19910201_Heimat_Wolfurt_07

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Letzte Änderung 27.06.2021, 13:44
Gemeinde Wolfurt
Bereich oeffentlich
Schlagworte: heimatwolfurt
Dokumentdatum 1991-02-01
Erscheinungsdatum 1991-02-01
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Heft 7 Zeitschrift des Heimatkundekreises Februar 91 Das Vereinshaus. Der Bau wurde 1913 vom Katholischen Arbeiterverein begonnen und 1922 vom Kartell christlicher Vereine fertig gestellt. Seither ist es das Veranstaltungszentrum der Gemeinde Wolfurt (Foto um 1935). Inhalt: 24. Vereinshaus Wolfurt (Johler) 25. Mit Napoleon nach Rußland (Heim) 26. Lehrer Köbs Familie (Heim) 27. Theresia Mohr-Wächter DIE A U T O R E N : Mag. Reinhard Johler aus Alberschwende ist 1960 geboren. Er hat Geschichte und Volkskunde studiert und ist Assistent am Institut für Volkskunde an der Universität Wien. Siegfried Heim, geboren 1931 in Wolfurt, ist Hauptschuldirektor Theresia Mohr-Wachter, geboren 1929 in Wolfurt, ist Hausfrau. Die Bilder sind Reproduktionen von Hubert Mohr aus der Serie «Wolfurt in alten Bildern», 1983 Zuschriften Unsere Zeitschrift findet auch bei Wolfurtern «im Ausland» aufmerksame Leser. Sie geht nach Linz und Wien und sogar nach Belgien zu Spenglers Renate. Dieser Tage überraschten uns eine Spende und ein Brief aus der Schweiz. Stöcklers Rösle ist im Schlatt aufgewachsen und lebt nun als Frau Wanzenried in Schaffhausen. Auch sie schreibt eine Ergänzung zu «Kriegsende 1945» in Heft 3, Seite 36: Vielen herzlichen Dank für die sehr interessanten Heimatkundehefte, die ich gerne lese. Zu Kriegsende 1945: Am 2. Mai 1945 zwischen 4 und 5 Uhr morgens hat uns Herr Höfle Martin geweckt und gebeten, daß wir Rickenbacher Mädchen und Frauen zum Bürgermeister Theodor Rohner gehen und bitten, Wolfurt für die Feinde freizugeben, damit das Dorf nicht zerstört werde. Als wir dann bei ihm erschienen und die Bitte vorbrachten, sagte Herr Rohner: wir müssen nach Wolfurt (Anmerkung d. H.: So sagen alte Rickenbacher zum Kirchdorf) zum Ortsgruppenleiter fahren und ihn darum bitten. Als wir dann bis ins Dorf kamen, war schon alles in Aufruhr und die SS-Soldaten schickten uns retour. Vielleicht können sich noch einige daran erinnern. Vielen Dank und freundliche Grüße Rösle Wanzenried-Stöckeier Abrechnung: Für Druck und Porto sind in drei Jahren S 30.000, — auf Konto 87957 der Raiba eingegangen. Davon wurden bis jetzt S 29.000, — an die Gemeindekasse, die den größten Teil der Kosten trägt, abgeführt. Die Kontoführung wurde am 26. November 1990 namens der Gemeinde von Frau Carmen Haderer überprüft und in Ordnung befunden. Wer kann sich noch an die Rickenbacher Friedensvermittlerinnen erinnern? Wir bitten um Zuschriften und Ergänzungen. Herausgeber: Heimatkundekreis Wolfurt Für den Inhalt verantwortlich: Siegfried Heim, Funkenweg 11, 6922 Wolfurt Satz und Bild: Norbert Mayr, 6922 Wolfurt Druck: Adolf Lohs Ges.m.b.H., 6922 Wolfurt Reinhard Johler Zur Geschichte des «Vereinshauses in Wolfurt» (Zum gleichen Thema hielt der Auto vor zwei Jahren einen Vortrag im Pfarrheim.) 1991 jährt sich das Erscheinen der Sozialenzyklika «Rerum Novarum» von Papst Leo XIII., im Jahre 1993 die Gründung des ersten christlichen Arbeitervereins in Vorarlberg jeweils zum 100. Mal.1 Beides sind Daten, die nicht nur die katholische Sozialbewegung betreffen, sondern sie waren Gründungsanlässe, welche die politische, soziale und kulturelle Landschaft im Lande wesentlich - und bis heute - prägten. Nur in diesem Umfeld ist die Geschichte des Wolfurter Vereinshauses darstellbar. Denn es ist weitestgehend unbestritten, daß es zwei Entwicklungen waren, die das Bild Vorarlbergs bestimmt haben. Beide fußen im 19. Jahrhundert. Zum einen ist die starke Industrialisierung, vor allem ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zu nennen. Vorarlberg war vor der Industrialisierung ein übervölkertes und katastrophal verschuldetes Land. Die Bauernwirtschaften waren, trotz frühzeitiger Intensivierung etwa bei der Käseproduktion im Bregenzerwald weder in der Lage die Bevölkerung mit Arbeit zu versorgen, noch zu ernähren. Die Menschen lebten von einer Mischökonomie, die aus kleiner Landwirtschaft, Heimindustrie und saisonaler Auswanderung (Schweiz, Frankreich) bestand. Hier wären etwa die Montafoner Krauthobler und Bauarbeiter oder bis nach dem Ersten Weltkrieg die Schwabenkinder zu erwähnen2. Die Industrialisierung Vorarlbergs beschränkte sich nahezu ausschließlich auf die Baumwollverarbeitung (Weberei, Spinnerei); ab 1870 gewann verstärkt die Spinnerei an Bedeutung . Gerade dieser kam in Wolfurt eine Schlüsselstellung zu. Und obwohl es in der Gemeinde keine Textilfabriksgründungen gab - zur Jahrhundertwende existierten lediglich zwei kleine fabriksmäßige Betriebe, nämlich die mechanische Schlosserei Doppelmayr und die Spulenfabrik Zuppinger im Ortsteil Rickenbach - war Wolfurt trotzdem durch das benachbarte Kennelbach in den Sog der Industrialisierung miteinbezogen. Zum einen fanden zahlreiche Wolfurter in den Kennelbacher Fabriken, zu anfänglich katastrophalen Bedingungen Arbeit. Zum anderen ließen sich ab 1880 auch zahlreiche italienische Arbeiter in der Gemeinde nieder. Wolfurt wurde damit frühzeitig zu einer Arbeiter- und PendlerGemeinde. Aber die Industrialisierung bedeutete mehr als die Errichtung von Fabriksgebäuden, sie veränderte die Lebensweise eines Großteils der heimischen Bevölkerung entscheidend. Man sprach im 19. Jahrhundert davon, daß die Fabriksarbeiter2 schaft industriös war und meinte damit, daß sie weniger sparsam, verschwendungssüchtiger und in moralischer Hisicht ausschweifender sei. Das Land sei geradezu von «americanischen Verhältnissen» geprägt. Die Folgen der Industrialisierung können hier nicht näher geschildert werden, aber eine lag geradezu in der Luft: Eine zahlenmäßig starke Arbeiterschaft ließ auch das Schreckgespenst vor einer mächtigen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung aufkommen . Daß dem schlußendlich nicht so war, lag an der zweiten Entwicklung, die schon näher zum Vereinshaus führt. Denn trotz einer bedeutenden Industrialisierung Vorarlberg war mit Niederösterreich die am stärksten industrialisierte Region entwickelte sich hier keine bedeutende sozialistische Arbeiterbewegung, ganz im Gegenteil: In der politischen Entwicklung nahm das Land Vorarlberg einen Sonderweg ein. Hier gewannen 1870 die Katholisch-Konservativen die absolute Mehrheit im Landtag und gaben diese in der Folgezeit auch nicht mehr ab. Dabei war gerade der Anteil der christlichen Arbeiter sehr hoch. In dieser Entwicklung hatten die katholischen Vereinshäuser als Versammlungs- und Verantaltungsorte eine zentrale Bedeutung, sie waren die eigentlichen Bastionen des politischen Katholizismus. Steinerne Zeugen Beide Entwicklungen sind in Vorarlberg bis heute bestimmend geblieben, von beiden Prozessen zeugen historische Schlüsselbauten: im Bereich der Industrialisierung sind Fabriksbauten und Arbeiterwohnhäuser zu nennen, für den Katholizismus stehen die Vereinshäuser. Beide Gebäudetypen sind Erinnerungen, sind «steinerne Zeugen» der Vergangenheit; sie haben dementsprechend einen kulturhistorischen Wert. Allerdings, beide Gebäudetypen waren Nutzbauten und sind daher in der Gegenwart bereits verschwunden oder vom Abriß bedroht. Für die Fabriksbauten ist momentan ein stärkeres Interesse des Denkmalschutzes feststellbar, man überlegt sich eine Erhaltung, Umwidmung und Neuadaptierung . Es gibt keinen Grund, der dagegen spricht, ähnliche Überlegungen auch für die immer geringer werdende Zahl von Vereinshäusern anzustellen. Enstehung der katholisch-konservativen Volksbewegung, der Kasiner Bis 1870 - einem wirklichen Schlüsseljahr in der politischen Geschichte Vorarlbergs - war das Land von den Liberalen regiert, die, gestützt auf ein äußerst eingeschränktes Wahlrecht, eine relativ sichere Landtagsmehrheit besaßen. Nur kurz zur Erinnerung: Wahlberechtigt war man damals aufgrund der Vermögens3 Verhältnisse. Die Wähler waren je nach Eigentum in 4 Wahlklassen eingeteilt. In der ersten Wahlklasse waren die Wohlhabendsten vereint, hier reichten oft nur wenige Stimmen zum Wahlerfolg, hingegen waren in der vierten Wahlklasse, wo etwa Bauern meist eingeteilt waren, oft mehrere Tausend Wähler für einen Sitz notwendig. Dieses Wahlsystem begünstigte die Reichen und benachteiligte andere, etwa besitzlose Arbeiter. Frauen waren weitestgehend ausgeschlossen. Zwar gab es in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Wahlreform, das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht wurde aber erst 1907 eingeführt, Frauen waren erst ab 1919 wahlberechtigt. Es verwundert daher nicht, daß vor 1870 die Wohlhabenden die politische Mehrheit inne hatten. Liberale wohnten vornehmlich in den Städten, sie waren Ärzte, Beamte und Fabrikanten. Der Landbevölkerung kam kein politisches Gewicht zu. Dies änderte sich abrupt in den späten 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zu dieser Zeit schlossen sich die katholisch-konservativen Kräfte in Vorarlberg zu einer Partei zusammen, die auf katholischen Vereinen beruhte. Diese Vereine nannten sich in Anlehnung an ihre Vorbilder im Großherzogtum Baden KASINOS. Diese Kasiner-Bewegung war, zumal ein Treffpunkt äußerst wichtig war, auch eine VEREINSHAUS-Bewegung. Das erste Kasino wurde 1867 in Bregenz, das zweite 1868 in Feldkirch und im selben Jahr als drittes, das in Wolfurt gegründet, welches gleichzeitig als Wanderkasino fungierte und abwechselnd in Wolfurt, Schwarzach, Lauterach und Kennelbach tagte. 