmanufaktur in Vorarlberg, ließ der Rickenbacher Georg Haltmayer auf 4 Webstühlen Baumwollgarne verarbeiten.3 Im Wolfurter Steuerbuch von 1795 wird der Adlerwirt Johann Haltmayer als Handelsmann und Baumwollgarnhändler bezeichnet.4 Es ist für die Frühindustrialisierung typisch, daß ein Wirt und Händler die Aufgabe eines Baumwollverlegers übernahm. Er verfügte über das notwendige Kapital für den Einkauf der Baumwolle, hatte die notwendigen Geschäftskontakte und konnte daher leichter in dieses lukrative Geschäft einsteigen. Bezeichnend für seine Stellung im Dorf dürfte eine Angabe im Steuerbuch sein, in der festgestellt wird, daß er seine Einnahmen aus dem Baumwollhandel nicht genau kenne und daher für diese Einnahmen nicht versteuert wurde. Wie verbreitet die Baumwoll- und Flachsspinnerei in Wolfurt war, zeigen die Nachlaßinventare des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Diese in den sogenannten Waisenbüchern verzeichneten Inventare geben immer wieder Flachs- und Hanfgespinst, Spinnräder und Kunkeln als Besitz an. Beispielsweise hinterließ ein Johann Georg Kalb 1787 70 Schneller Garn, 25 Pfund reinen Hanf, eine Haspel, 3 Spinnräder und 2 «Stuhl» (Webstühle). Im Nachlaß des Altammann Böhler von 1787 fanden sich 3 Haspeln, 3 Kunkeln und 3 Flachsbrechen.5 12 Im Jahre 1801 werden in den Statistiken der Vorarlberger Zollbehörden 3 Wolfurter Baumwollverleger mit der Anzahl der von ihnen beschäftigten Heimspinner und Heimweber genannt. Es waren dies: Josef Anton Gmeiner, Josef Anton Meßmer und Johann Martin Fischer.6 Gmeiner hatte an 32 Heimweber Webarbeiten vergeben und an 91 Haushalte 1.015 Pfund Baumwolle zum Verspinnen übergeben. Im Zeitraum 1800—1801 legte er den Zollbehörden 196 Stück Baumwollgewebe zur Numerierung vor. Meßmer hatte 29 Weber beschäftigt, 114 Spinnern 1.105 Pfund Baumwolle zum Verspinnen übergeben und 165 Baumwollstücke zur Verzollung vorgelegt. Fischer ließ von seinen 12 Webern 16 Baumwollstücke erzeugen. Lediglich über die Person des Josef Anton Gmeiner sind einige Informationen erhalten geblieben. Er wird im Vermögenssteuerbuch von 1795 genannt.7 Er war Hausbesitzer, hatte bescheidenen landwirtschaftlichen Grundbesitz und verfügte über das beachtliche Vermögen von 2.155 Gulden. Schulden hatte er in der Höhe von 343 Gulden bei Privatpersonen in Altstätten, Kanton St. Gallen, das als wichtiger Baumwollieferungsplatz für Vorarlberg während der Frühindustrialisierung galt. Es ist anzunehmen, daß diese Schulden aus Baumwollieferungen stammten. Laut Steuerbach hatte er «800 Gulden auf dem Gewerb liegend», was auf den beachtlichen Kapitaleinsatz im Baumwollverlagswesen hinweist. 1802 wurde Gmeiner eines Zollvergehens beschuldigt und in Bregenz verhört. Im erhaltenen Verhörungsprotokoll gibt Gmeiner über seine persönlichen und geschäftlichen Verhältnisse Auskunft.8 Er stand 1802 im 33 Lebensjahr, hatte 2 Kinder und bezeichnet sich selbst als Weber und Fabrikant. Gmeiner erklärte, daß der Schweizer Weber Jakob Lüpfi für ihn gearbeitet habe. Da Lüpfi über keinen eigenen Webstuhl verfügte, arbeitete er im Hause Gmeiners und wob zwischen dem 14. April und 14. Juni insgesamt 4 Baumwollstücke. Ein weiterer Schweizer Weber, Jakob Rohner, der in Rickenbach wohnte, arbeitete ebenfalls für Gmeiner. 13 Interessant ist der Hinweis auf die Schweizer Weber, die als Facharbeiter während der Frühindustriealisierung in Vorarlberg arbeiteten und technisch vermutlich besser ausgebildet waren als die Vorarlberger Weber. Auch für Dornbirn und Rankweil-Sulz sind aus diesen Jahren Hinweise auf den Aufenthalt Schweizer Weber vorhanden. Der Ausgang der Untersuchung gegen Gmeiner ist nicht erhalten geblieben. Er wirkte jedenfalls weiter als Baumwollverleger, da er 1815 und 1818/19 als «Baumwollfabrikant» aktenmäßig aufscheint.9 Er wird im Steuerbuch von 1815 als Besitzer von nunmehr 2 Häusern erwähnt und hat seinen bisher eher schwachen Grundbesitz durch ein Bergteil am Ippach vergrößert.10 Die Baumwollweberei als wichtiger Erwerbszweig der Bevölkerung dürfte während der bayrischen Besatzungszeit, wie im übrigen Vorarlberg auch in Wolfurt, stark zurückgegangen sein. Nach der Rückkehr Vorarlbergs zu Österreich und der damit verbundenen Öffnung der großen Monarchie als Absatzmarkt für Vorarlberger Baumwollprodukte kam es in den Jahren 1818/19 zu einem neuerlichen Aufblühen der Baumwollverarbeitung in Vorarlberg. Nach den verheerenden, durch Mißernten bedingten Hungerjahren 1816/17 bot sich ab 1818 eine bedeutende Verdienstmöglichkeit mit der Weberei, wobei die Spinnerei seit der Eröffnung des mechanischen Spinnereibetriebes in Dornbirn-Juchen im Rückgang gewesen sein dürfte. Für das Jahr 1818/19 hat sich für Wolfurt eine sehr wertvolle Quelle erhalten, die den Umfang der Weberei in Wolfurt dokumentierte. In einer Produktionsstatistik für den Bregenzer Raum werden für die Gemeinde Wolfurt die von Verlegern bestellten und von Heimwebern erzeugten Baumwoll- und Mousselinstücke genannt. Insgesamt wurden in diesem Jahr in Wolfurt 908 Stück Baumwollgewebe und 117 Stück Mousselingewebe gewoben.11 Wolfurt war in den Hofsteiggemeinden der bedeutendste Webereiproduktionsort, gefolgt von Steußberg (Buch und Bildstein) mit 713 Stück 14 Baumwollgewebe und Lauterach mit 404 Stück. Neben den bereits bekannten Wolfurter Verlegern Gmeincr und Moser mit zusammen 100 Stück Baumwollgewebe, ließen 9 Dornbirner, 2 Hohenemser, 1 Bildsteiner, l Schwarzacher und 1 Bregenzer Verleger in Wolfurt arbeiten. Im Wolrurter Gemeindearchiv befinden sichfürdie 30-er und 40-er Jahre des 19. Jahrhunderts einige Hinweise auf Weber, die aber keine Auskunft über die Produktion und die Lage dieser Weber geben. In Akten aus dem Jahre 1832 werden ein Weber Johann Klocker im Dorf und ein Weber Jakob Schneider in Rickenbach erwähnt. In den Konskriptionslisten für die Militärstellung 1838 und 1839 werden auch die Berufe der zur Stellung berufenen Männer genannt. 1838 waren von 20 angetretenen Männern 3 Weber, 1839 von 17 ganze 3 Weber.12 Diese Konskriptionslisten haben jedoch als Quelle für die Häufigkeit des Weberberufes keine große Aussagekraft. Interessant ist, daß 1832 ein Blattmacher in Wolfurt existierte, der von der Erzeugung von Bestandteilen für Webstühle lebte.13 Dieser Beruf konnte nur in einem Dorf mit einer entsprechenden Zahl von Webern existieren. Im Bevölkerungsverzeichnis von 1846 werden unter 20 Handwerkern aber nur mehr 1 Weber und 2 Blattmacher aufgezählt. Aus dem Jahre 1848 gibt ein Akt über die Aufdingung eines Lehrjungen beim Wolfurter Webermeister Ferdinand Kalb, Auskunft. Die in vielen Vorarlberger Fabriken zu diesem Zeitpunkt bereits durchgeführte Mechanisierung der Weberei hat diesen wenigen Webern in Wolfurt aber kaum noch Überlebenschancen gegeben und dürfte zu einem Stillstand der Weberei geführt haben, die für die betroffene Bevölkerun natürlich finanzielle Probleme gebracht haben dürfte. Eine gewisse Ausnahme spielte dabei die Buntweberei, da in diesem Bereich eine Mechanisierung aus technischen Gründen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte. Die Buntweberei als Ausweg setzte aber auch für den Weber gewisse Erfahrung und Spezialisierung voraus. Als Ausweg bot sich die Arbeit in der 1838 eröffneten Kennelbacher Spinnerei. 1.4 Die Stickerei Die Lohnstickerei für Schweizer Handelshäuser dominierte im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert das Wirtschaftsleben in den landwirtschaftlichen Gebieten Vorarlbergs.1 Mit der Einführung der Maschinenstickerei wurde auch Wolfurt vom Stickereifieber erfaßt und veränderte die Gemeinde grundlegend. Die Bevölkerung verlegte sich auf die Stickerei und vernachlässigte die bisher dominierenden Wirtschaftszweige, wobei die Sticker sich in eine Abhängigkeit von der Konjunktur begaben.2 In guten Absatzjahren konnte unter der Ausnützung aller Familienmitglieder (Kinderarbeit) der Sticker sehr gute Einnahmen erzielen, während Absatzkrisen zu schweren finanziellen Einbußen führten. 