19930501_Heimat_Wolfurt_12

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Letzte Änderung 27.06.2021, 13:40
Gemeinde Wolfurt
Bereich oeffentlich
Schlagworte: heimatwolfurt
Dokumentdatum 1993-05-01
Erscheinungsdatum 1993-05-01
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Heft 12 Zeitschrift des Heimatkundekreises Mai 1993 Das Rädlerhaus in der Bütze wurde 1806 erbaut und 1976 zum Bau des Schwanenmarktes abgebrochen. Hier lebte der Kassengründer Wendelin Rädler. Die alte Mauer schützte einst den gräflichen Weingarten gegen Überschwemmungen. Inhalt: 49. 50. 51. 52. 53. 54. 500 Jahre Seelsorge in Wolfurt Nachbarn in der Bütze Veres Stickerei Die Kommunistin Wendelin Rädler Rogges Brot und kernes Brot Bildnachweis Die Bilder in diesem Heft sind wieder lauter von Hubert Mohr geschaffene Reproduktionen aus der Sammlung Heim. Zuschriften und Ergänzungen Aufgrund des Inhaltsverzeichnisses (Heft 11/1) sind eine Reihe von Nachbestellungen erfolgt. Weiterhin können Hefte ab Nr. 5 bezogen werden. Gesucht werden Autoren, die uns Beiträge verschiedenster Art über Wolfurt zur Verfügung stellen. Die neue Schrift auf der Titelseite soll andeuten, daß wir nicht nur in der Geschichte graben wollen. Über Initiative des Bürgermeisters haben wir sehr viele Wolfurter Hausnamen und auch ein paar Übernamen gesammelt. Eine Klasse der Hauptschule hat sich dankenswerterweise mit großem Einsatz an der Sammlung beteiligt. Sollte jemand Einwände gegen die Veröffentlichung eines Hausnamens haben, bitte ich um Benachrichtigung. (Lieber vorher, als nachher!) Über die alten Ausdrücke in «Unser tägliches Brot» (11/5) hat sich Becks Emil in Innsbruck gefreut. Sehr viele Zuschriften sind wegen «Dr. Lorenz Böhler» (11/15) eingegangen. Es bedankten sich alle drei noch lebenden Böhler-Kinder für die für sie neuen Informationen über ihre Vorfahren. Nach einer Erinnerung an Wolfurt befragt, erzählten beide Söhne unabhängig voneinander, daß sie manchmal mit ihren Eltern «Lorenzos» in Rickenbach besucht hätten. Zu später Stunde habe dann Josef Böhler dort die Pferde eingespannt und sie ins Holz gefahren. Jede Kutschenfahrt war ein freudiges Erlebnis. Frau Lehne, die Biographin Dr. Böhlers, berichtete von den Kindeskindern unseres Ehrenbürgers. Dr. Jörg Böhler in Wien hat vier Kinder und acht Enkel, Dr. Michel Böhler in Wien fünf Kinder und ein halbes Dutzend Enkel, Frau Poldi Wodenegg in Dreikirchen hat drei Kinder und auch schon vier Enkel. Unter den jungen Leuten gibt es wieder einige Ärzte. Frau Lehne grüßt uns alle mit dem Satz: Die alemannische Tüchtigkeit des BöhlerStamms macht sich auch in Wien, Linz, Korneuburg, Bozen und Graz bemerkbar. Dr. Michel Böhler hat eine Kopie seiner im Jahre 1948 von Bürgermeister Ludwig Hinteregger ausgestellten Heimatrechtsbestätigung geschickt und damit seine Bindung an die alte Heimat Wolfurt dokumentiert. Danke! Die meisten Bezieher haben Beiträge auf das Raiba-Konto 87 957 des Heimatkundekreises einbezahlt, darunter einige sogar in beachtlicher Höhe. Herzlichen Dank! Sie helfen uns damit, wenigstens einen Teil der Druck- und Portokosten abzudecken. Den anderen Teil übernimmt weiterhin die Gemeinde Wolfurt, bei der ich mich persönlich und im Namen aller herzlich bedanken möchte. Abrechnung Namens der Gemeinde hat Frau Carmen Haderer am 11.1.1993 die Gebarung des Heimatkundekreises überprüft und in Ordnung befunden. Das Geld wurde abzüglich der Portospesen laufend an die Gemeinde überwiesen. Berichtigung Aufmerksame Leser haben einige Fehler gefunden, die dem Lektor entgangen sind: In Heft 11/S.23: Gebhard Fischer führte 1869 die erste Stickmaschine ein. In Heft 9/S. 25: Der Konradsgraben wird um die «Mesmarwios» geleitet. Sie wird jetzt mit dem Pfarrwidum verwaltet, diente aber früher zur Entlohnung des Meßners. In Heft 9/S. 32 unten: Im Dezember 1899 kam es zum Streit mit Loacker. Herausgeber: Heimatkundekreis Wolfurt Für den Inhalt verantwortlich: Siegfried Heim, Funkenweg 11, 6922 Wolfurt Satz und Grafik: Erik Reinhard Fotosatz: Mayr Foto Satz, 6922 Wolfurt Druck: Adolf Lohs Ges.m.b.H., 6922 Wolfurt Aus Zwettl schrieb der Arzt Dr. Krenkel und schickte Fotos von seinen Vorfahren. Sein Böhler-Ahne Josef (11/20) habe als Schlosser in Amerika die Herstellung von Dezimalwaagen erlernt. Nach Lauterach zurückgekehrt, sei er mit der Erzeugung von solchen Brückenwaagen wohlhabend geworden. 