19990301_Heimat_Wolfurt_22

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Letzte Änderung 27.06.2021, 13:40
Gemeinde Wolfurt
Bereich oeffentlich
Schlagworte: heimatwolfurt
Dokumentdatum 1999-03-01
Erscheinungsdatum 1999-03-01
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Heft 22 Zeitschrift des Heimatkundekreises März 1999 Bild 1: Su-Biora. Kostbare Früchte aus Wolfurt Inhalt: 110. Die Krone 111. 750 Jahre Rickenbach 112. Vorsteher und Bürgermeister (2) 113. Theater in Wolfurt 114. R.K.Fischer 115. An ächto Su-Biorar Bildnachweis: Karl Hinteregger: Bild 17 Siegfried Heim: Bilder 8, 14 u. 26 Die Bilder 10, 13 u. 18 sind Arbeiten von Hubert Gasser für den Gemeinde-Sitzungssaal. Alle anderen sind der Sammlung Heim entnommen, die meisten sind Reproduktionen von Hubert Mohr und Karl Hinteregger oder Kopien aus dem Gemeindearchiv. Zuschriften und Ergänzungen Diesmal gibt es zu den umfassenden Beiträgen in Heft 21 nur wenige Ergänzungen. Gold und Geld und das Wohnen in Wolfurt haben aber sicher manchem Leser die Gelegenheit gegeben, seine eigene Situation mit Genugtuung und hoffentlich auch mit Dankbarkeit zu überdenken. Flucht in die Höhle (Heft 21, S. 45) Klamporars Marte, nun schon 91 Jahre alt und noch rüstig auf seinen Spaziergängen durch das Dorf, hat sich über die Geschichte gefreut. Aber auch andere Wolfurter kennen diQ Höhle seit langer Zeit. Egon Waibel berichtet, ihm habe Kögls Ernst die IHS-Höhle gezeigt und gemeint, flüchtende SS-Soldaten hätten die rätselhafte Schrift eingemeißelt (?). Vor dem Krieg nannten die Strohdörfler Buben den Hügel mit der steil zum Eulentobel abfallenden Felswand nach einem Mädchen Ernas Bergle. Oft stiegen sie zur Höhle hinauf. Wald und Bach waren ja damals, als es noch kein Fernsehen und keinen Fußballplatz gab, die beliebtesten Spielplätze. Nach Kriegsbeginn, als viele Väter und Nachbarn 1940 in den Krieg eingerückt waren, organisierten die Strohdörfler Buben ihr „Militär". Mit Helmen, Gewehren und Pappendeckel-Kanonen boten sie einen imponierenden Anblick. Jeden Sonntag marschierten und exerzierten sie vor vielen Zuschauern zwischen Strohdorf-Brunnen und Vereinshaus. Der damalige Kaplan Giesinger hielt das Geschehen in einer Photoreihe fest. Die anschließenden „Geländespiele" der Buben erstreckten sich weit über die Bühel bis zur Höhle und zum Bergle hinauf. Danke ! Mit den letztes Mal ausgesandten Erlagscheinen sind wieder viele Spenden auf unser Konto 87 957 bei der Raiba Wolfurt eingegangen. Dafür danken wir herzlich. Die gesammelten Beträge wurden an die Gemeinde überwiesen. Diese hat wieder die Deckung des Abganges übernommen. Für diese Unterstützung bedanken wir uns ebenfalls. Die Finanzgebarung des Heimatkundekreises für die letzten beiden Jahre wurde im Februar 1999 wieder von Herrn Klocker vom Gemeindeamt überprüft und in Ordnung befunden. Fehl-Drucke Ein Teil der letzten Hefte (Nr. 21) wurde leider fehlerhaft zusammengestellt, so daß einige Seiten fehlen. Bitte, tauschen Sie solche Hefte binnen des nächsten Monats beim Schriftleiter aus! Wir bitten um Entschuldigung. Herausgeber: Heimatkundekreis Wolfurt Für den Inhalt verantwortlich: Siegfried Heim, Funkenweg 11, A-6922 Wolfurt Satz und Grafik: Erik Reinhard, A-6922 Wolfurt Fotosatz: Mayr Record Scan, A-6922 Wolfurt Druck: Lohs Ges.m.b.H., A-6922 Wolfurt Bild 2: Strohdörfler BubenMilitär 1940 3 Gar schnell ist aus dem Spiel blutiger Ernst geworden. Als 16- und 17jährige wurden die Burschen zu den Soldaten eingezogen. Dort lernten sie die grausame andere Seite des Krieges mit Blut und Tod und Gefangenschaft kennen. Wohnen in Wolfurt (Heft 21, S. 5) Allzuviele von den schönen Rheintalhäusern sind verschwunden. Da freut mich halt jedes einzelne, das renoviert und der neuen Zeit angepaßt unser Dorfbild verschönert und für unsere Enkel erhalten bleibt. Eines davon ist Böhlers in Rickenbach, Dornbirnerstrafle 10. Gebhard Böhler hat das mehr als 200 Jahre alte Haus in langer Arbeit Stück um Stück erneuert. Dabei machte seine Frau Ingeborg eine überraschende Entdeckung. Um das Jahr 1970 wurde aus der niedrigen Stube das alte gestemmte Deckentäfer herausgebrochen. Auf der Rückseite eines noch gut erhaltenen Täferblattes befand sich eine Bleistift-Inschrift. Schwungvolle alte Kurrentschrift, das meiste gut lesbar: ' 1797 Den I9ten Dezember hat man das Däfer angeschlagen Kaspar Thaler auf dem Bühel Schreiner Meister Und Kaspar Thaler als Gesel. Und Frantz Joseph Rohner ... Meister. Im Jahre 1797 war das zweistöckige gestrickte Holzhaus bereits etwa 50 Jahre alt. Pfarrer Josef Andreas Feurstein schrieb es 1760 unter domus 136 in seinen ersten Wolfurter Seelenbeschrieb ein. Es war damals das alleräußerste Haus von Rickenbach, bis bald danach Awandars und Becko Sepplos und später die Häuser in Schlaft und Kessel erbaut wurden. Nach mehreren Vorbesitzern heiratete im Jänner 1796 Franz Josef Rohner in das Haus ein. Er war ein Wirtssohn aus dem großen Rohner-Gasthof an der Kreuzstraße im Kirchdorf und ein Urenkel des bekannten Hofsteig-Ammanns Jerg Rohner (Heft 13, S. 28). Nun ließ er also ein Jahr später in der guten Stube ein Täfer anschlagen. Das besorgte der Schreiner Kaspar Thaler, der damals mit seiner Frau Maria Schneider auf dem Bühel wohnte, dort wo heute das Haus Oberfeldg asse 3 steht. Weil sein einziger Sohn als Kind gestorben war, hatte er seinen Neffen Kaspar Thaler, geboren 1777 im Tobel, als Schreinergesellen angestellt. Dieser Kaspar hat dann 1802 geheiratet und das große Thaler-Haus im Isatz (Lauteracherstraße 5, Kresser) gebaut. Von ihm stammen alle heutigen Wolfurter Thaler-Familien. Und wie ging es Rohners in der Stube im Rickenbacher Unterdorf? Von den sechs Kindern starben drei ganz jung, zwei Töchter blieben ledig. Nur Agatha, die jüngste, heiratete Joh. Georg Dür von der Ingrüne. Sie sind die Stammeltern von vielen Wolfurter Familien, wie etwa von Awandars (mit Grabhers am Rickenbach), DelloKorles (mit Lehrer-Höfles und Bereuters von der Hoh-Brugg) und Holzar-Schmiods (mit Geiger Adolfs im Röhle, Guldenschuhs in Unterlinden und Klimmer Alberts in Spetenlehen). Fast hundert Jahre lang blieb das Haus im Besitz der Familie Dür. Dann kauften es zuerst Engelbert Kaufmann und zwanzig Jahre später der anfangs der 30er-Jahre aus Amerika heimgekehrte Julius Brauchle und seine Frau Anna. Alte Rickenbacher wis4 sen noch, welch schweres Leid Frau Anna tapfer getragen hat. Als sie 1933 ihr erstes Kind Juliane erwartete, starb ihr Mann. Und als sie zwölf Jahre später in ihrer zweiten Ehe mit Gebhard Böhler wieder ein Kind erwartete, widerfuhr ihr das gleiche Schicksal ein zweites Mal. Beim Einmarsch der Franzosen schlug am 2. Mai 1945 eine letzte deutsche Granate durch die Stubenwand und tötete ihren zweiten Mann. Allein mußte sie in schwerer Zeit für beide Kinder sorgen. Längst hat nun Sohn Gebhard das Haus übernommen und schön hergerichtet. Daß er auch die alte Täfer-Schrift gut aufbewahrt, ist in unserer so schnell-lebigcn Zeit besonders hoch zu schätzen. Vielleicht können Thalers Theo, Kressers Fridolin, Höfles Konrad, Geigers Erich und ein paar Dutzend andere Nachkommen aus den Bleistiftzeilen einen Gruß des Stammvaters an die Ur-Urenkel heraushören! Vielleicht steckt darin aber auch die Frage an uns und unsere Baumeister, was wohl von unseren Betonmauern und Lattenhäusern in 200 Jahren noch bestehen kann? Ahnenforschung Immer wieder suchen Leute aus der Ferne hier in Wolfurt nach ihren Wurzeln. Weit aus Sachsen, aus Hainichen bei Chemnitz, kam Herr Ing. Christoph Egerland und forschte in unseren Pfarrbüchern. Er fand eine große Anzahl von Ahnen, zuletzt ein Ehepaar Schneider, das zu Napoleons Zeiten in dem uralten Haus Hofsteigstraße 1 wohnte. Der Sohn Joh. Martin Schneider, geboren 1795, ging als Schustergeselle auf die Walz und blieb in Kulmbach in Bayern bei einer jungen Barbara hängen. Von ihnen stammt in fünfter Generation Christoph Egerland, Ziegelbrenner und Keramik-Ingenieur. Weniger weit hatte es Schuldirektor Ernst Köhlmeier aus Hard, der für sich und seinen jüngeren Bruder, den Harder Langzeit-Bürgermeister Gerhard Köhlmeier ebenfalls in Wolfurt forschte. Die Köhlmayer waren einst ein großes und angesehenes Wolfurter Geschlecht. Einen kölmayer bartlme (Bartholomäus) können wir als Hofbesitzer schon 1594 nachweisen. Um das Jaht 1670 besaß eine Familie Köhlmayer den wichtigen Gasthof Löwen in Rickenbach: honoratus viduus Blasius Khölmayer hospes (Gastwirt) in Rickhenbach heiratete im September 1678 zum zweiten Mal. Seine Urenkel, sie schrieben sich jetzt Köllmayer, verkauften den Löwen an den Adlerwirts-Sohn Kaspar Haltmayer, von dem er dann an die Löwenwirtler-Fischer vererbt wurde. Einer von den Köllmayer-Söhnen, Johann Michael Köllmayer, heiratete im Oktober 1765 nach Hard. Von ihm stammen in der siebten Generation die Geschwister Ernst (1937), Gerhard (1938), Ruthilde und Adelheid Köhlmeier. Gutes Blut aus Wolfurt hat sich auch am See bewährt! Zuschriften Aus Bischofszeil bei St. Gallen bedankte sich Antoinette Dorn-Rhyner für die Zusendung der Hefte: Mußte weinen vor Heimweh. Man schätzt die Heimat erst in der Fremde.... Habe viel von der Welt gesehen, aber zu Hause in Wolfurt war es doch am schönsten. ... Im Herzen Wolfurterin und auf dem Papier Schweizerin. 