1905, einem Krisenjahr, wurde keine Faschingsunterhaltung durchgeführt, da in der Gemeinde kein Geld vorhanden war.3 Trotz dieser ständigen Konjunkturschwankungen erhöhte sich die Anzahl der Stickereimaschinen in Wolfurt ständig. Während 1887 in Wolfurt 124 Handstickmaschinen waren, stieg die Zahl der Schifflistickmachinen 1900 auf 100, 1910 auf 143 Schiffli- und 26 Handstickmaschinen und bei der letzten Zählung vor dem I. Weltkrieg 1914 wurden in Wolfurt 115 Pantographen, 7 Automaten und Punchmaschinen gezählt.4 Die Stickereimaschinen wurden in der Regel in der Schweiz gekauft und in Raten abgezahlt. Während des Stickereibooms im Jahre 1900 15 sollen, wie in einem zeitgenössischen Zeitungsartikel erwähnt wird, viele unbrauchbare, ausgeleierte Stickmaschinen von Wolfurtern in der Schweiz zu überhöhten Preisen gekauft worden sein.5 Mit diesen Maschinen soll laut Zeitungsbericht maneher Sticker 24 Stunden durchgearbeitet haben, um möglichst viele Stiche zu erreichen. Die Qualität der Stickereien auf diesen allen Maschinen dürfte aber schlecht gewesen sein und zum schlechten Ruf (= billige Ware) der Vorarlberger Stickereien in der Schweiz beigetragen haben. Um an den großen Aufträgen mitmischen zu können, wurde die Qualität der Ware vernachlässigt und nur bedeutende Mengen produziert. Als Mittel für die Qualitätsverbesserung in der Stickerei wurden von der Stickereischule Dornbirn Kurse in den einzelnen Stickereidörfern abgehalten. In Wolfurt fand beispielsweise 1901 ein solcher Kurs statt, der mit einem Kurs für Nachsticker fortgesetzt wurde. Diese Kurse wurden von der Wolfurter Stickereigenossenschaft mitorganisiert und teilweise finanziert. In Wolfurt gab es 1907 12 Sticklokale mit 4 bis 6 Maschinen, wobei die Masse der Sticker nur eine Stickereimaschine besaß.6 In engem Zusammenhang mit dem Stickereiboom steht auch die vermehrte Bautätigkeit in Wolfurt um 1906/07, als neben normalen Wohnhäusern auch vermehrt Villen und Stickereilokale errichtet wurden. Trotz des Reichtums und Wohlstands, der sich mit der Stickerei in der Gemeinde etablieren konnte, muß auf die Schattenseiten dieses Booms hingewiesen werden. Als Arbeitskräfte in den Stickereilokalen wurden hauptsächlich Jugendliche und Kinder verwendet, wobei keine gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen vorhanden waren. Der Gewerbeinspektor erklärte 1885 in einem Bericht: «. . . die Arbeitskräfte der Kinder in so übertriebenem Masse ausgebeutet wurden, daß die in den Stickereigegenden domicilierend Ärzte und sonstigen Menschenfreunde den physischen Ruin der jungen Generation mit Sicherheit voraussahen, falls dem eingerissen Treiben nicht in irgend einer Weise Einhalt gethan würde .. .»7 Der in St. Gallen beheimatete Stickereiverband, der seine Tätigkeit auf die Ostschweiz und Vorarlberg erstreckte und eine Vereinigung der großen Stickereihandelshäuser und der Einzelsticker war, einigte sich 1886 auf eine Arbeitszeitregelung in den Stickereien, wobei die Arbeitszeit von 7 Uhr bis 18 Uhr festgesetzt wurde.8 Als Druckmittel für die Einhaltung der Bestimmung wurde der Liefer- und Abnahmeboykott gegen «Ausbeuterfirmen» beschlossen. Als Vorarlberg sich 1892 vom Verband löste, war auch die Einhaltung dieser Regelung nicht mehr möglich und das Gewerbeinspektorat konnte nur nach den allgemeinen Bestimmungen des Gewerbegesetzes vorgehen.9 Die Stickerei wurde durch den I. Weltkrieg schwer getroffen und konnte sich nie mehr von diesem Rückschlag erholen. 1.5 Händler und Nahrungsversorgung Die ersten Quellen über Krämer und Händler in Wolfurt stammen aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert. 1785 wird im Steuerbuch erstmals ein Krämer genannt. Im Steuerbuch von 1794 wird der Krämer Krispin Bildstein mit seinem Vermögen und seinen Schulden genannt.2 Bildstein, der 1755 noch als Wirt bezeichnet wird, gehörte zu den vermögendsten Personen im Dorf, hatte 4 Kühe und 1 Pferd im Stall und verfügte über bedeutenden Grundbesitz. Besonders interessant ist die Nennung seiner Schulden. Er hatte Schulden in Augsburg und Pavia; was auf Warenschulden hinweist und auch Rückschlüsse auf die Herkunft der von Bildstein verkauften Waren und auf seine Handelsbeziehungen zuläßt. Augsburg war das Handelszentrum Süddeutschlands und der Hinweis auf Schulden in dieser Stadt kann so interpretiert werden, daß Bildstein aus dieser Stadt Konsumgüter bezogen hat. 1798 suchte der Rösslewirt Baptist Rohner, der neben seiner Wirtschaft eine Branntweinbrennerei und eine Bäckereigerechtsame besaß, um eine Handelskonzession für Tuch, Zucker, Kaffee und Lichteran.3 Gegen dieses Ansuchen protestierten in einem Beschwerdebrief die anderen 4 Wolfurter Krämer. Sie hatten mit ihrem Protest Erfolg, da das Oberamt Rohner die Handelskonzession verweigerte. 4 Krämer in einem Dorf war für die damalige Zeit eine sehr hohe Zahl und es ist möglich, daß hier der Einfluß der Frühindustrialisierung sich bemerkbar machte.4 Die in der Heimindustrie beschäftigten Weber und Spinner verfügten, eine gute Konjunkturphase vorausgesetzt, über Bargeld, eine ständige Einnahmequelle. Diese Geldmittel wurden in Heimindustriegegenden in der Regel für den Einkauf von Konsumgütern verwendet. Es ist auch für Wolfurt, der führenden Webereigemeinde in Hofsteig, mit einer Veränderung des Konsumverhaltens zu rechnen, die sich in einer Vermehrung der Krämer im Dorf ausdrückte. Im Jahre 1840 gab es in Wolfurt nur mehr 3 Krämer und einen Mehlhändler.5 Ob das Ansuchen des Michael Lau aus dem Jahre 1828 um Verleihung einer Händlerkonzession für Kaffee und Zucker angenommen wurde, geht aus den erhaltenen Akten nicht klar hervor.6 Zur unmittelbaren Lebensmittelversorgung der Bevölkerung dienten Bäcker und Metzger. In der Tabelle der Handwerksberufe ist aber die geringe Zahl der Bäcker während des ganzen Untersuchungszeitraumes deutlich zu erkennen. Dies ist nur mit der Annahme zu erklären, daß Brot im eigenen Haushalt erzeugt wurde und auch Hausschlachtungen durchgeführt wurden. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit ist die Verbindung der Bäckergerechtsame mit einigen Wirtshäusern im Dorf. So besaßen 1798 die Wirte Baptist Rohner (Rössle) und Johann Haltmayer in ihrem 16 17 Wirtshause eine Bäckereigerechtsame, wobei diese «ex radice» war. Bei dieser Rechtsform lag die Gewerbeberechtigung auf dem Hause selbst und setzte keine Gewerbeausbildung des Hausbesitzes voraus. Diese Form der Gewerberechtsame wurde in den Steuerbüchern aber nicht erwähnt, da sie nicht zu versteuern war, während die «Profession» der anderen Handwerker mit einer Pauschalsumme versteuert wurden (20 Gulden). Über die Brotpreisgestaltung im 19. Jahrhundert hat sich im Gemeindearchiv ein Brief des Wolfurter Bäckers erhalten. Die Brotpreise wurden amtlich verordnet und in Wolfurt galt, wie in allen Gemeinden des Amtsbereiches Bregenz, der Bregenzer Brottarif. 1838 bat der Wolfurter Bäcker (Name im Akt nicht genannt) die Bregenzer Tarife für Wolfurt abzuschaffen, da die Tariftabelle erst mit 8 bis 14 Tagen Verspätung in Wolfurt eintreffe.7 Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben sich im Gemeindearchiv zahlreiche Brotbeschauprotokolle erhalten. Durch ein Gemeindeorgan wurden bei den Bäckern Gewichtskontrollen und Preisüberprüfungen durchgeführt, wobei bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Gewichte und Preise das Brot durch die Gemeinde beschlagnahmt und an die Gemeindearmen ausgegeben wurde. Über den Fleischverzehr und die Nahrungsgewohnheiten haben sich keine schriftlichen Hinweise finden lassen, sodaß Vermutungen angestellt werden müssen. Der Fleischbedarf dürfte auch in Wolfurt, wie in allen Vorarlberger Gemeinden des 19. Jahrhunderts eher gering gewesen sein und die Ernährungsgrundlage aus Mehl- und Kartoffelspeisen bestanden haben. In einem Brief des Landgerichts Bregenz an die Gemeinde Wolfurt aus dem Jahre 1832 wurde festgestellt, daß neben der bereits erwähnten Brottaxe auch die vom Stadtmagistrat Bregenz festgesetzte Fleischtaxe in den Gemeinden nicht eingehalten werde. Ein Metzger wird in Wolfurt erst 1832 genannt, der vermutlich Lohnarbeiten ausführte. Über den Getränkekonsum und die Getränkeerzeugung in der Gemeinde sind ebenfalls nur wenige Nachrichten erhalten. Der im Mittelalter und in der frühen Neuzeit so bedeutende Weinbau spielte im 19. Jahrhundert keine sehr bedeutende Rolle mehr und dürfte mit der Eröffnung der Arlbergbahn und der damit verbundenen Einfuhr von billigem Südtiroler Wein ganz zugrunde gegangen sein. Im Steuerbuch von 1785 werden beim Wirt Johann Haltmayer in der Vermögensaufstellung unter anderem der Weinvorrat im Keller und Reben genannt und auch bei den Privatpersonen Josef Anton Haltmayer und Amtsamman Josef Fischer werden Reben und Weinvorräte im Kellerals zu versteuerndes Vermögen aufgezählt.9 Im Kartenwerk vom Jahre 1857 wurden noch einige Weinberge in Wolfurt und in Rickenbach eingezeichnet. Viel wichtiger dürften damals die kleinen Bierbrauereien gewesen sein, die sich in den Gasthäusern befanden. 