18640000_ltb00111864_Bericht_Kollektivantrag_Ehekonsens

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Letzte Änderung 03.07.2021, 06:20
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltp01,ltb0,ltb1864,lt1864,ltm_
Dokumentdatum 2021-06-28
Erscheinungsdatum 2021-06-28
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Inhalt des Dokuments

des über den Collectiv-Antrag des ehemaligen Eheconsens-Comite bestellten Ausschusses. In der VII. Sitzung des hohen Landtages vom 17. d. M. mit der Berichterstattung über den voin ehemaligen Eheconsens-Comite eingebrachten Collectivantrage: „I. Es sei dringendes Petit des Landes, daß die politische Ehebewilligung beibehalten werde; „II. die hohe Regierung sei zu ersuchen, daß statt der bisherigen unzulänglichen Normen hier„über mit möglichster Berücksichtigung der im ersten Comite-Berichte aufgeführten besondern Ver„hältnisse des Landes ein neues Gesetz erlassen werde, worin insbesondere auch dem unbescholte­ nen Leumunde und der Erwerbsfähigkeit des Eheconsenswerbers gebührende Rechnung getragen „werde;" beauftragt, übergibt das zu diesem Behufe in der genannten Sitzung erwählte Comite dem hohen Land­ tage nachstehendes Gutachten. Vom Standpuncte der Theorie kann man — dieß unterliegt wohl keinem Zweifel — die Frage des Eheconsenses, d. h. die Frage, ob die Eingehung einer Ehe von Seite gewisser Klassen der bürger­ lichen Gesellschaft an die Einwilligung eines Organes der öffentlichen Verwaltung zu binden sei, — sehr verschiedenen, ja sich geradezu widersprechenden Lösungen unterziehen; die Handbücher der politischen Wissenschaften geben hiefür den sprechendsten Beweis ab, daß diese Frage eigentlich endgültig noch nicht gelöst ist. Im vorliegenden Falle jedoch handelt es sich laut der Zuschrift des k. k. Staatsministerums vom 20. October v. I., Z. 7568 nur um die Beantwortung der Frage, welche Hindernisse der Aus­ hebung des bisherigen Eheconsenses in Vorarlberg entgegenstehen, und von diesem Standpunkte der Praxis aus stellt sich die Nothwendigkeit, den politischen Ehekonsens beizubehalten, ebenso nnd säst aus den gleichen Gründen heraus, aus denen die benachbarte Schweiz, obgleich sonst auf der breitesten Ba­ sis republikanischer Institutionen beruhend, in ihren meisten Kantonen eine ähnliche Einrichtung noch bis jetzt bewahrt hat. Die Hindernisse, welche der Aushebung des Eheconsenses in Vorarlberg im Wege stehen, laffen sich in folgende Hauptpunkte zusammenfassen: 1. Die geschichtliche Natur uud der Ursprung des Eheconsenses in diesem Lande. Als der Magistrat der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien seine Petition um Aufhebung des Ehe­ consenses im Abgeordnetenhause des Reichsrathes einbrachte, und als jenes hohe Haus mit eminenter Majorität dieser Aufhebung zustimmte, mochte insbesondere oder wohl ausschließlich die, in den s. g. in­ nerösterreichischen Ländern erklärliche Wahrnehmung maßgebend gewesen und in's Gewicht gefallen sein, daß der Eheconsens nichts als ein, später auf die Gemeinden übergegangener Rest der feudalen Zeit, ein aus dem ehemaligen Herrschaftsrechte und dem Unterthans-Verhältnisse entsprungenes, die freie Be­ wegung der Persönlichkeit an das Belieben wder die fiscalischen Bedürfnisse des Gutsherrn knüpfendes, den Principien der Neugestaltung des Staates aber