1868 wurde dann das landesweit wichtigste Kasino in Dornbirn begründet. Mitglieder der Kasinos, der Vereinshäuser waren vor allem kleine Gewerbetreibende und Bauern. Damit wurden sie zu einer wahren Volksbewegung, die vom katholischen Klerus und insbesonders von Kaplänen geleitet wurden. In .den Kasinos wurden religiöse und politische Fragestellungen äußerst intensiv erörtert, sie dienten zur Bildung und Unterhaltung, vor allem aber interessierten sie ihre Mitglieder für das politische Geschehen. Politik wurde zu dieser Zeit durch die Vereinshäuser zu einem wahren Massenphänomen, das die gesamte Bevölkerung etwas anging, aber gleichzeitig auch zum ersten Mal politische Lager schuf, die einander unerbitterlich bekämpften. Dabei orientierte sich die Kasiner-Bewegung ganz an den politischen Vorgaben der katholischen Kirche und wurde daher als «politischer Katholizismus» bezeichnet. Neben den katholischen Vereinen, war im Kampf gegen den Liberalismus, das 1867 gegründete «Vorarlberger Volksblatt» von größter Bedeutung. Es sei nur kurz angeführt, daß in dieser rhetorisch brillanten Zeitung, die ein wahres Kampforgan war, wiederum Priester an führender Stelle wirkten. Und es sei auch erwähnt, daß manche von ihnen, wegen ihrer scharfen Schreibweise infolge von Ehrenbeleidigungs- und Verleumdungs-prozessen zeitweise im Gefängnis landeten. Dies mag die Form kennzeichnen, in der Politik betrieben und Auseinandersetzungen geführt wurden. Die Katholisch-Konservativen waren von einem vollstän4 digen Machtanspruch im Lande erfüllt. Derart nahmen sie sich auch früh der in Vorarlberg besonders drückenden «sozialen Frage» an. Diese Organisierung war der Grundstein für den Wahlerfolg 1870. Örtliches Zentrum und Veranstaltungsort war dabei das Vereinshaus. In diesem wurde die Politik besprochen und gemacht, die dann für ganz Vorarlberg galt. Das Vereinshaus, also das Haus der katholischen Vereine, war anfänglich oft ein Gasthaus mit einem katholisch gesinnten Wirt. Bald aber folgte, zügig von der ChristlichSozialen Partei vorangetrieben und finanziert, der Bau von eigenen Vereinshäusern. Zu nennen wären etwa der in Dornbirn oder die feierliche Einweihung des Vereinshauses Lauterach am 29. 10. 1911. Sehr oft aber waren die katholischen Arbeitervereine führend in der Errichtung tätig. Dies trifft auch auf Wolfurt zu. Dann wurde das Vereinshaus als «katholisches Arbeiterheim» bezeichnet. Entstehung und Bedeutung der katholischen Arbeitervereine In Vorarlberg setzte - wie bereits erwähnt - die Organisierung der katholischen Arbeiterschaft sehr früh ein. Diese beruhte zunächst auf Formen aus dem Handwerkermilieu, etwa den Gesellen- und Kolpingvereinigungen. Allerdings entsprachen diese nicht den Bedürfnissen der Fabriksarbeiter. Zwei Anlässe waren es nun, die zur christlichen Arbeiterbewegung bzw. zu den katholischen Arbeitervereinen führten. Zum einen hatte die sozialdemokratische Agitation ab 1890 eingesetzt, dem galt es etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen, wollte man die Arbeiterschaft nicht verlieren. Und zum anderen erließ Papst Leo XIII. am 15. Mai 1891 die Enzyklika «Rerum Novarum», deren sozial-politische Konzeption zum Programm der katholischen Arbeitervereine wurde. Diese Vereine breiteten sich in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vor allem in den Alpenländern der Monarchie aus. Der erste katholische Arbeiterverein in Vorarlberg wurde 1893 von Kaplan Längle in Dornbirn, der zweite von dem wichtigsten Arbeiterführer, von Dr. Karl Drexel 1896 in Hohenems und bereits der dritte zu Maria Himmelfahrt am 15. August 1899 in Wolfurt begründet. Der bedeutendste war jener von Dornbirn. Dort wurde im übrigen mit dem Bau des Arbeiterheims 1907 begonnen. Zweck der katholischen Arbeitervereine war die Sammlung des christlich gesinnten arbeitenden Volkes, die Pflege des katholischen und patriotischen Geistes, die religiöse und sittliche Hebung, die Förderung des Standesbewußtseins, die Fortbildung und schlußendlich die Abhaltung geselliger Veranstaltungen. Alle katholischen Arbeitervereine hatten eine sehr ähnliche Organisationsstruktur. An der Spitze stand der Präses, der in den meisten Fällen ein Priester war und dem die «Sorge für das geistige Leben des Vereins» oblag. Ihm wurde ein Obmann zur Seite gestellt, der als «weltlicher Arm» für die organisatorischen Belange verant5 wortlich war. Weiters bestand der Vereinsausschuß aus einem Obmannstellvertreter, einem Schriftführer, einem Kassier und zwei weiteren Mitgliedern.8 Gerade der Arbeiterverein Wolfurt ist ein passendes Beispiel für die soziale Zusammensetzung dieser Vereine. Denn die Bezeichnung «Arbeiterverein» täuscht ein wenig. Gemeint waren damit alle, die sich für die Anliegen der Arbeiter einsetzten. Vor allem der Vereinsausschuß war meist nicht mit Arbeitern, sondern von dörflichen Honoratioren besetzt. Im ersten Vorstand des Wolfurter Arbeitervereins saßen etwa zwei Sticker, ein Schreiner-meister, ein Dampfsägenbesitzer, ein Schlosser und ein Briefträger9. Noch ein Wort zur landesweiten Organisation. 1904 erfolgte der Zusammenschluß der bestehenden katholischen Arbeitervereine zum Vorarlberger Arbeiterbund. 1908 waren in diesem 12 Arbeitervereine mit insgesamt 1.024 Mitgliedern zusammengefaßt: Dornbirn, Hohenems, Wolfurt, Rieden-Vorkloster, Hard, Frastanz, Rankweil, Bregenz, Blumenegg/Thüringen, Lauterach, Nüziders und Ludesch. Für die katholischen Arbeiter wurde auch eine eigene Zeitung, das «Arbeiterblatt» gegründet. Daneben bestanden, wenn auch nicht in Wolfurt, eigene katholische Arbeiterinnenvereine und die katholische Arbeiterjugend. Bedeutender für die Gemeinde, wo die Stickerei ab der Jahrhundertwende eine wahre Blüte erlebte, war die Gründung des Stickerbundes am 1. Jänner 1907, der zur stärksten Organisation der katholischen Arbeiterbewegung werden sollte. Ende 1907 zählte der Stickerbund bereits 23 Ortsgruppen mit über 1.000 Mitgliedern. Die Ortsgruppe Wolfurt gehörte mit 113 Mitgliedern zu den stärksten in ganz Vorarlberg. Abschließend sei noch eine weitere Organisation genannt: Es wurde bereits darauf verwiesen, daß viele in Kennelbach arbeitende Italiener in Wolfurt wohnten. Es verwundert daher nicht, daß 1904 die «Societa Operaia Cattolica di Kennelbach e Wolfurt» (Katholischer Arbeiterverein von Kennelbach und Wolfurt) unter der Leitung von Leonardo Salvaterra gegründet wurde. Und es sei auch nur am Rande vermerkt, daß in einem Wahlkampf der spätere christlichsoziale Ministerpräsident von Italien De Gasperi unterstützt vom Wolfurter Pfarrer eine Rede hielt10. Der katholische Arbeiterverein Wolfurt wurde 1899 gegründet. Dem Gründungskomitee im Gasthaus «Sternen» gehörten Ferdinand Müller, Josef Weiß, Albert Köb, Anton Giesinger und Rudolf Böhler an. Weiters waren im neu gegründeten Verein Mitglieder: Johann Hohl, Rudolf Fischer, Gottfried Oehe, Johann Mesch, Joh. Martin Gmeiner, Gebhard Rünzler, Josef Schwärzler, Josef Anton Köb und Wenzel Meinl. Der Verein zählte also zum Zeitpunkt der Gründung 15 Mitglieder. 6 Zum 1. Präses wurde Kaplan Simon Stadelmann, zum 1. Obmann der Schuhmachermeister Josef Weiß gewählt. Die konstituierende Versammlung fand zu Maria Himmelfahrt, am 15. August 1899 im Gasthaus «Sternen» statt. Anwesend waren auch die Bruderverine von Dornbirn und Hohenems. Der Arbeiterführer Dr. Karl Drexel und der Reichsratsabgeordnete Loser hielten Reden. Der Zweck des Vereins läßt sich am deutlichsten aus den am 16. Juli eingereichten Statuten ermitteln. Genannt sind dabei: «Zweck dieses nichtpolitischen Vereines ist: 1. Förderung der Religiosität und Sittlichkeit der Arbeiter. 2. Fortbildung in Dingen von praktischer Nützlichkeit, sowie Wahrung und Warnung vor verderblichen Zeitbestrebungen. 12 3. Frohsinn und Geselligkeit und Gemeinschaft zu pflegen.» Der Arbeiterverein Wolfurt war ausgesprochen rührig und aktiv. So konnte schon 1900 die Vereinsfahne um 180 Gulden in Sigmarszeil angeschafft werden. Das Fest der Fahnenweihe mit der Fahnenpatin Fräulein Julie Böhler galt als besonders gelungen. Die Fahne zeigt auf der einen Seite den Schutzpatron aller katholischen Arbeitervereine, den Hl. Josef. Daher wurden die Jahreshauptversammlungen auch immer am Josefitag abgehalten. Bereits 1906 zählte der Arbeiterverein Wolfurt 52 Mitglieder13. Es kann nun im einzelnen weder näher auf die wechselnden Obmannschaften, noch auf die Vielzahl der Veranstaltungen eingegangen werden. Nur soweit: Nach einem Jahrzehnt des Bestehens konnte der katholische Arbeiterverein Wolfurt eine sehr positive Bilanz ziehen. 117 Ausschußsitzungen, 105 Vereins- und öffentliche Vorträge dienten dem Vereinsziel. Es wurde über nahezu alles referiert, so etwa über die Leichenverbrennung, über den Balkan, über London und über «400 Jahre Wolfurt». Ab 1900 ist die Abhaltung von Glückstöpfen und zu Weihnachten von Christbaum-Feiern belegt, deren Erträgnisse zur Vergrößerung des Vereinsfonds oder wie etwa 1902 zur Schaffung einer Bibliothek dienten. Es wurden Schießabende oder etwa 1910 Rednerclubs veranstaltet. Dazu kam eine rege Gesangssektion unter der Leitung des Oberlehrerers und späteren Bregenzer Bürgermeisters Mathias Wachter. 1909 wurde die Turnsektion gegründet, aus der sich dann der Arbeiter-Turnerbund Wolfurt mit dem ersten Obmann Albert Köb und als Turnwart Wilhelm Rünzler entwickelte . Zur selben Zeit wurde auch der Hort der erwerbenden Jugend (später Jugendhort) mit dem «Jugendvater» Martin Thaler begründet. Ein Überblick über die zahlreichen Feierlichkeiten und Veranstaltungen des katholischen Arbeitervereins Wolfurt kann auch durch das «Gemeinde-Blatt» 7 gegeben werden. Dort finden auszugsweise etwa am 16. 7. 1911 die Einladung des Arbeiter-Turnbundes zum 1. Schauturnen, am 3. 12. ein Familienabend zum Nikolaustag (beachtenswert: «Der Reinerlös wird zum Bau eines Vereinshauses verwendet»), am 24. 12. eine Christbaum-Feier mit Theater und Gabenverlosung und am 17. 3. 1912 die Einladung zur 13. Ordentlichen Generalversammlung im Gasthaus «Hirschen» unter Obmann Ferdinand Thaler am Josefitag. Ein zentrales Anliegen des katholischen Arbeitervereins Wolfurt war der Bau eines eigenen Heims. Zur Jahreshauptversammlung 1900 wurde zum ersten Mal der Bau eines Vereinshauses besprochen, 4 Jahre später stellte dann Pfarrer Nachbauer den Antrag auf Errichtung eines Vereinshauses. Fertigstellung des Vereinshauses konnte allerdings nicht mehr vom Arbeiterverein alleine getragen werden. Kaplan Nußbaumer versuchte daher, die katholischen Vereine für dieses Anliegen zu gewinnen.16 Dies gelang am 14. April 1921 mit der Gründung des «Kartells christlicher Vereine in Wolfurt». Dieses Kartell, dessen Statuten am 8. Mai genehmigt wurden, war ausdrücklich für den Bau und die spätere Verwaltung des Vereinshauses gegründet worden. Als Mitglieder wurden nur Vereine mit «christlicher Weltanschauung» aufgenommen. Die vier in den Statuten genannten Vereine waren: Heinrich Nußbaumer, Obmann Gebhard Mohr, Obmann Karl Schwärzler, Schriftführer 2. Bürgermusik-Verein Wolfurt: Adolf Fischer, Obmann Albert Gasser, Schriftführer 1. Katholischer Arbeiterverein: Der Bau des Vereinshauses Wolfurt Als erstes Vereinslokal diente dem katholischen Arbeiterverein ein ebenerdiger Raum im «Hanso Hus» der Geschwister Heim am Anfang zur Kirchenstiege. Veranstaltungen wurden entweder im Gasthaus «Sternen» oder im «Rößle» abgehalten. Die Platzfrage aber war schon in Hinsicht auf die steigende Mitgliederzahl durchaus dringend zu behandeln, zumal auch Ausweichlokale, wie etwa die leerstehende Stickerei von Albert Gmeiner in Unterlinden, nur ein Provisorium darstellten. Als erster konkreter Schritt wurde 1904 unter der Federführung von Kaplan Fridolin Hagspiel und dem Vereinsmitglied Maurermeister August Klien ein Bauausschuß bestellt. 