5 Aus Bregenz schickte Dr. Paul Gmeiner, der mit seiner Heimatgemeinde Wolfurt ebenfalls immer sehr verbunden bleibt, umfangreiche Kopien zur Kirchengeschichte von Bregenz und Wolfurt. Besonders macht er uns auf jenen jungen Einsiedler aus Wolfurt aufmerksam, der sich als erster in den Ruinen der 1647 von den Schweden gesprengten Burg Hohen-Bregenz einen Unterstand baute. Aus Hohenems schickte der Heimatkundler Dr. Johannes Greyßing mehrere Notizen zur Wolfurter Geschichte, die ihm bei seinen Forschungen im Landesarchiv untergekommen waren. Da fand er Berichte aus Adlerwirts Haus-Chronik über das Rickenbacher Hochwasser von 1702 und über den Musikstreit von 1857, über die wir schon an anderer Stelle berichtet haben. In einem weiteren Beitrag von 1875 widerspiegelt sich der Casiner-Streit, in dem sich die Parteien mit allen Mitteln bekämpften (Siehe Beitrag Die Vorsteher in diesem Heft!): Laut Anzeige des Waldaufsehers von Wolfurt wurde vorigen Sonntag am Wolfurter Schießstande abermals geschossen, ohne die Kugelfänge aufgestellt zu haben. Wie es scheint, will der Hr. Vorsteher von Wolfurt nicht auftreten gegen die Schützengesellschaft, wahrscheinlich weil derselbe mit dem Schützenwirth verwandt ist ...Es kann nicht zugelassen werden, daß noch weiterer Schaden im Walde angerichtet wird, daher ich dringend ersuche, das Schießen einzustellen. ... Werner, k.k. Forstkomm. ... Vorsteher war damals der Adlerwirt Joh. Georg Fischer. Seine ältere Schwester Katharina war mit dem jungen Kronenwirt Michael Sohm verheiratet, dem auch der Schießstand gehörte. Eine vierte Notiz stammt aus der Hunger- und Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg: Dem Mühlenbesitzer Max Zuppinger wurden neulich 6 Säcke Nullermehl im Werte von 1.800.000 Kronen gestohlen. Die Gendarmerie in Lauterach machte die Täter, zwei Reichsdeutsche, die früher bei Zuppinger in Arbeit standen, ausfindig, 68 Kilo wurden noch zustande gebracht; natürlich werden auch die Abnehmer des Mehles zur Verantwortung gezogen. Und jetzt noch eine besonders freudige Mitteilung: Nach langen Bemühungen ist es uns gelungen, für das Gemeindearchiv eine Kopie von der mehr als 200 Jahre alten Adlerwirts Haus-Chronik zu erhalten. Im nächsten Heft wollen wir sie vorstellen. Bild 3: Gasthaus Krone um 1906 Siegfried Heim Die Krone - abgebrochen! In Spetenlehen wurde am 30. Juni 1998 der alte Gasthof zur Krone abgebrochen. Die letzte Wirtin Luzia Müller war im gesegneten Alter von 94 Jahren am 1. August 1997 gestorben. Die Erben machten sich den Entschluß nicht leicht, was mit dem baufällig gewordenen Haus geschehen solle. Auch die Gemeinde war natürlich an einem Fortbestand dieses markanten Gebäudes brennend interessiert. Eine Renovierung des morschen Holzhauses schien schließlich aber doch mit zu großen Kosten und anderen Problemen behaftet zu sein. So mußte denn ein Abbruchbescheid ergehen, gegen den auch das Denkmalamt keinen Einspruch erhob. Damit ist wieder eines der bedeutenden, man möchte fast sagen "historischen" Wolfurter Häuser verschwunden. Der kleine Weiler Spetenlehen am Bannholzbach war schon vor 1000 Jahren besiedelt. Das Mehrerauer Zehentbuch weist im Jahre 1290 einen Hof spate oder auch feodum dicti speten als Mehrerauer Lehen aus. Das Kloster bezog davon jedes Jahr einen Zehent von 13 Schilling, 4 Schweinsschultem, 40 Eiern und dazu ad duc. 4 dies, vier Tage Frondienst zum Einführen der Rickenbacher Feldfrüchte in die Mehrerauer Scheunen. 7 6 Am Ende des Mittelalters erreichte Kaiser Maximilians Heerstraße von der 1518 erbauten Lauteracher Achbrücke her hier am Berghang die ersten Rickenbacher Häuser. Das Kirchdorf Wolfurt lag ja jetzt weit abseits der wichtigen Straße und die paar Häuser der benachbarten Hub drängten sich noch alle im Eulentobel zusammen. Um diese Zeit dürfte hier in Spetenlehen die erste Taverne für Fuhrleute und Pilger eingerichtet worden sein. Nachweisbar finden wir diese am Platz der Krone um das Jahr 1700 im Besitz des Kaspar Gasser und um 1750 im Besitz seines Sohnes Johann Gasser, 1715-1788. Dieser wurde wegen seines Ansehens und Vermögens zum Eidgenoß des Gerichts Hofsteig gewählt.1 Ab 1778 übernahm sein Schwiegersohn Joseph Schelling die Taverne. Er stammte vom Frickenesch und war ein direkter Nachkomme jenes Martin Höfle, dem 1629 in Bildstein die Mutter Gottes erschienen war. Schelling übte das wichtige Amt eines Wuhrmeisters aus. Die Steuerbücher 2 weisen in seinem Besitz neben drei Kühen und Jungvieh auch ein Pferd, einen Raifhandel, ein Holzlager und dazu Mobilien auf dem Wirthslager aus. Von Josephs Sohn Johann Schelling, der bereits als Kronenwirth bezeichnet wurde, der Gasthof aber noch manchmal als Taverne, ging das Haus 1837 in den Besitz seines Schwiegersohns Michael Sohm über. Dieser stammte aus der Krone in Kennelbach und dürfte nun die Krone in Wolfurt groß umgebaut haben. Jedenfalls nahm er 1839 in Feldkirch eine Hypothek von 300 Gulden auf, deren Verzinsung auch noch seine Nachfolger arg belastete.3 Jetzt wurde die Krone zum Mittelpunkt der 1806 aus Kirchdorf Wolfurt und Weiler Rickenbach zusammengefaßten Gemeinde Wolfurt. Statt in der engen Klasse des alten Schulhauses hielten die Gemeindevertreter ihre Sitzungen lieber hier in der Gaststube ab. Nachweisbar - es sind nur wenige Protokolle erhalten geblieben - ist das erstmals bei der Sitzung vom 29. April 1832 bei Kronenwirth Johann Schelling. Es häufte sich aber, als Kronenwirt Sohm ab 1867 selbst Gemeinderat und 1869 auch Kirchenpfleger geworden war. Im Verzeichnis der Einkommensteuer von 1873 lag Kronenwirt Michael Sohm hinter Rößlewirt Fidel Müller und Schwanenwirt Joh. Georg Kalb bei den Wirten an dritter Stelle in der Gemeinde, vor Kreuz, Mohren, Schiffle, Löwen, Sternen, Linde, Schützen, Adler und Hirschen. Einige Jahre lang war der Krone um diese Zeit im Nachbarhaus eine Konkurrenz entstanden. Im Stammhaus der Spetenleher Fischer, 50 Jahre früher das erste Wolfurter Rathaus4, hatte Martin Fischer 1860 den Gasthof zum Schützen eröffnet. Dazu hatte er auf eigene Kosten auf seinem Bühel einen neuen Gemeinde-Schießstand erstellt.5 Seither hielten die Wolfurter Standschützen mehr als 100 Jahre lang dort oben ihre Schießübungen und viele Feste ab, bis sie 1975 ihren großen neuen Stand an der Ach erbauten. Im neuen Gasthaus Schützen probte auch der 1865 gegründete Männerchor Wolfurt-Kennelbach. Der Schützenwirt war selbst Stimmführer im ersten Tenor.6 Aber im Jahre 1875 wurde der Schützen versteigert. Und kaufen konnte das stolze Haus samt dem Schießstand der Kronenwirt Michael Sohm, der sich so der unliebsa8 Bild 4: Das alte Wirtshausschild men Konkurrenz entledigte.7 Ab jetzt wurde die Krone zur Schützenwirtschaft. Der Schießstand gehörte nun zu Kronenwirts Bühel. Alles zusammen übergab der tüchtige Wirt 1877 seinem gleichnamigen Sohn Michael Sohm junior. Der hatte ab 1870 bei den Kaiserjägern gedient. Die Gastwirtschaft vermochte der heimgekehrte Soldat aber nicht zu führen. Schon nach zwei Jahren verkaufte er 1879 zuerst den ehemaligen Schützen an Wendelin Pfanner aus Langen, ein Jahr später auch sein Elternhaus, die Krone. Auch die Familie Pfanner konnte den großen Besitz nicht halten. Den Schützen verkaufte sie an Josef Anton Fischer, einen jüngeren Bruder des früheren Schützenwirts. Voll Neid nannten die Wolfurter den tüchtigen kleinen Mann bald s Milliono-Männdle, weil er sich vom ehemaligen Knecht in der Zuppinger-Mühle zum reichen Sticker in seinem wiedergewonnenen Elternhaus in Spetenlehen hinaufarbeitete. Die Krone samt den immer noch auf ihr lastenden alten Schulden erwarb für ein paar Jahre Wilhelm Huber aus Breitenbrunn und dann Albert Müller, Rößlewirts aus dem Kirchdorf. Auch dieser mußte sie schon 1893 wieder verkaufen. Neuer Besitzer wurde sein jüngerer Bruder Karl Müller. Karl, geboren 1863, hatte bei seinem Vater Fidel Müller, der seit 1850 den angesehenen Gasthof Rößle besaß, das Bäckerhandwerk erlernt. 1889 heiratete er Johanna Dür, die reiche Tochter des ein Jahr zuvor plötzlich verstorbenen Rickenbacher Mechanikers Josef Anton Dür. Mit ihrer Mitgift und seinem väterlichen Erbe konnte das Paar für ansehnliche 6000 Gulden die große Bäckerei Huber in Rieden kaufen. Als aber Johannas letzter Bruder Heinrich Dür im Jänner 1891 ganz überraschend starb, wurde sie dazu noch Alleinbesitzerin der Großschlosserei Dür am Rickenbach, die ihr Vater dort seit 1848 aus der uralten Hunds-Mühle, aufgebaut hatte. Nur ein gutes Jahr lang nannte sich Karl Müller jetzt Mechaniker in Rickenbach, dann verkaufte er die Schlosserei 1892 an Conrad Doppelmeyer aus Hard, der hier 20 Jahre früher seine Lehre gemacht hatte. 9 Den Erlös legten Karl und Johanna Müller zum Erwerb der Krone an. Aus dem in der Krone aufbewahrten umfangreichen Aktenpaket8 erfahren wir Interessantes aus dem damaligen Geschäftsleben. Ein Schreiben des Steueramtes nennt den Umsatz, den Albert Müller im ersten Halbjahr 1893 vor der Übergabe der Wirtschaft an seinen Bruder Karl gemacht hatte: Verkauft Würste für warme Speisen Käse Brot Kaffee Selchfleisch Beherbergt lt. Fremdenbuch 50 Personen Branntwein 300 Liter Zur Beherbergung 3 Zimmer mit 5 Betten 130 fl Nettogewinn 200 fl 60 fl 140 fl 40fl 120 fl 200 fl 25 fl 40 fl 18 fl 14 fl 16 fl 40 fl 10 fl 40 fl 3. Julius 4. Eugen 5. Maria 6. Josef 7. Franziska 1893-1916 1894-1978 1895-1941 1896+ 1898 oo Ida Gunz, Hofsteigstraße oo in Bregenz mit Alfons Köb (Seppatones vom Bühel) letzte Kronenwirtin oo Paul Köb (Molars), Hofsteigstraße 8. Raimund 1899-1923 9. Luzia 1903-1997 10. Hilda 1904-1940 In dieser Aufstellung fehlen aber die am häufigsten ausgeschenkten Getränke Wein, Most und Bier. Hatte man einige Jahre früher im Wirtshaus neben Most und Schnaps fast nur Wein getrunken, so war um diese Zeit das Bier in Mode gekommen. Im Adler in Rickenbach hatte der Vorsteher Joh. Georg Fischer 1874 eine eigene Brauerei eingerichtet, die er dort bis 1906 betrieb. Der neue Kronenwirt bezog sein Bier bei der Mohrenbrauerei in Dornbirn, die ihm z. B. im Dezember 1893 für 661 Liter Bier zu je 11 Kreuzer 72.71 Gulden in Rechnung stellte. Wein bezog er dagegen meist bei der Agentur Jacob Kohler in Schwarzach, die Südtiroler Wein in Fässern für 20 Kreuzer je Liter franco Bahnhof Schwarzach zur Abholung lieferte: 3 Fassel roth Wein, 1008 Liter für 201.60fl. Im Jahre 1900 verrechnete Kohler seinen Wein erstmals in der neuen Kronen-Währung: 2 Fass Rothwein, 660 Liter für 264 K. Karl Müller hatte für seinen Gasthof Krone auch die Gewerbeberechtigung für eine Gemischtwarenhandlung und eine k. k. Tabak-Trafik erhalten. Neben Mehl, Gerste, Zucker und Salz beschränkte sich der Verkauf aber hauptsächlich auf Kautabak, Bürsten und Pfannenriebel. Bei Kronenwirts wuchs jetzt eine große Familie heran 9 : 1. Karl 2. Berta 1890-1938 1891 oo Maria Fischer (Seppos), Unterlindenstraße oo in Bregenz mit Jakob Schertler (Jokobos aus dem Flotzbach) Im Jahre 1907 erkrankte Vater Karl schwer. Jetzt lag die Verantwortung ganz bei der tüchtigen Mutter. Im gleichen Jahr ließ sie hinter der Krone eine große Stickerei erbauen, in welcher die Kinder nun jeden Tag viele Stunden arbeiteten. Dazu betrieben sie Gastwirtschaft und Kaufladen weiter. Im Kronensaal hielten zuerst der Männerchor Wolfurt und dann der Gesangverein Liederhain ihre Proben. Auch der 1926 eigens für die Rickenbacher gegründete gemischte Chor Frohsinn fand hier bis zu seinem Ende 1934 Unterkunft. Sohn Julius, Mitbegründer und ab 1912 Obmann des Turnerbundes, starb 1916 im Krieg. Als sich der ArbeiterTurnerbund vom Arbeiterverein