1 Zu meiner Überraschung meldeten sich außerdem noch drei verschiedene Böhler und belegten mit ihrem Ahnenpaß, daß sie ebenfalls von Johannes Böler und Ursula Feßlerin auf der Hueb (11/17) stammen: Adolf Böhler von der Bucherstraße, Gebhard Böhler vom Gallusweg (beide sind in Bregenz aufgewachsen) und der aus Lochau gebürtige Franz Böhler in Bregenz. Sie konnten sogar den Sammüller-Stammbaum verlängern. Als Eltern von Johannes Böler wußten sie den am 5.April 1670 geborenen Martinus «Büller» und seine Frau Maria Elegassin. Inzwischen habe ich die Hub auf dem Pfänder besucht, wo die Sammüller-Böhler bis 1784 lebten. Am Weg nach Jungholz und Eichenberg ist der Hof an der Hub mit großen modernen Stallungen ein Stück unterhalb der Straße in fast 1000 Meter Meereshöhe ganz neu gebaut worden. Frei schweift hier der Blick hinüber zum Hirschberg-Kappele und über Hochgrat, Ifen und Kanis bis zur Mittagspitze über den Bregenzerwald. Mit «Urlaub auf dem Bauernhof» bietet die Familie Lang in dieser Traumlandschaft ihre Gastfreundschaft an. Auch Pferde gehören zum Hof. Das sollten sich die jungen Sammüller anschauen! Vielleicht packen einmal ein paar ihre Rucksäcke und wandern mit den Kindern über die Fluh, den Geserberg oder das Wirtatobel da hinauf zu ihrem alten Stammsitz? In Götzis freute sich Zahnarzt Dr. Walter Fehle über die Geschichte vom alten Schnitztrog (11/34). Er ist ja nicht nur oberster Chef der Vorarlberger Blasmusikkapellen, sondern als Historiker auch der Gestalter des neuen Götzner Heimatbuches. Fehles haben übrigens unter ihren Vorfahren auch den Mohrenbeck Flatz, Vater des berühmten Malers Gebhard Flatz. Aus dieser Flatz-Familie sind mir in Wolfurt als Nachkommen außerdem Liberats, . Klettls und auch Bernhards im RÖhle bekannt. Ein Flatz-Nachfahre, Kaspar Schwärzler, war um 1900 ein bedeutender Historiker in Bregenz, von dem wir auch gerne allfällige Verwandte kennen möchten. Der allergrößte Teil der Flatz-Angehörigen ist aber um 1850 nach Amerika ausgewandert. Aus Kanada kam ein Ehepaar Munro und erkundigte sich mit einem Schweizer Dolmetscher nach den Wolfurter Vorfahren. Diese hießen Schneider und Geiger und Moser und lebten bis zur Zeit Napoleons im Meschhaus, Kirchstraße 41. Der verwahrloste Zustand des 300 Jahre alten Hauses hat Mrs. Munro gar nicht gefallen, dafür aber unsere herrliche Landschaft. Am meisten freute sie sich über ein paar Kopien aus unseren Kirchenbüchern, wo sie ihre Ahnen zurück bis 1666 fand. Schon 1818 sind sie in die Schweiz und dann nach Amerika ausgewandert. Verwandte sind Geigers im Röhle. Siegfried Heim 500 Jahre Seelsorge in Wolfurt Schon im 12. Jahrhundert hatten die Staufer zur Festigung ihres Kellhofbesitzes eine Kapelle St. Nikolaus gestiftet. Zum Gottesdienst mußten die Hofsteiger und die Kellhofer aber die Achfurt durchwaten, denn sie gehörten zur Pfarre St. Gallus in Bregenz. Im Jahre 1493 - also vor genau 500 Jahren - erhielten sie endlich die Erlaubnis, für St. Nikolaus einen eigenen Kaplan anzustellen. Seiner Seelsorge waren damals die etwa 300 Bewohner von Wolfurt und in Schwarzach, Bildstein und Buch zusammen noch einmal 300 Leute, zusammen also 600 Seelen anvertraut. Heute muß sich unser Pfarrer um 6.000 Gläubige sorgen. Nach 19 Jahren Kaplanei durften die Wolfurter schon 1512 Taufstein und Friedhof errichten und sich als selbständige Pfarre von St. Gallus lösen. Seither hat sich in unserer Kirche und rundherum viel verändert. Darüber möchten wir Ihnen im Jubiläumsjahr erzählen und Ihnen bei einem Gang durch die Kirche deren Schätze zeigen. Die genauen Angaben finden Sie auf der letzten Seite dieses Heftes. So sah unsere Pfarrkirche St. Nikolaus im Jahre 1914 aus. Engelbert Köb hatte das ganze Schiff ausgemalt und mit seinem Bruder Hilar die Altäre mit den Flatz-Bildern geschaffen. Franzele Dür hatte in diesem Jahr die Grödner Krippe schnitzen lassen. 