1907 lag der erste Plan vor, aber der Baubeginn zögerte sich hinaus. Gleichzeitig wurde auch erwogen, statt eines Neubaues, entweder das Haus von Gebhard Gmeiner (neben dem Schulhaus) oder das Gasthaus «Sternen» zu erwerben. Erst 1910 wurde durch den Ankauf eines Bauplatzes von den Geschwistern Heim im Strohdorf eine Entscheidung gefällt. Der bereits vorliegende Plan wurde 1911 vom Feldkircher Baumeister Kröner umgearbeitet. Die Kosten für diese neue Planerstellung von 800 Kronen übernahm Pfarrer Nachbauer. Nachdem dem am 13. 2. 1913 von Albert Köb eingebrachten Antrag zustimmt wurde, konnte mit dem Bau sofort begonnen werden. Im November desselben Jahres konnte der Verein in den Teilbau einziehen. Dieser bestand aus einem Versammlungslokal im Erdgeschoß, einem Theater, das gleichzeitig als Turnsaal diente und einem weiteren Nebenraum im ersten Stock. Der Erste Weltkrieg verhinderte eine Fertigstellung des Vereinshauses, das wegen seiner Form spottweise auch als «Schlauchturm» bezeichnet wurde. Im Jahre 1920 - der Arbeiterverein zählte durch die Kriegsfolgen nurmehr 25 Mitglieder - wurden unter dem neuen Präses Heinrich Nußbaumer (Obmann Rudolf Schertler) kleinere Zubauten, wie etwa eine Galerie errichtet. Eine 8 Das Kartell christlicher Vereine. Unter Kaplan Heinrich Nußbaumer hatten sich 1922 die Wolfurter Vereine zur Fertigstellung des Vereinshauses zusammengeschlossen. Außer dem Arbeiterverein entsandte jeder Verein zwei Vertreter. Erste Reihe v. 1.: Kaplan Nußbaumer, Rudolf Schertler, Mina Österle, Flora Böhler-Gunz, Gebhard Fehle, Martin Thaler; zweite Reihe: Gebhard Mohr, Josef Schertler, Karl Schwärzler, Ernst Köb, Rudolf Fischer; dritte Reihe: Rudolf Guldenschuh, Johann Zwickle, Jos. Ant. Köb, Pfarrer Simon Stadelmann, Albert Gasser, Adolf Fischer. 9 3. Turnerbund Wolfurt: 4. Liederhain Wolfurt: Ernst Köb, Obmann Franz Köhler, Schriftführer Adolf Fischer, Obmann Albert Kirchberger, Schriftführer 1 Zu diesem Zeitpunkt ist auch eine umfangreichere Arbeit des Autors zur katholischen Arbeiterbewegung in Wolfurt geplant, die auch die umfangreichen Archivalien mitberücksichtigen soll. 2 Kapeller, Kriemhild: Saisonwanderung und Heimarbeit als notwendiger Nebenverdienst in Vorarlberg. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, NS Bd. 43, 1989, S. 275-295. 3 Johler, Reinhard: Behinderte Klassenbildung - am Beispiel Vorarlbergs. In: Beiträge zur historischen Sozialkunde, 2, 1986, S. 51-57. 4 Heim, Siegfried: Bauern und Fabrikler. Die Arbeitswelt unserer Vorfahren. In Heimat Wolfurt, H. 1, 1988, S. 16-19. Sinz, Egon: Kennelbach. Die Geschichte einer Industriegemeinde. Kennelbach 1987. 5 Zur Entwicklung der sozialdemokratischen und christlichen Arbeiterbewegung vgl. Greussing, Kurt: Im Prinzip: Hoffnung. Arbeiterbewegung in Vorarlberg 1870-1946 (= Beiträge zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, 4). Bregenz 1984. 6 Johler, Reinhard: Sammlung und Präsentation zur Industriegeschichte und Arbeiterkultur in Vorarlberg. In: Bockhorn, Olaf-Reinhard Johler (Hg.): Industriegeschichte und Arbeiterkultur in Österreich (Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Wien, Bd. 14). Wien 1987, S.148-163. 7 Haffner, Leo: Die Kasiner. Vorarlbergs Weg in den Konservatismus. Bregenz 1977. 8 Mittersteiner, Reinhard: Wachstum und Krise. Vorarlberger Arbeiterbewegung 1890-1914. In: Greussing, Kurt (Hg.): Im Prinzip: Hoffnung, a.a.O., 73-132. 9 Moosmann, Herbert: Kath. Arbeiterverein Wolfurt. Entstehung - Rückblick. In: Wolfurt-Information, Nr. 92, 1989, S. 20-22. 10 Mittersteiner, Reinhard: Wachstum und Krise, a.a.O. 11 Schwärzler, Karl: Sechzig Jahre Kath. Arbeiterverein Wolfurt (Manuskript). 12 Statuten des «Katholischen Arbeitervereines Wolfurt» (Vorarlberger Landesarchiv). 13 Mittersteiner, Reinhard: Peripherie und Sozialismus. Diss. (Univ.) Wien 1988, S. 148. 14 Vgl. dazu die Protokollbücher. 15 Herburger, Josef: Die Turner und das Vereinshaus. In:WolfurterInformationsdienst, Nr. 17, 1973, S. 21f. 16 Vgl. Schwärzler, Karl: Sechzig Jahre, a.a.O. Sowie die Beiträge zur Festschrift «50 Jahre Vereinshaus Wolfurt». Feiern am 17. und 18. November 1973 (Wolfurter Informationsdienst, Nr. 17, 1973). 17 Satzungen des Kartells christlicher Vereine in Wolfurt vom 8. Mai 1921 (Vorarlberger Landesarchiv). Der Arbeiterverein behielt sich im Verwaltungsrat 2 Stimmen vor, hatte er doch den Teilbau und das Grundstück zur Verfügung gestellt.17 Bald darauf wurden auch andere Vereine (Jugendhort, Kongregation) in das Kartell aufgenommen. Die für die Errichtung notwendigen Finanzmittel konnten durch eine Haussammlung, durch den Reingewinn eines Volksfestes, durch unentgeltliche Arbeitsleistung der Mitglieder und durch ein Darlehen aufgebracht werden. 1922 wurde der Bau des Wolfurter Vereinshauses unter Einbezug des Arbeiterverein-Teilbaues vollzogen. Den endgültigen Plan hatte der Bregenzer Architekt W. Braun erstellt. Zu Pfingsten konnte dann das Vereinshaus Wolfurt feierlich eingeweiht und eröffnet werden. Das «Vorarlberger Völksblatt» berichtete darüber ausführlich: «Die katholischen Vereine von Wolfurt dürfen sich glücklich schätzen, nunmehr ein neues, sowohl den praktischen Anforderungen, als auch dem Schönheitssinn entsprechendes Vereinshaus zu besitzen. Es war wohl ein wagemutiges Unternehmen mit einer Unsumme von Sorge und Arbeit im Gefolge, in gegenwärtigen Zeiten einen so stattlichen und gut eingerichteten Bau zu erstellen, als welchen das Wolfurter Vereinshaus sich heute präsentiert.» Die Feier bestand aus einem Festgottesdienst, der kirchlichen Weihe und einem Festumzug der Vereine. Aber werfen wir noch einen Blick in das neueröffnete Vereinshaus: «Das neue, nunmehr fast fertige Haus enthält außer verschiedenen praktisch eingebauten Vereins- und Klubräumlichkeiten und einer Hausmeisterwohnung einen großartigen Festsaal von über 16 Metern Länge und 11 Metern Breite und mit zwei geräumigen Galerien. Einen gefälligen Eindruck machen die der bodenständigen Bauweise entsprechenden Holz-Vertäfelungen, die hölzernen Galeriebalustraden, der gleichartige Plafond mit einer zugleich architektonisch schmückenden Ventilationsvorrichtung in der Mitte. Die Bühne ist geräumig und zweckentsprechend gebaut und erhielt erst noch in den letzten Tagen die neuen, von Meister Ulrich Ender (Götzis) gemalten Szenerien. Auch im Äußeren bietet der Bau einen überaus gefälligen Anblick: mitten in freie Umgebung sich erhebend, läßt er seine schönen Verhältnisse im Eintrittsvestibül, Mitteltrakt mit dem Ventilationsaufsatz sowie Bühnenbau mit den kleineren Lokalitäten prächtig zur Geltung kommen.» 10 11 Siegfried Heim Zur Erinnerung ein paar Zahlen Mit Napoleon nach Rußland Franzosenkriege in Wolfurt «Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, Herr Jesus Christus!» beteten unsere Vorfahren. Unter diesen drei Geißeln litten sie ja immer wieder. Besondere Not kehrte um das Jahr 1800 ein. Die ersten Kriegsahnungen hat der Maler Anton Schneider schon 1787 gehabt. («Beschreibung des Franzosenkriegs», Chronik Schneider im Landesarchiv). «In Hißigem Dorf daß Hauß Numeriren an gefangen, der Aman Fischer und ein Geschworener war dar bey, der Martin Haltmayer, Schreiner auf dem Bühel, hat es müßen Numeriren. Auf dem Bühel hat man angefangen und also an die Ach hinaus und so fort. Jeder Man sagt, was doch das Ding bedeutten thue. Dan niemand weiß, auf was es an gesehen, doch muthmäßet man, daß es nichts Guttes werde andeuthen.» Erstmals wurden also im Jahre 1787 auf kaiserlichen Befehl Hausnummern an die Türen gemalt. Die Amtleute gingen durch das ganze Dorf, auch nach Schwarzach, Bildstein und Buch. Während der Maler die Nummer aufpinselte, schrieb der Ammann Leute und Besitz auf, «so gahr das Kind in der Wigen». Diese Hausverzeichnisse wurden in den folgenden Jahren verwendet für Steuerlisten, für die Einquartierung von Soldaten und zur Aushebung von Rekruten. Dreißig Jahre der Not und Unterdrückung folgten, Jahre von «Hunger und Krieg». Vom ersten Blutvergießen berichtet Pfarrer Walser (Volksblatt, 25. 10. 1912): «Nach dem Totenbuchjener Zeit wurde am 11. August 1796 Johann Michael Gasser von einer feindlichen Kugel hingestreckt. Am 16. September 1796 wollte der 66jährige Michael Hübe im Garten eine von einem andern vergessene «Schopete» (Flinte) holen und wurde dabei von den Kugeln der Franzosen getötet. An demselben Tage tobte in und durch Wolfurt ein heftiges Gefecht. Es fielen hier 6 kaiserliche Soldaten und 3 Franzosen. Die erstgenannten 2 Männer und 3 kaiserliche Soldaten konnten noch versehen werden. Gleichzeitig waren in Lauterach 10 Häuser von den Franzosen in Brand gesteckt worden.» Schwere Gefechte gab es auch im Sommer 1800 in Wolfurt. Darüber hat Volaucnik berichtet (Heimat 1/20). Dabei wurde im Juli 1800 Michael Haltmayer in seinem ganz neuen Haus im Bütze-Weingarten erschossen. «Auch haben die Franken am Sontag in vil Häußer ein gebrochen und geblündert und die Leyt ausgesucht und ihnen die Todesangst angetan.» Drei Tage lang wurde Wolfurt damals geplündert. 12 1789 Französische Revolution 1792— 1797 1. Franzosenkrieg 1796 Gefechte in Wolfurt 1799— 1802 2. Franzosenkrieg 1800 Gefechte in Wolfurt 1805 3. Franzosenkrieg 25. Dezember 1805 Vorarlberg an Bayern abgetreten 1806 Die alten Gerichte Kellhof und Hofsteig aufgelöst 1808 Wolfurt wird selbständige Gemeinde 1809 Aufstand. Wolfurter kämpfen im Allgäu 1812 Napoleon zieht mit der Großen Armee nach Rußland. Brand von Moskau. Winterkatastrophe 1813 Völkerschlacht bei Leipzig 1814 Napoleon nach Elba. Vorarlberg wieder zu Österreich 1815 Schlacht bei Waterloo. Napoleon nach St. Helena verbannt. Wiener Kongreß 1795 waren in Wolfurt die «Bergteile» im Ippachwald und 1798 die «Riedstücker» verteilt worden. 1808 gab es in Wolfurt 185 Häuser. Die 1143 Einwohner besaßen zusammen 266 Kühe. Sie ernährten sich hauptsächlich vom Getreideanbau. 1817 Große Hungersnot! Schwer hatte das Dorf auch 1804 unter den Einquartierungen der Kaiserlichen und 1805 unter denen der Franzosen zu leiden. Bayerische Rekrutenaushebung Im Frieden von Preßburg mußte Österreich Vorarlberg und Tirol an das Königreich Bayern abtreten. Sofort hatte der schreibkundige Gotteshausammann Mathias Schneider einer Liste aller wehrfähigen Männer zu erstellen. In seinem Buch «Märckwürdige Begebenheiten» (Schneider-Chronik 2) sind uns die 239 Namen erhalten geblieben. 