löste, fand die erste Hauptversammlung 1920 in der Krone statt. Ebenfalls in der Krone wurde schon 1927 mit der Ski-Riege des Turnerbundes der erste Wolfurter Schiverein gegründet. Hier ließ Vorsteher Lorenz Schertler auch 1923 den Standschützenverein neu gründen. Noch viele Jahre lang blieb die Krone das Vereinslokal der Schützen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich für das einstmals so wichtige Haus vieles verändert. Frau Luzia, mit einem schweren Sprachfehler behaftet, aber vielleicht gerade deswegen zu allen Leuten freundlich und hilfsbereit, führte den Gasthof nun allein. Mehrere Flüchtlingsfamilien hatten bei ihr Aufnahme gefunden. Den Laden hatte sie geschlossen. Dort stan- Bild 5: Die letzte Kronenwirtin. Lucia Müller, 1903-1997 10 11 den jetzt die ersten Frisierstühle der jungen Wolfurter Meister Herbert Vonach und Emil Gasser, Viel später durfte hier die Junge ÖVP ihr Klublokal einrichten. In der Krone fand am 22. Dezember 1946 jene denkwürdige Sitzung statt, in der sich der "liberale" Turnverein und der "schwarze" Turnerbund nach jahrzehntelanger Gegnerschaft zur überparteilichen "Turnerschaft Wolfurt" zusammenschlossen. Im gleichen Jahr hatte auch Martin Höfle noch einmal alte und junge Sänger zur Gründung eines neuen Männerchores in die Krone gerufen. Während die Turnerschaft aufblühte, war dem Chor kein langer Bestand beschieden. In der ruhiger gewordenen Gaststube trafen sich immer noch politische Gruppen der Gemeinde, erstellten hier ihre Kandidatenlisten und berieten wichtige Themen. Und immer wieder fanden sich Stammtischrunden zusammen zu fröhlichem Gedankenaustausch bei Kaffee und einem von Luzias bekannten Mohroköpfle, aber vor allem natürlich zu einem zünftigen Jaß bis tief in die Nacht. Auch als Luzia in ihrem hohen Alter gebrechlich geworden war, blieb die gastliche Stube ihren alten Freunden immer offen. Das ist nun vorbei! - Sie werden uns sehr fehlen, die gute alte Luzia und ihre gute alte Krone! 2 ' Pfarrarchiv Wolfurl, Seelenbeschrieb 1760, domus 114 Gemeindearchiv Wolfurl Originaldokument in Privatbesitz Bild 6: Das Kloster Mehrerau wurde um das Jahr 1094 gebaut. Heimat Wolfurt, Heft 20, S. 12 GA Wolfurt, GV-Protokoll vom 16. Aug. 1860 6 GA Wolfurt, Sänger-Protokollbuch 1 7 GA Wolfurt, Cod 8a, Häuserverzeichnis 1886, Nr. C 188 8 Privatbesitz 9 GA, Cod 20, Familienbuch 1885, fol 362 5 4 Siegfried Heim 750 Jahre Rickenbach 750 Jahre alt wird heuer die Urkunde, auf der der Name Rickenbach zum ersten Mal aufscheint. Unter insgesamt 60 Ortsnamen stehen dort auch noch eine ganze Reihe anderer aus unserer Umgebung. So wollen Schwarzach und Hard dieses runde Namens-Jubiläum heuer festlich begehen. Am 17. September 1249 unterzeichnete Papst Innozenz IV zu Lyon in Frankreich die Urkunde, die als ältestes Mehrerauer Grundbesitzerverzeichnis gilt. Dort scheinen unter den Dörfern und Weilern außer Wolfurt auch Lauterach, Hard, Schwarzach, Alberschwende und Kennelbach auf, nicht aber Buch und Bildstein. Für unsere Wolfurter Parzellen Ach (Ahe), Steig (Staige) und Rickenbach (Rikembach) ist es wie für unsere Nachbarn Schwarzach (Swarzahe), Hard (Harde) und Kennelbach (Kaenalbach) überhaupt die allererste urkundliche Namensnennung. Ach, Steig, Rickenbach 1249 Schwarzach, Hard, Kennelbach 1249 Für Wolfurt kennen wir als ältesten Namen St. Nikolaus. So hieß der Ort nach der Kapelle, die Graf Rudolf von Pfullendorf um das Jahr 1167 dem Stauferkaiser Fried13 12 rieh Barbarossa überließ. Einige Jahrzehnte später traten um 1220 zuerst die Ritter de Wolfurt in Lindauer Urkunden als Zeugen auf. Aber schon 1226, als der Stauferkönig Heinrich VII. seinen Wolfurter Besitz mit der Kapelle an das Kloster Weißenau verschenkte, hießen auch die Häuser am Fuß von Kapelle und Schloß zum ersten Mal Wolffurt (.... cum capella in Wolffurt....).' Wolfurt 1226 Die Namen von Lauterach und Dornbirn sind viel älter. In St. Galler Urkunden finden sich schon im Jahre 853 Lutaraha und 895 Torrinpuiron. Noch älter ist der Name Bregenz, der vor 2000 Jahren um 15 v. Chr. vom keltischen Brigantion in das römische Brigantium umgeformt wurde. Lauterach schon 853 Wie war es zu dem umfangreichen Mehrerauer Dokument von 1249 gekommen? Es wird heute als eines der ganz wertvollen Pergamente im Vorarlberger Landesarchiv aufbewahrt. Wolfurt und die Mehrerau Um die Jahrtausendwende hatten sich die Grafen von Bregenz in mehrere Linien aufgespaltet, die einander eifersüchtig gegenüberstanden. Zur Sicherung ihres Siedlungsgebietes im Brcgcnzcrwald gründete die Bregenzer Linie 1086 in Andelsbuch ein Benediktinerkloster. Schon wenige Jahre später wollte sie es 1092 zur St. GallusKirche nach Bregenz verlegen. Dagegen erhoben die Pfullendorfer Verwandten, denen um diese Zeit noch die halbe Kirche und auch der Kellhof Wolfurt gehörten, Einspruch. So mußten die Benediktiner weit hinab an das sumpfige Seeufcr übersiedeln und dort ihr neues Kloster St. Peter in der Au bauen. Bald nannte man es Mehrerau, um es damit von Minderau (Weißenau) bei Ravensburg zu unterscheiden. Durch großzügige Schenkungen gewannen die Mönche im anschließenden Jahrhundert ungeheuren Grundbesitz, vor allem in Bregenz, im Allgäu und im Bregenzerwald. Auch aus dem Hofsteiger Raum bezogen sie Einkünfte, allerdings vorerst noch nicht aus dem Kellhof bei St. Nikolaus, der ja seit 1226 dem Konkurrenzkloster Weißenau gehörte. Weißenau stand auf der Seite der mit dem Papst verfeindeten Stauferkönige. Einer der letzten von ihnen, König Konrad IV, überfiel 1248 das Kloster Mehrerau. plünderte es und brannte es nieder. Da erbat sich der Abt vom Papst einen Schutzbrief für seine gefährdeten Besitzungen. Diese Urkunde von 1249 verfehlte ihre Wirkung nicht und wurde sorgfältig aufbewahrt. Mehrere Vorarlberger Historiker haben sie übersetzt und kommentiert, nach Bergmann und Heibock (Regesten 445) auch Bilgerir Nach seiner Auffassung hat der italienische Schreiber den Mehrerauer Besitz je nach Wichtigkeit in vier Teile gegliedert. Auf das Kloster und seine Kirchen in Lingenau, Andelsbuch und Alberschwende folgen die großen Höfe, dann die Zinsbesitzungen 14 und schließlich die Fischrechte und Mühlen. Alles soll dem Kloster ungestört erhalten bleiben! Unter den Großhöfen ist nach Zemkamerhove und Zenmidernhove in Lauterach auch Stetige genannt, der wichtige gräfliche Hof auf der Steig bei Rickenbach. Die Zinsrechte sind geographisch geordnet: .... zu Lutrahe, Rieden, Bregenze Stade (Erstmals im Mittelalter wird Bregenz hier als Stadt bezeichnet!), Inderuti (Reute ob Bregenz), Celle (wahrscheinlich St. Gallenstein beim späteren Gallusstift), Kaenalbach, Ahe, Wolfurt, Berge, Staige, Rikembach, Swarzahe, Kuun (Knie ob Haselstauden), Stigelingen (das ist Haselstauden), Tornhurron (Dornbirn).... Harde, Zedorf'(bei Hard), Gaispurron (Gaisbirn in Bildstein), Hasegnowe (das ist Fischbach) .... Es folgen noch die gefährdeten Besitzungen im Wald und im Allgäu. Bei den Fischrechten ist auch die Bregenze genannt. So hieß damals unsere Ach. Unter den Mühlen finden wir nach Kanalbach gleich Telmoz (die Tellenmoosmühle an der Minderach in Schwarzach) und Rikembach. Bemerkenswert ist, daß die Mehrerauer 1249 auch Rechte im Staufisch-Weißenauer Wolfurt, also im heutigen Kirchdorf angeben. Hier handelt es sich wohl um einen Fehler auf dem päpstlichen Pergament, denn Wolfurt taucht in den erhalten gebliebenen Mehrerauer Zinsrodeln zwischen 1290 und 1505 nie mehr auf. Dasselbe gilt für den benachbarten Weiler Ahe, von dem aus die Furt nach Kennelbach führte. Wohl aber finden sich in den Zinsrodeln zahlreiche Parzellennamen aus ganz Hofsteig, auch aus Buch und Bildstein und vor allem aus Rickenbach. Neben den schon bekannten Richinbaeh und Staige sind es schon 1290 Spate (Spetenlehen), Ruozinberc (Rutzenberg), Molendium (Mühle), und Slattingen (Schlau). Mit ze Bana ist wohl das Bannholz gemeint. Andere Rickenbacher Höfe können wie nicht mehr einordnen: Spahilin, Swenche, Berge, Boumar. Das im Jahre 1340 erstmals genannte Kelun weist auf das heutige Kella hin. Spetenlehen, Rutzenberg, Schlatt 1290 Kella 1340 Kehren wir noch einmal zur Steig zurück. Im Jahre 1249 stand dort also der einzige nach Mehrerau abgabepflichtige Großhof auf Rickenbacher Gebiet. Vielleicht hat dort schon damals der Graf von Bregenz Gericht gehalten. Aber erst einige Jahre später taucht in einer Urkunde von 1260} erstmals die Bezeichnung curia staige auf. Curia bedeutet Genossenschaft oder Hofgemeinschaft. Das Jahr 1260 bringt also den ersten Namenstag von Hofsteig. Hofsteig 1260 Das Kloster Mehrerau verlangte vom Hof Steig 1290 nur ein Schwein als Jahreszins. Dann hat aber wohl der Graf den größten Teil seiner Rechte am Hof an das Kloster abgetreten. So stieg die Zinsforderung schon um 1300 auf dimidiam partem omnium, die Hälfte von allem (!). Und 1340 lautete sie immer noch: Item de curia in Staig tertia pars frugum scilicet speltarum et avene et pullos et ova et scapulas. Also nun ein Drittel der Getreideernte von Dinkelweizen und Hafer, aber auch ein Drittel der Hühner, der Eier und des Schweinefleisches.4 15 Darüber hinaus wurden die Abgaben für das Kloster jetzt aus dem weiten Umkreis hier auf der Steig gesammelt. 