geradezu widersprechendes Recht darstelle. Allein diese rechtshistorische Anschauung paßt nicht im Geringsten auf Vorarlberg. Seit nahezu an vier Jahr­ hunderte schon hat jedes Unterthänigkeits-Verhältniß in den ehemaligen vier vorarlbergischen Herrschaften gänzlich aufgehört, und die geschichtlichen Studien zeigen uns, daß schon seit der Erwerbung dieser Landschaf­ ten durch das Haus Habsburg, im auffallenden Gegensatze zu den übrigen österreichischen Ländern, aus den uralten freien Allemannenrechten eine fast auf demokratischen Grundlagen basirte Einrichtung der Gemeindeunabhängigkeit, des freien Hofbauern, der nur aus Bürger uni) Bauern bestehenden Landesver­ tretung heraufgewachsen war- In einer solchen, dem feudalen Zwange von jeher abholden Bevölkerung 2 konnte der Eheconsens als feudales Institut niemals Wurzeln schlagen; wenn er nichtsdestoweniger nach dem Gub.-Circularevom 12. Mai 1820 gehandhabt wird, so entsproß derselbe vielmehr rein und ausschließlich nur einem practischen Bedürfnisse der Neuzeit. Schon aus diesem Grunde also kann der Beschluß des Abgeordnetenhauses auf die in Vorarlberg bestehende Art des Eheconsenses strenge genommen eine Anwendung infoferne nicht finden, als diese Art unter dem ehemaligen feudalen Ehebewilliguugsrechte nicht subsumirt werden kann. Das eben genannte practische Bedürfniß der Neuzeit ergibt sich aber in diesem Lande als 2. Hauptgrund für die Beibehaltung des Eheconsenses in Folge der Uebervölkerung Vorarlbergs. Auf den 46 Q.-M. des Ländchens wohnen 106, 000 Seelen, was allerdings nur eine relative Be­ völkerung von 2300 Seelen ergibt, somit ein Verhältniß, das in der Statistik zu den normalen Durch­ schnitten gezählt wird. Wenn man jedoch bedenkt, daß nahezu die Hälfte des Landes aus unfruchtbaren Hochgebirgsmassen besteht, so erhöht sich das relative Populationsverhältniß auf das Doppelte, d. h. in Vorarlberg kommen 4600 Seelen auf die Q.-M. bewohnbaren Landes, — ein Verhältniß, das nur von den fruchtbarsten und höchst cultivirten Ländern Europa's, von der Lombardei und Belgien, übertrof­ fen wird. Würde die bewohnbare Bodenfläche des Landes fruchtbar und ergiebig sein, so würde auch unter obigem Verhältnisse von einem Mißstande nicht gesprochen werden können; allein es ist sattsam bekannt, daß der Boden Vorarlbergs mit äußerst geringen Ausnahmen an den Abhängen karg, in der Thalfläche aber theils Sumpfland, theils Schoddergrund ist, er daher in seiner Erzeugungsfähigkeit über ein gewis­ ses Maß hinaus nicht angespannt werden kann. Das Land ist daher zur Ernährung seiner Einwohner nicht hinreichend — fast Drei Fünftheile des Brodbedarfes müssen aus dem Auslande mit Agioverlust eingesührt werden, und die nothwendigsten Lebensbedürfnisse weisen daher Preise nach, welche sonst nur in den bevölkertsten Hauptstädten im Schwange sind. Mit rühmlicher, für den Einzelnen, wie für das Ganze äußerst ehrenvoller Anstrengung hat bisher das vorarlbergische Volk sich bestrebt das Mißverhältniß zwischen dem Fruchtboden und dem Nahrungs­ bedürfnisse seiner Heimat durch den Werth seines Fleißes, seiner Arbeit auszugleichen, und sein täg­ liches Brod mit dem Gegenwerthe seiner Handarbeit zu bezahlen. Tausende suchen als Bauleute, Hir­ ten und Erntearbeiter im fernen Auslande ihren Verdienst; — Tausende gehen im Lande ihrem Lohne als