13 Demnach gab es 1805 in Wolfurt: 99 23 21 96 ledige Männer von 17 bis 30 Jahren, ledige Männer von 30 bis 50 Jahren, «Verheurathete» von 17 bis 30 Jahren und Verheiratete von 30 bis 50 Jahren. Rekruten ohne gespilt Weg genohmen. Von Wolfurt hat man Anton und Johann Stülz zurlinden, Joseph Böhlerzurach, für Hofrieden durch das Spiel, Thomas Vonach nur weil er mit obigem zum Spiel ins Hofriedisch gegangen. Von Steusberg (Bildstein) hat man 6 Mann alles Ledige genohmen.» Als im Juni 1807 neue Konskriptionslisten erstellt wurden, «allwo alle Jünglinge Von 16 bis 40 Jahren sich haben müssen abmessen und Fixidiren lassen», kam es zum Weiberaufstand in Langenegg und Krumbach. Darauf quartierten die Bayern 4000 Mann Kavallerie und Infanterie ein, die auch Wolfurt außerordentlich belasteten. Das Gericht Hofsteig mußte 2700 Gulden Bußgeld zahlen. Außerdem mußte es am 15. Juli 1807 vier Rekruten stellen. Weitere 12 Mann, darunter 4 Wolfurter, wurden am 30. Juli ausgehoben: Josef Lenz von Rickenbach, Josef Anton Schwerzler Gugers, Joseph Dür im Tobel, Kaspar Gasser auf dem Bühel. Fünf Jahre später starben sie in Rußland. In seiner Kriegschronik (Schneider 1) ergänzt Schneiders Vetter Anton diese Darstellung: das Spiel in Schwarzach konnte nicht stattfinden, weil die Wolfurter in der Krone mit großem Geschrei aufbegehrten und sogar eine «Botillen» in den Tischwinkel zum neu aufgestellten Bregenzer Landrichter warfen. Zur Strafe dafür wurden drei Tage später einfach 4 Wolfurter und 6 Steußberger in Lauterach verhaftet und «geschloßner» (gefesselt) nach Bregenz und weiter nach Augsburg geführt. Vermutlich haben sich die Angehörigen der Verhafteten beschwert, denn «noch dazu hab man den Vatter Stültzen sambt dem jüngsten Sohn Martin auch zu haus abgeholt und auf Bregentz und in Arrest auf einige Tag geben.» Sie sollten so lange in Haft bleiben, bis man des Flaschenwerfers habhaft sei. Im April 1809 beteiligten sich auch die Wolfurter am allgemeinen Aufstand gegen die Bayern. Mit Schiffen fuhren sie mit bis Konstanz und Ludwigshafen und holten sich reiche Beute. Auch das bayrische Lindau wurde von den Vorarlbergern fürchterlich geplündert. «Ein jeder hat ein Sack a ufdem Bügel in die Stadt Bregentz gebracht, ich hab es selber gesehen», schreibt der Chronist. In ihrem Siegesrausch marschierten die Hofsteiger unter Major Schertler sogar mit nach Wangen und Kempten. Aber dort wendete sich das Kriegsglück. Im Gefecht bei Eglofs erlitten sie schwere Verluste. Mathias Schneider berichtet: «Es sind aber dieses Jahr diese Landes Völker, welche schon bis auf dem Buchberg bei Kempten gestanden, vom Königlich Bayr. und mit hilf der Königlich Würthenberg. Truppen zu Haus geschlagen worden, wobey unser Seite etliche Mann das Leben Verlohren, so wohl von Frey willigen als von dem Landsturm besonders und zwar erstens Joh. Georg Reiner als Hauptmann, Jos. Ant. Lenz, Ant. Geiger, Andreas Flatz.» Hauptmann Reiner war schwer verwundet in Gefangenschaft geraten. Er starb in Kempten (Walser, V.V. 29. 10. 1912). 15 Panik brach aus, als die Bayern nun die allgemeine Wehrpflicht einführten und die Ledigen der Reihe nach rekrutierten. Einige Jungmännerflohenaus dem Land, viele retteten sich durch schnelle Heirat vor dem Militär. «Anno pro Domine Jesu Christe 1806 haben Hochzeit gemacht.. . Welches aber aus sonderbaren Umständen geschehen. Es hat sich durch den Willen und Zulassung Gottes ereignet, daß der Kaiser (Napoleon), welcher zwar nur vor wenig Jahren den Zepter und Krone erhalten von Frankreich, aber Mahlen Krieg angefangen mit unserem Römischen Kaiser Franz des II. und so gesieget, daß er in kleiner Zeit bei 3 Monaten nicht nur ganz Vorarlberg und Tiroll, sondern auch bereits ganz Bömen, Ungarn, ja Wien selbsten, mit hilf des Bayerfürsten eroberet hat, welches alles geschehen vom Oktober bis Dezember. Dan den 14. November sind die Franken bei uns Eingerückt, nur zu Wolfurt bey 13 Compagnien, über Tausend Mann. In diesen Unglücks Tagen ist Seine Mayestät der Kaiser genöthiget worden, einen mit großem Verlust betreffenden Frieden mit Frankreich zu schließen, wo bey er auch ganz Tirol und Vorarlberg Nebst Villen andern Ortschaften Verlohren und abtretten müssen. Über diesen Friedens Contrackt hat der Kaiser von Frankreich den Fürsten von Bayern so belohnet, das er denselben Erstens zu Einem König gekrönet, und Zweytens mit Viellen Landschaften beehret, unter welchen auch ganz Tirol und Vorarlberg, samt allen Entzwischen liegenden Ort und Reichs Herrschaften gegeben worden. Aus diesem Umstände willen, und Forcht Militär stellen zu müssen, haben sich in allen Pfarreyen des Vorarlbergs sehr Viele Menschen Verheuratet, und zwar nur in der zeit zwischen Weihnächten und Herren Faßnacht, welche nur 8 Wochen lang gewesen . . . » Nun zählt Mathias Schneider fein säuberlich die 22 jungen Paare auf, die sich in Massenhochzeiten am 27. Jänner, 3., 11. und 17. Februar 1806 vor dem Soldat-Werden drückten. Es findet sich darunter auch sein Sohn: «Jakob Schneider Wolfurt mit Jungfrau Maria Agatha Schertlerin Underlinden». Er konnte dem Ehepaar das neue Haus an der Berggasse («Rädlers» an der Kellhofstraße) übergeben. Die Braut bekam ja von ihrem Vater, dem reichen Schützenmajor JakobSchertlerauch noch eine beachtliche Ausstattung. So gut hatten es die anderen 21 Paare in jener Fasnat wohl nicht! In den folgenden Jahren gab es nun fast keine Hochzeit mehr in Wolfurt. Die Ledigen aber holten die Bayern zu ihrer Armee: «Anno 1807 den 22ten Jäner hat mann anstattdem 19ten Jäner, alwo zu Schwarzach hätte sollen gespilt werden, die 14 Die siegreichen Bayern und Franzosen bestraften die Vorarlberger schwer. So nahm man den Wolfurtern am 27. Mai sogar das Fährschiff, ihre einzige Verbindung nach Kennelbach, weg und transportierte es nach Bregenz. Und vor allem wollten die Bayern noch mehr Soldaten. «Anno 1810 den 12. März abermahl Rekruten ausgehoben. Alle von 18 et 19 Jahr gleich weg genommen. Das Landgericht Bregenz hat 65 Mann gesteh.» Die meisten Familien versteckten jetzt ihre Söhne. Zu genau kannten die Häscher ihre Opfer aber aus den Listen, die Mathias Schneider ein paar Jahre früher erstellt hatte. «Aufdieses hat man Einigen Exekution eingelegt und zwar aufden ersten Tag 4 Mann, den zweiten 8 Mann, dendritten 12 Mann. So behalten bis die Forchtsamen Ihre Söhne Von der Frömbde her geholt und gestellt haben. Gestelt habe ich selbst den Michael Schneider, Ferdinant Rohner, Jos. Köb auf dem Bühel, Aloys Haltmayer Sohn, Jos. Böhlers Sohn an der Hub, Joh. Georg Schwärzlers Sohn zu Steig . . . Nach diesem hat mann alle am Joseph Tag mit ein und weg genommen bis nach Augspurg.... Die Exekution hat manchen 80, 90 bis 100 Gulden gekostet. Got helfe!» An anderer Stelle zählt der Chronist weitere Burschen auf, die mit seinem Sohn Michel am 19. März 1910 abgeführt wurden: «und sind den 20. Merz von Bregenz über kempten bis nach Augspurg transportirt, Von dort wider bis nach Lindau und über 5 Wochen dort, ohne Asentirt zu seyn, behalten worden. Nach diesem erst den 2. May nach Ingolstadt abgefürt worden. Von da ist der Sohn Johann Michl, Ferd. Rohner, Kaspar Gunz nach Neuburg zurück zu den Jägern gestellt worden. . . . 1810 den 17. May erhalten den 26. dis das Erste Schreiben des Michl Schneider. Die Attreß ist zu machen an Michael Schneider bey dem 7ten Leichten Infantry Bartalion Trauberg, bei Herrn Hauptmann GrafKunn Copagni, abzugeben in Neuburg an der Donau.» Weihnachten sollen ganze 1000 Mann mit 60 Pferden die rettende preußische Grenze erreicht haben. Das Volk empfand diese Katastrophe als ein Gottesurteil «Mit Mann und Roß und Wagen hat sie der Herr geschlagen!» (Aus «Weltgeschichte» von Kinder.) Mathias Schneider notierte sich das, was ihm davon zu Ohren kam, so: «Der Kaiser Napoleon hat immer noch weiter geschlagen, daß er auch den Kaiser von Rußland angegriffen, und so weit gesieget, das er bis November 1812 nach Moskau und Polox (Smolensk?) gekommen, wo aber grosse schlachten Vor gekommen, in welchen der Napoleon das Kürzer gezogen, wodurch er Viele Tausend Mann und Kanonen und Geld Kasse Verlohren.» . . . «. . . die Meerern gestorben oder gefangen worden. Doch sey Dank ist unser Sohn den 24. Feber 1813 wider Glücklich nach Haus Kommen, hat nur ein Verhörten Fuß gehabt. Es ist auch sein Herr Oberleutnant und ein Herr Major mit ihm gekommen. Alle andern Vom Ganzen Gericht sind noch abwesend und unwissend wo. 1813 den 16. April hat der Sohn Michael wider mit 3 Compagnigen nach Augspurg von Lindau abreisen müssen.» Die Überlieferung hat Michael Schneiders Heimkehr aus der russischen Winterkatastrophe später dramatisch ausgeschmückt. «Es wird erzählt, er hätte eine ihm abgefrorene Zehe, in Papier eingewickelt, noch heimgebracht. Die Rettung sei ihm nur dadurch möglich geworden, daß er sich in der größten Not an einen Roßschweifhängen und weiterschleppen konnte.» (Walser, V.V. 25. 10. 1912). Schneider soll mit seiner Truppe im Oktober 1813 noch an der Völkerschlacht bei Leipzig teilgenommen haben, die das Schicksal Napoleons besiegelte. Nur zwei weitere Wolfurter kamen aus Rußland gesund heim, der Zimmermann Michael Köb aus Rickenbach und der Student Martin Rohner aus dem Kirchdorf, der später als Gemeindearzt noch französisch und russisch schimpfte. Über sie berichte ich an anderer Stelle. Die vielen anderen jungen Burschen aus unserer Gemeinde waren mit der ganzen Großen Armee in Rußland gefallen, im Eiswasser der Beresina ertrunken, von Kosaken erschlagen, im Schnee verhungert, von Wölfen zerrissen . . . Kaum eine Todesnachricht traf ein. Verzweifelt warteten die Eltern. Nur zögernd wurde nach Jahren manchem eine Totenmesse gelesen. «Am 12. November starb in Preußisch-Polen Anton Dür. Am 11. Februar 1813 starb als Soldat in Lindau Kaspar Gasser. Endlicham 14. Januar 1814 starb im Görzer Feldspital, erst 18 Jahre alt, Johann Gmeiner. Wahrscheinlich gehörte erzumletzten Aufgebot Napoleons.» (Walser, a.a.O.) Auch Chronist Schneider nennt noch ein paar Daten: «13. April 1817 ist Thomas Vonach, welcher aber schon Vor 4 Jahren Laut Totten Schein in Rußland im Spittal gestorben, die erste Bestattniß gehalten worden.» 17 Nach Rußland Kaiser Napoleon sammelte ein Vielvölkerheer, die «Grand Armee», mit 500 000 Soldaten. In den Reihen der Bayern marschierten auch rund 20 Wolfurter mit. Am 24. 6. 