1853 suchte der «Rössle»-Wirt Caspar Haltmayer bei der Gemeinde um eine Bierbrauereikonzession an und erhielt vom Gemeindeausschuß auch die Genehmigung.10 Eine weitere Brauerei war die bis 1902 bestehende Brauerei des Johann Georg Fischer." Weiters spielte die Branntweinerzeugung in Wolfurt eine große Rolle. 1798 besaß der «Rössle»-Wirt Baptist Rohner eine Branntweinerzeugungskonzession und 1842 nahm der Gemeindevorsteher Martin Schertler in einem Brief an das Kreisamt Stellung zur Einfuhrzollerhöhung von Obstbranntwein. '2 Er erklärte darin, daß im Inland zu viel Fruchtbranntwein erzeugt werde, der Obstpreis dadurch heruntergesetzt 18 werde und daher den Bauern die Obstkultur nicht mehr am Herzen liege. Es könnte sich bei diesem Fruchtbranntwein um die heute noch bekannte Spezialität «Subircn> handeln. Die Branntweinerzeugung muß aber im allgemeinen historischen Kontext des 19. Jahrhunderts gesehen werden. In einem Akt des Kreishauptmann Ebner wird der Alkoholismus als das größte soziale Übel in Vorarlberg während des 19. Jahrhunderts genannt. Die Trinkwasserversorgung in Wolfurt hat sich im 19. Jahrhundert auf der Basis der Brunnenversorgung abgespielt und konnte mit dem enormen Bevölkerungswachstum und der dadurch bedingten erhöhten Nachfrage nach Trinkwasser nicht Schritt halten. In einem Zeitungsartikel von 1893 wird über das schlechte Trinkwasser in Wolfurt geklagt.0 Im Kirchdorf befand sich der Dorfbrunnen, der oft kein Wasser führte und bei Regen getrübtes Regenwasser hatte. Wegen diesem unhaltbaren Zustand kam es im Rössle zu einer Versammlung der Brunnengenossenschaft, auf der die Suche nach einer Quelle für die allgemeine Wasserversorung beschlossen wurde. Im Zeitungsartikel wird die durch die Industrie stark zugenommene Bevölkerung als Grund für die Wasserprobleme genannt. Der Schwanen. Einstmals zentrales Gasthaus mit Bäckerei, Handlung und Tanzsaal. 19 1.6 Industrielle Betriebe in Wolfurt Im 19. Jahrhundert befanden sich in Wolfurt nur zwei industrielle Betriebe: die Spulenfabrik Zuppingcr und die Maschinenfabrik Doppelmayr. Der Gründer der Spulenfabrik Zuppinger war Konrad Zuppingeraus dem Kanton Zürich, der 1873 in Wolfurt eine kleine Holzspulenfabrik errichtete. Unter seinem Sohn Johann Walter wurden Filialbetriebe in Mähren und Bayern errichtet. In Wolfurt wurde die Produktion von Holzspulen 1909 eingestellt. Die Familie Zuppinger hatte auch Mühlen errichtet und nach Stillegung der Spulenfabrik den Mühlenbetrieb weitergeführt. Die Maschinenfabrik Doppelmayr geht auf die mechanische Werkstätte des Josef Dür zurück. Der Nachfolger Dürs, Konrad Doppelmayr, hat mit der Herstellung von Getrieberädern und landwirtschaftlichen Geräten den Anfang der Maschinenfabrik gemacht. Mit dem Eintritt Emil Doppelmayrs in die Fabrik im Jahre 1910 wurde das Produktionsprogramm auf Lasten- und Personenaufzüge erweitert. In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts erstellte die Fa. Doppelmayr in Zürs den ersten modernen Umlaufschlepplift Österreichs und spezialisierte sich daraufhin auf die Erzeugung von Skiliften. Bedeutende Textilbetriebe entstanden erst in den zwanziger Jahren in Wolfurt. 1.1 Landwirtschaft 1 Benedikt Bilgeri, Der Getzreideanbau im Lande Vorarlberg. Dornbirn 1947, S. 212—215 2 Mathias Schneider, Wolfurter Chronik. «Merkwürdige Begebenheiten». Manuskript. Gemeindearchiv Wolfurt 3 Vorarlberger Volksblatt 10. 10. 1929 4 Gemeindearchiv Wolfurt, Steuerbücher 5 Beiträge zur Statistik der Bodenkultur in Vorarlberg mit Nachweisung der Ernteergebnisse des Jahres 1870. Innsbruck 1871, S. 8 Ergebnisse der in Vorarlberg am 31. 12. 1910 vorgenommenen Volks- und Viehstandszählungen. Bregenz 1911. S. 3 6 Gemeindeausschußprotokoll 16. 11. 1869, zukünftig mit GAPr abgekürzt 7 Beiträge zur Statistik der Bodenkultur in Vorarlberg mit Nachweisung der Ernteergebnisse des Jahres 1872. Innsbruck 1873, S. 29 8 GAPR 5. 2. 1873 9 Beiträge zur Statistik der Bodenkultur in Vorarlberg mit Nachweisung der Ernteergebnisse des Jahres 1871. Innsbruck 1872, S. 49 10 GAPR 28. 3. 1897 11 GAPR 6. 9. 1898 12 GAPR 29. 10. 1898, 22.9. 1899 und 23. 10. 1899 13 GAPR 17. 3. 1897 und 28. 3. 1897 1.2 Handwerk 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Steuerbücher Gemeindearchiv GAPR 17. 11. 1880 Handelskammer Feldkirch, Archiv, Präsidiumssitzungsprotokoll 1904, S. 46 Vorarlberger Landesarchiv, KOA 1 Seh 104, Nr. 111, 1791. Landesarchiv wird mit VLA abgekürzt werden Gemeindearchiv Wolfurt Seh 1800 Vorarlberger Volksblatt 9. 5. 1884 Vorarlberger Landbote 23. 1. 1885 Feldkircher Zeitung 15. 10. 1885 GAPR 23. 10. 1899 GAPR 22. 11. 1899 Österreichische Statistik, Band 77, S. 176 GAPR 27. 3. 1906 Handelskammer Feldkirch. Archiv, Präsidiumssitzungsprotokoll 1909, S. 112 Handelskammer Feldkirch. Archiv, Präsidiumssitzungsprotokoll 1912, S. VII GAPR 23. 10. 1899 1.3 Textilverarbeitung 1 Kaspar Schwärzler, Tabelle über die in der Graf- und Herrschaft Bregenz und Hohenegg befindlichen Fabriken. Manufakturen und Commercialprofessionisten 1767. In: Archiv für Geschichte und Landeskunde Vorarlbergs 1906/7. S. 58 2 Gemeindearchiv Wolfurt, Vermögenssteuerverzeichnis 1762, Folio 49 und Folio, S. 177 3 Schwärzler, Tabelle S. 57 20 21 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Gemeindearchiv Wolfurt, Gemeindearchiv Wolfurt, VLA, KOA 1 Seh 145 Gemeindearchiv Wolfurt, VLA, KOA 1 Seh 144 VLA, KOA 1 Seh 145 Gemeindearchiv Wolfurt, VLA, KA 1 Seh 239 Gemeindearchiv Wolfurt, wie 12 Steuerbuch 1795 Waisenbuch Wolfurt, I./5 Folio 413 und I./6 Folio 324 Steuerbuch 1794 Siegfried Heim Vermögenssteuerverzeichnis 1815 Schachtel 1800 1.4 Stickerei 1 2 3 4 5 7 8 9 VLA, KA II Seh 38. IV 1931 + IV 2404, Stickstückferker Ansuchen aus Wolfurt 1857 GAPR23. 10. 1899 Ferdinand Schneider, Wolfurter Chronik, Original Gemeindearchiv Wolfurt. S. 227 Gerhard Alge, Die Entstehung, Entwicklung und Bedeutung der Vorarlberger Stickerei bis 1914 und ihre Beziehung zur Schweiz. Diplomarbeit Wien 1978, S. 36 und 54 Schneider Chronik s. 230 Vorarlberger Volksblatt 4. 1. 1900/6 Schneider, Chronik S. 233 und 234 Bericht Gewerbeinspektorat 1885, S. 406 Feldkircher Zeitung 30. 1. 1892 und Gewerbeinspektorat S. 407 Schneider Chronik S. 189 Feldkircher Zeitung 12. 11. 1892 1.5 Händler und Nahrungsmittelversorgung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Gemeindearchiv Wolfurt, Steuerbuch 1785, Folio 34 Gemeindearchiv Wolfurt, Steuerbuch 1794, Folio 28 VLA, KOA 1 Seh 145 VLA, KOA 1 Seh 145, Kommerz 1804 Gemeindearchiv Wolfurt, Steuerbuch 1840 VLA, KA 1 Seh 516 Zoll Gemeindearchiv Wolfurt, Seh 1800, Gewerbe, 1838 Gemeindearchiv Wolfurt, Seh 1800 Steuerbuch 1785, Folio 306 + 332 Gemeindearchiv Wolfurt, Gemeindebeschluß Nr. 10, 1853 Einkommenssteuerverzeichnis 1873 und Heinrich Wurm, Historisches Verzeichnis der Österreichischen Braustätten und Brauereifirmen. Linz 1980, S. 81 12 VLA, KA 1 Seh 526, Zoll 3374 13 Vorarlberger Landbote 10. 2. 