18651212_ltb00131865_Komiteebericht_Rückwirkungen_Patent_Landeswohl

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Letzte Änderung 03.07.2021, 08:15
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltp01,ltb0,ltb1865,lt1865,ltm_
Dokumentdatum 2021-06-28
Erscheinungsdatum 2021-06-28
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Comite-Bericht über die HürkmrkunM des Allerlwcksten ArrtentP vom 20. September 1865 auf dss Makl des Jandes. Hoher Landtag! Mit Beschluß Dom 28. v. Ms. wurde dem gleichzeitig gewählten Comite die Aufgabe zu. Theil: „Die Rückwirkung des Allerhöchsten Patentes vom 20 September bt Js., auf das Wohl des" Landes zu erwägen, darüber dem hohen Landtage Bericht zu erstatten und die geeigneten Anträge zu stellen." Innigst durchdrungen von dem Gedanken, daß es für die Gesammtmonarchie überhaupt und' für das Land Vorarlberg insbesonders keine so tief greifende und schwerwiegende Verfügun ggeben kann als die Sistirung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung, hat sich das Comite dieser Aufgabe gern unterzogen und erstattet nun nach reiflicher Erwägung der bezüglichen Verhältnisse über das. Resutat derselben diesen N e r i ch t Das Comite wurde bei Untersuchung der gedachten Frage vor Allem durch die Ueberzeugung von der Unerschütterlichkeit des Rechtsbestandes unserer Reichsverfassung geleitet, zu welcher es folgende Thatsachen führten: Se. Majestät unser Kaiser hat mit Diplom vom 20, Oktober 1860, zur Regelung der staats­ rechtlichen Verhältnisse der Monarchie auf Grundlage der pragmatischen Sanction und Kraft Seiner Machtvollkommenheit beschlossen und verordnet: daß das Recht Gesetze zu geben, abzuändern und aufzuheben nur unter Mitwirkung der Land­ tage beziehungsweise des Reichsrathes ausgeübt werden soll. Um dieses Recht „ins Werk" zu setzen hat Se. Majestät ferner mit Patent vom 26. Februar 1861, eine bestimmte Ordnung und Form der Ausübung desselben festgesetzt, deshalb das Gesetz über die Reichsvertretung und die Landtags-Ordnungen erlassen, diese Gesetze als Staatsgrundgesetze und ihren ganzen Inbegriff als die Verfassung des Reiches erklärt, zugleich sie feierlich verkündet, sie und ihre Normen angelobt und den festen Entschluß ausgesprochen sie nicht nur selbst unverbrüchlich zu befolgen und zu halten, sondern auch mit aller kaiserlichen Macht gegen jeden Angriff zu schirmen und darauf zu sehen, daß sie von Jedermann befolgt und gehalten werden. Se. Majestät hat endlich seither auf Grund dieser Verfassung, den engern und den weitern Reichsrath, sowie auch die Landtage, jährlich einberufen, von denselben gefaßte Beschlüsse als Gesetze sanktionirt, alle Regierungs-Maßregeln nur auf Grund der Verfassung geübt, und sich bei den wich- Lil tigsten Staatsakten und feierlichsten Gelegenheiten aus die Heiligkeit der Verfassung berufen. Obgleich sich ein Theil des Reiches bisher von dem legislativen Wirken des Reichsrathes be­ harrlich ferne hielt, erklärte Se. Majestät der Kaiser doch die sanktionirten Beschlüsse des Gesammtreichsrathes auch für diesen Theil des Reiches als bindend. Somit wurde die Verfassung wirklich zur That.