1812 überschritt Napoleon ohne Kriegserklärung den Njemen. Mit dabei die Preußen unter Yorck und die Österreicher unter Fürst Schwarzenberg. Die unterlegenen Russen wichen in die Weite ihres Landes zurück. Nach den blutigen Schlachten von Smolensk und Borodino besetzte Napoleon am 14. September Moskau. Nachschubschwierigkeiten und der Brand von Moskau zwangen ihn am 19. Oktober zum verspäteten Rückzug. Hunger, Kälte und die ständigen Angriffe der Kosaken zerrütteten die Große Armee. Nur 30 000 Mann gelang die Flucht über die Beresina. Um 16 «17. Februar 1820. JosefAnton Gantner, Königlich Bayr. Soldat, welcher im Feldzug nach Rußland hat ziehen müssen, dato für Todt erklärt worden und sein Vermögen unter die gesäzlichen Erben Vertheilt worden, in21tenJahr.» «2. April 1828 ist der Jüngling Joh. Georg Haltmeyer, Aloys, als Soldat in Rußland als Todt erklärt worden und die Erste Besingnis gehalten worden.» «10. April 1828 Sind 3 Jüngling als Soldat in Rußland als Todt erklärt worden Nemmlich Sebastian Schwärzler zu Steig, Martin Klocker und Joseph Köb mit 3 gegenwärtigen Prister.» «9. April 1828 ist der Ehrbare Jüngling Gebhart Köb, Examinierter Schullehrer, an einer lang tauernden Krankheit sellig entschlafen, und am Balmsonntag zur Erden Bestattet worden, und feyerliche Bestattniß gehalt worden nebst einer halbstund tauernden Leichbredig, es ist auch zugleich für sein Bruder Joseph Köb K. K. Soldat, der in Ruß gestorben und Todt erklärt worden, nebst obigem Bruder, die Besingnißen gehalten worden.» Wieder österreichisch Die Erleichterung und Freude des Chronisten klingt in seinen Berichten nun durch: «... die Festungen alle sind übergeben worden, die Militärische Truppen ziehen wider Heraus bis an die Rhein gräntzen, wo aber noch Besatzungen Liegen bleiben. Die National Garde wird widerum entlassen um nachhauß zu Kehren. Was das Glücklichste. Daß Tiroll und Vorarlberg mit Ausnahm des Landgerichts Weiler widerum Von dem unerträglichen Joch des Königs Von Bayern entlediget, und unter den Mildreichen Zepter des Hausses Österreich aufgenohmen worden, Von welchem wir 8 1/2 Jahr Entlassen Gewessen, Gott Sey Lob, Ehr und Dank. Den 6ten July 1814 Hat die Sonne Vom Hauß Ostreich unssere Gegenden das Erste mal wider Erfreuet, an welchem TagderKönigl. Kaiserliche Kommißär die Aufnahm Vorarlbergs Zu Bregenz feyrlichst befestiget, allwo die bayrische Wappen Hinweg geschah, und der Glänzende Adler wider aufgeführt worden!. . . Allwo solches Jubelgeschrey Vivat, Es Lebe der Kaiser von Ostreich, in der Ganzen Stadt Entstanden, das seyn eigenes Wort Kaum mehr gehört worden Die Ganze Stadt in allen Gassen sind mit Thännlein besetzt worden und viele der Herrlichsten Triumph Bögen errichtet, und mit Lob Sprüchlein Gezierd worden. . . . Wobey mit allen Gloken in allen Kirchen zusammen geLeuttet worden, und Ein Salve nach dem Andern von allen Militär und Stadt Commpagnien, auch die Völkerschaft von Dornbirn, von Wolfurt und Lauterach sind wider gegenwärtig gewessen. . . . Vor Freude haben Viele geweint, und Ville ge Jubelirt. 1816 den 26. Febr. als am Faßnacht Montag, ist zu Bregenz von der Bürgerschaft Zur Freude und Angedenken der So Siegreichen Schlacht bei Moskau, allwo Ponebart den rest bekommen, Ein Freudiger Rith im Kriegsordnung Vor gespielt worden. Welche durch Franzosen, Rußische und Kaiserliche Gavalery und Infanten Vorgekommen, die Schlacht gegen ein ander so Thättig gefürt, durch Mehrmaliges Hin und Her Treiben des Feindes, mit Kanonen und Muschgeten geschüzt, der gestalten, daß man Glaubte, alle Müssen zusammen geschoßen und Nider gesäbelt seyn, wobey Vielle Fenster von den Kanonen Schüßen gänzlich Verbrochen worden. Der Schaden soll sich über 70 fl belaufen haben, wofür aber nicht hat müssen bezahlt werden. Diesses Spiel ist so Schön und Herlich anzusehen, daß zu Keiner Erdenklichen Zeit solches gesehen worden. Die Haupt Rolle hat gespült H. Joseph Reiner auf dem Thamm als Rußischer Kaiser. Anno 1816 den 30ten May ist die Huldigung zu Inspruk für S. Kaiserl. Königl. Mayestät Franz des I. von Tiroll und Vorarlberg widerum abgelegt worden. . . . » Ein allerletztes Mal war dazu in den sechs Hofsteiggemeinden ein Ammann in der Person des Schwarzacher Kronenwirts Joh. Georg Haltmeyer gewählt worden. Das alte Gericht erhielt aber seine Rechte nicht mehr zurück. 19 Auch über das Ende des Franzosenkaisers berichtet der Chronist Mathias Schneider: «Anno 1813 hat man In ganz Vorarlberg ein Nationalgarde aufgeführt worden. Von 23 bis 30 Jahre Haben alle Taugliche Jünglinge müssen Hingehen, welche sich nicht mit einer Vorhin erhaltenen Looszahlung oder einer Anseßmachung haben Können ausweißen. Zu Wolfurt hat es 7 Mann genohmen: 1. FidelSchwerzler, 2. Joh. Georg Guth, 3. Lorenz Stülz, 4. Fr. Jos. Rohner, 5. Joh. Georg Schwärzler Fr. Josephs, 6. Joseph Geiger Niklaus, 7. Mathias Gmeiner im Holz, dieser aber ist deserdirt.» «Napoleon ist bis Ende November 1813 wieder bis über den Rain nach Frankreich geschlagen worden. Den 10. Dezember sind die Kaiserl. Rußischen auch Kaiserl. Östereichische und sämtlich Alirte Truppen über Bassel und andern Orten in Frankreich gezogen, bis ihn Paris. Haben anstatt des Bonebart ein andern König aus der alten Königl. Famil v. Porbon gesetzt und den Bonebart nach der Insul Elba abgeschikt. Nach diesem sind die Allirten Mächte wider nach Haus zurukgekert, um dem Congres beyzu wohnen. Aber es tauerte nicht lang, 1815 ist der Bonebart von der Elba wider mit einer gewafneten Kriegsmacht nach Frankreich gekommen, und den Neugestellten König wider in die Flucht genöthiget, und einen solchen Anhang Vom Volke bekommen, daß die Alirten Mächten genöthiget wurden, abermal nach Frankreich zu Ziehen, und auch glüklich wider hineingekommen, die Bonebartische Macht gänzlich geschlagen und den Bonebart, welcher Ville Wochen gahr Vermißt gewessen, bis er wider aredirt und wider nach einer Insul St. Helena Trazbortirt worden, und Entlich alldort gestorben.» 18 «Anno 1817 den 1. Mai ist Vorarlberg widerÖstreichKaiserlich geworden, und Profisorisch aufgehört, Gott sey Lob und Dank. NB. Aber es ist nicht Viel Gutes erfolgt, seine Mayestät der Kaiser hat wohl ein Vertröstung schriftlich Heraufgegeben, aber es ist nicht erfolgt! Was der König von Bayern unter seyner Regierung Ein Gricht, welches ihm einträglich war, ist nicht mehr geändret worden. Zum Exempel. Vor hero haben wir für klein Zehend an die Mehrerau nur 22 fl bezahlen müssen; bei der Regierung des Königs von Bayern haben wir den klein Zehend in Natura entrichten müßen, unter diesem ist Verstanden Erdäpfel, Kraut, Hanf, Flachs, Ops, welches Jährlich Cirga 180 fl ausmacht anstatt 22 fl. So ist aber, da wir wider Kaiserl. geworden, nicht mehr das alt recht gestattet. . . . » Die von den Bayern eingeführten Gemeinden blieben bestehen. Unser Chronist Mathias Schneider wurde noch als 72jähriger im Hungerjahr 1817 der erste «österreichische» Vorsteher der Gemeinde Wolfurt. In der Bayernzeit hatten vor ihm Joh. Georg Fischer aus Spetenlehen und dann kurze Zeit Johann Flatz das Amt inne. Im Volk erzählte man noch lange Jahre von den schrecklichen Ereignissen im russischen Winter von 1812. Hunger, Leid und Zorn entluden sich in fürchterlichen Ergüssen. Noch 100 Jahre später schrieb uns Mathias Schneiders Enkel Ferdinand Schneider im Jahre 1912 einen solchen Text auf: Napoleons Titel anno 1814 herausgegeben. Wier in Gottes Zorn gemachter von der Insel Corsica heraus geschleudert, mit der blutigen Kappe gekrönter Kaiser der Franzosen, Ritter deß schwarzen Rabens Orden, Hauptanführer einer großen furchtbaren Räuberbande, Wurgängel der letzten Raste der unglücklichen Könige und Familien in Frankreich, Großheuchler in Egibten, Thron und Krön Räuber der Königreiche Neapel und Spanien, Banco Räuber von Hamburg Heiligthums, Schänder in Hanover, Thron umwälzer und unersätlicher Wolf in Deutschland, Königlicher Pferddieb in Berlin, Scherpfen Degen und Ringkragen Dieb, Riegel und Siegel aufbrecher deß grünen Gewölbes in Dresden, Erzblünderer aller fürstlichen Schatzkammern, groß Schatzausräuber in Haßenkaßel, groß BeutelSchneider und groß Verderber in Pohlen, Blutigel in Holland, gemeinde Vermögen Verblünderer und Wütrich in Frankreich, berichtigter Freibeiter all deß auf dem Continent sich befindlichen Englischen Eigenthums, Wiederhersteller deß Robespirischen Sistem, Bestürmer und Mordbrenner von Europa, vermummter Bandit der ganzen Erde, und wirklich bestellter Erzengels Satan, auch erster besitzer der höllischen Legion und verworfener Scheusal der Menschen.» Abgesehen von all den geschriebenen Bosheiten muß man doch staunen, welche Fülle von geographischen und historischen Kenntnissen — von Ägypten bis Robespierre — in diesen Text eingearbeitet wurden, die das Volk auch ohne Zeitung und Fernsehen schon kannte. Wir dürfen hoffen, daß der große Tote von St. Helena und der kleine Dichter all dieser «Tittel» einen gnädigen Richter gefunden haben! 20 Die drei Heimkehrer Von etwa 20 Wolfurter Burschen waren also 1813 nur drei dem Grauen des russischen Winters entkommen. Michael Köb, 1790-1878. Die Familie Köb stammte aus Bildstein und lebte im Haus C 227 in Rickenbach. Das Haus «Stases im Lo» ist 1908 mit der Lenz-Fabrik abgebrannt. An seinem Platz steht jetzt das Doppelmayr-Bürogebäude. 1810 wurde der 20jährige Michael Köb zum 7. bayrischen Infanterie-Regiment eingezogen. Von Kempten aus marschierte er 1912 nach Rußland und kehrte gesund wieder heim. Als Zimmermann lebte er ab jetzt im Vaterhaus. Dreimal heiratete er. Nach dem Tod seiner ersten Frau Theresia Fehle ehelichte der 61jährige seine zweite Gattin Magdalena Rusch und wurde ein Jahr darauf Vater. Als 67jähriger Witwer heiratete er ein drittes Mal und starb erst 1878 im Alter von 88 Jahren. Seine einzige Tochter Anastasia «Stase» heiratete einen Ferdinand Müller aus Langen. Ihre Söhne Gebhard 1875 und Ferdinand 1889 («Mühlemacher Ferde») müßten den älteren Rickenbachern eigentlich noch bekannt sein. Martin Rohner, 1790—1864 Das Pfarrfamilienbuch nennt bei den drei Söhnen des Joh. Baptist Rohner «an der Kirchstiegen» drei bemerkenswerte Berufe: 1. Franz Joseph Rohner, 1789 «miles» (Soldat) 2. Joh. Martin Rohner, 1790 «chirurgus» (Wundarzt) 3. Johannes Rohner, 1794 Waffenschmied Keiner von den drei Kriegern blieb am Dorfplatz daheim. Das Haus C 46 wurde vom nächsten Besitzer zum «Rößle» umgebaut. Jetzt steht dort das Pfarrheim. Martin Rohner wurde als junger Student der Chirurgie zur französischen Armee eingezogen. Aus dem Rußlandfeldzug von 1812 heil heimgekehrt, beendete er seine Studien und wurde Gemeindearzt in Alberschwende. 