1893 Dieser und einige folgende Artikel sind teilweise aus Schriften zur Vorarlberger Geschichte zusammengetragen. Für besonders interessierte Leser schreibe ich sie hier auf: ( 1) Bilgeri, Geschichte Vbg., 1971-86 ( 2) Bilgeri, Getreidebau, 1948 ( 3) Burmeister, Geschichte, 1980 ( 4) Burmeister, Landesmuseumsverein 125/1982 ( 5) Burmeister, Die Wolfurter, 1984 ( 6) Heim, Zeittafel, 1985, Heimat Wolfurt 1 ( 7) Heim, Steußberg, 1983 ( 8) Heim, Schlösser, 1983 ( 9) Heim, Jüngste Marktgemeinde, 1982 (10) Kleiner, Hofsteiger Landsbrauch, 1902 (11) Welti, Kellnhof Wolfurt, 1952 (12) J. Heinzle, Ortskunde, 1967 (13) Bernhard, Jungbürgerbuch, 1978 (14) Heimatbuch Lauterach, 1953 und 1985 (15) Häfele, Bilder aus der Geschichte, 1922 (16) Gunz, Familienchronik, 1892 (17) Pfarrer Feurstein, Seelenbeschrieb Ia, 1760 (18) J. Walser, 400 Jahre Pfarre, 1912 (19) Anwander, Pfarre St. Nikolaus, 1931, Holunder 30 (20) Weizenegger-Merkle, 1839 (21) Rapp, Generalvikariat, 1896 (22) «Hofrieden» im VLA Anmerkungen im folgenden Text beziehen sich auf diese Quellen. Ackerbau in Hofsteig Bis zum Jahre 700 n. Chr. hatten die Alemannen das Unterland bis zum Kummenberg besiedelt, während im Oberland weiterhin die Rätoromanen fest verwurzelt waren. An der Kummen-Grenze trafen sich auch die Einflußsphären des Bistums Konstanz im Norden und des Bistums Chur im Süden. Durch Jahrhunderte blieb diese Teilung bestehen. Der Unterschied reichte in die Belange von Wirtschaft, Recht und Kultur hinein. (13/Seite 14) Benedikt Bilgeri weist in seinem «Getreidebau» diese Grenzen auch im Ackerbau nach.(2) Lange Jahre gehörte das Unterland zum «Vesen»-Gebiet der Alemannen im Bodenseeraum, das Oberland aber zum Gebiet des «Mischkorns», das sich über Liechtenstein nach Graubünden fortsetzte. Bregenzerwald und Allgäu aber bildeten aus klimatischen Gründen das «Haben>-Gebiet, zu dem als Ausnahme in der Ebene auch noch Hofsteig gezählt werden muß. 23 22 Die Milchwirtschaft spielte im Lande schon seit der Keltenzeit eine beachtliche Rolle, auch Obst- und Weinbau besaßen neben der Schweinezucht eine gewisse Bedeutung. Den Hauptanteil bei der Ernährung trug aber immer der Getreidebau Acht Getreidesorten wurden in Wolfurt angebaut: Vesen, Däntel, Weizen, Hafer, Roggen, Gerste. Hirse und Türken. 1. Vesen, «feaso», «Spelz», «Dinkel», auch einfach «Korn» genannt, ist ein widerstandsfähiger Winterweizen, bei dem die Körner wie bei Gerste mit dem Spelzblättchen verwachsen sind und von diesen Hülsen vor dem Mahlen befreit werden müssen. Enthülste Früchte heißen dann «Kernen». Drei Malter Vesen ergaben nur ein Malter Kernen. Für die Alemannen war Vesen weitaus das wichtigste Getreide. Sie hatten den Vesenanbau von den Römern übernommen (Getreidefund aus dem 1. Jhdt. in Brigantium), doch findet sich Vesen auch schon in Schweizer Pfahlbauten. Ins Oberland drang der Vesenanbau erst im 17. u. 18. Jhdt. vor. Aus Lustenau und Höchst wurde lange Zeit Vesen-Saatgut ins Schwabenland exportiert (Weizenegger-Merkle). Während Vesen im übrigen Österrreich unbekannt war, gab es in Vorarlberg noch 1913 mehr Vesen als Weizen im Verhältnis 165 ha zu 101 ha. 1944 wurden nur mehr 8 ha Vesen angebaut. Seither ist der alemannische Weizen bei uns verschwunden. In Niederösterreich wird Dinkel aber in allerneuester Zeit für die «Hildegard-Medizin» angebaut. Die Heilige Hildegard von Bingen (1098—1179), die große Mystikerin und Naturwissenschaftlerin, setzte das Dinkelkorn an die Spitze ihrer Ernährungslehre und pries seine Vorzüge an. Ihre Anhänger suchen heute wieder im einfachen Essen mit DinkelVollkorn Gesundheit und Kraft. 2. Däntel (auch «Dintel» genannt, nicht verwechseln mit Dinkel-Spelz), ist ein Winterweizen mit starken Grannen und Einzelkörnern («Einkorn»). Er läßt sich als ältester Weizen schon in der Steinzeit nachweisen und hatte in Vorarlberg das gleiche Verbreitungsgebiet wie Vesen. Im übrigen Österreich war er unbekannt. Um 1850 wurde er in Wolfurt noch angebaut. Der Müller Gunz berichtet in seiner Chronik, daß man damals aus Vesen und Däntel nur 40 % Mehl mahlte, während der neu eingeführte Weizen 75 % Mehl ergab. Der Rest wurde allerdings noch einmal untergeteilt in Kleie und das grobe «Jaumehl», aus dem sparsame Hausfrauen noch Hafenlaib kochten. Seit 1930 ist der Däntelanbau ganz verschwunden. 3. Weizen, vor allem der Zweikorn-Weizen «Emmer», wurde von alters her im Oberland angebaut, am häufigsten allerdings als «Mischkorn» oder «Halbkorn» mit Roggen vermischt. Erst im 19. Jhdt. setzten sich neue Weizensorten durch und verdrängten mit ihrem höheren Ertrag die alten Sorten Vesen und Däntel. Durch Getreide-Importe aus Ostösterreich, Frankreich, Argentinien, Kanada und anderen Staaten ist der mit Unwetter-Risiko behaftete Weizenanbau im Lande Vorarlberg seit Mitte des 20. Jahrhunderts nahezu ganz verschwunden. 4. Hafer, «Haber», wurde aus klimatischen Gründen in höheren Lagen angebaut, wo Vesen nicht mehr gedieh. 1576 berichtet Junker Hans Georg v. Wolfurt «Zue Alberschwendi gibt man in dem großzehenden keine andre frucht als haber.»(2/200) Auch Schleh schreibt 1616 in seiner Emser Chronik (S. 28) «Ob Alberschwendi liegt das Gericht Lingenaw, dessen Kirchensatz auch dem Abt von Bregenz gehörig, beyde Wilde Bergechte örther jedoch ohne Felsen allda kein ander Frucht als Haber wachßt.» Vom Steußberg (Bildstein und Buch) erhielt das Kloster Mehrerau 1601 nur 4 Viertel Vesen, aber 149 Viertel Haber als Zehent. Auch 1817 bestand die Steußberger Getreideernte noch zu 95% aus Haber nämlich 3800 von 4034 Vierteln. Getreidemaße: Ein Bregenzer Viertel faßte 21, 5 Liter Kernen, d. s. etwa 13 kg, ein Feldkircher Viertel faßte 24, 9 Liter, ein Alberschwender Viertel 30, 6 Liter. Jedes Gericht, ursprünglich jeder Hof, hatte seine eigenen Maße. 1 Viertel sind 4 Vierling (zu je 5, 4 Liter), 4 Viertel sind 1 Scheffel (86 Liter). 8 Viertel sind 1 Malter (172 Liter). In Bregenz gab es allerdings auch noch einen großen Malter von 18 Vierteln (demnach 387 Liter). Im 19. Jahrhundert wurde das Viertelmaß verdrängt. Jetzt galt: 1 Metze faßt 2 Staren, das sind 61, 5 Liter (2/181). In Wolfurter Bauernhäusern findet sich noch heute der mit Brandzeichen geeichte halbe Staren für etwa 15 Liter Körner. Gunz berichtet: «Das Getreide wurde gemessen mit Staren, Vitel (so sagte man in Wolfurt zum Viertel) und Vierling. Ein Star hatte ungefähr 42 alte Pfund oder 19 kg». (16/170) 24 25 Zurück zum Haberanbau. Während im Unterland fast überall Vesen das Hauptgetreide für das tägliche Brot war, bildete das konservative Hofsteig eine Ausnahme. Hier stand Haber an der ersten Stelle. Von 1447 steht im Mehrerauer Zehentbuch aufgeschrieben: «acht malter haber und vier malter vesen, alles Bregentzer meß, nämlich in dem dorffe zuo Wolfurt.» Ein ähnliches Verhältnis gilt vom hofsteigischen Schwarzach, das 1603 nördlich des Flusses 33 Viertel Haber und nur 11 Viertel Vesen abführte, während der Zehent an die Emser Grafen in dem zu Dornbirn gehörigen südlichen Teil umgekehrt zu 8 Viertel Haber 32 Viertel Vesen betrug. (2/206) Auch als in Wolfurt um 1870 der Türken zum Hauptgetreide geworden war, so daß «Stopfar» und «Hafoloab» nicht mehr aus Vesenmehl, sondern aus Türkenmehl und Türkengrieß gekocht wurden, gab es am Morgen noch ab und zu ein Habermus, «. . . dann ist man auf den ganzen Tag gefüttert.» (16/156) Noch 1938 kochte uns unsere alte Großtante Karolina manchmal ein dickes Habermus oder einen Haberstopfer, sonst galt damals Hafer eigentlich nur als Pferdefutter. Als 1888 Pfarrer Kneipp in Wörishofen den Bohnenkaffee verdammte und Malzkaffee empfahl, begann Plaze Gunz in Rickenbach für die allerorts entstehenden Kneippvereine Hafer zu Malz zu rösten. Die erste Malzrösterei Vorarlbergs war ein gutes Geschäft, bis sie nach fünf Jahren der Konkurrenz von Kathreiners Malzkaffee unterlag. Aber noch einige Zeit wurden Hafer als Farbmalz für dunkles Bier und sogar Roggen als KaffeeErsatz für die Kneippianer geröstet. Den Rauch roch man bis Schwarzach. (16/429, 434 u. 521) 5. Roggen wurde bis ins 18. Jhdt. im Unterland noch fast gar nicht angebaut, im Oberland meist nur als Halbkorn mit Weizen vermischt. Auch im 19. Jhdt. blieb der Roggenanbau im Land unter 10 % der Getreidefläche. Erst der Getreide-Import mit der Arlbergbahn machte um das Jahr 1900 das billige Schwarzbrot zum täglichen Brot. Der Müller Gunz berichtet im Jahre 1895 vom billigen Importgetreide, daß 100 kg bester Weizen franko Schwarzacher Bahnhof nur noch 9 bis 12 Gulden (samt Sack) kostete, Roggen gar nur 6.50 bis 8 Gulden und Türken sogar nur 5.50 Gulden (16/346). 