3 2 Siegfried Heim Wie die Bütze entstand Wenn Ägypten ein Geschenk des Nils genannt wird, dann ist die Bütze ein Geschenk des Töbelebachs. Alle paar Jahre hat er mit seinen braunen Hochwässern die Ebene überflutet, hat in 10.000 Jahren einen flachen Lehmhügel aufgeschüttet, auf dem vor 1000 Jahren die Alemannen ihre Kellhof-Genossenschaft errichtet haben. Wir erinnern uns noch, wie manchmal schäumendes Wasser aus dem Töbelebach beim Rößle ausgebrochen ist und einen See vom Frisör Reiner bis zu Fideles gefüllt hat. Auf Brettern und einer alten Stalltür haben wir Buben darauf «gundolot»1 und sind dreckig und naß geworden. Ein paar Tage später war das Wasser versickert, das Gras mit Schlamm zugedeckt und wieder für Jahre gedüngt. Drei Meter dick goldigbrauner Lehm liegt unten an der Bützestraße, oben im Dorf viel mehr. Aber dort durchzieht alle 70 Zentimeter eine dünne Steinschicht den Lehm. Sie stammt von den Jahrhunderthochwässern, die immer wieder ins Dorf einbrachen. Bis vor 200 Jahren war das enge Kirchdorf von lauter Weizenfeldern umgeben. Aber am fruchtbarsten Platz mußten die Kellhofer für ihren Herrn, den Grafen von Ems, einen Weingarten anlegen, ein großes Quadrat von fast zwei Hektar Fläche. Gegen die Hochwässer wurde der Weingarten mit Steinmauern geschützt. Ein so eingefriedetes Feld hieß damals eine «Bütze». Die Kellhof-Bütze reichte von der heutigen Raiffeisenbank bis zu «Heims Weogle»2 und hinauf zum Dorfweg. Eine Schutzmauer gab es allerdings nur auf der Bachseite, vom Loch angefangen, bei Rädlers herab und noch ums Eck ein Stück an der Bützestraße entlang. Das letzte Stück der Mauer wurde erst 1976 zum Bau des Schwanenmarktes abgebrochen. Wenn Georg Schleh in seiner Emser Chronik über Wolfurt schreibt« In disergegne herumb hat es einen schönen Weinwachs», so bezieht sich das wohl auf die Bütze. Aber nicht immer geriet der Wein gut. So wurde schon 1595 die Wolfurterin Anna Mart, eine Mutter von vier Kindern, als Hexe gefoltert, bis sie gestand, sie habe sich dem Teufel ergeben und den Weingarten in der Bütze mit einer Teufelssalbe verdorben (Bilgeri, «Bregenz», 226). Die Familie Mart lebte noch bis um 1800 im Loh als Nachbar des Weingartens. Die älteste Kunde vom Weinbau in der Bütze ist ein Dokument vom 15. Oktober 1408. Darin stiftete Adelheit Schnellin, Cuntzen Schnellen selig Hausfrau, mit dem Jahreszins aus ihrem Weingarten zu Wolfurt in derBitzi, den man nennt Nüsatz, vier Bett3, stoßen an die gegen Lutrach gehende Landstraße, ... einen Jahrtag. (Bregenzer Regesten 24) Im Jahre 1771 haben vier Wolfurter unter Ammann Fischer den Weingarten aus dem Besitz von Rebecca, der letzten Gräfin von Hohenems, losgekauft. Bald danach wurden die Reben ausgerissen und vier Häuser in die Bütze gebaut: Rädlers, Rists, Heims und Schwerzlers. Damals waren auch die großen Weizenäcker rund um den Weingarten schon auf die einzelnen Dörfler Bauern verteilt worden. Die Besiedlung konnte beginnen. 1 2 Nachbarn in der Bütze Die Bütze ist nicht mehr die Bütze unserer Kindheit. Auf der Straße, auf der wir Völkerball und «Spatzecklo»1 gespielt haben, drängen sich jetzt Autokolonnen durch, in jeder Stunde mehr als 600 schnelle, große und ganz große. Die Häuser, in denen wir unseren ersten Stopfar2 gegessen haben, die Stadel, in denen wir duftendes Ohmat-Heu3 gestampft haben - sie sind fast alle abgebrochen, gewichen den großen Bankgebäuden, den Lebensmittelmärkten, den Blocksiedlungen. Die Frauen und Männer, denen wir das Neujahr angewünscht haben - Schellings Bernhard, Hintereggers Gebhard, Stülzes Albertie, Orglars Adelheid, Mama und Papa - längst hat man sie zu Grabe getragen! Ihrem Andenken sind diese Zeilen gewidmet. Uns sollen sie bewußt machen, was sich in den letzten fünfzig Jahren in der Bütze gewandelt hat. 1 2 3 Spatzecklo = Siehe Heimat 6, S. 48! Stopfar = gekochter Mais Ohmat-Heu = Grummet, zweite Heuernte Willkommen daheim in der Bütze! Der Bogen wurde zur Primiz von Jakob Rist 1925 gekränzt. Die Straße ist schmal und dreckig. Links das 1956 abgebrannte Gorbach-Haus, rechts die Kellhof-Mauer. gundolot = mit der Gondel gefahren Heims Weogle = jetzt Nußgasse vier Bett = vier Reihen neu gesetzte Reben 4 5 Schloßburos 1927. Mathild und Martin Köb, Vinzenz mit der Kuh. Der Brunnen ist aus einem Holz-Düchel gebaut. Das Haus ist 1930 abgebrannt. Familie Zwickle 1920. Vater Josef und Mutter Maria. Die Töchter Anna (Braitsch), Frieda (Kalb), Fina (Böhler) und Maria (Erath). Die Söhne Johann, Seppl, Albert, Hermann, August und Rudolf. Als erster brach 1776 Xaver Gmeiner sein altes Haus auf dem Schwanenplatz beim Dorfbrunnen ab und erbaute unten an der «berggasse» - so hieß damals die Kellhofstraße - ein