8 Hühner, 8 Käslaibe und ein Scheffel Nüsse kamen bis aus Haselstauden, 20 Schweineschinken, 500 Eier und 4 Käslaibe brachten die Rickenbacher und die Höfe auf dem Steußberg.5 Um diese Zeit setzten die Montforter Grafen von Bregenz einen Ammann als Verwalter des sich immer weiter ausdehnenden Gerichtes Hofsteig ein. Erstmals läßt sich im Jahre 1383 nachweisen, daß dieser Ammann nun auch in Lauterach Gericht hielt.6 Lauterach wurde nun der Hauptsitz des Gerichtes, das ständig und ganz besonders vor anstehenden Ammann-Wahlen engen Kontakt zu Mehrerau pflegte. In Wolfurt weitete das Kloster Besitz und Einfluß auch im Kellhofgebiet aus. Im Jahre 1402 kaufte Abt Heinrich für 500 Pfund Pfennig die Hälfte von Schloß Wolfurt samt Höfen und Wald. Und 1451 kaufte das Kloster gar für 944 Pf. Pf. die ganze Burg Veldegg im Oberfeld mit ihrem bedeutenden Grundbesitz. Damals soll Mehrerau nach dem Geschichtsschreiber Ransperg mit 452 Leibeigenen den Höhepunkt seiner weltlichen Macht erreicht haben. Im Jahre 1512 verständigten sich Abt Kaspar Haberstro von Mehrerau und Abt Johannes von Weißenau zur gemeinsamen Errichtung der Pfarrei St. Nikolaus in Wolfurt. Abwechselnd setzten sie nun einen ihrer Mönche als Pfarrer ein, bis 1601 Weißenau alle seine Rechte in Wolfurt für bares Geld an Mehrerau verkaufte.7 Nicht nur die Pfarrkirche unterstand nun ganz der Mehrerau, sondern auch die in der Pfarre Wolfurt liegende 1670 eingeweihte Wallfahrtskirche Bildstein, deren riesige Einnahmen der Wolfurter Pfarrer nach Mehrerau abliefern mußte. Bis zum Untergang des Klosters setzte der Abt die Pfarrer von Wolfurt ein, als letzten 1781 Lorenz Gmeiner, der 1806 die Auflösung des Klosters und des Gerichtes Hofsteig miterleben mußte. Zu Mehrerau gehörten bis 1802 nach den im Gemeindearchiv erhalten gebliebenen Steuerbüchern noch immer 16 große Lehenshöfe in Wolfurt, von denen einige auf über 4000 Gulden eingeschätzt wurden. Unter ihnen standen an vorderster Stelle die des Anton Fischer und des Johannes Reiner auf dem Platz des ehemaligen Hofes Steig (heute Rutzenbergstraße 1 und 2). Die anderen lagen im Gemeindegebiet verstreut, einige mitten im Kirchdorf. Schloß Veldegg war nicht mehr dabei. Seine großen Grundflächen im Oberfeld waren im Besitz des Klosters als einzige der Grundverteilung und der Zerstückelung der Felder im 18. Jahrhundert entgangen und bald danach an neue Besitzer gekommen. Erst in den letzten Jahren sind auch sie zu Verbauung aufgeteilt worden. Die 16 Höfe des Klosters und die eingehenden Zinse verwaltete ein vom Abt bestellter Gotteshaus-Ammann. Nach dem gotshusaman Johannes Müller heißt sein schönes altes Haus an der Kellhofstraße nach mehr als 200 Jahren noch heute Sam-Müllers. Der letzte Gotteshausammann war dessen Enkel Mathias Schneider, der ebenfalls einen Mehrerauer Hof an der Kirchstraße besaß. Er mußte 1803 im Namen des Abtes alle Mehrerauer Rechte, die auf diesen Höfen lasteten, ablösen oder verkaufen. Der letze Abt von Mehrerau war seit 1791 Franz II. Hund. Dessen Tod vermerkte 16 Bild 7: Das Gottesmutter-Relief von Herbert Albrecht Bild 8: Das Klostertor in Mehrerau. Eine Meisterarbeit des Barock Mathias Schneider in seiner Chronik: 1805 den 9. März Morgens ist der Sr. Hochwürden und Gnaden Abtt und Prälat Franz II. des Löbl. und Uralten stiefts Merrerau Seilig gestorben, Gott gebe ihm die Ewige Ruhe.8 Die 15 zuletzt noch verbliebenen Mönche durften keinen Abt mehr wählen. Die Bayern hatten Vorarlberg erobert. Am 1. August 1806 hoben sie das Kloster auf. Im November traten 11 der Mönche aus. Am 22. Februar 1807 wurde in der herrlichen Barockkirche, die erst 1740 von dem Bregenzerwälder Baumeister Franz Anton Beer ganz neu erbaut worden war, die letzte Messe gefeiert. Dann wurde die Kircheneinrichtung versteigert. Das prachtvolle Chorgestühl mit Einlegearbeiten aus Edelhölzern und Zinn wurde in die Pfarrkirche St. Gallus versetzt. Dort bewachen seither auch die großen steinernen Apostelfürsten Petrus und Paulus aus der Mehrerau den Eingang. Große Teile der wertvollen Bibliothek wurden verbrannt. Drei Tage lang soll das Feuer gelodert haben. Dann wurde die Kirche abgerissen, zuletzt auch noch am 7. Dezember 1808 der Turm gefällt. Viele von den Quadersteinen wurden auf Lastschiffen über den See geführt und in Lindau zum Bau des neuen Hafens verwendet.9 Die 700jährige Geschichte der einst so mächtigen Benediktiner-Abtei St. Peter in der 17 Au, die auch die Mutterkirche der Pfarre Wolfurt war, schien zu Ende. Die riesigen Klostergebäude dienten einige Zeit als Kaserne, dann nahmen sie eine Zichorienfabrik und eine Druckerei auf. Im Jahre 1854 zogen über Vermittlung des Kaisers Franz Joseph die aus Wettingen in der Schweiz vertriebenen Zisterzienser-Mönche ein. Sofort begannen sie mit dem Bau einer neuromanischen Klosterkirche. Seither erklingt dort wieder ihr feierliches Chorgebet. Auch die Kloster-Bibliothek umfaßt wieder mehr als 100 000 Bände. Darüber hinaus leiten die Mönche verschiedene Schulen. Zum Kloster gehören das Sanatorium Mehrerau und eine große Landwirtschaft. Es betreut durch einen Prior auch die Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee. Bei der großen Renovierung von 1961 wurde die romanische Krypta unterhalb des Kirchenschiffs zugänglich gemacht. Dort sieht man seither neben den Steinsärgen der Benediktiner-Äbte und der Grafen von Bregenz auch das Grab des St. Galler Abtes Kilian German, der während der Reformationswirren auf Schloß Wolfurt lebte und beim Durchreiten der Ach 1530 ertrunken ist. Die Fassade der Kirche schmückt seit 1964 ein monumentales Betonrelief unseres Wolfurter Bildhauers Herbert Albrecht, 13 Meter hoch und 70 Tonnen schwer. Im Mittelpunkt des Bildes thront die Gottesmutter Maria. Ganz klein wird man zu ihren Füßen und ist doch eingeladen zum Eintritt in das Gotteshaus. Eingeladen in die Mehrerau, die auch unsere Wolfurter Mehrerau ist. Siegfried Heim Vorsteher und Bürgermeister von Wolfurt (2) In Heft 20 habe ich eine Liste der bisherigen 24 Bürgermeister von Wolfurt vorgelegt und über die Amtszeit der ersten sieben davon berichtet. Hier folgt nun die Fortsetzung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 8. Johann Höfle 1856-1859 Geb. 25.9.1813, gest. 15.5.1880 Die mächtige Sippe der Ziegler-Schertler war keineswegs bereit, nach dem Abgang des langjährigen und vcrdiensvollen Vorstehers Joh. Martin Schertler ihren Einfluß in der Gemeindestube aufzugeben. Mit Johann Hölle stellte sie einen Schwager als Kandidaten auf, der den kaiserlichen Beamten in Bregenz paßte. Gewählt wurde nämlich seit 1850 nicht mehr! Der neue kaiserliche Absolutismus unterdrückte alle demokratischen Regungen. Vorsteher und Gemeinderäte wurden einfach vom k.k. Statthalter ernannt. Höfle war Gerbermeister in Spetenlehen. Seit fast 200 Jahren betrieb seine Familie dort im Haus C 191 (Hofsteigstraße 33, Roths) nun schon das Gerbergewerbe. Im Jahre 1840 hatte Johann seine Frau Maria Anna Schertler, eine Tochter des Ziegeleibesitzers Josef Anton Schertler im Röhle und Nichte des bisherigen Vorstehers, geheiratet. Zwei Schertler-Schwäger leiteten jetzt die großen Ziegeleien an der Ach, einer das Sägewerk in Kennelbach. Zur gleichen Sippe stießen bald noch andere bedeutende Wolfurter als Schwäger: der Kreuzwirt Andreas Haltmayer, der Lindenwirl J. Gg. Fischer und der strebsame Lehrer Wendelin Rädler. Das verhieß starke konservative Macht, gegen welche die sehr aktiven Liberalen vorerst nicht ankamen. Auf 6. März 1856, Donnerstag-Nachmittag um 2 Uhr, hatte der neue Vorsteher Johann Höfle die Gemeindevertretung zu ihrer ersten Sitzung in das Schulhaus eingeladen. An seiner Seite saßen als Gemeinderäte der Lindenwirt J. Gg. Fischer. Märtolars, und J. M. Haltmeyer, der Gerber im Kirchdorf, sowie 15 weitere Ausschüsse. Ab jetzt wurden regelmäßig Protokolle geführt, von welchen viele noch vorhanden sind. Für unentschuldigtes Fehlen wurde eine Strafe von einem Gulden zugunsten des Armenfonds festgelegt und in den späteren Sitzungen auch tatsächlich mehrfach eingehoben. Neue Leute wurden in die Ämter als Armenvaler, Gemeindekassier und Waldaufseher berufen. Fast jede der folgenden Sitzungen befaßte sich mit der Genehmigung von Eheschließungen. Ansuchen von armen Leuten wurden immer abgelehnt, wie etwa am 30.8.1857 das Ehegesuch eines Fabriksarbeiters, der angab, täglich 48 Kreuzer zu verdienen: .... daß es nicht möglich sey, mit diesem Verdienste die Seinigen zu versor19 1 2 3 4 5 Heimat Wolfurt. Heft 17/1996, S. 5. nach Rapp. Generalvikariat Vorarlberg. 1896. II.. S. 388 Benedikt Bilgen. Zinsrodel Mehrerau, 1940. S. VI ff VLA, Urkunde 777 wie 2. S. 32 wie 2, S. 47 " Heimat Wolfurt, Heft 13/1993, S. 15 7 Heimat Wolfurt, Heft 17/1996, S. 7 s GA Wolfurt, Chronik Schneider 2, S. 83 9 Rapp, Generalvikariat, 1896.1., S. 546 ff 18 gen, da eine Familie einen größeren & bestimmten täglichen Erwerb bedarf, als diesen, um nicht den Gemeindebürgern zur Last zu fallen Eine ganze Reihe von Gastwirten wollte 1857 plötzlich Gemischtwaren-Handlungen eröffnen. Josef Letsch, der Backer im Hirschen, erhielt die Erlaubnis zum Verkauf von Mehl, Grüschen und Salz. Das gleiche Recht bekam Jakob Böhler, Bäcker und Wirt zum Sternen. Dieser gab sich aber damit nicht zufrieden und erhielt noch im gleichen Jahr die Genehmigung zum Viktualienhandel. Das Ansuchen des Rößlewirts Fidel Müller um Spezereywaaren Befugnis wurde dagegen abgelehnt, weil schon ein anderer in der Nähe sei. Dieser andere war Joh. Gg. Heim, der in Hanso Hus am Kirchplatz den bisher einzigen Kaufladen betrieb. Er erhielt jetzt auch die Genehmigung zum damals so wichtigen Salz-Verschleiß. Inzwischen suchten viele fremde Fabriksarbeiter aus Kennelbach eine Unterkunft in Wolfurt. Dagegen wandte sich der Vorsteher in einer am Sonntag von der Kirchstiege verlesenen Bekanntmachung mit harten Worten und argen Vorwürfen: Viele Gemeindebürger haben fremden Familien & Personen des ledigen Stands in ihren Häusern Unterkunft oder Quartier verleihung gegeben. .... keinen hinreichenden Verdienst.... .... die Gewerbetreibenden auf die nachteiligste Weise hintergehen und betrügen .... .... in der Gemeindswaldung des Ippach & auf der Steinach Holz & Gebüsch zu ihrem täglichen Gebrauch nehmen .... ' Der Vorsteher verlangte die sofortige Anmeldung der Fremden. Wer Holz oder Gebüsch stiehlt, wird ohne Verzögerung aus der Gemeinde gewiesen. (Dazu muß man wissen, daß die fremden Fabriksarbeiter damals Bauernkinder aus dem Bregenzerwald, dem Oberland und aus Tirol gewesen sind!) Seit 1851 bestand in Wolfurt neben der Alten Musik noch die vom ersten Instrumentenmacher Schwerzler gegründete Blechmusik. Der Vorsteher forderte, daß die neue & die alte Musikbande zusammen mit der Schützenkompagnie dem im Jahre 1856 durchreisenden kaiserlichen Statthalter Erzherzog Karl Ludwig die wahrhaft patriotische Zufriedenheit der Bevölkerung erweisen sollten. Ein Jahr später verfügte der Bezirkshauptmann, daß bei der Fronleichnamsprozession nur die sogenannte alte Musikgesellschaft allein mitwirken dürfe. Bald danach schlossen sich beide Kapellen zusammen. Im Oktober 1856 tadelte das k.k. Bezirksamt, daß eine Überprüfung an der Feuerspritze Rost und Grünspan gefunden habe und 9 Bürger von Wolfurt den vorgeschriebenen Wasserkübel nicht vorweisen konnten. Auch das erst gut 20 Jahre alte Kirchendach mußte schon 1856 umgeschlagen werden. Johann Kalb Nagelschmidt schmiedete dazu 1300 neue Nägel und verrechnete dafür 4 1/2 Gulden. Weiterhin bezahlte die Gemeinde alle Reparaturen an Kirche und Pfarrhof, auch die Ausgaben des Pfarrers Hiller für Kerzen, Opferwein und für Brennholz. Als