6. Gerste wurde ursprünglich wie Weizen auch nur im Oberland angebaut, vor allem im Montafon. Weit verbreitet war im Oberland die «Mengfrucht», eine Mischung von Gerste und Hafer, auch «Mischelkorn» oder «Rauchkorn» (= rauhes Korn) genannt. Sehr spät wurde in den Hanglagen im Unterland etwas Gerste angebaut. So meldete Streußberg im Hungerjahr 1817 die Ernte von 90 Vierteln Gerste. Das waren aber nur 2 % der Getreideernte, die damals ja noch fast zur Gänze aus Hafer bestand. Ob der Adlerwirt J. Gg. Fischer, der von 1874 bis 1906 in Rickenbach in seiner Waschküche das erste Bier für die Wolfurter braute, dazu eigene Gerste röstete oder Malz kaufte, konnte ich nicht mehr feststellen. Die Gunz-Mühle hatte ihre Gersten-Stampfe schon 1852 eingehen lassen, in der HolzMühle konnte man noch bis 1920 seine Gerste «rollen» lassen. Dabei wurde sie von den Hüllspelzen befreit, so daß man daraus mit Bohnen und rußigem Speckdie in Wolfurt noch heute so beliebte «Kichoro»-Suppe zubereiten konnte. 26 7. Hirse läßt sich als Getreide zwar schon in den Pfahlbauten nachweisen und wurde auch im Mittelalter im ganzen Land angebaut, aber niemals in den Getreide-Eschen, sondern nur wie Hanf, Flachs und Rüben am Rand der Flur in kleinen «Ländern», also eingezäunten Gärten. Daher war Hirse auch nicht Großzehent-pflichtig, sondern wurde mit dem Kleinzehent besteuert, der meist in bar bezahlt werden konnte. Aus Hirse kochte man Hirsebrei, nur ganz selten backte man Brot daraus. Es gab Rispenhirse «Hirsch» und Kolbenhirse «Fenk». Beide sind im 18. Jhdt. verschwunden, in Hofsteig schon viel früher. Jedenfalls heißt es in Mehrerau 1577 vom Hofsteiger Kleinzehent, daß man ihn «von Obst, Rüben, Bohnen, Erbsen, Hanf und Werk (= Flachs) und sonst von nichts mehr geben müsste». (2/80) «Türggo-Usmacho» bei Familie Reiner an der Lauteracherstraße 8. Mais, «Türken», Welschkorn. Mais stammt aus Amerika und war daher wie auch die Kartoffel im Mittelalter bei uns noch völlig unbekannt. Aber schon um 1600 tauchte das Welschkorn aus Italien, wo es «gran turco» genannt wurde, über die Pässe in Tirol und 1650 in der Schweiz auf. Von dort verbreitete er sich bis 1710 über das ganze Rheintal, aber wegen der Dreifelderwirtschaft konnte er nur in Bündten und Gärten, nicht aber in den großen Getreide-Eschen angebaut werden. Türken brauchte viel mehr Pflege als die alten Getreidesorten Vesen und Haber und reifte selbst im iöhnbegünstigten Rheintal so spät, daß die althergebrachte Brachweide im Herbst unmöglich wurde, wenn sich der Türkenanbau ausweitete. Andererseits konnte sich Vorarlberg am Ende des 17. Jhdts. nicht mehr selbst ernähren. Krieg, Mißernte und Einquartierung von Soldaten führten zu Hungersnöten. Obersthauptmann Kreis berichtet 1676 an die Regierung (2/85): 27 «. . . dahero mehr alß der halbe theil underthonen nit allein höchst beschmertzlich schon eine geraumbe zeit an dem hungertuch nagen, sondern wie es mir selbsten alß anderen, die noch ein stuckh brodt zu essen, täglich erfahrlich, mit weib und kündern hier und aller orthen hin, das liebe brodt b'ettlendt vor der thür suechen müessen . . . » « . . . zue deme mueß sich disses rauhe bergige landt mit handarbeiten, alß von villenmaurern, zimmerleuthen und stainmetzen, außerhalb des vatters thür, als gegen Elsas, Pfaltz, Lothringen, Burgundt, Schwaben, Franckhen und Saxenlandt hin ernehren und erhalten, gestalten, daß allejahr, so ich allergnawist bißher beobachtet, über die 7 bis 8000 alte und jungeleuth, kinder, bueben und megdlein, welch letztere mit spinen und viechhüetten sich ernehren müessen, außer dem landt begegen.» Man stelle sich das heute, 300 Jahre später, im reichen Vorarlberg vor: Die Hälfte der Einwohner in Hungersnot am Betteln! Ein Großteil der arbeitsfähigen Bevölkerung als arbeitsuchende Gastarbeiter in fremden Ländern! Es wurde noch schlimmer. Als Ludwig XIV. 1681 das Elsaß besetzte und 1689 bis 1697 der Pfälzische Krieg in ganz Süddeutschland wütete, mußten die Vorarlberger Saisonarbeiter zu Hause bleiben, wodurch die Not ganz unerträglich wurde und zu Raub und Totschlag führte. Ein Hofsteiger Gerichtsprotokoll schreibt 1689: « . . . eine solche ellendt betriebte zeit...» (2/88) Hunger tut weh und macht erfinderisch: Weitere Rodungen waren nicht mehr möglich, denn der ganze Vorderwald war schon ein Getreideland. Der Flächenertrag mußte gesteigert werden! Das konnte nur mit dem neuen Welschkorn gelingen. Aber dann mußten zuerst Brachfeld und Brachweide aufhören. Um das Jahr 1700 kam es überall im Land zu Mißständen. Ammänner und Richter mißbrauchten vielfach ihre Stellung in Eigennutz und Verwandtenwirtschaft. Durch private Nutzung und Verschwendung schmolz auch der Gemeinbesitz des Gerichts Hofsteig an Weide und Wald zusammen. Das Gericht beschaute keine Zäune und Gräben, man befolgte die Satzungen des Hofsteiger Landsbrauches nicht mehr. Die Reichen drangen mit Düngung und zweimaligem Mähen auf Kosten der Armen ins gemeinsame Weideland vor. (1/III/222 ff.) Die Unzufriedenheit des «Gemeinen Mannes» führte zu bösen Auftritten gegen die Richter und den Ammann. Als Sprecher der einfachen Leute verfaßte Georg Roner von Wolfurt eine Anklageschrift und suchte Hilfe beim Kaiser in Wien. 1706 kam es sogar zum bewaffneten Aufstand. Eine Änderung der Verhältnisse trat aber erst ein, als Georg Roner selbst 1710 und noch einmal 1713 zum Hofsteig-Ammann gewählt wurde. In den folgenden Jahren wurden die Almenden des Gerichts auf die einzelnen Dörfer verteilt, nur der Ippachwald, die Auwälder an der Ach und das Ried blieben noch fast 100 Jahre im Gemeindebesitz. (1/III/232 und 273) Die Esche wurden auf die einzelnen Bauern aufgeteilt. Jetzt stand dem privaten Maisanbau nichts mehr im Wege. Die Anbauflächen stiegen ständig. 1727 weigerten sich die Hofsteiger noch, von der neuen Frucht, die bisher mit Kleinzehent besteuert worden war, von nun an Großzehent in natura abzuliefern, mußten aber schließlich doch den Zinsknechten den zehnten Kolben samt Stroh überlassen. Im Mehrerauer Zinsbuch von 1731 steht: «Allda wird das der Orten vor wenig Jahren entstandene und eingeführte Welschkorn unter den Großzehent gerechnet, daher in natura bezogen.» (Bilgeri, Holunder 1927/42) 28 In Wolfurt stieg der Welschkorn-Zehent von 78 Vierteln im Jahre 1732 auf 126 Viertel 1761. (2/93) 1817 übertraf in Wolfurt die Türkenernte mit 1620 Vierteln schon deutlich die Haberernte mit 1280 Vierteln. An der Spitze lag noch immer der Vesen mit 3250 Vierteln. Aber das allmorgendliche Habermus wurde langsam vom Türkenmus und schließlich vom TürkenStopfer verdrängt. Dazu eine Tabelle über die Getreideernte von Wolfurt im Notjahr 1817 im Vergleich mit den Nachbargemeinden. Ernteergebnisse 1817 in Vierteln (1 Viertel ist rund 13 kg). Vesen Wolfurt Lauterach Schwarzach Steußberg Kennelbach 3250 5850 1000 Haber 1280 2080 Dintel 1125 1530 Gerste Türken 1620 2120 unbekannt 100 3800 90 300 250 220 54 30 0 0 0 90 0 0 20 (2/65 ff) Eines von den 200 Wolfurter Bauernhäusern: Waibels in Unterlinden. Ein riesiger «Ufzug» für Vesen- und Türken-Korn und ein großer Keller für Obst, Kartoffeln und Most. 29 Das waren schon beachtliche Türken-Ernten, aber sie verdoppelten sich in den nächsten Jahrzehnten noch. 1840 hatte der Maisanbau im Lande alle anderen Getreidesorten hinter sich gelassen: Jetzt erntete Vorarlberg bereits 80.000 hl Mais gegenüber 55.000 hl Vesen und Gerste. (Bilgeri, Holunder 1934/20) Noch mehr verschob sich das Bild bis 1884. Aus diesem Jahr liegt eine detaillierte Angabe der Anbauflächen Vorarlbergs vor. 1783 ha Türken im Rheintal und im Walgau 883 ha Weizen im Rheintal. vor allem im Oberland 507 ha Vesen (Spelz) im Unterland 504 ha Gerste überall, vor allem im Montafon 458 ha Haber vor allem im Raum Bregenz 285 ha Roggen überall zerstreut 232 ha Mengfrucht