1827 heiratete er Anna Maria Gmeiner, die Tochter des Wolfurter Gemeindearztes Joh. Gg. Gmeiner (1766—1827) und Großnichte des streitbaren Wolfurter Pfarrers Lorenz Gmeiner, der die große Pfarre geschickt durch Franzosen- und Bayernzeit gesteuert hatte. Er übernahm die Praxis seines Schwiegervaters im Haus C 143 im Strohdorf («Böhler Ottos Haus» auf dem Sternenplatz ist 1949 abgebrannt). Viele Jahre war er ein geachteter Gemeindearzt. Gern erzählte er von seinen Kriegserlebnissen und galt als Original, weil er dabei auch französisch und russisch fluchte. Über seinen ausdrücklichen Wunsch wurde er nach seinem Tode 1864 von Kriegs-Veteranen zu Grabe getragen. Der alte Rußland-Heimkehrer Michael Köb ging mit dem Grabkreuzlein an der Spitze des Zuges. 21 Von Dr. Martin Rohners Kindern waren ein Sohn und eine Tochter nach Amerika ausgewandert. Sein zweiter Sohn Dr. Ferdinand Rohner (1839—1909) führte die Gemeindearzt-Praxis im Strohdorf fort. Vier Töchter hatte er, die alle «gute Partien» machten. Anna Maria, 1865, übersiedelte mit dem Holzhändler Lorenz Dür nach Hard. Rosalie, 1868—1927, heiratete den Fergger Fidel Gmeiner in Unterlinden und wurde die Mutter der «Kartonagen-Fideles». Maria Anna, 1872, wurde die Gattin des Wolfurter Oberlehrers Mathias Wächter. Von ihren 7 Kindern wurde Julius Bürgermeister von Bregenz und Festspielpräsident. Auch Frau Brigitte, die Gattin unseres Bildhauers Albrecht, ist eine Enkelin. Engelberta, 1881, heiratete den angesehenen «Büchele-Beck» Anton Büchele, der Adlerwirt beim Rathaus in Bregenz, der als Schützenmajor auch die Wolfurter Standschützen 1915 in die Dolomiten führte. Von seinen Kindern hat Anton Büchele die letzten Lebensjahre im Oberfeld verbracht. Michael Schneider, 1791—1827 Er war der Sohn unseres Chronisten Mathias Schneider(1745—1833), der als Verwalter der Mehrerauer Güter, als Feldmesser, Wuhrmeister und schließlich als Gemeinde-Vorsteher in ganz Hofsteig hohes Ansehen besaß. Sein Haus «an der Kirchgassen» (heute Kirchstraße 29) ist 1907 abgebrannt. Von den 18 Kindern aus zwei Ehen des Mathias Schneider stammen viele Wolfurter Familien ab, darunter Lehrer Köbs («Meßmers» und «Malers») und «Sammüller»-Böhlers. Etliche Schneider-Familien wanderten um 1850 nach Amerika aus, der letzte Namensträger in Wolfurt war der «Numerant» Ferdinand Schneider (1841—1917), der uns die bedeutende Schneider-Chronik 3 hinterließ. Wie es dem Michael Schneider auf dem Feldzug in Rußland ergangen ist, hat uns sein Vater geschildert. (Siehe weiter vorn auf den Seiten 16 und 17!). Als Soldat war er in der Garnisonsstadt Augsburg heimisch geworden. Nach dem glücklich überstandenen Krieg kehrte er dorthin zurück. Er übte den anspruchsvollen Beruf eines Blättersetzers aus. Ein «Blattmacher» fertigte Kämme für die damals wichtigen Handwebstühle an und mußte mit einem besonderen Eid deren Qualität beschwören. Sein Sohn Mathias Schneider (1826) zog von Augsburg nach Regensburg und gründete dort als Glasmaler eine bedeutende Firma, die Kirchenfenster für Bayern, aber auch nach Wien und nach Ungarn lieferte. Im Jahre 1885 fertigte er die drei schönen Chorfenster (Mutter Gottes, St. Gallus und St. Gebhard) für die Kapelle in Rickenbach an. Sein Bruder Josef Anton Schneider (1827—1898) wurde Drechslermeister in Augsburg und begründete eine geachtete Familie. Sein Urenkel Dipl.-Ing. Josef Schneider hat 1990 Wolfurt besucht und von seiner umfangreichen Ahnenforschung berichtet: 22 Die Industrialisierung brachte um 1870 auch in die Handwerkerfamilie Schneider große Not. Großvater Jakob Josef Schneider (1858—1934) trat daher als Modelldrechsler in den Dienst der aufstrebenden MAN-Werke Augsburg, wo auch fünf von seinen Söhnen Arbeit fanden. Darunter war Josef Schneider (1889—1983), der als Modell-Schreinermeister 47 Jahre lang im Werke arbeitete. Er konnte ein Haus kaufen, das allerdings in den Bombennächten von 1944 völlig zerstört wurde. Sein Sohn Josef Schneider (1917) durfte studieren und war dann 48 Jahre für M A N tätig. Als Ober-Ingenieur leitete er zuletzt die Abteilung für Werkplanung. Das Erbe der Schneider aus Wolfurt lebt nun fort in seinem Sohn Dr. Thomas Schneider (1953), der als Geograph unterrichtet. Die Familie widmet sich auch dem Malen und der Musik, immer noch, wie vor Napoleons Zeiten, als die Schneider den Hausnamen «Maler» bekamen. Wenn die Chronik unseres 20. Jahrhunderts einst vom Kriegsgrauen im russischen Winter von 1943 berichtet, dann hoffentlich auch mit dem versöhnlichen Ende, daß Malen und Musik schließlich die Kriegsschrecken überdauern! 23 Siegfried Heim Vor 100 Jahren Lehrers Engelbert und seine Zeit. Auszug aus einem Vortrag am 12. November 1990 über den Chronisten Engelbert Köb und seine Familie. Köbs auf dem Bühel Die drei größten Wolfurter Geschlechter sind die Böhler mit 152 Namen im Blauen Buch von 1989, knapp gefolgt von den Köb mit 149 Namen. Weit abgeschlagen liegen die Mohr mit immerhin 94 Namen. Ihnen folgen die übrigen 7.000 Wolfurter mit mehr als 1100 Namen, im Durchschnitt also etwa 6 Namensträger pro Geschlecht. Die Mohr gehen alle auf einen Stammvater zurück, Johann Jakob Mohr, der um das Jahr 1750 aus Schwarzach ins Eulentobel kam. Die Böhler gibt es schon seit 400 Jahren ununterbrochen im Dorf. Darüber hinaus haben sie ständig Zuzug aus Bildstein und Buch bekommen. Die Köb finden sich schon 1650 sehr zahlreich in Bildstein und Buch, aber erst 1760 taucht der erste Namensträger in Wolfurt auf. Ihm folgen nun rasch viele andere, die in Wolfurt bedeutende Familien gründen. Einer ist Franz Xaver Köb aus Hag-Bildstein (1777-1859) der im Schloß Wolfurt mit seinen 12 Kindern die Sippe «Schloßburos» begründet. Ein anderer ist Jakob Köb (1761-1840) aus Gallin in Bildstein, der «Galler». Er heiratet 1788 die einzige Tochter des Schreiners Martin Haltmeyer, Auf dem Bühel (jetzt Nr. 1). Es wird der Stammvater all der vielen Wolfurter Köb-Familien, die wir heute mit den Hausnamen «Gallars, «Schrinars uf om Bühol», «Lehrars», «Molars im Strohdorf», «Meßmars», «Seppatones» und «Hilares» benennen. Von Jakob Köbs 13 Kindern starben die meisten schon als Kleinkinder. Sohn Joseph erfror mit Napoleons Großer Armee 1812 in Rußland. Sohn Gebhard Köb starb tief betrauert als junger Wolfurter Schullehrer. 24 Sohn Martin Köb jedoch führte die Schreinerei des Vaters auf dem Bühel fort. Seine Nachkommen «Schrinars», bewohnen das Haus noch heute, also mehr als 200 Jahre lang. Allerdings mußten sie nach dem Großbrand von 1911 in ein Nachbarhaus ausweichen, bis sich Bernhard Köb um 1950 wieder auf dem alten Platz beim Bühel-Brunnen ansiedelte. Jakobs vierter Sohn Michael Köb, 1794-1852, wurde wie sein Vater und sein Bruder ebenfalls Schreiner- und Glasermeister. Neben dem Elternhaus erbauter er an der Landstraße im Oberfeld 1826 ein neues großes Haus (heute Hintereggers, Oberfeld 2). Mit seiner Frau Agatha Dietrich hatte er dort 9 Kinder. Diese Agatha scheint eine besonders unternehmungslustige Frau gewesen zu sein. Im Landesarchiv gibt es eine Notiz (gefunden von Chr. Volaucnik), wonach sie mit einem Compagnon Krüsy aus Bregenz 1835 in der alten Schmiede auf dem Bühel eine Baumwollfabrikation begonnen hat. Während aber zur gleichen Zeit Baumwollfabriken in Kennelbach und Dornbirn ihre Besitzer reich machten, hörte man vom Wolfurter Untenehmen bald nichts mehr. Michael Köb mußte 1840 sogar sein Haus verkaufen und an die Ach in «Hansmarteies» Haus an der Bützestraße übersiedeln. Dort starb er schon 1854. Nun mußte seine Witwe Agatha auch dieses Haus aufgeben und mit ihren 9 Kindern in die baufällige Schmiede auf dem Bühel ziehen. An dem schönsten Platz im Wolfurter Kirchdorf, wo heute die Villa Köb über dem Dorfplatz aufragt, setzte sich die «Galler»-Familie jetzt fest. Von Ihren Söhnen übernahm später Josef Anton Köb (1837-1919) das Haus und den Hausnamen. Er war Vater bzw. Großvater der bekannten Wolfurter Brunnenmacher Gallers Seppl und Gallers Erich und Urgroßvater der Aichholzer-Söhne, die wieder wie einst ihr Stammvater Jakob das Schreinerhandwerk ausüben. Lehrers Einen anderen Hausnamen gewann aber der ältere Galler-Sohn Johann Martin Köb (1831-1884), der «Lehrer». Eigentlich war er ja Schreiner und Glaser wie seine Vorfahren. Er arbeitete auch täglich in der Werkstatt. Daneben diente er noch dem Pfarrer im Ehrenamt als Mesner. In den sieben Wintermonaten aber vertrauten ihm die Wolfurter ihre großen Buben in der alten zweiklassigen Schule im Strohdorf an. Mit ihnen übersiedelte er noch als Unterlehrer für 10 Jahre auch in die 1872 errichtete (und 1979 abgebrochene) neue Volksschule. Der Chronist Lorenz Gunz berichtet ausführlich, wie er von seinem Lehrer Köb 12 saftige Tatzen bekam, und schließt dann: «Der Lehrer war ein braver Mann, ist 1884 gestorben, der Herrgott möge sein Tröster sein!» 25 Auch der Chronist Engelbert Köb erzählt nachdenklich aus dem Lehrerleben seines Vaters, als er den Funken im Oberfeld und die Funkenküchle beschreibt: «Es war Brauch, daß jedes Schulkind seinem Lehrer ein Geldgeschenk überbrachte. Die Ärmeren gaben 4, 10 oder 20 Kreuzer, die Besseren auch einen Gulden. Man betrachtete dies als Aufbesserung des damaligen schlechten Lehrergehaltes. Für diese paar lumpigen Gulden mußte der Lehrer den Alten das ganze Jahr schön tun.» Die Wolfurter mochten ihren «kleinen Lehrer» sehr gern. Um 1880 mußten alle Lehrer Prüfungen nach dem neuen Reichsvolkschulgesetz ablegen oder ihren Posten aufgeben. So erhielt auch der fünfzigjährige Lehrer Köb die Kündigung. Als 1882 Kaiser Franz Joseph nach Bregenz kam, ging der neue Pfarrer Joh. Gg. Sieber namens der Gemeinde zu ihm in den Österreichischen Hof und erreichte in einer Audienz tatsächlich, daß dem alten Lehrer die Prüfung erlassen wurde. Das Geld war also immer knapp beim Lehrer Köb, aber er gewann einen großen Schatz in seiner jungen Frau Agatha, die er aus der Feldstraße zu sich herauf in die alte Schmiede geholt hatte. Agatha Schneider (1829-1916) war eine Tochter des ersten Hirschenwirts Hilar Schneider und eine Enkelin des Gotteshausammanns Mathias Schneider, der als Verwalter der Mehrerauer Güter, als Feldmesser und Vorsteher in Hofsteig großen Einfluß besessen hatte. Etliche Schneider waren Maler und sie trugen auch den Hausnamen «Malers». Es ist nicht überraschend, daß Lehrers Buben von ihrer Mutter Agatha mit der Begabung und der Freude am Malen auch den Hausnamen «Malers» weitertrugen. In 12 Jahren gebar Frau Agatha 9 Kinder. Das erste, Josefa I., starb bei der Geburt 1861. Jetzt kamen hintereinander fünf Buben: Seppatone 1862, Hilare 1863, Engelbert 1864, Johann 1866 und Ludwig 1867. Auf Tochter Sefa II. 1870 folgten noch der sechste Bub Albert 1872 und schließlich Theresia 1873, die schon mit neun Jahren starb. Längst war in der Schmiede neben den vielen Geschwistern des Lehrers für die Kinder zu wenig Platz. Da konnte er 1874 das Nachbarhaus (heute Meßmers, Auf dem Bühel 3) erwerben und mit seiner Familie dorthin übersiedeln. Aber schon 1884 starb er, erst 53 Jahre alt. Seine sechs Söhne, von ihrer hochverehrten Mutter Agatha geleitet, wurden tüchtige Leute, die in Wolfurt einiges zu wege brachten, besonders als sie alle später mit der Stickerei zu Geld gekommen waren. Josef Anton Köb, gest. 1949, war Zimmermann. Er erbaute 1900 das Haus Bucherstraße 2. Von seinen Kindern erinnern wir uns besonders an Alfons in Bregenz, an den Gemeinderat Willi und an Frau Resi Rist. 26 Hilar Köb, gest. 1925, war Schreiner. Sein 1892 erbautes Haus (Auf dem Bühel 5) war nach wenigen Jahren abgebrannt. Da baute er es schöner im Jugendstil wieder auf. Von seinen Kindern wurde Engelbert nach dem Götte benannt. Engelbert Köb, gest. 1915, war Maler. Zuerst erbaute er 1890 ein Haus an der Bucherstraße (heute Nr. 3, Ciaessens). Dann erwarb er 1907 sein erstes Elternhaus, die alte Schmiede. Er brach sie ab und schmückte unser Dorf mit seiner schönen Villa «Lug aus». Über sein Leben berichtet der nächste Abschnitt. Villa «Lug aus» wurde von Engelbert Köb 1907 auf dem Platz der ehemaligen Dorfschmiede zwischen der Landstraße und der Bucherstraße erbaut. 