großes neues Haus. Es steht heute noch als Mohr Zitas, Kellhofstraße 11. Xaver Gmeiners Sohn Joseph Anton Gmeiner, geboren 1769, war ein «Fabrikant». Er vermittelte Garn an die Weber und verkaufte ihr Leinen nach St. Gallen. So kam er zu Geld und konnte 1794 das zweite Bützehaus bauen, gleich eines der größten, «Toblers», Lauteracherstraße 2. Anton Gmeiner ist übrigens der Ur-Urgroßvater von Lislo Franz gewesen. Die Sippe hieß aber damals noch «Lutzos», weil sie zu «Lutzo» Gmeiners in Rickenbach gehörte. Im Jahre 1800 baute der reiche Gerber Martin Haltmayer aus dem Dorf für seinen Sohn Johann Michael das erste Haus in den Weingarten, «Heims», Bützestraße 4. Eine französische Reiterpatrouille erschoß aber den 29 j ährigen Michael am 13. Juli 1800 in seinem Haus. So bekam sein Bruder Kaspar das Haus im «Nellhofer». (Weil der Pfarrer das Wort «Kellhof» nicht mehr verstand, schrieb er «Nellhofer», später sogar «Mehlhofer».) Fast zur gleichen Zeit wurden um 1800 Gorbachs und Stülzes Häuser gebaut und noch eines in der Ecke, wo heute Mohr Emils, Kellhofstraße 13, steht. Es ist schon 1883 abgebrannt. 1806 baute der reiche Ammann Schneider das wunderschöne Rädler-Haus an die Kellhofstraße in den Weingarten, der jetzt nur mehr wenige Reben hatte. Im gleichen Jahr übertrug auch Dismas Dür sein Holzhaus aus dem Dorf an die heutige Rittergasse. Seine Kinder wurden reiche Ziegler an der Ach und haben ihr Vaterhaus dort schon 1857 in einem Ziegelofen verfeuert. Daneben baute Bernhard Bildstein sein Haus, «Schellings», Bützestraße 15. Er wurde Vorsteher und hat 1830 den Kirchenkrieg gegen die Rickenbacher gewonnen. Die Kirche blieb im Dorf! Auch an der Lauteracherstraße standen um 1805 schon zwei Häuser. Der Schreiner Xaver Schertler hatte «Schrinars», Lauteracherstraße 6, gebaut und gleichzeitig Caspar Thaler «Thalers», Lauteracherstraße 5. Als nächste folgten Hintereggers 1814, Zwickles 1827 und unten an der Unterfeldstraße Mohr Josefs 1829. Ein ganzer Schwung folgte 1837 bis 1840: Rist Eugens, Böhlers, Königs, Forsters, Kalb Ferdes, Rist Tones und Orglers. Nur noch ein paar kamen später dazu: 1850 Gabelmachers, Lauteracherstraße 14, 1888 am anderen Ende Klocker-Strickers und 1896 Köb Ferdinandas, Unterlindenstraße 23. In unserem Jahrhundert bauten Veres Bernhard 1907 seine wunderbare Villa, zwei Jahre 7 6 bis zum Marte auch 9, bei «Schrinars» mit Luzia 7. Könnt ihr euch vorstellen, was da alles los war? Ein paar Jahre früher hatte man bei Zwickles 12 Kinder gehabt, bei Rist Gebhards daneben vom Eugen bis zum Anton 8 und im dritten Haus daneben bei Berger-Böhlers Hannes noch einmal 10. Und noch ein paar Jahre früher gab es beim Lehrer Rädler drüben 13 Kinder, bei Hintereggers sogar 15 - von einer einzigen Mutter! Noch mehr, nämlich 17, waren es draußen bei «Schloßburos», darunter Marte, der Vater von Vinzenz und Herbert. Am Beispiel von Schloßburos läßt sich auch manches Leid erahnen. Johann Baptist Köb war 1814 als Schloßburo Hannbatist im Schloß Wolfurt geboren worden. In der Bütze hatte er dreimal geheiratet. Alle drei Frauen starben ganz jung, mit 31, 32, 36 Jahren, zwei davon im Kindbett. Von den 17 Kindern starben 8 als «Engele» im ersten Lebensjahr, dazu ein Mädchen mit 5 und ein Bub mit 16 Jahren. Von den sieben, die groß wurden, blieben drei ledig. Nur vier heirateten und vermehrten Schloßburos Sippe. Man war eben nicht «aufgeklärt» damals. Wir Kinder glaubten an den «Klos»1 und an den Storch. Zwar sahen wir, daß Mamas Rock vorne immer kürzer wurde, denn sie besaß kein Umstandskleid, aber wir dachten uns nichts dabei. Alle Kinder kamen damals daheim im Gaden zur Welt. Eines Morgens mußten wir «an Zuckorbollo»2 für den Storch ins Fenster legen. Mittags erschien die «Frau Grass», die hochgeachtete Hebamme, und übernahm das Kommando. Uns schickte man ins Feld:«Gond ga muso!»3 - obwohl doch im Sonnenschein die Jagd wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Als wir heimkamen, lag ein kleines Schwesterchen im Stubenwagen. Wir freuten uns - man konnte wieder zur gewohnten Tagesordnung übergehen. Ein paar Tage später kehrte auch die Mama zur Arbeit in Stall und Feld zurück und überließ das Kleine der Kindsmagd. 