— Wie ein Blitzstrahl aus heiterm Himmel mußte daher jeden Freund des Rechtes und der Staatsordnung, das von einem verantworlichen Ministerium gegengezeichnete Patent vom 2o. Sep­ tember d, JZ. treffen, welches die Srstirunß des Grundgesetzes über die Reichsvertretung auf so lange verfügte, bis alle Völker des Reiches ihre freie Theilnahme an dem Veifassungswerke zu­ gesagt haben werden. Das Staunen darüber muß um so größer werden, wenn man bedenkt, daß damit nicht nur des weitere, sondern sogar der engere Reichsrath, dessen Gesetzgebungsgegenstände die Länder der unga­ rischen Krone gar nichts angehen, außer Wirksamkeit gesetzt wurde, und als damit selbst die Ausübung der in den §§. 16 und 19 unserer Landes-Ordnung erklärten Berufs der Landtage, nämlich bei Aus­ übung der gesetzgebenden Gewalt nach Maßgabe der Bestimmungen des kaiserlichen Diploms vom 20. Oktober 1860 mitzuwirken, durch die Wahl von Mitgliedern in das Abgeordnetenhaus an dem Wirkungskreise des Reichsrathes indirekter Weise Theil zu nehmen, auf Erlassung allgemeiner Gesetze und Einrichtungen, welche die Bedürfnisse und die Wohlfahrt des Landes erheischen, Berathungen und Anträge zu stellen u. d. gl. — in der Wesenheit beeinträchtigt .erscheint. Ueberdies konnte es Niemanden entgehen, daß mit dem Patente vom 20. Sept. dJs. selbst die im Diplome vom 20. Oktober 1860 prinzipiell festgestellten Grundsätze und Rechte, in so weit sie die Reichsangelegenheiten betreffen, in Frage gestellt wurde und somit selbst dieser Felsen unserer Ver­ fassung in seinem tiefsten Grund erschüttert ist, indem das bezügliche Man-fest eine gleichzeitige Behandlung des Diploms vom 20. Oktober 1860 als allgemein bindenden Reichsgesetzes mir der Vor­ lage desselben an die trans leithanischen Landtage eben so unvereinbar erklärt, wie die des Grundge­ setzes über die Reichsvertretung. Also, und wie auch aus dem kaiserlichen Handschreiben vom 7. v. Ms. hervorgeht — bleibt uns bezüglich der Reichsverfassung nichts anderes mehr übrig, als die im Patente vom 20. September dJs. enthaltene „Bezeichnung des Weges zur Gewinnung dauernder Grundlage für eine Verfassung des Reiches" — ein Weg, dessen Spuren und Richtung wahrlich noch sehr im Nebel liegen. Zagen, ja Verzweiflung müßte ffelbst den muthvollflen Patrioten ergreifen, sich seit dem ersten Sturze des Absolutismus im Jahre 1848 nach so vielen verhängnißvollen Phasen und schweren Prü­ fungen erst an diesem Ziele zu sehen, wenn er anderseits nicht sehen würde, daß die Regierung die Lebensfähigkeit unserer Verfassung durch deren Vorlage an den ungarischen Landtag zur Annahme selbst anerkennt; wenn er ferner nicht von der Ueberzeugung getragen wäre, daß jene jeder verfas­ sungsmäßigen Grundlage entbehrende Sistirung nur auf irrigen Voraussetzungen beruhe, und wenn ihn nicht zugeich das Vertrauen beseelen würde, daß Seine Majestät der Kaiser der Gerechtigkeit be­ züglicher Vorstellungen und Wünschen seiner Völker gnädigst Rechnung tragen werde. Eine irrige Anschauung ist es nämlich die Verfassung vom 26. Febr. 1861 nicht als eine Thatsache anzusehen, sondern erst durch die freie Theilnahme aller Völker des Reiches für constituirt und rechtsbeständig erklären zu wollen., . Sie wird widerlegt durch das kaiserliche Versprechen, alle Normen der Verfassung, wie sie verkündet wurden unverbrüchlich zu befolgen, und mit aller kaiserlichen Macht gegen jeden Angriff zu schützen und darauf zu sehen, daß