Getreidemischung im Oberland 51 ha Halbfrucht Getreidemischung im Oberland Im Jahre 1884 hatte aber der Getreideanbau in Vorarlberg seinen Höhepunkt bereits überschritten. Als ab 1872 die Vorarlbergbahn ganze Schiffsladungen von Getreide zu den Mühlen brachte, und als gar 1884 der Arlbergtunnel als Tor zu den Kornkammern der Monarchie eröffnet wurde, ging der Getreideanbau im klimatisch benachteiligten Vorarlberg schnell zurück. Das zeigt sich am deutlichsten am Beispiel Türken, der doch mit -Riebel («Brösel». «Stopfar») und «Hafoloab». aber auch mit Polenta und Türkenmus die Mägen und Herzen der Vorarlberger erobert hatte: Das Rekordanbaujahr war 1896 mit 1832 ha Mais gewesen (2/82) 1884 waren es noch 1783 ha, 1913 waren es noch 1174 ha, 1933 nur mehr 241 ha. Durch den Zweiten Weltkrieg stieg die Anbaufläche noch einmal bis 1946 auf 547 ha. Dann verschwand der Türken bis 1955 fast völlig aus den Feldern. Heute bauen wieder manche Bauern Mais als Viehfutter an. Die Maismühlen findet man aber nur mehr in winzigen Modellen bei Hobby-Gärtnern und Kneipp-Vereinen. Der Müller Lorenz Gunz berichtet noch allerlei Interessantes in seiner Chronik: «Wie mein Großvater Lorenz Dür noch jung war (um 1800) sind die Bauern, wenn sie die Saat im Boden hatten, im Mai auf den Bühel hinaufgelegen und haben gesungen und gejodelt.» (16/225) «Im Herbst hatte man den Keller voll Kartoffeln, eine Stande voll Rüben, eine Stande voll Kraut, ein Schnitztrog hat nicht gefehlt («Schnitz» = gedörrtes Kernobst). Und dann hat man ein Schwein geschlachtet, oder zwei bis drei Bauern mitsammen eine Kuh. Den ganzen Aufzug (= Dachboden) voll Türkenkolben, auch ganze Tröge voll Weizen, Fese (= Vesen), Roggen und für die Pferde etwas Hafer. Die Bauern haben sich gesagt, wenn alles unter Dach und Fach gebracht war, jetzt laßt den Winter nur kommen. Die Bauern sind nach dem Futtern aufden Ofen gesessen und haben sich die Pfeife gestopft und haben Most und Schnaps getrunken . . .» (16/155) 30 Angebaut wurden «Das Brot wurde meistens selber gebacken. Kaffee gab es nicht. Am Morgen gab es ein dickes Türkenmus oder eine solche Suppe aus Hafer oder Türkenmehl mit gerösteten Kartoffeln zur Suppe. Ab und zu am Morgen ein Hafermus . . . Damals (um 1870) hat sich der Morgenkaffee mit Stopfer schon etwas vorgedrängt. Wenn im Sommer die Männer morgens im Feld gemäht haben, nahm die Hausfrau die Muspfanne auf den Rücken und die hölzernen Löffel in den Sack und trug das Frühstück ins Feld.» (16/156) Das Ried 1971. Flotzbach und Nöüwiesa waren bevorzugte Ackerflächen. Heute steht hier im Streuegebiet im Kupferloch der Güterbahnhof. Die Müller sammelten mit einem Pferdefuhrwerk die Bauernstumpen (kleine Getreidesäcke), jeder Sack war mit der Hausnummer gekennzeichnet. Beim Mais war auch noch ein kleiner Kleie-Säck dabei. Die Bauern brachten 10 bis 25 kg Mais zum Mahlen... Als Mahllohn nahm der Müller 1/16 Anteil vom Mehl. Die Bauern zweifelten oft an der Ehrlichkeit. (16/170) Ursprünglich mußten alle Hofsteiger ihr Getreide in Lauterach mahlen lassen, doch bald bekam auch die «hundsmühle» in Rickenbach ähnliche Rechte. Auch der Kellhof besaß eine Mühle im Tobel (der«Melber»), und zum Schloß gehörte eine Mühle im Holz. Am Ende des 18. Jahrhunderts finden wir eine Mühle im Rickenbacher Oberdorf und die Riedmühle im Kessel. Später entstanden eine zweite Mühle im Holz (bei der alten Schmiede) und Dreihers Mühle in Unterlinden, die zuletzt noch ein Sägewerk betrieb. Die Sippe Dür— Gunz erbaute um 1850 zwei Mühlen am Rickenbach, von denen sich eine zur Großmühle Gunz mit der Niederlassung in Bludenz entwickelte. 31 Um 1890 hatte schließlich auch noch J. W. Zuppinger zu seiner Spulenfabrik im Kessel eine turbinenbetriebene Großmühle erstellt. Nicht zu vergessen sind Hilaris Mühle auf dem Bühel und Zehrers elektrische Mühle im Strohdorf, die während der beiden Weltkriege viele Wolfurter Haushalte belieferten. Heute sind sie alle verschwunden. Kartoffeln («Erd-Öpfol», «Grumbbora», in Wolfurt sagt man «Bodo-Biera») 1530 kamen die Knollenfrüchte aus Südamerika nach Spanien. 1588 trafen sie als botanische Seltenheiten in Wien ein und 1594 in Frankfurt. Aber schon 1680 wurde die Kartoffel in Ostösterreich feldmäßig angebaut (Niedl, Alpenländische Wirtschaftsforschung 1972) In der Schweiz wurde sie ab 1730 angebaut und auf vielerlei Arten gegessen: gesotten, gedörrt, als Mehl, Brot oder Brei. Ähnlich wie bei uns lag sie aber dort noch 1790 mit Kürbis, Bohnen, Kraut und Rüben weit hinter den vielen Getreidearten zurück. Erst die vom «bleichen Kometen von 1769» angekündigten Hungerjahre 1770—1773 verhalfen der Kartoffel zum Durchbruch. (Bündner Monatsblatt 1982/117) In Wolfurt gaben die Verteilung der Felder anfangs des 18. Jahrhunderts, die Kultivierung der Insel und der Löcher 1773 und schließlich noch die Riedteilung 1798 den Bauern die Möglichkeit, neue Äcker anzulegen und mit den neuen Feldfrüchten Mais und Kartoffeln den Hunger zu besiegen. Das Jahr 1817 brachte durch Überschwemmung und Hagel im Vorjahr noch einmal eine Hungerkatastrophe, bei der viele Kinder sterben mußten. Wucherer sollen damals das Mehl mit Gips «gestreckt» haben. Dann aber stieg der Kartoffelanbau sprunghaft an und übertraf 1840 schon alle Getreidearten zusammen um das Dreifache. Auch als durch Getreideimporte ab 1870 der Ackerbau stark zurückging, konnte sich die Kartoffel im Lande halten und wurde zum weitaus wichtigsten Nahrungsmittel. Noch bis in die Mitte unseres Jahrhunderts beherrschte sie im bäuerlichen Haushalt den täglichen Mittags- und Abendtisch. So wie es in Wolfurt jeden Morgen «Stopfar» gab, kamen auch jeden Abend «brotene Bodo-Biera» auf den Tisch. Mittags aber gab es «gsottene Bodo-Biera» als Pellkartoffeln oder als Salzkartoffeln, Kartoffelknödel, Kartoffelpüree oder als Fastenspeise, Kartoffelnudeln oder Kartoffelküchle. Daneben bewährte sich die vielseitige Knollenfrucht aber auch noch als hervorragendes Mastfutter für Schweine und Hühner. Ab 1950 verschwanden nach den Weizen- und Maisäckern bald auch die Kartoffelfelder fast zur Gänze aus unserer Gemeinde. Man brauchte 1000 Bauplätze, dazu Ziergärten und Straßen. Erst in den letzten Jahren kündet sich eine Trendwende an. Da und dort gräbt wieder einer den Zierrasen um, stupft ein paar Zeilen Saatkartoffeln in die Erde und freut sich auf die Ernte im eigenen Acker. Weinbau in Wolfurt Im Lande Vorarlberg ist der Weinbau nahezu verschwunden. Nur wenige winzige Weinberge in Feldkirch und Röthis und einzelne Anlagen von Hobby-Winzern in Klaus und bei Bregenz sind geblieben. Am Ende des Mittelalters war das anders. «Weder der Ackerbau noch die Viehzucht beherrschten die Wirtschaft, vielmehr der Weinbau.» Weinhandel war der einträglichste Erwerbszweig der Stadt Bregenz. (Nägele im Heimatbuch Lauterach, 14/113) «Die Anlage von Rebenpflanzungen und ihre Pflege, die Kelterung und Aufbewahrung des Weines waren durch die Römer in Vorarlberg bekannt geworden» (Schwarz, Hkd. 1949). 32 Schloß Wolfurt um 1855. Das Bild zeigt noch den Weinberg am Südhang. 