27 Johann Köb, gest. 1938, war Bauer und Meßmer im zweiten Elternhaus (Auf dem Bühel 5). Als es 1911 abbrannte, baute er es neu auf. In zwei Ehen hatte er zusammen 17 Kinder. Davon nenne ich nur Köbo Tone, den Elektriker, und Frau Klara Bilgeri, aber auch Paula, Adelinde, Albert, Kaspar und Ludwig. Ludwig Köb, gest. 1943, Sticker und Standschützenhauptmann. Er erbaute 1893 das große Bürgerhaus an der Kreuzstraße (jetzt Nr. 1, Rohner). Er war kinderlos verheiratet und nahm seine Schwester Sefa, gest. 1952, zu sich. Albert Köb, gest. 1914, war ebenfalls Maler. Er erwarb 1902 die alte BildsteinSchmiede im Strohdorf und baute sie zu einer Stickerei um. 1911 begann er dort den Gemischtwarenhandel, den wir alle als «Molars Lado» in Erinnerung haben. 1899 war er einer der Gründer des Kathol. Arbeitervereins und ein wichtiger Funktionär. 1909 gründete er den christlich-sozialen Turnerbund, den er bis zum Weltkrieg führte. In dieser Zeit betrieb er auch den Bau des Vereinshauses. Als einer der ersten rückte der 42jährige Familienvater 1914 in den Krieg ein. Bei Przemysl ist er gefallen. Von seinen sechs Kindern nenne ich Paul, Vizebürgermeister und Turnerobmann, Martha, Albertina und s'Annele in Röthis. Werke von Weizenegger und die seines Urgroßvaters Mathias Schneider, aber auch die Chronik seines Vetters Ferdinand und die Arbeiten seines Oberfelder Freundes Kaspar Schwärzler, der die Geschichte der Ritter von Wolfurt erforscht und als erster im Völkskalender von 1898 darüber berichtet hatte. Köb schrieb auch über Hofsteig und hielt das Haus «Blazes Veres» Nr. 231 (heute Wurzer, Rutzenbergstraße 2) für den Hof zu Steig. Schon als 18jähriger interessierte er sich füt das Gemeindegeschehen: «1882. Die Gemeindekanzlei wird errichtet und Lorenz Schertler als Gemeindeschreiber angestellt. Oberlehrer W. Rädler hat das Hauptverdienst am Zustandekommen derselben. Bisher hatte der jeweilige Vorsteher alle Schriftstücke und Akten in seinem Hause herumzuliegen. Wenn dann ein anderer Vorsteher wurde, so wurden ihm auf Gerathewohl einige Körbe voll übergeben. Auf diese Weise giengen viele wichtige alte Aufschreibungen verloren.» Weil sein Vater, der Lehrer Köb, auch Mesner war, nahm Engelbert besonderen Anteil an der Umgestaltung der Kirche, die der neue Pfarrer Sieber begonnen hatte: «1882. Da der Friedhof vergrößert wird, so muß der Pfarrhof, welcher etwa 10 Meter nahe bei der Sakristei steht, auch weichen, er wird abgebrochen. Es war ein geräumiger Holzbau an sonniger Lage beim Tobel Stiegele. Ein großer Garten mit Laubengängen war dabei, und der ganze Bühel gegen das Tobel war mit Reben angebaut. Schreiner Lenz hat den Bau ersteigert, und in Rickenbach wieder aufgebaut. Bis zu dieser Zeit hatte jede Verwandtschaft ihre bestimmten Gräberplätze. Grabsteine waren bisher wenige, sondern meistens Schmideiserne Kreuze mit Thürlein. Pfarrer Sieber ließ diese Kreuze entfernen, er sagte: Im Sommer stand das Gras immer so hoch, das man kaum die Kreuzlein sah. Mein Vater als Meßner mähte von Zeit zu Zeit den Friedhof für unsere Gaißen ab. Diese Friedhof-Idylle verschwand jetzt durch Erweiterung anno 1882.» 1890 erhielt Engelbert vom Pfarrer einen besonders großen, ehrenvollen Auftrag. Für 1200 Gulden sollte er die ganze Kirche neu ausmalen. Er führte das Werk zur allgemeinen Zufriedenheit aus. Weil allerdings das Geld des Stifters ausblieb, mußte er warten, bis die Gemeinde die Kosten übernahm. Alte Fotos lassen uns bedauern, daß die kunstvollen Malereien im Jahre 1938 einfach übertüncht worden sind. 1892 zeichnete Köb den Plan für einen neuen Hauptaltar als Fassung für das große Flatzbild Maria Krönung. Gemeinsam mit seinem Bruder Hilar, dem Schreiner, führte er auch die ganze Arbeit durch. Nur die Stecharbeiten wurden an den Bildhauer Gaudel in Bregenz übertragen. 29 Engelbert Köb, Maler und Chronist «Lehrers» Engelbert war also dritte von sechs Buben. Er ist 1864 geboren. Als 17jähriger Malergeselle ging er vier Jahre auf die Walz nach Süddeutschland und anschließend drei Jahre zum Militär. 1890 heiratete er Theresia Fischer, «s'Ammas» im Röhle, und bezog mit ihr sein neues Haus an der Bucherstraße, wo sie ihm fünf Kinder schenkte. Ernst, der älteste, ist in Amerika gestorben. Hubert, den jüngsten, haben wir alle noch als den Besitzer der Villa «Lug aus» gekannt. Er ist 1988 gestorben. Engelbert Köb tat unendlich viel für unser Dorf Wolfurt, als angesehenes Mitglied mehrerer Vereine, als Maler und Kunstmaler, als erster Fotograf, vor allem aber auch als Erster Gemeinderat - Vizebürgermeister würde man heute sagen. Von 1903 bis zu seinem Tode 1915 hatte er die Stelle inne. Von besonderem Wert ist seine «Chronik über Wolfurt». Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Chronikschreiben in Mode gekommen. Sicher hatten daran die Aktivitäten des Museumsvereines, aber auch das Casino im Dorf und der Liberale Leseverein in Rickenbach ihren Anteil. Von den drei Schneider-Chroniken ausgehend schrieben jetzt neben Lehrers Engelbert auch der Altadlerwirt Fischer, der Kreuzwirt Haltmayer, der Müller Gunz und der Postmeister Böhler ihre Privat-Chroniken. Engelbert Köb kannte und zitierte die 28 Friedhof vergrößert und die Kirche innen renoviert. Er war auch ein sehr politischer Pfarrer, der der Casino-Bewegung gegen die Liberalen in Wolfurt endgültig zum Durchbruch verholfen hatte. 1902 Die Bregenzerwaldbahn wird eröffnet. «Es ist ganz merkwürdig, daß Wolfurt immer daneben kommt.» Zuerst bei der Fabrik, dann bei der Vorarlberger Bahn. «Die Wolfurter fürchteten, sie sei gefährlich wegen dem Vieh und es sei schade um die Felder.» Nun fuhr auch noch das Bähnle auf der falschen Seite der Ach. «Auf diese Weise bleibt Wolfurt immer zurück.» 1904 jubelt der Chronist über die Einweihung der neuen Brücke nach Kennelbach und anerkennt die Verdienste von Oberlehrer Rädler für dieses großartige Bauwerk. Im gleichen Jahr bestellte der neue Pfarrer Nachbauer die herrliche Bronzeglocken. Engelbert Köb war selbst beim Guß in der Firma Graßmayr in Feldkirch dabei und schildert alles ausführlich, auch daß der Pfarrer die 43.000 Kronen leicht aus Spenden der Sticker herein brachte. Nur «Die besseren Rickenbacher waren zu dieser Glockenanschaffung nicht gut zu sprechen und zahlten auch nicht dazu.» Die alten Glocken von 1805 mit der Inschrift: «Custodi nos Domine a Farne Peste et Bello» wurden am 14. Juli 1905 im Turm droben in Stücke geschlagen. «Ich habe dabei zugesehen, und es tat einem im Herzen wehe, wenn eine Glocke nach der anderen mit einem grellen Mißton zusammenbrach.» Das alte Bittgebet von Pest, Hunger und Krieg scheint dem Chronisten vertrauter gewesen zu sein als die romantischen Sprüche auf den neuen Glocken. («Ich bin die Glocken Königin und brumme über Wolfurt hin». Siehe Heimat 4, Seite 70!). Jedenfalls schweigt er sich über die neuen völlig aus. In den Jahren bis 1910 berichtet er nun vom Höhenflug und Absturz der Stickerei, aber auch von Schneeund Wassernot. (Siehe Heimat 5, Seite 35f!). 1911, 29. Oktober Einweihung des neuen Friedhofs mit den schönen Arkaden. Die Kosten von 32.000 Kronen wurden bei der Versteigerung der Arkaden fast voll hereingebracht. Eine Arkade kostete 600 bis 1000 Kronen. Die Pläne von Architekt Rusch in Bregenz hatte der Maurermeister August Klien ausgeführt. Die Pfarrkirche wurde von Engelbert Köb 1890 ausgemalt. Auch die Altäre entwarf er. Links sieht man die Grödner Krippe von 1913. Um die Jahrhundertwende ist der Maler Köb vom Elektrischen Licht und von der Einführung der Stickmaschinen ebenso begeistert wie seine Brüder, die zu den ersten gehören, die sich in Wolfurt «Frankenmühlen» anschaffen. (Siehe Heimat 5, Seite 34!) Schon 1896 und 1897 hatten die Gebrüder Gunz für ihre Mühle und Doppelmayr für seine Schlosserei ein E-Werk gebaut. Ihre Rechte am geplanten Kraftwerk Schwarzach und am Netz Schwarzach-Wolfurt traten sie 1899 an Albert Loacker ab. Bald betrieben nun die vielen Sticker in Wolfurt, angeführt von den Brüdern Köb und ihrem Schwager Bildstein, ihre Maschinen mit Elektromotoren. Wegen einiger Störungen kam es zu Differenzen, die Friedrich Schindler mit seinem Kraftwerk Rieden noch schürte. Als Erster Gemeinderat leitete Engelbert Köb gemeinsam mit Wendelin Rädler die Verhandlungen, die schließlich mit einem alle Seiten befriedigenden Ausgleich endeten. 1901 berichtet Köb, daß Wolfurt nun 2070 Einwohner hat, davon sind 239 italienische Fabriksarbeiter. 