sie von Jedermann befolgt werde; widerlegt durch die, ungeachtet der Weigerung Ungarns an dem Wirken des Reichsrathes Theil zu nehmen, öfter wiederholte Ein­ berufung des GesamintreichSrathes; widerlegt durch die kaiserliche Sanktion von Reichsgesetzen, die noch in Wirksamkeit stehen; widerlegt durch den Inhalt der Verfassung selbst, gemäß welcher ihre Rechts­ beständigkeit nicht von der Zahl der an ihrem legislativen Wirken theilnehmenden Länder abhängt, sondern lediglich in dem Inbegriffe aller im kaiserlichen Patente vom 26, Febr. 1861 bezeichneten Grundsätze besteht; widerlegt durch die Unmöglichkeit der Annahme, daß Ungarn, Croatien oder irgend ein anderes der im §. 6 des Gesetzes über die Reichsvertretung aufgezählten Länder durch die bloße Verweigerung seines Beitrittes zum gemeinsamen legislativen Wirken das Jnslebentreten der Verfassung Hindern oder dem ganzen übrigen Reiche den Segen derselben entziehen könnte. Obgleich die bisherige Weigerung Einzelner an unserer Verfassung Theil zu nehmen, zu be­ dauern ist, so bietet das doch keinen haltbaren Grund, dem größeren Theile des Reiches die in Besitz genommene und ausgeübte Verfassung und mit ihr jeden festen Rechtsboden zu entziehen. Auch darf den Ländern der ungarischen Krone unsere Rechtskontinuität ebensowenig geopfert werden, als wir uns das Opfer der ihrigen erzwingen wollen. Ihre Bewohner sind unsere vielbe­ währten treuen Brüder, nicht unsere Feinde, und es handelt sich daher auch nicht um eine Versöhnung, sondern um eine freie Vereinbarung mit ihnen über ihre Theilnahme an unserem Verfassungsleben welche aber naturgemäß nur durch die bisherigen Träger der Verfassung zu erzielen ist. Geradezu als ein arger Mißgriff muß es bezeichnet werden, den Laudern der ungarischen Krone eine Verfassung zur Annahme zu empfehlen und sie gleichzeitig den in ihr enthaltenen feierlichst gewährleisteten Grundsätzen entgegen den treuen Völkern, welche sie schon rechtlich und faktisch besaßen, und übten, wenigstens zeitweilig zu nehmen. Unsere Brüder im Osten, die im Verfassnngsleben vor­ züglich viel auf einen festen zuverläßigen Rechtsbvden halten, werden darin wahrlich wenig Reiz finden, ihre langbewährte Verfassung gegen ein solches Geschenk auszutauschen, das einem so naturwidrigen, will­ kürlichen Wechsel unterworfen werden konnte. Selbsttäuschung ist es von einem Volke die freiwillige Annahme einer Verfassung zu erwarte«, das bisher selbst durch Androhung außerordentlicher Maßregeln zur Annahme derselben nicht zu be­ wegen war. 11 ' Als eine Unklarheit in Verfolgung^des Zieles oder als eine Täuschung Anderer erscheint es, der Wege gänzlich zu geschweige», welche bezüglich des Verfassungslebens dieß- und jenseits der Lertha für den Fall zu betreten sind, wenn von Seite Ungarns und Croatiens weder eine unbedingte noch eine modificirte Annahme der ihnen vorzulegenden Staatsakte erfolgt. Soll wie für uns im September dJs. eine Oktroyirung der Sistirung, dann für die transleiIhanischen Länder eine Oktroyirung unserer sistirten oder für uns weitereine Oktroyirung der ^modisizirten Verfassung erfolgen, oder jede Verfassung begraben und nur der Absolutismus neu getauft werden? Als ein augenfälliger Widerspruch muß es angesehen werden, im Jahre 1861 etwas als Hauptmittel zur