1856 wurde das Schloß vom Schloßbauern Xaver Köb an Jakob Hutter aus Bregenz verkauft, der es völlig umbaute und die Schloßgasse neu anlegte. (Zeichnung von August Kayser) Besonders im Feldkircher Raum hatte sich der Weinbau ausgebreitet, aber ab 800 n. Chr. läßt er sich nach St. Galler Urkunden auch in der Bregenzer Gegend und rund um den Bodensee nachweisen. Die Grundherren förderten den Anbau, vor allem waren es die Klöster St. Gallen und Mehrerau, aber auch reiche Bürger der Stadt Bregenz. Die Auwälder an der Ach waren im Besitz der Grafen von Bregenz. Obwohl die Hofsteiger hier Weiderechte besaßen, vergaben die Montforter große Teile der Wälder als Lehen zur Rodung, so daß dort Äcker und Weinberge entstanden. (Bilgeri, Hard 1955/106) Die Weinberge in der Ebene mußten allerdings durch massive Mauern gegen die häufigen Überschwemmungen geschützt werden. Sie hießen «Bitzen.» Ein solches Bütze-Weingut in der Größe von 4 Juchart/das sind etwa 180 ar) gehörte zum Emser Kellhof im Wolfurter Kirchdorf. Dort wuchsen noch bis 1810 Reben. Die letzten Bützemauern wurden erst 1978 zum Bau der neuen Raiffeisenbank abgerissen. Aus dem Kirchdorf-Brunnenbrief kennen wir auch einen Weinberg des Edlen Jakob auf Schloß Wolfurt aus dem Jahr 1517. Die Emser Chronik schreibt 1616 von der Umgebung von Schloß Wolfurt: «In dieser gegne herumb hat es einen schönen Weinwachs und da sollicher (welchen man der gelegenheit nach Bregentzer nennt) reyff und gut wirdet, so ist er allenthalben gerahten, dann es selten beschicht». Der «Bregenzer» wuchs also zum größten Teil in Wolfurt und Lauterach. Im Jahre 1603 lieferte die Stadt von ihren Weinbergen nur 530 Hektoliter des köstlichen Getränks, ebensoviel kam aus Hofrieden, aber aus Hofsteig das dreifache (Holunder 1930/50). Der Wein wurde bis Augsburg gehandelt. Aber die «Seeweine» aus Bregenz galten als weniger gut als die «Bergweine» des Oberlands (Röthner und Ardetzenberger). Die SeeTraube war weiß, der Wein herb, sauer, jedoch sehr haltbar. (Weizenegger-Merkle, 1839) 33 Wegen der Klimaverschlechterung ging der Weinbau ab dem 16. Jahrhundert zurück. Schon 1537 warfen die Bregenzer den Hofsteigern vor, daß ihr Wein schwer verkäuflich sei. (1/III/433-23) Auch Hans Georg Edler von Wolfurt berichtet 1580 «die reben erfrüren». Und 1595 wurde gar in Bregenz die Hofsteiger Frau Anna Martin als Hexe gefoltert, bis sie gestand, sie habe sich dem Teufel ergeben und den Weinberg in der «Bütze» mit einer Teufelssalbe verdorben. (Bilgeri, «Bregenz»/226) Aber noch lange gehörten neben dem Weinbau das Küferhandwerk und die Lieferung von Rebstecken zu den Erwerbsquellen der Hofsteiger, bis im 19. Jahrhundert Schädlinge, Pilzkrankheiten und vor allem der durch die Eisenbahn erleichterte Wein-Import die Torggel gänzlich verschlossen. Die Chronisten Engelbert Köb und Lorenz Gunz nennen noch die letzten Weinberge, die sie aus ihrer Jugend (um 1880) kannten: Schloßbühel, Narrenberg, Rutzenberg und Kella. Bei der Zählung von 1880 wies Wolfurt als einzige Hofsteiggemeinde noch 2 1/2 Joch Weingärten auf (Werkowitsch, Land Vorarlberg 1887). Auch die Skizze von Schloß Wolfurt aus dem Jahr 1855 zeigt noch den Weinberg auf der Südseite. Der letzte war wohl der Weinberg am Kirchbühel im Tobel, den Pfarrer Sieber noch 1882 betreute. (16/442 und Köb 65) Heute erinnnern nur noch die Straßennamen Rebberg und Wingertgasse an die einst für Wolfurt so wichtigen Reben. vergessen, daß bei der Felderverteilung 1773 und bei der Waldverteilung 1795 die Ernte von Eicheln und Wildobst-Bäumen ausdrücklich ausgenommen und der Allgemeinheit vorbehalten wurde. Nach der Grundstückverteilung nahm der Obstbau am allgemeinen Aufschwung teil. Beim Rückgang des Ackerbaus und Weinbaus im 19. Jahrhundert erreichte er seinen Höhepunkt. In den freigewordenen Äckern rund um das Dorf wuchs innerhalb einiger Jahrzehnte ein riesiger Obstwald heran. Allein J.W. Zuppinger, der die großen Streuegründe im Schlatt gekauft und entwässert hatte, soll dort mehr als 2000 Obstbäume gesetzt haben (Gunz 16/25). Zuppinger begründete mit dem Lehrer Rädler eine Fortbildungsschule für Landwirte und einen Obstbauverein. Jetzt verschwanden die alten «Kriechen»-Steinobstsorten zugunsten süßer Zwetschken und Pflaumen. An den sonnigen Hauswänden trugen wieder Reben ihre süßen Früchte. In den Haus-Gütern aber pflegte man eine bunte Vielzahl von Obstsorten mit speziellen Eigenschaften als Früh- oder Lagerobst, zum Dörren oder zum Mosten. Da gab es zahlreiche, gegen Schädlinge widerstandfähige Apfelsorten wie Jockobacher, Brenntowinar, Schmelgar, Broattatscher, Hindorhusar, Süoßlar, Türko-, Dafad-, HerroÖpfol, Leodorar, Isnar, Brünnorling, Schwarzacher u.v.a. Die bekanntesten von den in Wolfurt heimischen Birnensorten waren wohl Konstanzar-Länglar, Strick-, Lang-, Wiß-, Rößle-, Höubiora, Wittfeldora, Döübola, Kaisorbiora, Wigärtla, Fleisch- und Klosobiora. Aber jeder alte Wolfurter Bauer könnte noch andere aufzählen. Frischobst deckte den Vitaminbedarf der Familie im gemüsearmen Winter. Das auf dem sonnigen Vordächle der Rheintalhäuser oder im Ofenrohr getrocknete Dörrobst war als «Schnitz» eine beliebte Süßigkeit. Die Mutter backte allerlei Süßspeisen, wie Schnitzkichora oder Ofokatz, vor allem aber für Weihnachten und Neujahr den köstlichen «Moltschero», das nur im Hofsteig und Lustenau unter diesem Namen bekannte Birnenbrot. Obstbau Schon in den Pfahlbauten lassen sich gedörrte Äpfel nachweisen und in der Römerzeit nahm der Obstbau einen beachtlichen Aufschwung. Die Alemannen eigneten sich bald nach ihrer Einwanderung den Umgang mit dem Obst so an, daß Most und Wein an die Stelle des germanischen Biers traten. In der Hausbündt pflanzten sie Apfel-, Birn- und Nußbäume bis nahe an die Grenze «vier schuech von der mark». Was von der Ernte auf Nachbargrund fiel, mußte nach dem Landesbrauch geteilt werden. Später setzte sich die Regelung durch, daß überhängende Äste abgeschnitten werden durften. «. . . soll niemand den anderen übersetzen mit pomben, das das trof auf sich selbs falle . ' . . » , (Landsbrauch 10/145) Selbstverständlich zahlten die Zinsbauern einen Zehentanteil von ihrer Ernte an Äpfeln, Birnen und Nüssen an den Grundherrn. Alle fruchttragenden Bäume im Wald und in den Almenden im Ried und an der Ach gehörten der Gemeinschaft und standen unter besonderem Schutz. Eigens bestellte Bannwarte hatten die Aufsicht «zu solchem zesehen, auf dem veld und auch zu den pombgärten und krautgärten». Das Gericht setzte die Erntetage in der Almende fest. Erst auf ein Zeichen mit den Kirchenglocken durften die Felder betreten werden. Jeder Hofsteiger nahm von den Holzäpfeln und Eicheln, soviel er tragen konnte. Wagen und Pferde waren nicht erlaubt. (Holunder 1931/26) «von sanct Gallentag bis zu mitem Mertzen» standen die Almenden mit ihren Bäumen dem Zugang frei. Noch heute kennt man in Wolfurt den Spruch «Gallen Tag ist gsi, was i find, ghört mi». Aber heute gibt es keine Almende mehr, wo einem nach dem 16. Oktober das Sammeln von Holzäpfeln, Nüssen oder Eicheln Freude bereiten könnte. Es wurde längst 34 Schnapsbrenner 1915 bei Orglers in der Bütze 35 Ein großer Teil der Obsternte wurde zermahlen und in hauseigenen kleinen Torggeln gepreßt oder in großen Maischefässern der Vergärung zugeführt. Most und Schnaps gab es daher in jedem Haus genug und manchmal auch zuviel. Nach 1950 wurde der Wolfurter Obstwald stark gelichtet. Die vielen neuen Häuser, die breiten Schnellstraßen brauchten Platz. Import-Obst und Südfrüchte verdrängten die alten robusten Sorten. Neue Edelsorten leiden aber vielfach unter Krankheiten und benötigen chemische Mittel als Schutz. Seit etwa 1970 ist daher wieder eine Rückbesinnung spürbar. Es werden mit Unterstützung durch die Gemeinde wieder Hochstammbäume gepflanzt. Bauernmost erobert sich wieder einen Platz neben Bier und Wein, und «Wolfurter Subirar» ist eine geschätzte Alkohol-Spezialität geworden. Viehzucht Vorarlberg ist mit jährlich 1400 bis 1800 mm Niederschlag so regenreich, daß Ackerbau hier immer ein Kampf mit den Unbilden des Wetters war. Das gilt besonders auch für das Wolfurter Gebiet mit seiner Staulage am Steußberg und den frühen Herbstnebeln am Bodensee. Sehr wohl aber ist es mit großen Weideflächen für Viehzucht geeignet. So haben hier schon die Räter Milchwirtschaft getrieben und sogar Käse exportiert. (Bilgeri 1/I/19) Auch die Alemannen versorgten sich selbst mit Fleisch, Milch und Käse und weiteten die großen Sommerweiden in den Alpen durch Rodungen noch aus. Aus den großen Herrenhöfen des Mittelalters floß mit dem Klein-Zehent ein beachtlicher Strom von Milch, Butter, Käse, Eiern, Geflügel und Kälbern auf das Schloß, in die Stadt oder ins Kloster und mit dem «Besthaupt» nahm auch manche schöne Kuh den Weg dort hin. Sonst dienten die Erzeugnisse der Viehzucht aber eigentlich nur der Selbstversorgung. Der Hofsteiger Landsbrauch bestimmte, wo Hengst, Stier und Eber in Wolfurt zu halten waren: «Item der hof zu Staig soll haben ainen fohlen und ainen pfarren. Item der kelnhof zu wolfurt soll haben ainen eber und ainen pfarren». (10/148) Als sich der Kellhof 1771 von Hohenems löste, waren seine vier Höfe weiterhin verpflichtet, abwechselnd den «Wucherstier» für die Dorfgemeinschaft zu halten. (Wolfurter Steuerbuch 1771 u. 1778) Damals besaßen die meisten Bauern nur eine oder zwei Kühe in ihren kleinen dunklen Ställen. Unter den 48 Häusern des Kirchdorfs, für die im Jahre 1823 eine genaue Aufstellung gemacht wurde, waren nur drei «Großbauern»: Ammann Fischers Witwe im Engel mit 1 Pferd und3Kühen, Jakob Rohner in derBützemit2 Pferden und 3 Kühen, schließlich Andreas Vonach beim Brunnen in der Kreuzstraße mit 2 Pferden und 5 Kühen. Sechs Familien besaßen kein Vieh. Es gab noch keine Sennereien im Tal, sondern nur auf den Alpen. Etwa 1830 brachten Schweizer Sennen ihre Kunst in den Bregenzerwald und schon 1850 zogen auch Bregenzerwälder selbst als Sennlehrer in die Donauländer und ins Ausland. Jetzt exportierte man Käse achtspännig nach Mailand, nach Wien und sogar nach Polen. (Burtscher, Holunder 1928/45) Der Rückgang des Getreideanbaus zwang die Bauern im Rheintal zur Umstellung auf die Milchwirtschaft. 