1 2 3 Noch eine große Bütze-Familie: Toblars am Rank. Vater Martin Schwerzler und Mutter Maria. Sechs Söhne: Paul, Adolf, Ferde, Raimund, Otto und Marte. Drei Töchter: Ziska, Melitta und Zilla. später Guldenschuhs ihr zierliches Stickerhaus und 1910 Reiners Mathis die riesige Stickerei Bützestraße 20 mit dem großen «Miramare» - Bild im Eingang. Später richtete sich dort die Klöppelei Fischer und Co. ein. 1928 kam ein zweites Haus an die Unterfeldstraße, Giselbrechts. Und an den Bau der letzten drei Häuser, 1937 und 1938, können wir uns selbst noch erinnern: Zwickle Alberts, Lehrer Mohrs und weit drunten Metzger Reiners. Jetzt war die Bütze unserer Kindheit endlich fertig. Sie bestand aus zwei Dutzend Bauernhäusern, fast alle in Reih und Glied aufgefädelt an der Bützestraße und der Lauteracherstraße. Dazwischen bunte Gärten, grüne Wiesen und viele riesige Obstbäume. Nun mußten die Häuser noch mit Leben gefüllt werden. Fast überall kam reicher Kindersegen aus dem Gaden1 in Stube, Küche und Kammern. Wo sieben aßen, wurde auch ein achtes satt. Man nahm jedes neue Kindle mit Freuden auf, aber man trug auch manches «Engele» zum Friedhof. Bei Heims waren 9 Kinder, bei Rist Eugens daneben 5, bei Königs draußen vom Albert bis zur Gerda 12, Josefa und Bruno starben als Kleinkinder. Bei «Toblers» am Rank vom Paul 1 Klos = St. Nikolaus Zuckorbollo = Würfelzucker Gond ga muso! = Geht Mäuse fangen! Gaden = Elternschlafzimmer Mit Zwickles 1943 zur Flachsernte ins Ried. Seppl und Rosa, Albert und Gebhardie mit Pepe und Guntram. Der Knecht Waldinger, ein kriegsgefangener Serbe und viele Helfer, darunter Hintereggers Gebhard mit dem MostPutsch. 8 9 Kinderspiele Ein Jahr später schaukelte das Kind schon auf dem großen Ritta-Roß1 mit, das der alte Gabelmacher für uns gesägt und der Vater herrlich rot bemalt hatte. Wir spielten mit hölzernen Wägelein und bunten Klötzen. Die Mädchen bekamen eine Puppe, zuerst eine vom Großvater geschnitzte hölzerne «Docke»2, dann eine mit einem zerbrechlichen Zelluloidkopf und einem Sägemehlbauch. Mit dem «Matador» konstruierten wir bald kunstvolle Maschinen. Die blecherne Eisenbahn und das Auto zum Aufziehen hielten nicht lange. Für die Winterabende gab es ein farbiges Märchenbuch und vergilbte Heiligenlegenden, aus denen die alte Tante Karolie gruselige Geistergeschichten erzählte. Wir spielten «Nüne-Molo»3 und Schwarzer Peter und mit den Jaßkarten «Hundsfudo», «Lügo» und «Spitz-Öhrlo»4. Laut ging es beim «Blinde Kuh» und bei dem Spiel von der faulen Magd zu. Wir sangen aber auch viele Kreisspiele, zuerst «Ringa-reiha», dann «Ist die schwarze Köchin da?», «Goldne, goldne Brücke», «Rauchfangkehrer ging spazieren», «Rote Kirschen eß ich gerne», «Ein Bauer ging ins Holz» und noch ein paar andere. Es gab fröhliche Zählspiele mit «D Goaß heot in Kübol gschiosso»5 und «Wir reisen nach Amerika». Vom «Küochle-Bacho»6 bekam man rotgeschlagene Hände. Die meisten Spielsachen bastelten wir uns selbst - heute würde man sagen «kreativ». Aus Zeitungspapier konnte man die verschiedensten «Dampfar» und «Gundele»7 falten, auch Geldtaschen, «Wihwasser-Beckile»8, «Himmol-Höll», vor allem aber die kompliziertesten «Flügar»9. Mit großen Knöpfen aus Mamas «Fado-Zoano»10 fertigten wir «TrülloBuppar»11 an der Schnur und andere, die auf einem Stäbchen über dem Tisch kreisten. Für schwierige Fingerspiele brauchte man eine lange Fadenschlinge.Sogar ein Telefon bauten wir mit zwei leeren Zündholzschachteln als Hörer an einer Schnur. Mit einem Knopf konnte man eine Reihe von Signalen senden. Viele Abende waren wir mit dem «LoubSeogolo»12 beschäftigt. Dann lehrte uns der Vater auch, wie man mit den Händen die Schatten von Geißbock und Häslein an die Wand zaubert. Die schönste Zeit begann aber, wenn der Schnee auf Schuttannen verschwand und wir wieder barfuß laufen durften. Zwar gab es täglich viel Arbeit im Stall und beim Gras holen, im Acker, beim Heuen und im Herbst beim Obst-Auflesen, aber dazwischen fanden wir immer noch Zeit für herrliche Spiele: «Kügolo»1 mit schillernden Glas- und billigen Lehmkugeln spielten wir mitten auf der Straße nach Golfregeln in ein Loch, das einer mit der Ferse in den Straßendreck gedreht hatte. «Spatzecklo» auf den Hausplätzen mit Werfen und Fangen, Schätzen und Messen betrieben wir mit heißem Eifer. Zum «Völkoro»2 legten wir Latten quer über die Straße. Der Ball war «a Pfu-Ballo»3, aus Stoffetzen mit Gummibändern. Die Mädchen konnten besser