Handweber und Sticker, oder in den, in übervölkerten Ländern stets willkommenen Fabriken nach. Allein auch diese jährlichen temporären Auswanderungen, diese Beschäftigung in der heimischen In­ dustrie gibt noch keine solche materiellen Anhaltspunkte, daß auf denselben unbedingt und in erster Linie ein Hausstand gegründet werden könnte; denn der hierauserwachsende Verdienst ist 3. nur eine prekäre und unsichere Rente. In ersterer Hinsicht bleibt der auf das Ausland angewiesene Maurer und Taglöhner stets von den Geld- und Arbeitsverhältnissen dieses Auslandes, seiner Productivität, und seiner Baulust abhängig; in der zweite!: Beziehung äußern, die für die Industrie verhängnißvollen Handelsconjuncturen, Arbeits­ stockungen, Schwankungen der Handelspolitik häufig ihren nachtheiligen Einfluß auf den Nahrungsstand auch des fleißigsten Handarbeiters. Eine unabweisbare Folge dieser eben dargestellten besondern Verhältnisse war stets und wird stets bleiben , 4. die Ueberbürdung der Gemeinden mit der Last der Armenversorgung. Es genüge, um dieß klar zu machen, die Thatsache, daß, mit Ausnahme einer einzigen, sämmtliche Gemeinden des Landes für den Zweck der Armenversorgung keine oder nur sehr geringe Fonde besitzen, — daß daher das dringende Bedürfniß der Erhaltung des Lebens vieler Gemeindegeuossen nur durch Gemeinde-Umlagen gedeckt werden kann und muß. Bei der nach allen Seiten ohnehin schon aufs Aeußerste angespannten Steuerkraft verschlingt von den häufig enormen Gemeindesteuern die Armenver­ sorgung die Hälfte, oft sogar Dreiviertheile, und es darf bei dem unbestrittenen Bestände dieser That­ sachen nicht Wunder nehmen, wenn alle Gemeinde-Verwaltungen des Landes in der Aufhebung der die legitime und daher unbeschränkte Vermehrung armer, nur auf Kosten der Gemeinde lebender Familien wenigstens einigermaßen hintanhaltenden Verordnungen vom 12. Mai 1820 und 3. April 1850 eine Ealamität erblicken. Leider muß aber auch Act davon genommen werden, daß das, sonst in seinem Principe der Gewerbe­ freiheit so wohlthätige Gewerbegesetz vom Jahr 1859, 3 5. bijc Umgehung dieser eben citirten heilsamen Verordnungen und ihres Principes zum Nachtheile der Gemeinden bedeutend erleichtert. Während ehedem die Erlangung eines Meisterrechtes oder eines Gewerbsbetriebes, — somit auch die Fähigkeit zur bedingnißlosen Eingehung einer Ehe an gewisse Bestimmungen geknüpft war, steht es bekanntlich jetzt Jedermann frei, gegen Anmeldung irgend ein Gewerbe zu betreiben, somit auch einfach nur durch den Act der Anmeldung sich selbst aus jener Klasse der Bevölkerung zu streichen, welche an die Einholung des Eheconsenses durch obige Normen gebunden ist. Gegenüber dieser Möglichkeit im Zusammenhalte mit den voraufgeführten Thatsachen ist daher doppelte Vorsicht geboten, und es geschieht sicher nicht aus unbegründeter Furcht, wenn man den Ausspruch erhebt, daß in Vorarlberg der Eheconsens im Principe nicht abgeschafft werden kann. Die Eröffnung des k. k. Staatsministeriums vom 20. October v. I., Z. 7568, enthält übrigens noch einen zweiten Punkt, indem sie ein ferneres Gutachten über die Vorsichtsmaßregeln fordert, welche hiebei nöthig fallen. _ Dieses Wort „hiebei" kann in zweifacher Beziehung verstanden, es kann auf die Aufhebung oder auf die Beibehaltung des Eheconsenses bezogen werden. Sollte