1871 schlossen sich 34 Bauern zu einer Sennereigenossenschaft zusammen und begannen mit der Milchverarbeitung im Dorf. Daneben führten die Gunzbuben 36 Der Löwenwirt mit seiner Heuer-Mannschaft. Auch der Most-Putsch darf nicht fehlen. noch täglich Milch aus Schwarzach und Rickenbach mit ihrem Pferde-Fuhrwerk nach Lindau in die «Milchfabrik». Durch das Verdienst von Lehrer Wendelin Rädler wurden 1882 im Kirchdorf und 1884 an der Hub Sennereien erbaut, wo die Bauern nun für ihre Milch ein paar Kreuzer einnehmen konnten. Rädler bereiste später das ganze Land, um die Bauern zum Zusammenschluß in Genossenschaften zu überreden. Im Laufe der Jahre gelang ihm die Gründung von 80 Raiffeisenkassen und ähnlich vielen Sennereigenossenschaften in allen Tälern des Landes, wofür er vom Kaiser das Goldene Verdienstkreuz erhielt. Im Jahre 1880 zählte man in den 272 Häusern von Wolfurt 213 Bauernfamilien mit 38 Pferden, 680 Rindern (darunter 426 Milchkühen), 106 Ziegen und 192 Schweinen. (Werkowitsch, Land Vorarlberg 1887) Ähnlich groß blieben die Viehzahlen bis zum Zweiten Weltkrieg, als die Eigenversorgung mit Milchprodukten einen besonders hohen Wert darstellte. Dann fielen die Zahlen rapide. 1983 zählte man in den rund 1100 Häusern von Wolfurt nur mehr ein gutes Dutzend Bauernfamilien mit 6 Pferden, 314 Rindern, 13 Ziegen, 69 Schafen und 39 Schweinen. Die wenigen Milchbauern erreichten mit ihren Hochleistungskühen immer bessere Milcherträge und haben Absatzschwierigkeiten. Jedes Jahr im September treiben sie die mit prachtvollen Glocken geschmückten Tiere zum Kuhfest. Aber nur noch diesen einen Tag stehen die Bauern mit ihrer Arbeit im Mittelpunkt des Dorfgeschehens, sonst finden sie selten die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die ihnen als den Hauptverantwortlichen für unsere Natur und unsere Nahrung zusteht. 37 Alexander Natter 1 ALLGEMEINES Im Frühjahr dieses Bedenkjahres 1988 haben wir (August Geiger, Gemeindessekretär i. R., Heinrich Köb, Herbert Moosmann, Bertram Thaler und Alexander Natter) uns im Rahmen des Projektes Dorfgeschichte des Katholischen Bildungswerkes Wolfurt mit der geschichtlichen Vergangenheit der 30er Jahre in unserer Gemeinde beschäftigt. Das Ergebnis dieser Arbeit präsentierten wir im Rahmen einer Veranstaltung unter gleicher thematischer Überschrift. Wir waren bemüht, Geschichte objektiv darzustellen. Dieser Anspruch wird jedoch nie absolut erfüllt werden können. Sie wird immer vom Standpunkt oder Blickwinkel des «Betrachters» beleuchtet und damit immer auch subjektiv sein. Auch wir haben ausgewählt aus: längeren, teilweise bis zu eineinhalb Stunden dauernden Interviews, die uns von einigen Personen, die diese Zeit erlebt haben, auf Band gegeben wurden und zum Teil durch sehr persönliche Stellungnahmen geprägt waren; zahlreichen Fotos dieser Zeit, die uns von den Interview-Partnern zur Verfügung gestellt wurden und bisher noch nirgends veröffentlicht wurden; einer Fülle von Zeitungsberichten verschiedener Vorarlberger Blätter dieser Zeit und dem Protokollbuch der Wolfurter Gemeindevertretung, das den betreffenden Zeitabschnitt beinhaltet. Nachdem unsere Aufarbeitung dieser Zeit, im besonderen in Zusammennhang mit dem Nationalszialismus, mit kritischer Distanz und auch Angst, daß «alte, längst zugeschüttete, Gräben wieder aufgerissen werden könnten», verfolgt wurde, waren wir bestrebt, die Veranstaltung in ihrem Inhalt allgemein zu halten und keine Personen namentlich zu nennen. Nicht wenige, die in den 30er Jahren politisch in der Gemeinde aktiv waren, leben noch, jedenfalls aber deren unmittelbare Nachkommen. So kam es dann, daß für den einen Besucher das Thema «seriös aufgearbeitet» war, für andere wiederum die Dinge zuwenig beim Namen genannt wurden. Verständlicherweise kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Alltagsgeschichte kaum neue historische Erkenntnisse bringen. Im wesentlichen sind alle Fakten bereits bekannt. Was aber erzielt werden kann ist: unmittelbare Betroffenheit. Betroffenheit deshalb, weil es sich hier nicht um die Darstellung geschichtlicher Ereignisse handelt, die sich zwar zugetragen haben, aufgrund der übergeordneten Bedeutsamkeit den einzelnen aber nicht 38 unmittelbar berühren, sondern weil es sich um historische Berichterstattung handelt, die die Geschichte der Gemeinde als unmittelbaren Nahbereich und im besonderen die ganz persönliche Lebensgeschichte berührt. Dabei geht es nicht in erster Linie um Jahreszahlen. Geschichte schreibende Politiker oder markante historische Ereignisse. Vielmehr erfahren wir. wie die in den 30er Jahren bestehenden wirtschaftlicehn Verhältnisse, die damals gemachte Politik und deren Propaganda in die Lebensverhältnisse des einzelnen Menschen unmittelbar eingegriffen und diese bestimmt haben und den einzelnen in einem Wechselbad ständiger politischer Beeinflussung für sich zu gewinnen suchte. Nachfolgende Zeilen bringen nun eine Zusammenfassung dieser Veranstaltung «Auf dem Weg zum März '38 — Wolfurt in den 30er Jahren». Sie gliederte sich — wie dieser Beitrag auch — in die Teilbereiche Arbeitswelt, Information und Politik, Alltag und Der Anschluß. Abschließend sei noch betont, daß diese wenigen Gedanken nicht im entferntesten als abgerundete Darstellung dieser Zeit in bezug auf unsere Gemeinde gewertet werden können. sie können höchstens als Impuls für die weitere Auseinandersetzung angesehen werden. Ziel der Veranstaltung war. wie es auch dieses zusammenfassenden Artikels ist. «Spotlights» zu zeigen, einzelne Standpunkte. Ereignissse. Bilder exemplarisch aufleuchten zu lassen. 2 STRUKTURDATEN Bevor wir aber auf die oben angeführten Bereiche eingehen, wollen wir uns noch einen kleinen Einblick in die damaligen dörflichen Strukturen unserer Gemeinde verschaffen. Über den Stand der Bevölkerung und deren wirtschaftliche Zugehörigkeit gibt uns die Volkszählung vom 22. März 1934 Auskunft. Sie weist aus, daß zu diesem Stichtag in Wolfurt 325 Häuser standen und 2086 Menschen lebten. 23 % ließen sich dem Bereich der Land- und Forstwirtschaft, 54 % dem Gewerbe und der Industrie und 15 % dem Dienstleistungs-Sektor zuordnen. Zum Vergleich das Volkszählungsergebnis von 1981: 1203 Häuser, 6589 Einwohner, davon 2 7c Land- und Forstwirtschaft. 48 % Gewerbe und Industrie, 37 % Dienstleistungsbereich. Die Landwirtschaft hatte, gegenüber heute, natürlich einen anderen Stellenwert. Gab es 1934 in unsere Gemeinde 374 Kühe. 540 Schweine und 2651 Hühner, waren es 1987 nur noch 126 Kühe, 31 Schweine und 181 Hühner. Die Mobilität der Bevölkerung war natürlich bei weitem nicht in dem Maße gegeben, wie wir sie heute kennen. Dafür kannte man aber auch noch keine Umweltverschmutzung durch die Kraftfahrzeuge. 1933 verkehrten in Wolfurt 10 PKWs, 10 LKWs und 25 Motorräder. Über die politischen Verhältnisse können uns die Stimmenergebnisse der bis 1945 letzten Landtagswahl im Jahr 1932 geben. (Die Ziffer in Klammer bezieht sich auf die Landtagswahl 1928). 39