1902 erzählt er vom 50jährigen Priesterjubiläum des Pfarrers Joh. Georg Sieber (1826-1902). Die Gemeinde ernannte den greisen Priester zum Ehrenbürger. Sieber hatte nicht nur den Pfarrhof neu erbaut, den 30 31 In die Berichte über Feste, Theater und Aufbauleistungen mischt sich zu Weihnachten 1912 plötzlich ein fremder schriller Ton: «Grüne Weihnachten. Der Vollmond scheint so schön auf diese krumme Welt herunter, als ob hier alles in Ordnung war, dieweil spuckts gewaltig mit dem Frieden auf Erden. Man redet von einem Krieg Österreichs mit Serbien und ist, wie es scheint, schon auf beiden Seiten gerüstet. Die Geschäfte gehen sehr schlecht. Die Fabriken verkürzen die Arbeitszeit und entlassen Arbeiter. Die Stickerei ist ebenfalls ganz auf dem Hund wie noch nie.» Das Jahr 1913 wurde ein Notjahr: Arbeitslosigkeit griff um sich. Ein Frost vernichtete die gesamte Obsternte. Der Rickenbach überschwemmte mehrmals das Ried. Maul- und Klauenseuche befiel die Rinder. Fünf Häuser brannten nacheinander ab. Ein Lichtblick am Jahresende: «Die Kirche Wolfurt erhielt eine neue Krippe, gespendet von Jungfr. Franziska Dür. Diese Krippe wurde in Gröden gemacht und soll 1200 Kronen kosten.» «1914. Für die Gemeindekanzlei wurde eine Schreibmaschine angeschafft und Telefon eingerichtet.» Der Maler Engelbert Köb verschweigt bescheiden, daß er selbst den Ölberg so schön ausmalte, daß fast 80 Jahre lang viele 100 Wolfurter Kinder andächtig diese Szenerie bewunderten. Um diese Zeit stand er auf dem Höhepunkt seiner Malkunst. Mit ungeheurem Aufwand hatte er seine Villa «Lug aus» zu einem Schmuckkästchen ausgemalt. Herrliche Ölgemälde mit Wolfurter Motiven schmücken die Wände. Solche Wandbilder malte er nun auch für die Gaststuben im Schwanen und im Rößle. Im Eingang der Klöpplerei Fischer bewunderten wir das herrliche Schloß «Miramare», das der unglückliche Kaiser Maximilian von Mexiko für seine Frau Charlotte bei Triest erbaut hatte. Auch eine Reihe von gerahmten Ölbildern und Aquarellen sind erhalten. Engelbert Köb hatte sich auch den ersten Fotoapparat in Wolfurt angeschafft. Seine Aufnahmen vom Dorfgeschehen sind wertvolle Zeitdokumente geworden. Ein Teil seines Plattenarchivs ist im Fotobuch «Wolfurt in alten Bildern» veröffentlicht worden. In Köbs Aufzeichnungen tauchen immer wieder die Wolfurter Vereine auf, in denen er und seine Brüder vielfach führend tätig waren. Als Gemeinderat waren sie ihm ein großes Anliegen. Wenn er sie im Jahre 1912 aufzählt, ist ihre Reihenfolge bezeichnend für jene Zeit: «Militär-Veteranen-Verein Standschützen Musik Verein Gesang Verein Feuerwehr Kath. Arbeiter Verein Zwei Turn Vereine Bienenzucht Verein Obstbau Verein Jugendhort Handwerkergenossenschaft Stickerbund Pius Verein Mütter Verein Jungfrauen Congregation Zwei Consum Vereine Zwei Spar- und Vorschuß Vereine Zwei Sennerei Genossenschaften Dann kommen noch Viehzuchtgenossenschaft und noch manches andere.» In den Krieg! Schreibmaschine und Telefon: «in unser verlaßenes Dorf am Steusberg», Symbole einer neuen Zeit, die des Chronisten geliebte stille Heimat nun bald schrecklich aufwühlen wird. Am 1. Juli 1914 rückten Musik, Veteranen und Schützen mit der gesamten Bevölkerung zur Trauerfeier für den in Sarajevo ermordeten Thronfolger aus. Nach dem Gottesdienst spielte die Musik auf dem neuen Friedhof das «Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser, unser Land!» «31. Juli 1914. Es ist 6 Uhr früh. Stöaglers Seppl, der Gemeindediener, steht schon am Kirchplatz und schellt aus Leibeskräften. Es sind noch wenige Leute zu sehen. Von der Kirchenstiege kommen etliche Frauenspersonen aus der Frühmesse. Der Todtengräber Sepp kommt mit langen Schritten vom Tobel herunter, um zu sehen, was schon los ist. Nachdem etliche Personen gekommen waren, zeigt der Gemeindediener auf einen großen Zettel an Hansens Haus und sagt: 33 1912 fand die erste Viehausstellung in Wolfurt statt, bei der 140 Stück aufgetrieben wurden: «Es sah aus wie halber Feiertag. Nach der Prämierung war Umzug mit den prämirten Thieren. (Strohdorf - Hub). Selbverständlich that die Musik beim Umzug auch mit, denn ohne Musik festet der Wolfurter überhaupt nicht.» 32 Die Krieger waren durchwegs in gehobener Stimmung, mancher hatte sich Muth angetrunken, um sich den Abschied zu erleichtern. Musik und Veteranen waren ebenfalls gekommen, um die Scheidenden bis Bregenz zu geleiten. Jetzt wars Zeit zum Abmarsch. Die Krieger riefen nochmals Abschiedsworte und schwangen die Hüte. Dann hieß es: Doppelreihen, rechts um, Marsch! und hinaus giengs zum Dorf unter den flotten Märschen der Musik. Man stimmte wohl auch Lieder an, doch hatte es damit.» Köb schildert dann noch die Stunden des Abschieds am Bregenzer Bahnhof und schließt: «Als der Zug in der Ferne verschwunden war, wischten sich viele der Zurückgebliebenen verstohlen die Augen und sagten sich: Mancher, mancher wird nicht mehr kommen . . . » Es folgt ein genaues Verzeichnis der 100 Männer, die am 1. August aus Wolfurt direkt an die Front nach Serbien oder nach Galizien einrückten. Die ältesten vom Jahrgang 1972 waren 42 Jahre alt, die jüngsten (1893er) 21 Jahre. Freiwillig rückte der 19jährige Josef Mohr mit ein. Nur wenige waren Kaiserjäger, die meisten Wolfurter hatten ihre dreijährige Militärdienstzeit in den Garnisonen Südtirols und Trients als Kaiserschützen abgedient. Nun wurden ihre Kompagnien in den Angriff auf Serbien geführt oder den vorrückenden russischen Armeen entgegengeworfen. Sie erlitten furchtbare Verluste. Nach einem halben Jahr hatte der Chronist schon zu vielen Namen geschrieben: gefallen, vermißt, in russischer Gefangenschaft. Darunter waren etliche Familienväter mit 5, 7 oder 8 Kindern. Schrecklich hatten sich die düsteren Ahnungen bewahrheitet. Auch daheim hatte sich vieles verändert: «Mitte August 1914. Es hat plötzlich aller Verdienst aufgehört; die Stickereien sind alle geschlossen. Selbst die Kennelbacher Fabrik beschäftigt ihre Leute nur noch 3 Tage in der Woche. Die Leute sind sehr niedergeschlagen und traurig. Man hat noch nie so viel gebetet wie jetzt.» «21. August 1914. Es wird die schwarze Fahne vom Kirchturm ausgehängt. Papst Pius X. ist gestern gestorben. Die Leute sagen: As kut doch Alls z'sämmet.» Durch kaiserlichen Erlaß wurden nun die Sportschützen, die nach alter Vorarlberger Tradition auf ihren Dorfschießständen gelernt hatten, mit dem Gewehr umzugehen, über Nacht in Militärverbände umgewandet und zur LandsturmReserve erklärt. 35 Jetzt wurde es aber auf einmal lebendig im Dorfe. Man rennt hin und her und überall stehen Leute beieinander und überall heißt es Radfahrer und Fußgänger eilen in die Gemeindekanzlei und fragen: Auf dem großen Zettel steht, daß auch der Landsturm bis zu 42 Jahren einrücken muß, aber man kennt sich nicht recht aus. Über telefonische Anfrage bei der Bezirkshauptmannschaft kam die Weisung: Jeder, der im Besitz eines Militärpasses ist, hat einzurücken. Jetzt gabs große Aufregung. Bis jetzt hatte man den Landsturm nicht so ernst genommen. Der junge Theil der Mannschaft war Frohen Mutes, die Älteren jedoch, besonders die Verheirateten, nahmen die Sache schon ernster, waren aber auch nicht verzagt. Man dachte nicht, daß der Landsturm schon so bald den Russen gegenüber stehen würde. Man meinte, man habe es nur mit einem Häuflein Serben zu thun, da Rußland den Krieg noch nicht erklärt hatte. Einen wehmütigen Eindruck machte es auch, als man mit den 16 kriegspflichtigen Rossen zum Dorfe hinaus gallopirte. Jedes mußte ein Komat mitbringen, und hatte für 2 Tage Futter auf den Rücken gebunden. Für diese Rosse zahlte der Staat 21.000 Kronen Entschädigung. Abends und in der Früh giengen die Krieger noch zu den hl. Sakramenten. Ein Landstürmler sagte: gehts lebhaft zu. In der Gemeindekanzlei ists nun ruhiger geworden. Ab und zu kommt noch einer und wieder trifft man einen mit verweinten Augen. Man einigt sich, Nachmittag 4 Uhr miteinander abzumarschieren und in Bregenz zur Bahn zu gehen. Beim war Sammlung. Jeder hatte einen vollgepackten Rucksack auf dem Rücken. Der Platz vor dem Sternen war voll Menschen, da viele Angehörige, sowie Mütter mit den Kindern ebenfalls gekommen waren, die Krieger noch einmal zu sehen. Manche Frauen und Kinder weinten. Pfr. A. Nachbauer hielt vom Gangfenster aus eine feurige Ansprache an die Scheidenden und forderte sie auf, für Gott, Kaiser und Vaterland in den Krieg zu ziehen. Hierauf wurde auf den Kaiser ein Hoch ausgebracht, in welches alles begeistert einstimmte. 34 Wolfurt und Kennelbach wurden zu einer Kompagnie zusammengefaßt, Wolfurt trug 95 Männer in die Listen ein, Kennelbach 60. Landeshauptmann Rhomberg kam am 21. August 1914 nach Wolfurt und nahm im neuen Vereinshaus die Vereidigung der Kompagnie Wolfurt-Kennelbach vor. Anschließend wurden - ganz anders als sonst beim k.u.k. Militär - die Offiziere von ihren «Soldaten» gewählt. Hauptmann wurde Ludwig Köb, Lehrers; Oberleutnant Leo Wolf aus Kennelbach; Leutnant Johann Georg Hohl (HohloSchnidar). Aber kaum einer rechnete damit, daß er wirklich an die Front müßte. «27. August, Gebhardstag. Kriegsprozession. Solange der Gebhardsberg steht, war wohl nie eine so große Menge Menschen dort oben. Es kamen Prozessionen 6 Stund weit her zu Fuß.» Jetzt wurden Lebensmittel gehamstert. Mühlen und Läden waren ausverkauft. Auch alles Münzgeld war verschwunden, in das Papiergeld setzten die Leute kein Vertrauen mehr. Die Welschen-Arbeiter wurden entlassen. Viele Sticker suchten Arbeit bei der Rickenbachregulierung. Im Oktober ging die Kennelbacher Fabrik mit der Erzeugung von Verbandstoffen wieder voll in Betrieb. Der Staat sammelte Edelmetall unter dem Schlagwort «Gold gab ich für Eisen.» In Wolfurt kamen 25 Eheringe, 20 goldene Ringe, 15 goldene Broschen, 26 Paar Ohrringe und verschiedener anderer Schmuck zusammen. «17. Oktober 1914. Heute wurde für den ersten Wolfurter, welcher den Tod fürs Vaterland starb, Gottesdienst gehalten. Einjährig Freiwill. Korporal Joh. Georg Kirchberger fiel am 30. September in einem Gefecht bei Pordorzin, Galizien, durch Brustschuß im Alter von 22 Jahren. Er studierte Juri und war auch ein ausgezeichneter Musikant.» Zum Gottesdienst waren auch Landeshauptmann Adolf Rhomberg und der spätere Bundeskanzler Dr. Ender nach Wolfurt gekommen. Als in den folgenden Monaten immer häufiger im ganzen Land die Glocken zu Totenmessen riefen, war ihnen das nicht mehr möglich. Immer mehr Männer, auch jüngere Jahrgänge, wurden nun nachgemustert und eingezogen. «Weihnachten im Kriegsjahr 1914. Friede den Menschen auf Erden. - Millionen Soldaten stehen im Felde. Seitdem Krieg ist, sind die Menschen viel erträglicher miteinander; Streitigkeiten und politischer Zank haben aufgehört. Man hat jetzt nur noch einen Wunsch: Wenn nur der Krieg aus wäre.» «In Lauterach sind einige hundert Flüchtlinge (Ruthener) aus den von den Russen bewohnten Grenzgebieten Ungarns und Bukowina angekommen. Sie wurden in der Kaserne untergebracht.» 36 «Mitte Jänner 1915. Da hier keine Arbeit und kein Verdienst ist, so sind einige Wolfurter nach Wälschtirol gegangen. Es werden dort viele Leute angestellt, um gegen den