aber 1857 die neue Österreichische Währung eingeführt wurde, rechnete der Kassier den alten Anspruch des Pfarrers von 70 fl R. W. auf nunmehr nur 61 fl 25 x öst. W. um. Die allergrößte Aufgabe für Vorsteher Johann Höfle war aber die Anlegung eines neuen Katasters für das Gemeindegebiet. Dazu der anschließende Beitrag. Eine kleine Ehrung erfuhr der Vorsteher im Jahre 1858. Über Antrag von Mathias Geiger, Schütz, wurden Johann Höfle und sein Kassier Josef Halder in die Jagdgesellschaft aufgenommen. Ein Jahr später übergab Höfle das Vorsteheramt an seinen Schwager Eischer. Im Jahre 1865 verkaufte er die uralte Höfle -Gerberei in Spetenlehen an den Gerbermeister Forster aus Bregenz. Mit seiner Familie übersiedelte er an die Ach und übernahm aus dem Schertler-Vermögen seiner Frau das große Haus C 6 (Bützestraße 24, Rohners). Bis zu seinem Tod 1880 beteiligte er sich an der Leitung der Schertler-Ziegeleicn. Von seinen 11 Kindern wurde der Sohn Lorenz Höfle, Jg. 1844, Priester und Pfarrer von Buchboden. Zwei Töchter heirateten nach auswärts. Der älteste Sohn Josef Anton Höfle verkaufte das Haus an der Ach und übersiedelte nach Lauterach. Damit erlosch diese bedeutende Gerber-Höfle-Sippe in Wolfurt. Der Kataster von 1857 Der seit 1807 nunmehr fast 50 Jahre gültige Bayerische Kataster genügte als Grundlage für Bezitznachweis und Steuereinhebung nicht mehr und sollte ersetzt werden. Schon 1856 waren über behördlichen Auftrag alle Straßen, Bäche und Gräben neu vermarkt worden. Alle Grundbesitzer mußten an ihren Grundstücken gut sichtbare Marken setzen. Dann vermaßen staatliche Geometer. denen der Vorsteher Hilfsarbeiter zur Verfügung zu stellen hatte, ein Jahr lang alle Grundparzellen der Gemeinde, auch die im Ried und im Ippachwald. Sie zeichneten davon einen genauen Plan im Maßstab 1 : 2880, die sogenannte Mappe mit vielen Blättern, und schrieben all ihre Meßergebnisse in ein Parzellenprotokoll ein. Mit der am 1. Dezember 1857 in Schwaz im Tirol durch Geometer Franz Trautel erfolgten Unterfertigung erhielt das Protokoll Rechtskraft und ist seither die Grundlage für alle Grundstücksgeschäfte in Wolfurt geblieben. Das Gemeinde-Archiv besitzt als dickes Buch eine Abschrift des Parzellenprotokolls von 18572 und eine farbige Kopie des alten Planes. Die Bauparzellen sind beginnend mit Nr. 1 in der Höll an der Ach bis zu 304 im Schlatl durchnumeriert. Es finden sich darunter neben den vielen Häusern auch Waschhütten und Stadel, vier Ziegelhütten, sechs Mühlen und der damalige Schießstand beim Adler in Rickenbach. Im Gegensatz zu den Bauparzellen beginnt die Numerierung der Grundparzellen im Kirchdorf mit Gp 1 Friedhof, Gp 2 Weinberg des Pfarrers .... und endet nach einem weiten Weg durch das Ried und über die Bühel mit Gp 3159 im hintersten Harder Ippach. Daran schließen sich noch die Wege, Bäche und Teiche bis zur letzten Nr. 3356 an. Diese Nummern von 1857 haben noch heute Gültigkeit. Viele wurden allerdings unterteilt und die Anzahl der Bauparzellen hat sich ungeheuer ausgeweitet. Die Grundvermesser waren meist landesfremde und der deutschen Sprache kaum mächtige k.k. Beamte. Das zeigt sich leider in der Schreibung der alten Flurnamen 21 20 9. Joh. Georg Fischer (II) 1859-1861 Geb. 1.5.1816, gest. 25.11.1880 Auch 1859 entfielen die fälligen Gemeindewahlen wieder. Die alte Gemeindevertretung schlug am 5.4.1859 entgegen dem steigenden Druck der Liberalen mit Joh. Georg Fischer wieder einen Mann aus der Schertier-Verwandtschaft zum Vorsteher vor. Dessen Frau Rosalia Schertier stammte aus der Sippe der Ziegler-Schertler im Röhle. Das verhalf ihm dazu, Nachfolger seines Schwagers Johann Höfle als Vorsteher zu werden. Am 9. April wurde er im Bezirksamt in Bregenz vereidigt. Als Enkel des bekannten HofsteigAmmanns Joseph Fischer, 1725-1809, Löwenwirt und später auch Engelwirt, gehörte J. Gg. Fischer der großen Sippe der Sammar (s Ammas) an, die sich jetzt in die Zweige der Löwenwirtler, Altadlerwirts und Sammars im Röhle auffächerte. Sein Vater Martin Fischer, ge- Bild 10: Vorsteher J.Gg. Fischer IL, 1816-1880 boren 1779 im Löwen in Rickenbach, hatte 1812 in das große Kalb-Haus C 124 (Kirchstraße 19, Kirchbergers) am Unterlinden-Brunnen eingeheiratet und die Linie der Märtolar-Fischer begründet. Auch der erste Wolfurter Vorsteher J. Gg. Fischer (I) war ein naher Verwandter gewesen. Im Elternhaus in Unterlinden, das er bei seiner Heirat 1851 übernommen hatte, richtete Fischer jetzt die Gemeindekanzlei ein. Seine erste Sitzung leitete er bereits am 17. April 1859, Sonntag Nachmittags um 3 Uhr im Schulhause dahier. Gleich im allerersten Punkt mußte wegen des hohen Schuldenstandes der Gemeinde eine Steuererhöhung beschlossen werden. Probleme gab es mit der Böthin, die für die Wolfurter allerlei Besorgungen in Bregenz verrichtete und auch die Post dorthin besorgte. Das Bezirksamt schlug ein Abkommen mit dem täglich durch Wolfurt fahrenden Bezauer-Postboten vor. Die Gemeinde bestellte aber am 10. Juli 1859 den 40jährigen und sehr kinderreichen Lorenz Reiner zum neuen Bothen. Er übernahm die Verpflichtung, wöchentlich dreimal nach Bregenz zum Bezirksamt und zur Post zu fahren und alle Aufträge, die ihm die Bürger an seinen Amtstagen bis 1 Uhr auftrugen, getreulich zu besorgen. Etwa 50 Jahre lang erfüllten die Both-Reiner, der Vater zuerst und nach ihm sein gleichnamiger Sohn Lorenz, ihren wichtigen Dienst, auch als man später ein Postamt einrichtete. Bild 9: Katasternummern von 1857 rund um die Pfarrkirche. Grundparzellen Gp 1 Friedhof Gp 2 Pfarrers Weinberg Gp 3 Pfarrers Bühel Gp 4 Pfarrers Weinberg Gp5 Pfarrers Garten Gp 6 Pfarrers Bühel (später oberer Friedhof) Bauparzellen Bp 76 J. A. Kalb, Naglars, (später neuer Schwanen) Bp 77 J. Gg. Kalb, (alter) Schwanen Bp 106 Fidel Müller, Rößle Bp 107 Bildstein-Heim, Hanso Hus Bp 108 Pfarrkirche St. Nikolaus Bp 109 Pfarrers Stadel Bp 110 (alter) Pfarrhof auf den Plänen. Da liest man u. a. Ruzenberg, Prahl, Frikenesch, Schlaf, Mädle, Lehnholz (statt Bannholz), Buchet (Bühel), Auf der steinernen Markt (An der steinernen Mark). Am schlimmsten traf es den Kessel am Rickenbach: Rosa Kessl schrieb der Beamte, weil er das alte Roßenkessel für einen Tümpel, in dem man Flachs wässert, nicht verstehen konnte. Nicht nur die alten Parzellennummern haben noch heute ihre Gültigkeit, sondern auch die Beamtenfehler von damals. Viele davon findest du noch immer auf Mappenauszügen. Sogar auf den Plänen für die Autobahn und für unseren riesigen Güterbahnhof sind sie sehr sauber und dennoch falsch eingetragen! Und im Computer-Zeitalter darf man eine Richtigstellung wohl nicht mehr erwarten! Der großen Bedeutung der Katastralmappe kann das aber keinen Abbruch tun. 22 23 Im Jahre 1860 brach der Schwanenwirl Joh. Georg Kalb die alte Nagelschmiede am Kirchplatz ab und erbaute dort seinen großen Neuen Schwanen. Der Alte Schwanen an der Kellhofstraße, bis dahin ein wichtiger Versammlungsort in der Gemeinde, wurde geschlossen und verkauft. Erst vor wenigen Jahren hat ihn die Gemeinde wieder für die Pflege der Gemeinschaft im Dorf neu hergerichtet. Im gleichen Jahr 1860 hatte Martin Fischer in Spetenlehen den Gemeindeschießstand auf seine eigene Kosten zur Herstellung übernommen. Jetzt suchte er um Bewilligung als Schützenwirth-Schankwirthschaft an. Nur etwa 15 Jahre blieb der Gasthof Schützen geöffnet, der Schießstand auf dem Bühel dagegen mehr als 100 Jahre lang. Schon nach zwei Jahren gab Fischer das Vorsteheramt wieder ab. Eine fast einstimmig erfolgte Wiederwahl lehnte er trotz aller Zureden ab. Er wollte Gastwirt werden. Über sein Ansuchen erhielt er am 12. September 1862 vom k.k.. Bezirksamt in Bregenz die Concession zum Betriebe des Schankgewerbes auf dem eigenthümlichen Hause zu Unterlinden. Im Jahre 1868 erbaute er dann aber mit der Linde ein ganz nobles neues Gasthaus weit unten im Fischare-Feld (heute Unterlindenstraße 17, Fideles). Weil die Unterlindenstraße damals als Röthelgasse nur ein schmaler Feldweg war, erstellte er als Privatstraße eine Zufahrt von der Kirchstraße bis zu seiner Haustüre hinab. Seit einigen Jahren heißt diese schmale Straße Glockengasse. Von Fischers 10 Kindern heirateten vier Töchter, Maria Anna nach Lauterach, Katharina den Rößlewirts-Sohn Albert Müller, Anna Maria den Schuhmacher Fidel Kalb, der sich später als Vorsteher Fidel Kirchbergcr nannte. Schließlich begründete noch Rosalia mit ihrem Gatten Andreas Geiger die Sippe der Geiger im Röhle. Das Gasthaus Linde wechselte nach J. Gg. Fischers Tod mehrfach den Besitzer, bis es der Fergger Fidel Gmeiner ab 1898 zum Stammhaus der Kartonagen-Gmeiner machte. 10. Josef Halder 1861-1867 Geb. 6.12.1806, gest. 4.7.1880 1861 waren nach elfjähriger Unterbrechung erstmals wieder Wahlen durch das Volk ausgeschrieben worden. Bei ganz geringer Wahlbeteiligung von nur 66 Wählern erhielt mit Franz Josef Halder noch einmal ein konservativer Gemeindepolitiker das Vorsteheramt. Daß drei von seinen Töchtern in die Ziegler-Schertler-Sippe einheirateten, dürfte ihm zu dieser Ehre verholten haben. Haider stammte aus einer Bauernfamilie von der Fluh. 1837 hatte er die acht Jahre ältere Witwe Agatha Müller geheiratet und war dadurch Besitzer des Hauses C 168 an der Hub (Hofsteigstraße 14, Soalars) geworden. Zwanzig Jahre früher hatte im gleichen Haus der zweite Wolfurter Vorsteher Xaver Flatz gewohnt. Halder gewann in Wolfurt hohes Ansehen. Bald wurde er in den Gemeinde-Ausschuß gewählt. Viele Jahre lang war ihm das wichtige Amt des Gemeinde-Kassiers anvertraut gewesen, ehe er nun 1861 sogar zum Vorsteher berufen wurde. Bild 11: Bucherstraße 1864: ... von Baum zu Baum klettern Noch immer herrschte in Wolfurt bittere Armut. Noch immer wanderten ganze Gruppen von jungen Leuten nach Amerika aus. Wegen geringer Schulden verloren andere durch Versteigerungen Hab und Gut. Darüber ein eigener Beitrag im Anhang! In einer seiner ersten Sitzungen befaßte sich Vorsteher Halder mit der Ausrüstung jener Männer, die zu einer lOOtägigen Dienstzeit als Landesverteidiger einberufen wurden. Drei Tage vor dem Abmarsch erhielt jeder vom Vorsteher eine von der Gemeinde angeschaffte Mundur als ein Hut, ein Rock, Hosen & ein bar Schue. Nach beendigter Dienstzeit mußte die Montur zu weiterer Verwendung wieder beim Vorsteher abgegeben werden. Immer strenger wurden die Bestimmungen, mit denen sich die Wolfurter gegen Überfremdung wehrten. 