Sicherung der Machtstellung des Reiches und zur Regelung der staatsrechtlichen Ver­ hältnisse der Monarchie hinzustellen, im Jahre 1865 aber es zur Erreichung deS nämlichen Zweckes zu sistiren. Geradezu unerklärlich ist es, daß das Patent vom 20. Sept. 1865 bei seiner Sorge es mochte das Recht in der Form untergehen, das Recht selbst auf unbestimmte Zeit außer Wirk­ samkeit setzt. Wo immer man also nach Absicht, Mittel und Zweck des Sistirungspatentes forscht, stößt man auf Widerspruch und Irrthum. Dieses ist um so bedauerlicher, als in der Verfassung selbst das Mittel liegt, bezüglich deren Annahme eine Vereinbarung mit den ihr noch nicht freiwillig beigetretenen Ländern zu treffen, als ferner drrReichsrath schon längst aber leider vergebens darauf aufmerksam gemacht hat, und als überhaupt kein, geschweige denn ein rechtlicher Grund zur Sistirung der Verfassung zu finden ist. Nach diesen Erörterungen dürfte es wahrlich kaum mehr nothwendig sein, der Rückwirkungen welche eine solche Sistirung auf das Reich und auf das Land üben muß, noch im Detail zu er­ wähnen, indem sie sich daraus von selbst ergeben. Was muß aus einem Reiche werden, wenn und so lange es seines Rechtsbodens entbehrt? Schon zeigen sich seit der kurzen Zeit der Lösung des gemeinschaftlichen Bandes, welches die verfassungsgetreuen Länder umschlang, und sie durch Eintracht zu ihrer Größe führen sollte, die he­ terogensten Nationalitätsbestrebungen, welche in Racenkämpfe auszuarten und die Wohlfahrt und den Bestand des Reiches zu gefährden drohen. Wo die Regierung selbst die Grundgesetze des Reiches in Frage stellt, muß sich das Rechtsbewußtsein der Unterthanen verwirren, Treue und Glauben weichen. Wo die Gesetzgebung der absoluten Macht anheimsällt, wechselnden Systemen und Experimen­ ten unterliegt, und keine Gewähr tn der Volksvertretung findet, ermangeln die Gesetze des Ansehens und des Vertrauens, weßhalb daselbst auch die Volkswirthschaft, Handel und Wandel erlahmen, die - iMrfinanziellen Kräfte des Staates dem Siechthume verfallen und der ohnehin tief darniederlieger Staatscredit noch tiefer sinkt. Und welches Land können solche Talamitäten noch empfindlicher treffen als Vorarlberg, vermöge seiner Lage und Industrie vorzüglich vom Staatskredite abhängt? Im Vertrauen auf die Gnade und Weisheit Seiner Majestät unsers Kaisers erlaubt sich das. Comite dem hohen Landtage fals das geeignetste Mittel zur Beseitigung dieser und ähnlicher besorgliche» Wrkungen des Patentes vom 20. Sept. 1865 eine Adresse an Seine Majestät vorzuschlagen, welche auf die Darstellung der angedeuteten Rechtsbedenken und Gefahren die Bitte um Aufhebung jener verhängnißvollen Maßregel gründet, und stellt daher den Antrag: Der hohe Landtag wolle 1. beschließen in einer Adresse an Seine Majestät die ehrfurchtsvolle Bitte zu stellen, es möge Seine Majestät die mit dem Patente vom 20. September d. Js. verhängte Sistirung, des Grundgesetzes über die Reichsvertretung, baldigst aufheben; 2. die von dem Comite zu diesem Zwecke vorbereitete Adresse genehmigen; 3. den Landesautschuß beauftragen dieselbe ehethunlichst im, geeigneten Wege Seiner Majestät unter zu breiten. Bregenz, den 12. Dezember 1865. Wohlwend, Obmann. pr. Vinkel, Berichterstatter. Druck und Verlag eon Anton Flatz in Bregenz.