fangen, die Buben treffsicherer werfen. Streit wegen «Boden-auf» oder «bus gstroaft» 4 war fast immer einprogrammiert. Dann probierte man es wieder mit «Der Kaiser schickt Soldaten aus», «Wir kommen aus dem Morgenland», «Henno-Töple»5 und «Halli-Hallo-Nämmoroto»6 oder auch mit «d Schär suocho»7 zwischen den Baumstämmen. Am starken Ast des Birnbaums hing die Seil-«Grütschlat»8, die wir zu zweit oft bis in die Zweige hinauf trieben. Wir kletterten auf die höchsten Baumwipfel. Auf Zwickles Kastanienbaum schnitten wir mit dem «Krotto-Hägol»9 kunstvolle Maienpfeifen. Dann noch schnell «a Ränkle»10 auf Mamas schwarzem Rad durchs Dorf oder «ga röoflo»11 mit alten Felgen! Nach dem Nachtessen, wenn sich die Erwachsenen zu einem Plauderstündchen auf Nachbars Bänkle trafen, sammelten sich auch alle Kinder aus dem Umkreis auf dem Hausplatz zu «Fängarles» und «Vorsteckarles». Zuerst wurde ausgezählt: «Im Wald stehen Tannen ...». Der letzte mußte suchen, wenn wir uns beim «Hus-Eggarlo»12 hinter Hausecken und Johannisbeersträuchern versteckten. Hinter der «Schittor-Big»13 oder in Zwickles Saukisten war man fast unauffindbar, ganz zu schweigen vom Dunkel des Heustocks. Wir zerrissen manche Hose, schürften Knie auf und stachen rostige Nägel ein. Aber wenn das Spiel mit Weinen oder Streit geendet hatte, fand sich immer noch eine Gruppe beim 1 2 3 4 Ritta-Roß = Schaukelpferd Docke = Holzpuppe Nüno-Molo = Mühlespiel Hundsfudo, Lügo, Spitz-Öhrlo = alte Kartenspiele. Spitz-Öhrlo ist ein Glücksspiel um getrocknete Bohnen (Spizöla) D Goaß heot in Kübol gschiosso = Die Ziege hat in den Kübel geschissen 6 7 Küochle-Bacho = Küchlein backen Dampfar und Gundele = Dampfschiffe und Gondeln Wihwasser-Beckile = Weihwasserbecken Flügar = Flugzeuge Fado-Zoano = Nähkörbchen Trüllo-Buppar = Kreisel Loub-Seogolo = Laubsägen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 n U Kügolo = Murmelspiel Völkoro = Völkerball a Pfu-Ballo = vom englischen «football» bus gstroaft = nur gestreift Henno-Töple = Hennenschritte Halli-Hallo-Nämmoroto = Namenraten d Schär suocho = Schere suchen. 8 9 Grütschlat = Schaukel Krotto-Hägol = «Krötenmesser», ein billiges Taschenmesser a Ränkle = eine Kurve ga röoflo = Reifen rollen Hus-Eggarlo = Hausecken-Spiel Schittor-Big = ein Stapel Holzscheiter 10 11 12 13 5 10 11 Eine Zeit lang hatten wir einen zahmen Raben, der in Mamas Garten die Setzlinge ausriß, dann ein Geißböcklein, das mit Anlauf in der Küche auf den Tisch sprang. Einen Sommer lang fütterten wir Hansi, eine junge Waldohreule, mit Schlachtabfällen und im Ried erbeuteten «Rudiguggarn»1. Die Dörfler und die Bütze-Buben wetteiferten mit ihrer Taubenzucht. Die Dörfler fingen ihre Tauben in Bregenz, aber in den Bütze-Schlägen wurde dafür manche Dörfler-Taube gezähmt. Unterschiedlich war das Verhältnis der Buben zu den Hunden. Die bekanntesten waren Königs «Bless», Gorbachs «Alf», Orglers «Nero», Zwickles «Rolf» und Heims «Waldi». Wurde der eine vor den Schlitten gespannt oder mit Leckerbissen zu allerlei Kunststücken dressiert, so mußte der andere einen großen Bogen machen und den Buben ausweichen. Denn die waren allmählich fürchterliche Lauser geworden. Sie bauten eine Hütte aus Kisten und schliefen im Freien. Sie fanden Rädlers Weiße Klare, Rists «Höü-Bira»2 und Gorbachs «Juli-Dechan»3, Vizzenzos «Witfeoldora»3 und Schellings Konstanzer «Länglar»3. Thalers «Kriose»4 lockten ebenso wie Orglers «Pflümmele»5 und Stülzes blaue Trauben. Kein Nußbaum war sicher. Am meisten heimgesucht wurden die Nußbäume bei Mathisos und beim Hollagoggl. Im «Mahro-Neoscht»6 reifte jeweils die Beute und wurde mit allen Mitgliedern der Bubenbande redlich geteilt. Beim Baden an der Ach übten wir nicht nur das Tauchen nach weißen Steinen, sondern auch das Werfen. Herrlich hüpften die «Blättolar»7 über den Wasserspiegel. Aber wir trafen auch «d Häfele»8 auf den Telefon- und Elektrostangen und manchmal eine Scheibe in einem abgelegenen Stadel. Besonders treffsicher waren unsere Gummischleudern. Mit langen Fitz-Ruten schleuderten wir harte Mostbirnen kirchturmhoch über die Dächer. Wenn man vom Birnbaum aus alle Drähte der Telefonleitung mit der Hand zusammenqüetschte, spürte man bald das aufregende Prickeln von leichten Stromstößen. Meist kamen dann am anderen Tag die Telefoner und suchten nach der Störungsursache. Mit «B schütte»9 fingen wir «Dohrla»10im «Guot»11 und mit Fallen die schädlichen großen Baummäuse. Für die zahlte Kressars Seppl beim Spritzenhaus 40 Pfennig. Auch für jeden zerquetschten Kohlweißling zahlte man im Gemeindeamt einen Pfennig. - Unser einziges Sackgeld! Alfons und Hubert Kalb mit ihrem Koter-Karren. «Löoble»'-Ball, bis uns die Mutter nach dem «Beott-Lütto»2 zum Füßewaschen an den Brunnen holte. Noch schnell ein «Beott-Letzt!»3 zu den Nachbarskindern, dann verschwanden wir in der Kammer. Unbeschwerte Kindertage! Kein Fernsehen, kein Auto, keine Musikschule, kein Fußballtraining...! Wir durften uns unsere Freizeit noch selber gestalten. Bubenstreiche Als wir größer wurden, lernten wir noch einiges dazu. Zuerst den Umgang mit Tieren. Höfles Heinrich hatte uns «a Meer-Süle»4 geschenkt. Wir durften es nur einen Tag behalten, der Mama stank es gar zu sehr in der Stube. Dann bekamen wir zwei «Hasen» und mußten sie füttern und pflegen. Königs Albert belachte unsere Bemühungen und zeigte uns seinen Stall voll Blauwiener, Belgische Riesen, Deutsche Widder... Ja, und dann lieh er uns - Mama war entsetzt! - einen Bock. 1 2 1 2 3 4 Rudiguggar = Unken Höü-Bira = Heubirnen Juli-Dechan, Witfeoldora, Länglar = Birnensorten Kriose = Kirschen Pflümmele = Mirabellen Mahro-Neoscht = Versteck, wo das Obst mahr (reif) wird 7 8 9 l0 Blättolar = flache Steine d Häfele = Porzellan-Isolatoren Bschütte = Jauche Dohrla = Maulwurfsgrillen Löoble-Ball = Laibchen Beott-Lütto = zum Gebet läuten 3 4 Beott-Letzt = ein letzter Schlag nach dem Gebet a Meer-Süle = ein Meerschweinchen 5 6 " Guot = Wiese beim Haus 12 13 Die alten Häuser in der Bütze und ihre Besitzer im Jahre 1900. Dazu die umseitige Skizze. Im Jahre 1900 hatten alle Wolfurter Häuser neue Nummern bekommen. 86. Das Schwerzler-Haus zählte jetzt nicht mehr zur Bütze, sondern zum «Loh». 91. Rädler Wendelin - der bekannte Oberlehrer. Erbaut 1806, abgebrochen 1976 für Schwanenmarkt. 103. Gmeiner Maria - «Knoblars», Zwickles Erbaut 1827, abgebrannt 1887, neu erbaut 1888. Abgebrochen 1979 für die Sparkasse Bregenz. 104. Hinteregger Franz - «Hindoreggars» Erbaut um 1815, umgebaut um 1965. 92. Schwerzler Joh. Georg - «Hans-Irgos», «Rüstos» 105. Rohner Josef Anton - «Gorbachs» Erbaut 1837, umgebaut 1970. Erbaut um 1800, abgebrannt 1956. 93. Haltmeyer Maria - Heims Erbaut 1800, umgebaut 1992. 94. Böhler Josef - «Mathisos», «Bergars» Erbaut 1837, umgebaut um 1965. Agnes Giselbrecht, Ziska Rist, Maria G., Rösle Schedler Alfons Kalb, Tone Schedler, Hubert Kalb 95. Dür Franziska - «Franzeies», Königs Erbaut 1839, umgebaut um 1970. 96. Köb Geschwister - «Schloßburos» Erbaut 1838, abgebrannt 1930. 97. Schirpf Franz Josef- «Schürpfos», «Sackburos» Erbaut 1880, umgebaut um 1975. 98. Forster Ulrich - «Forstars» Erbaut 1836, umgebaut um 1950. 99. Klocker Josef Anton - «Strickars» Erbaut 1888, abgebrochen 1975. 100. Schedler Geschwister - «Schellings» Erbaut um 1805, abgebrochen um 1965.. 101. Schwerzler Lorenz - «Neiolars», Kalbs Erbaut 1836, umgebaut um 1955. 102. Rist Jakobs Witwe - «Rüsto Tones» Erbaut 1839. Krimi = Kriminalkommissar Tschuppa-Tone = Eigenname 106. Kalb Joh. Baptist - «Metzgaf-Hannes», «Stülzes» Erbaut um 1800, abgebrochen 1980. 107. Schwerzler Ferdinand - «Toblars» Erbaut 1794, Anbau um 1910, umgebaut um 1960. 108. Schertler Bernhard - «Veres», «Schrinars», «Schöflewirts» Erbaut um 1805, abgebrochen 1979. 109. Mohr Xaver - «Mohro Josefs» Erbaut 1829. 110. Stadelmann Alois - «Gabolmachars», «Huotars» Erbaut 1850, umgebaut um 1980. 111. Thaler Geschwister - «Kressars» Erbaut um 1805. 112. Rohner Joh. Martin - «Schmiods Kathrinos», «Orglars», «Musars» Erbaut 1831, abgebrochen 1971 für Unterlindenzentrum. 113. Kalb Anna - «Köbo Ferdes», «Heimat» Erbaut 1896, abgebrannt 1987. 114. Mohr Michael - «Mohro Stases» Erbaut 1776 als ältestes Haus der Bütze. Je größer die Buben, desto dümmer ihre Streiche! Gut, daß der Vater und die Gendarmen nicht alles erfahren haben! Rädlers Marie und Pauli ärgerten wir mit einem Schlagwerk am Fensterladen. Beim Hollagoggl verschwand die größte «Kürbso»1 von der Haustür weg und tauchte als «Geist» mit leuchtendem Gesicht anderswo auf. Scheffknechts Ochs blieb immer wieder stehen, wenn man eine dünne Schnur über die Straße spannte, aber der gute, halb blinde Johann sah die Schnur nicht. Mancher liebe Nachbar erschrak, wenn wir in der Dämmerung mit Karbid und Spucke in einer großen Büchse die ersten Sprengversuche machten. Und noch für einiges Schlimmeres, das man nur im kleinsten Kreis erzählen darf, wenn keine jungen Buben zuhören, möchte ich im Namen der inzwischen grau gewordenen «Buben» Abbitte leisten, beim «Kircho-Moastor»2, beim «Krimi»3 Schneider und beim Witzemann, bei Orglars Sophie und ihrem Nero, beim «Tschuppa-Tone»4, bei Gigars Finele und noch bei einigen anderen. 