1861 setzte die Gemeindevertretung das Einkaufsgeld für jedes Mansbild von bisher 75 auf 100 Gulden hinauf. Ab 1864 mußte jede Weibsperson, welche durch Heurathen in den Gemeindeverband aufgenommen wird, 50 Gulden bezahlen. Und ab 1865 verlangte man von jedem Beisäß (Nicht-Gemeindebürger) für jedes Kind pro Jahr einen Gulden Schulgeld. Seit Jahren gab es Differenzen wegen der Erhaltung der Bucher-Straße. Schon 1859 hatte die Behörde eine radikale Verbesserung vorgeschrieben. Nun wurde dem Vorsteher gar eine Drohung von Bezirkshauptmann Honstetter mit Datum vom 10. April 1864 zugestellt: Nach einer Heute eingelangten Gendarmerie Anzeige befindet sich der Fahrweg von Wolfurt nach Buch in einem derartig schlechten Zustande, daß Fußgänger kaum durchkommen, und um nicht im Wege selbst stecken zu bleiben, dem Berge nach von Baum zu Baum klettern müssen Sollte die Gemeinde Wolfurt die Straße nicht binnen eines Monats in einen befriedigenden Zustand versetzen, ... so wäre der Herr Gemeinde Vorsteher in eine Geldstrafe von Zwanzig Gulden verfallen, die man zur Verbesserung der Strasse verwenden wird. ... 25 24 Im Juni 1863 bildete die Gemeinde ein Komitee für die anstehende große Kirchenreparatur. Nach der bitteren Erfahrung von 18303 wählte man diesmal mit dem Adlerwirt Josef Anton Fischer und dem Schmied Josef Anton Dür auch zwei liberale Rickenbacher in den Ausschuß. Zuerst wurden nun im Kirchenschiff die zwei sichtbehindernden Säulen am Aufgang in den Chor herausgebrochen. Dann versuchte man, die als unschön empfundenen Ochsenaugen-Fenster durch hohe gotische Fenster zu ersetzen. Dieses Vorhaben mußte allerdings nach Untersuchung der Mauern aus statischen Gründen aufgegeben werden. Dafür malte der Dornbirner Kunstmaler Joh. Kaspar Rick 1864 an das Deckengewölbe zwei große Fresken: im Chor Die Darstellung Jesu im Tempel und im Schiff Die Bergpredigt. Auch der neue Chorbogen erhielt mit Jesus und Moses als Gegenüberstellung von Neuem und Altem Testament zwei Fresken. Sie sind leider alle bei der Kirchenrenovierung von 1938 zerstört worden. Im November 1866 verstarb der beliebte Pfarrer Josef Anton Hiller, der in Wolfurt seit 1836 segensreich gewirkt hatte. Im Mai 1867 trat Josef Anton Waibel an seine Stelle. Er wurde bald darauf auch Dekan. Nach dem Tod seiner ersten Frau hatte Josef Halder 1851 ein zweites Mal geheiratet. Von seinen sieben Kindern wurden vier Töchter groß. Sie bekamen alle hochangesehenc Ehepartner. Maria Anna Halder heiratete 1863 mit Joh. Martin Schertier junior in Unterlinden einen Sohn des 7. Vorstehers, der selbst später der 14. Vorsteher werden sollte. Ihre Schwestern Martina und Josefa heirateten die Brüder Johann Martin und Theodor aus der Ziegler-Familie Schertier im Röhle. Hansmarteies und Thedoros haben sehr viele Nachkommen. Die vierte Schwester Anna Maria begründete im Nachbarhaus an der Hub mit Joh. Georg Böhler die Sippe Sternowirts Hans-Irgos. Vorsteher Halders Witwe verkaufte 1882 ihr Haus und zog zur Tochter Martina an die Ach. Versteigerungen Wohl nirgends wird die Not der armen Leute von Wolfurt besser sichtbar als in den Versteigerungsprotokollen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Aus der großen Zahl wähle ich einige aus. 1856 Pfändung und Schätzung. In der Exekutionssache des J... S... durch H. Dr. Vogl gegen Johan Georg Schneider zu Wolfurt wegen einer Forderung von 45fl 18 x wurde .... die Exekution vorgenommen: zyvei einschläfige Betten samt Zugehör Werl 10 fl ein dope her weicher Kasten 6 fl ein Rosenkranz mit Silber gefaßt I fl 48 x ein hartes Soffa 4fl 36 x eine Sackuhr 1 fl 48 x ein weicher Kuchenkasten 1 fl 12 x Zirka 6 Zentner Fettheu 6 fl Bild 12: Schätzungsprotokoll 1856 eine Sense, 2 Hauen u. eine Schaufl ein dopelter weicher Kasten ein einschläfiges Bett samt Zugehör ein grüntüchener Männer-Rock ein goldener Fingerring ein Halsnuster von Korallen ein schwarzes Frauenzimerkleid von Orlean 1 fl 48 x 1 fl 36 x 4 fl 36 x 5 fl 1 fl 48 x 2fl.30 x 4fl 54 x Da wurden neben Bett und Kasten auch der Rosenkranz und der Ehering beschlagnahmt. Was ist den Eheleuten Schneider, die damals im Kirchdorf-Loch ein Quartier bewohnten, denn da noch geblieben außer ihren zwei hungrigen Kindern? 26 27 1863 Es wird von der Magdalena Schürpf bekennt als Gotta den zwey Kinder M. Agatha und Karolina Rünzler im Holz, weil ihnen die Mutter Anna M. Schürpf gestorben ist, so hat sie ihnen zwey Bethnüster mit etwas Silber u. zwey goldene Handring in bewahrung aufgehalten, bis die Kinder selber fähig seind zu besorgen, welches bekennt mit eigenhändiger Unterschrift Magdalena Schirpf Johann Schirpf Vormund Jos. Halder Vorsteher als Zeuge Also auch Rosenkränze und Fingerringe verlangten nach des Vorstehers Unterschrift! 1865 Der Gemeinde-Vorstehung in Wolfurt Bei den nachgenannten Partheien wurde wegen rückständigen Gemeindesteuern die Pfändung u. Schätzung vorgenommen u. zwar: 1. Bei Mathias Klocker in Rickenbach, wegen 9fl 62 x ein kupferner Hafen pr 6fl u. eine Stubenuhr per 4fl. 2. Bei Joh. Georg Stadelmann in Rickenbach, wegen -fl 95x eine Wanduhr pr 2 fl (Nachtrag: zalt 80x) 3. Bei Johann Georg Gasser in Spetenlehen wegen 2fl38x ein kupferner Kochhafen pr 2/7. 4. Bei Johann Winder an der Hub in Wolfurt wegen 3 fl 51 1/2 x u. 10 x Kosten ein Kanape per 2fl u. ein Kommodkasten pr 3 fl. Die Gemeindevorstehung wird hiemit beauftragt, die öffentliche Feilbiethung der in Exekution gezogenen Gegenstände über vorläufige Bekanntmachung am Samstag den 24ten d. Mts Früh 9 Uhr gegen Barzahlung vorschriftsmäßig vorzunehmen, aus dem Erlöse den Steuerkassier für obige Beträge zu befriedigen u. sich über die Vollziehung dieses Auftrages bis 26. d. Ms. unfehlbar anher auszuweisen. K. K Bezirksamt Bregenz am 10. Juni 1865 Unterschrift (unleserlich) Ohne Pardon wurden demnach wegen 95 Kreuzern Steuerschuld die Wanduhr oder wegen 2 Gulden sogar die lebensnotwendige Muspfanne gepfändet! 11. Johann Maier 1867-1872 Geb. 1.8.1833, gest. 20.4.1872 Jetzt waren die Liberalen endlich am Ziel! Schon seit 1864 saßen mit Johann Maier und Josef Anton Dür zwei von ihnen als Gemeinderäte neben dem konservativen Vorsteher Josef Halder an der Spitze des Gemeinde-Ausschusses. Nun aber wurden unter Anwesenheit des Bezirksvorstehers in einer Kampfabstimmung am 16.9.1867 Johann Maier zum Vorsteher und sein Mitstreiter J. A. Dür zum 2. Gemeinderat gewählt. Sein unterlegener Kontrahent Franz Josef Gmeiner wurde 1. und Kronenwirt Michael Sohm, ein maßgeblicher Anführer der konservativen Gruppe, nur 3. Ge- meinderat. Das deutete auf kommenden Streit hin. Johann Maiers Vater Josef stammte aus dem Oberland. Er hatte 1821 die Witwe Franziska Schertier geheiratet und damit das Haus C 120 (Kirchstraße 23) erworben. Dazu erbaute er ein paar Jahre später in der Wiese dahinter das Haus C 119 (Kirchstraße 25). Hierher heiratete 1856 sein tüchtiger Sohn Johann. Der wollte aber nach vorne an die Straße und tauschte sofort von seinem älteren Stiefbruder das vordere Haus ein. Von seiner Mutter her war Johann Maier ein direkter Nachkomme jenes legendären Ammanns Jerg Rohner, der einst die Bauern zum Aufstand gegen die Beamtenwillkür nach Bregenz geführt hatte.4 Von ihm dürfte der Urenkel einige Charaktermerkmale geerbt haben! Nach der militärischen Niederlage Bild 13: Vorsteher Johann Maier, 1833- 1872 Österreichs gegen Preußen im Jahre 1866 trieb der Kulturkampf seinem Höhepunkt zu. Die liberale Regierung in Wien entzog 1867 Ehegesetzgebung und Schulwesen dem Einfluß der katholischen Kirche. Auch der mehrheitlich von liberalen Abgeordneten besetzte Vorarlberger Landtag zeigte sich kirchenfeindlich. Das führte unter den Konservativen zu einer starken Gegenbewegung, die sich 1868 in der Gründung von katholischen Casinos und eines katholischen Lehrervereins äußerte. Bei beiden stand der junge Kennelbacher Lehrer Wendelin Rädler an vorderster Front. Auch bei der Gründung des Vorarlberger Volksblattes 1866 durch den Pfarrer von Kennelbach war er beteiligt.5 In Wolfurt gründeten die beiden am 10. Mai 1868 nach Bregenz und Feldkirch das dritte Casino in Vorarlberg. Das veränderte nun mit der Schulung und Beeinflussung der kleinen Wolfurter Bauern und Fabriksarbeiter das politische Leben in der Gemeinde nachhaltig. Von Beginn an verfügte Vorsteher Maier, daß die Protokolle der Gemeinde abschriftlich in ein Buch eingetragen werden mußten. Seit 1867 sind also alle erhalten geblieben.6 Zwar fanden die meisten Sitzungen im Schulhaus statt, dazwischen aber immer wieder einzelne im Rößle oder in der Krone. Die dortigen Wirte gehörten dem Gemeinde-Ausschuß an - übrigens beide als Vertreter der Konservativen. Zu allererst galt Vorsteher Maiers Aufmerksamkeit der Volksschule, die den Anfor- 28 29 derungen des neuen liberalen Reichsvolksschulgesetzes nicht mehr genügte. Schon im Jänner 1867 hatte sein Vorgänger Halder anhören müssen, daß ... das Schulgebäude in einem schlechten Zustande ist, das die Kinder beinahe erfrieren u. die Zimmer eine unregelmäßige Eintheilung haben wie auch die Öfen nichts taugen.... Manche wollten mit dem Anbau einer neuen Klasse hinten am alten Schulhäuschen an der oberen Straße das Auslangen finden. Da entzog der Vorsteher aber dem Pfarrer die Schulaufsicht und ließ sich 1869 selbst zum Ortsschulinspektor ernennen. Dabei ging es nicht gerade zimperlich zu. Als der Vorsteher den Kaplan Lehner als Lügner bezeichnete, verurteilte ihn das k.k. Bezirksgericht wegen Ehrenbeleidigung zu 25 Gulden Strafe. Das Oberlandesgericht hatte dagegen Verständnis für den Zorn des Vorstehers und reduzierte die Strafe auf 10 Gulden. Umgekehrt faßte der alte Sammar Jakob Fischer für seine Äußerung „Vorsteher Maier ist ein Lumpenmändle " sogar 14 Tage Arrest aus. Zielstrebig nahm Maier den Neubau der Volksschule in Angriff. Mit Vertrag vom 28. Mai 1870 kaufte er von Altvorsteher Lindenwirt J. Gg. Fischer für 350 Gulden dessen mit Obstbäumen besetzte Wiese im Strohdorf. Bereits am 15. September legte er beim k.k. Bez.