mit dem Worte „hiebei" ein Gutachten über die Vorsichtsmaßregeln angedeutet werden, welche im Falle der Aufhebung des Eheconsenses erforderlich seien, so gibt es naturgemäß hierauf nur die Eine Antwort, daß in diesem Falle keine Vorsichtsmaßregeln zu Gunsten des bedrängten Gemeindesäckels denkbar seien. Denn sobald Jedermann auch ohne die materielle Basis eines sichern Erwerbes eine Ehe eingehen kann, wird und kann die Vermehrung der nur auf Kosten der Gemeinde erwachsenden Geburten blos in natürlichen Hindernissen eine Beschränkung erfahren. Zwar könnte dann der Staat die Gemeinde in Tragung der Armenversorgungslast ablösen; allein abgesehen davon, daß der Staat so wenig als möglich in sociale Verhältnisse hineingezogen werden darf, wäre der Unterschied dennoch nur ein formeller, denn der Zahlende bliebe am Ende doch nur stets der Steuerträger. Kann sich somit vernünftigerweise das Wort „hiebei" nur auf den Fall der Beibehaltung des Ehe­ consenses erstrecken, so können die zu begutachtenden Vorsichtsmaßregeln wieder nach zwei Richtungen aufgefaßt werden: a) als Vorsichtsmaßregeln zu Gunsten der Ehewerber gegen Willkürlichkeiten des Gemeinde­ Verwaltung ; b) als solche zu Gunsten der Gemeinden gegen Umgehung der bisherigen Normen von Seite ganz erwerbloser Leute. _ In diesen beiden Richtungen kann aber nur ein ganz präcises, von allen vagen Bestimmungen be­ freites, die höhere Entscheidung int geregelten Jnstanzenzuge wahrendes Gesetz Abhilfe schaffen, welches insbesondere die Bestümnungen der bisherigen Verordnungen vom Jahre 1820 und 1850 mit dem Ge­ werbegesetze vom Jahre 1859 derart in Einklang zu bringen versteht, daß die liberalen Anordnungen dieses letztem nicht zur Umschiffung der das materielle Wohl der Gemeinde bezweckenden ältern Normen über den Eheconsens mißbraucht werden können. Indem man noch vorausschickt, daß die Collectiv-Antragsteller, deren Motion zu prüfen eigentlich das gegenwärtige Comite bestellt wurde, sich mit der vorstehenden Begründung sowohl, als mit der fol­ genden formellen Fassung, welche in Wesenheit mit ihrem Collectiv - Anträge übereinstimmt, vollkommen einverstanden erklärten, und somit auch in dieser Richtung die erwünschte Einhelligkeit erzielt wurde, glaubt das gefertigte Comite einstimmig zur Beschlußfassung dem hohen Hause empfehlen zu sollen nachstehende Anträge: 1. „Es seie in Erwiederung der Zuschrift des k. k. Statthalterei-Präsidiums vom 27. October „v. I., Z. 2923, in Betreff des Eheconsenses das Gutachten dahin zu erstatten, daß auf Grundlage „der in der vorstehenden Auseinandersetzung aufgezählten fünf Hindernisse, an der Aufrechthal„tung des Eheconsenses für Vorarlberg im Principe festgehalten werden müsse 2. „seien bezüglich der hiebei erforderlichen Vorsichtsmaßregeln zu Gunsten der Ehewerber sowohl „als der Gemeinden solche gesetzliche Bestimmungen zu treffen, welche durch präcise Fassung „einerseits und einen geregelten Jnstanzenzug andererseits nach beiden Richtungen, insbesondere „auch mit Rücksicht auf das Gewerbegesetz, volle Gewähr bieten, und es feie daher 3. „die hohe Regierung dringend zu ersuchen, bis zur nächsten Landlags-Session in diesem Sinne „eine Regierungs-Vorlage an den Landtag zu bringen." F. M. Wohltuend m. p., Obmann. Seyffertitz m. p., Berichterstatter. Gedruckt bei A. Fl atz in Bregenz.