-Ingenieur in Feldkirch einen ersten Bauplan vor. Eine Baugenehmigung erhielt er allerdings erst ein Jahr später im November 1871 nach vielen Umplanungen. Schier unglaublich waren die verlangten Neuerungen im Vergleich zum bisherigen alten Schulhaus: hohe Zimmer mit Platz für 240 Schüler, Ventilation im Sommer, Heizung mit ausgefütterten Blechöfen im Winter, Empfehlung einer eigenen Turnhalle neben der Schule, dazu ein Turnplatz und ein Schulgarten, eigene Lüftung in den Aborten, Urin-Rinnen für die Knaben, .... - Es ist aber dann doch nicht alles genau nach Vorschrift gebaut worden. Baumeister Spiegel und Zimmermeister Rohner aus Hard stellten das stolze Haus binnen eines Jahres für 10 000 Gulden fertig. Auch die Schulstraße von der Hub herein wurde verbreitert und mit 2 Brücken ausgestattet. Die Brühlstraße blieb dagegen noch bis 1935 ein schmaler Privatweg. In den sechs Klassen mußten statt der vorgesehenen 240 später im Rekordjahr 1904 insgesamt 360 Schüler Platz finden. Dazu kamen noch Räume für Bürgermeister und Gemeindekanzlei. Mehr als 100 Jahre lang blieb Vorsteher Maiers liberale Schule der Mittelpunkt der Gemeinde Wolfurt. Erst im Juli 1979 wurde sie abgebrochen. Daß seinem politischen Intimfeind, dem Casiner Wendelin Rädler, eine Lehrerstelle in Wolfurt verliehen wurde, konnte Maier 1870 noch verhindern. Daß aber 1874 katholische Nonnen als Schulschwestern einzogen und Rädler 1876 sogar Schulleiter wurde, das erlebte er nicht mehr. Zu den großen Anliegen der Liberalen Partei gehörten auch die Verbesserung des Postverkehrs und der Bau von Eisenbahnen. Bisher hatte ein Bote wöchentlich dreimal die Post in Bregenz abgeholt. Im Jahre 1868 wurde Wolfurt dem neu erstellten Postamt Lauterach zugeteilt. Dagegen wehrte sich die Gemeinde, weil die Briefe dadurch einen ganzen Tag länger auf dem Weg seien. Es dauerte aber noch drei Jahre, bis auch Wolfurt ein eigenes Postamt erhielt. 1870 bewarben sich fünf angesehene Bürger um die ausgeschriebene Postmeisterstelle, darunter neben Rößlewirt Fidel Bild 14: Haus Kirchstraße 23. Um 1870 Gemeindeamt und für kurze Zeit das erste Wolfurter Postamt. Müller und Löwenwirt Johann Fischer auch Vorsteher Maier selbst. Mit einem feierlichen Dekret aus Innsbruck erhielt dieser am 25. 4. 1870 den begehrten Posten und mußte sich nun einem Kurs in Bregenz unterziehen. Am 1. Jänner 1871 wurden in Wolfurt der Postbetrieb aufgenommen. Der Vorsteher durfte sich nun K.K. Postmeister nennen und eine Stampiglie Postamt Wolfurth führen. Seit die Bayerische Staatsbahn im Jahre 1856 ihre Geleise bis auf die Insel Lindau verlegt hatte, drängte die aufstrebende Vorarlberger Industrie auf eine AnschlußEisenbahn. Eine der ersten Planungen sah eine Trasse vor, die von Schwarzach aus in die Hügel aufsteigend einen Bahnhof Wolfurt in der Nähe des Schlosses bauen wollte. Über Buch und das Rotachtal hätte sie dann bei Weiler die bayerische Bahn erreicht und sich so den schwierigen Umweg durch die Bregenzer Klause erspart.7 Carl Ganahl, der mächtige Anführer der Liberalen, plante aber seit 1865 eine Rheintalbahn über Dornbirn und Wolfurt nach Bregenz und Lindau. Dagegen erhob sich in Wolfurt eine starke Opposition der Casino-Leute. Sie lehnten die Eisenbahn vollständig ab: ....fremdes Gesindel... Gefährdung von Sitte und Moral.... Felder zerschneiden .... Vieh läuft davon .... Pferde werden scheu ....8 Ganahl mußte umplanen und wählte eine ganz neue Trasse von Dornbirn entlang der Landstraße durch das Ried über Lauterach nach Bregenz. Davon brachte ihn aber der Schwarzacher Vorsteher und Landtagsabgeordnete Gebhard Schwärzler mit größter Mühe zugunsten von Schwarzach doch noch ab. So entstand schließlich die weite Doppelkurve nach Schwarzach und dann unter Umgehung von Wolfurt nach Lauterach. Selbst gegen die Bahntrasse im Ried wandten sich die Casino-Leute im Jänner 1871 noch mit einer umfangreichen Beschwerdeschrift, die 120 Unterschriften trug, darunter die von Pfarrer Waibel, Gemeinderat J. A. Schertler und Alt-Vorsteher Halder. Am 1. Juli 1872 wurde die Vorarlbergbahn aber dann doch eröffnet. Noch im gleichen Jahr erhielt sie die Anschlüsse nach Lindau und nach St. Margarethen. Schnell veränderten 30 31 sich dadurch die Gewerbestrukturen in den Orten an der Bahn. Konservatives Denken hatte für Wolfurt eine große Chance vertan. Das sollte sich bald bitter rächen! Eine weitere wichtige Aufgabe für Vorsteher Maier war die Fertigstellung eines zweiten Ach-Dammes bis nach Lauterach. Negrelli hatte damit schon 1830 begonnen." Als gewählter Wuhrmeister ließ Maier in den Gemcindewaldungen Tannen fällen und mit Hunderten von Fuhren die Steine aus dem Achbett holen. Unter Zuhilfenahme von Frondiensten gewann die Gemeinde dadurch die wertvollen Gründe zwischen Achstraße und Dammstraße, auf denen um 1920 die Wolfurter Kolonie Im Wida und nach 1960 große Fabriken erbaut werden konnten. Die Zeit der schlimmsten Arbeitslosigkeit und der Auswanderung nach Amerika war jetzt vorbei. Der Eisenbahnbau führte sogar zu Mangel an Arbeitskräften und zum Zuzug vieler Arbeiter aus dem Trentino nach Wolfurt.10 Die 108 Wolfurter, die jeden Tag über den hölzernen Steg in die Schindlerfabrik kamen, mußten ab 1869 täglich nur mehr 12 Stunden lang arbeiten, das allerdings auch am Samstag. Im gleichen Jahr 1869 brachte Gebhard Fischer, Seppos auf der Steig, die erste Handstickmaschine aus der Schweiz und leitete damit eine Revolution der Wolfurter Arbeitswelt ein. Parallel dazu erfolgte eine Umstrukturierung der Landwirtschaft vom bisherigen Getreidebau zur Milchwirtschaft. 1871 wurde im Kirchdorf die erste Sennerei eröffnet. Das war allerdings kein Verdienst des Vorstehers, sondern eines seines Gegners Wendelin Rädler, der uns in den folgenden Kapiteln noch oft begegnen wird. Der Streit zwischen Liberalen und Casinern tobte nämlich seinem Höhepunkt zu und entzweite das ganze Land. Das zeigte sich ganz besonders bei den Wahlen von 1870. Bei der Landtagswahl erreichten die Casinos zusammen mit ihrem Volksblatt einen ungeheuren Erdrutschsieg. Die Liberalen verloren 10 von ihren bisher 14 Abgeordneten, die Konservativen gewannen zu ihren 5 diese 10 dazu und dominierten nun mit einer Dreiviertel-Mchrheit den neuen Landtag. Seither ist dieser nun schon weit über hundert Jahre lang schwarz geblieben. Ähnlich Ergebnisse erbrachten auch die Gemeindewahlen fast überall im Land. Nicht so in Wolfurt! Hier behielten die Liberalen in einem erbittert geführten Wahlstreit knapp die Mehrheit. Darüber berichtet der nachfolgende Artikel. Als die Casinos in ganz Vorarlberg anläßlich des Papstjubiläums vom 15. Juni 1871 ihre Macht mit Musik, Feuerwerk, Böllerschießen und Bergfeuern demonstrierten, feierten aber auch in Wolfurt 500 Leute unter Lampions auf dem Schloßbühel bis tief in die Nacht hinein. .... Dießes Freudenfest brachte die ungläubigen und Liberalen aber in eine große Hitze hinein .... der Vorsteher Johann Meier war einer der grimmigsten Liberalen weit und breit, der in der Gemeinde große Streitigkeiten anstiftete mit dieser Parteilichkeit, das namentlich unserem Herrn Hochwürden dem Herrn Pfarrer Jos. Weibel und Kaplan Lehner sehr schmerzte, diese Unbilden möge Gott den Liberalen verzeihen denn sie werden bald einsehen das sie auf dem Holzweg wandelten .... So berichtet der Chronist (und Casiner) Ferdinand Schneider." Bild 15: Eisenbahnplanung 1867 durch den Ippachwald nach Deutschland. 32 33 Die Vorwürfe und Auseinandersetzungen kosteten den Vorsteher viel Kraft. Am 20. April 1872 verstarb er ganz plötzlich an einer Lungenentzündung, noch nicht ganz 39 Jahre alt. Wenige Monate später mußte sein Haus an der Kirchstraße versteigert werden. Seine Witwe heiratete nach Bildstein. Von Maiers neun Kindern aus zwei Ehen waren sechs bereits verstorben. Die anderen drei verließen Wolfurt nach Bildstein, Lauterach und Vaduz. Damit war die Familie des jungen Vorstehers, der in nur fünf Jahren so viel bewegt hatte, in Wolfurt bereits wieder erloschen. Gemeinde wahlen 1870 Der Weg zu echter Gemeinde-Demokratie erwies sich schon im 19. Jahrhundert als außerordentlich schwierig. Auch nach Metternich und der Beschneidung der Vorrechte des Adels im Revolutionsjahr 1848 war man von einer Gleichberechtigung der Bürger noch weit entfernt. Das zeigte sich besonders bei Gemeindewahlen.12 Eine Fülle von kaiserlichen Erlässen und Beamten-Verordnungen zur Wahl wurden in den einzelnen Gemeinden ganz unterschiedlich gehandhabt. Ein provisorisches Gemeindegesetz von 1849 und ein Wahlgesetz von 1864 versuchten, Ordnung zu schaffen. Einige wesentliche Unterschiede zur heutigen Gesetzgebung möchte ich hier festhalten. Wählen durften nur die Männer. Die Wählerliste von 1848 umfaßte in Wolfurt 273 Männer, manchmal Vater und Sohn, einige Maie mehrere Brüder mit gemeinsamem Besitz. Frauen, die als Witwen oder Erbinnen eigenen Besitz vorwiesen, konnten durch eine Vollmacht einen Mann für sich wählen lassen. Wer mehr Besitz hatte, der hatte auch mehr Einfluß. Um den Reichen größere Macht zu geben, teilte man die Wähler nach ihren bezahlten Steuern in drei Wahlkörper ein. Arme Leute, die keine Steuern zahlten, und solche, die mit der Zahlung im Rückstand lagen, durften überhaupt nicht wählen. Jeder von den drei Wahlkörpern mußte für den Gemeinde-Ausschuß sechs Ausschusse und dazu drei Ersatzmänner wählen. Die kleine Gruppe der Reichen besaß also ebenso viele Vertreter wie die um ein Vielfaches größere Gruppe der armen Kleinbauern des III. Wahlkörpers. Zu diesen zählten als Wahlberechtigte auch viele Leute aus Nachbardörfern und aus Bregenz, die in Wolfurt eine Wiese oder einen Acker besaßen und dafür ein paar Gulden Steuern bezahlten. Weil Auswärtige sich aber oft durch eine Vollmacht vertreten ließen, bestand die Gefahr einer Manipulation, wenn ein mit mehreren Vollmachten ausgestatteter Wähler seinen Willen auch mehrfach zum Ausdruck bringen konnte. Bis 1864 gab es zudem noch die offene Wahl. Vor dem Wahlleiter und den anwesenden Mitwählern diktierte jeder Wähler dem Gemeindeschreiber die Namen jener neun Männer, 6 für den Ausschuß und 3 als Ersatz, durch welche er sich am besten vertreten fühlte. Da getrauten sich natürlich viele Leute nicht, offen zu ihrer Meinung zu stehen. Entsprechend niedrig war die Wahlbeteiligung daher im III. Wahlkörper. So 34 Bild 16: Wählerliste 1870 für die Reichen 35 traten etwa bei der Wahl 1861 von 254 Wahlberechtigten nur 66 zur Wahl an, also nur 25% (!). Von den 133 Angehörigen des III. Wahlkörpers hatten nur 16 den Mut gefunden, zur offenen Wahl in das Schulhaus zu kommen. Das änderte sich schlagartig, als das Wahlgesetz von 1864 die geheime Wahl mit Stimmzetteln einführte, auf welchen jeder seine neun Namen schon zu Wahl mitbrachte. Außerdem traten jetzt Parteien auf, die mit ihren Lesevereinen den Zeitungen großen Einfluß verliehen. Sie versuchten, alle ihre Gesinnungsgenossen zur Wahl zu bringen oder wenigstens deren Vollmacht zu bekommen. Schon die Wahl von 1867 war wegen der viel höheren Wahlbeteiligung ungeheuer spannend. Die 18 von den drei Wahlkörpern gewählten Ausschüsse benötigten denn auch zwei Durchgänge, bis sie mit Johann Maier erstmals einen Liberalen zum Vorsteher gemacht hatten. Geradezu dramatisch sollte es aber dann 1870 werden, weil sich das katholische Casino nach den gewonnenen Landtagswahlen auch in der Gemeindestube absolut siegessicher fühlte. Fünf angesehene Ausschußmitglieder, angeführt von Vorsteher Maier und Altvorsteher Halder, bildeten das Wahlkomitee. Zuerst legte ihnen der Kassier die alphabetisch gereihte Liste der 511 Steuerzahler vor, die im Vorjahr zusammen 4567 Gulden an Steuern abgeführt hatten, im Durchschnitt etwa 9 Gulden. Ein Drittel der Steuersumme betrug also 1522 Gulden. Jetzt suchte das Komitee die größten Steuerzahler heraus. Ganz an die Spitze stellte man aber den Pfarrer. Die Auflistung begann mit 1. Hochw. Herr Pfarrer 14 fl Steuerbetrag 2. Martin Haltmeier, Gerber 138 fl 3. Walter Zuppinger, Fabrikant 107 fl 4. Jos. Ant. Dür, Mechaniker 82 tl 5. Jos. Ant. Fischer, Adlerwirt 73 fl 6. J. Gg. Kalb, Schwanenwirt 66 fl 7. Fidel Müller Rößlewirt 66 tl und endete mit 32. Ferd. Dür, Holzhändler 26 fl. Diese 32 Besitzer, unter ihnen auch der Bregenzer Kaufmann Jakob Hutter, der damals für das Schloß Wolfurt 27 Gulden Steuer bezahlte, brachten mit 1524 Gulden das erste Steuerdrittel zusammen. Sie durften im I. Wahlkörper 6 Ausschußmänner stellen, für je 5 Wähler einen Vertreter! An den Beginn der zweiten Liste schrieb das Komitee mit Kaplan Lehncr. Gemeindearzt Dr. Moritz und Oberlehrer Stülz drei Würdenträger, die bei früheren Wahlen wie der Pfarrer im I. Wahlkörper gestanden waren. Augenscheinlich wollte man ihren Einfluß vermindern. Ihnen folgten 81 Wahlberechtigte mit einer Steuerleistung von 25 bis herunter zu 13 Gulden. So bildeten 84 Besitzer den II. Wahlkörper. Das ergab für je 14 einen Vertreter. Die dritte Liste umfaßte im III. Wahlkörper schließlich die große Zahl von 395 kleinen Steuerzahlern vom Kleinbauern mit 13 Gulden herab bis zum Schuster mit 2 1/2 Gulden. Sie alle zusammen brachten mit 1530 Gulden das dritte Steuerdrittel auf und durften auch nur 6 Männer für den Ausschuß stellen. Hier traf es also für jeweils 66 Wähler nur einen Vertreter. Die vielen Grundbesitzer aus Bildstein, Schwarzach und Lauterach waren aber wohl an den Wolfurter Wahlen nur wenig interessiert. Am 7. August 1870 waren die drei Wählerlisten zur Einsicht aufgelegt worden. Ab jetzt konnten sich interessierte Parteigänger des Katholischen Casinos oder des vom protestantischen Rickenbacher Großmüller und Spulenfabrikanten Johann Walter Zuppinger geleiteten Liberalen Lesevereins Vollmachten besorgen. Die Wahl selbst mußte wegen des zu erwartenden Zulaufs auf zwei Tage, 5. und 6. September 1870, festgesetzt werden. Zuerst waren die 395 Berechtigten des III. Wahlkörpers alle auf 8 Uhr morgens zum Schulhaus bestellt worden. In Gegenwart des k.k. Bezirkskommissärs Dr. Lantschner belehrte Vorsteher Maier als Wahlleiter die vielen Leute, wie sie ihre Stimme... nach freier innerer Überzeugung ... mit ihrem Gewißen vereinbar ... verwenden sollten. Dann wurden die Wähler nach der Reihe aufgerufen, ihre Zettel abzugeben. Überraschend kandidierte der Vorsteher, der selbst dem II. Wahlkörper angehörte, schon hier bei den kleinen Leuten. Natürlich hatte er eifrig geworben. Seine Frau hatte sogar in Lauterach Vollmachten für ihn erbeten. Ohne Mittagspause dauerte die Stimmabgabe bis 8 Uhr abends. Dann wurden die 228 abgegebenen Stimmzettel ausgezählt. 124 mal fand sich der Name des Vorstehers. Damit war er schon hier mit fünf anderen in den Ausschuß gewählt und konnte auf eine Kandidatur im II. Wahlkörper zugunsten eines Gesinnungsfreundes verzichten. Ab 9 Uhr morgens des folgenden Tages waren die 84 Angehörigen des II. Wahlkörpers zur Stimmabgabe aufgerufen. 78 Zettel wurden abgegeben. Eine ganze Reihe von Witwen hatte sich durch befreundete Männer vertreten lassen. Die Auszählung dauerte bis über Mittag. So verzögerte sich der auf 3 Uhr angesetzte Wahlbeginn für den I. Wahlkörper. Murrend entfernten sich zehn Casino-Leute mit ihrem Wortführer Kronenwirt Sohm und zogen in dessen Gasthaus. Nur 14 Wähler gaben daher rechtzeitig ihre Stimmen ab. Zu ihnen stießen in einem zweiten Durchgang noch der Pfarrer und ein paar Verspätete. Damit sollten sechs Ausschußmänner gewählt sein? Selbst dem liberalen Wahlleiter war es nicht wohl! Er ließ die Casiner aus der Krone holen. Aber nur sechs kamen. So befanden sich schließlich 25 Zettel in der Wahlurne, als der Wahlleiter die Wahl abschloß. Nun kamen endlich die letzten vier aus der Krone, darunter der Wirt selbst und der Rößlewirt. Über Vermittlung des allgemein geachteten Mechanikers Dür wollte der Wahlleiter nach langem Hin und Her die Urne noch einmal öffnen. Unter Drohungen entfernten sich aber die Spätlinge. Das erwies sich als entscheidender Fehler. Weil ihre Stimmen fehlten, erhielten die Liberalen bei der anschließenden Stimmzählung natürlich das Übergewicht. Auf deren Spitzenmann Zuppinger entfielen 16 Stimmen, gleich viel wie auf den von beiden Seiten geschätzten Ziegelfabrikanten Jos. Anton Schertler. Kronenwirt Sohm, bisher Gemeinderat, erwischte 37 36 als neunter gerade noch den letzten Ersatzmannplatz und Rößlewirt Müller kam überhaupt nicht mehr in den Ausschuß. Die Liberalen hatten gesiegt: Das wollten die unterlegenen Konservativen, von ihren Gegnern verächtlich als Ultramontane (etwa im Sinne von hindor-om Mo) bezeichnet, nicht akzeptieren. Mit Schreiben vom 13. Sept. 1870 legten Kronenwirt Sohm und Rößlewirt Müller bei der k.k. Statthalterei Protest ein. Sie hielten dem Wahlleiter Vorsteher Maier acht Wahlvergehen vor, darunter Parteilichkeit, Zulassung von Unberechtigten, Erschwindeln von Vollmachten, einige Wähler hätten zweimal gewählt, andere wurden um ihr Wahlrecht gebracht, der Vorsitzende hat sogar einem Wähler dessen Stimmzettel zerrissen! Also Antrag auf Neuwahl. 32 Unterschriften unterstützten den Protest. Der beschuldigte Vorsteher Maier wurde von der k.k. Bezirkshauptmannschaft zur Stellungnahme aufgefordert. In seiner Rechtfertigung erklärte er in einer Vorbemerkung, ... daß sich auch in Wolfurth wie anderwerts zwei polit. Partheien gegenüber stehen, die des ultramontanen Lesekasinos, und die Parthei, welche getreu zur Verfaßung und Regierung hält.... Letztere Parthei errang bei der Gemeindewahl die Oberhand, und daher ist der vorliegende Protest nichts Anderes als der Schmerzensschrei der Casinoparthei über die erlittene Niederlage. ... Dann widerlegte er die Vorwürfe Punkt für Punkt. Darauf wies denn auch der Bezirkshauptmann den Protest zurück. Als k.k. Statthalter regierte ja immer noch der liberale Landeshauptmann Sebastian Ritter von Froschauer. Jetzt konnte endlich mit dreimonatiger Verspätung am 3. Dez. 1870 die Vorsteherwahl durchgeführt werden. Unter Vorsitz des ältesten Mitgliedes, des 67jährigen Gerbers Martin Haltmeyer, versammelten sich die 18 Gemeinde Ausschüße im Schulhaus. Vorgespräche hatten sich um Frieden bemüht. Nur so ist es zu verstehen, daß der umstrittene bisherige Vorsteher sogleich 15 der abgegebenen 18 Stimmen erhielt. Umgekehrt bekam dafür bei der Wahl der Gemeinderäte der gemäßigte Casinomann Jos. Anton Schertler 14 Stimmen und wurde damit Stellvertreter des Vorstehers. Mehr als ein Jahr lang arbeiteten die beiden nun beim Bau der neuen großen Volksschule im Strohdorf eng zusammen. Dann starb der Vorsteher plötzlich. Neuer Parteienstreit konnte beginnen. 12. Josef Anton Schertler 1872-1873 Geb. 3.8.1829, gest. 13.1.1916 Vorerst gab es keinen Streit. Unter dem Eindruck von Vorsteher Maiers plötzlichem Tod und in Anbetracht des mitten im Bau stehenden Schulhauses wählten die Gemeindevertreter in einer schon auf den 30. April 1872 anberaumten Sitzung den bisherigen ersten Gemeinderat Schertler fast einstimmig zum neuen Vorsteher. Zum Gemeinderat wurde dafür der liberale Fabrikant Zuppinger gewählt. Mit großem persönlichem Einsatz stellte Vorsteher Schertler nun das Schulhaus fertig und sorgte auch für eine gediegene Einrichtung. Eine Sammlung unter musikliebenden Bürgern erbrachte die 80 Gulden zur Anschaffung einer Fis-Harmonik. 38 Bild 17: Altvorsteher Schertlers Haus im Flotzbach Dieses allererste Harmonium bereicherte dann viele Jahre lang bis in unsere Schulzeit den Gesangsunterricht. Im Jahre 1874 bedankte sich die Gemeindevertretung offiziell bei Schertler für sein uneigennütziges Wirken beim nun abgeschlossenen Schulbau. Da hatten ihn die Liberalen aber bereits vom Vorsteheramt abgewählt. Als Gemeinderat trug er noch bis 1879 Verantwortung, bis sein jüngerer Bruder Joh. Martin Schertler jun. Vorsteher wurde. Beide waren als Söhne des (7.) Vorstehers Joh. Martin Schertler sen. im Haus C 136 (Kirchstraße 11) zur Welt gekommen.13 Für den älteren Josef Anton hatte der Vater 1851 das stolze Steinhaus C 261 gebaut (Schulstraße 1, die 1965 abgebrochene Post). Von hier aus leitete dieser nun die Schertler-Ziegeleien, an denen aber auch seine Vettern im Röhle große Anteile besaßen. Hier wuchsen auch seine tüchtigen Söhne Jakob und Lorenz heran. Mit großer Umsicht sicherte er für seine Familie einen riesigen Grundbesitz im unteren Flotzbach. Dort hatten Holzerbach und Eulentobelbach seit Jahrtausenden roten und vereinzelt auch blauen Lehm aufgeschüttet. Seit die Eisenbahn von Lindau her Kohle lieferte, war man in den Ziegeleien nicht mehr auf das teure auf der Ach aus dem Wald geflößte Brennholz angewiesen. Um das Jahr 1870 verlegte Josef Anton Schertler daher seinen Betrieb von der Ach in eine neue Ziegelhütte bei den Lehmlöchern im Flotzbach. 1874 erbaute er dort auch mit dem großen Haus C 269 (Flotzbachstr. 16, Helmuts) eine neue Zentrale für sein wachsendes Unternehmen. Dazu kaufte er 1876 noch das Nachbarhaus C 178 (Flotzbachstr. 18, Elmars). Zusammen mit seinen Söhnen Jakob und Lorenz modernisierte er den Betrieb. Durch Konrad Doppelmayr, der damals erst eine kleine Schlosserei in Hard besaß, ließ er schon 1885 eine Dampfpresse einbauen, die seiner Firma Wettbewerbsvorteile sicherte. Auch für Doppelmayr war es die allererste Dampfpresse, der bald viele für den Export folgten. Im Jahre 1916 ist Jos. Ant. Schertler gestorben. Die Wirtschaftskrise der 30er-Jahre 39