1 2 Kürbso = Kürbis Kircho-Moastor = Kirchenaufseher 3 4 14 15 Die Bütze im Jahre 1900 nach einer Skizze von S. Heim 1993 Unsere Nachbarn Wie überall in der Welt, brauchte auch jedermann in der Bütze seine Nachbarn. Man half sich gegenseitig mit Werkzeug und Fuhrwerk aus. Wenn Unwetter drohte, rannte jeder, bis auch Nachbars Heufuder unter dem sicheren Vorschutz stand. Man lieh gegenseitig fehlende Lebensmittel aus und schickte Nachbarkinder wie eigene zum Einkaufen. Man half bei der Krankenpflege, man wurde ans Kindbett gerufen und natürlich auch ans Sterbebett. Man war auf einander angewiesen und trug Sorgen und Freuden gemeinsam. Niemand war allein! An viele liebenswerte Menschen, die einst mit ihrem Schaffen und ihrem Feierabend das Leben in der Bütze bestimmt haben, erinnern wir uns gerne zurück. Ich kann ihnen hier nur ein paar Sätze widmen, wenn ich einen Rundgang durch die alten, staubigen Straßen mache. Bei Nummer 91 fange ich an. Rädlers Haus hatte allmählich den Glanz verloren, den es unter dem Vater, dem landesweit bekannten Oberlehrer Wendelin Rädler, gehabt hatte. Nun führte Marie - einst eine geschätzte Köchin! - einen gastfreundlichen Haushalt, während Pauli und Wendel sich um Obst und Vieh kümmerten. «Rüsto Eugen» fuhr mit seinen Rössern, dem Fuchs und dem Hans, ins Holz und «uf d Stoanat»1 und lange Zeit auch mit dem Toten wagen. Bei der Musik schlug er «di groß Trummol»2. Die Töchter wurden wegen ihrer schönen Singstimmen gerühmt. Sie sangen auf Nachbars Bänkle oft bis tief in die Nacht hinein schöne alte Lieder. Von Heims Buben in Nr. 93 habe ich schon viel erzählt. Ins Haus von Bergers Hannes war vor dem Krieg Böhlers Alfons aus Bildstein mit seiner Familie zugezogen. Der stille freundliche Mann machte alle notwendigen Schlosserarbeiten bei den Nachbarn. Mit seiner Lötlampe und dem Schrotgewehr räumte er bei uns auch die gefährlichen «Hurnußla»3 weg. In Königs Haus hatte früher Düro Franzele gewohnt, die bekannte erste Autofahrerin. Sie war auch überaus fromm und hatte aus dem Heiligen Land einen Blumenbaum mitgebracht. An ihrem Betpult durften Zwickles Johann, Rüsto Jakob und Heims Anton die bunten Bilder der Bibel anschauen - alle drei sollten ja «Geistlich» werden. Nur Jakob hat es dann auch geschafft. Jetzt bevölkerten Königs Gebhard und Burgl mit ihren vielen Kindern das Haus. Da wurde fleißig gearbeitet, aber immer auch gesungen und geturnt. Bis zu Königs warmem Kuhstall rannten wir im Winter barfuß durch den Pulverschnee. «Schloßburo Hus» war 1930 abgebrannt. Nun stand nur noch das finstere Kellergewölbe. Wir trauten uns nicht hinein, weil man uns vor «giftiga Vipora»4 Angst gemacht hatte. 1 Stoanat = Steinat - Kies, Sand und Steine im Flußbett der Ach di groß Trummol = große Trommel, Pauke 3 4 Hurnußla = Hornissen giftige Vipora = Vipern, Kreuzottern 16 17 In «Schürpfos Hus» lebte zurückgezogen der alte Kasimir mit seiner Maxi. Forsters waren ein liebenswertes altes Ehepaar. Sie hatten keine Kinder und sorgten sich umso mehr um ihr kleines Dackelhündchen. Gleich daneben rasselten bei «Seppo Regi»1 die Klöppelmaschinen in den Werkhallen und Frauen holten große Körbe voll «Spitz zum Uszüho»2. Bei Zwickles Stadel war die äußerste Bütze erreicht. Dort preßte Albert mit seinen Knechten gewaltige Heuballen und wir durften auf den höchsten Stapeln herumklettern. Auch die Hausnummern drehten sich hier. Auf der Westseite der Straße ging es wieder in die Bütze hinein. In Nr. 99 holten wir bei Strickars Anna, Klara und Klementi jeden Samstag «s Gmoandsblättle»3 und trugen es in der Hoffnung «uf a Krömle»4 auch zu den Nachbarn. Ein großes Stück weit waren die großen Wiesen an der Straße noch ohne Häuser. Eine einsame Ausnahme war nur das schneeweiß gekalkte »Transformer-Hüsle», auf dessen Stufen wir gerne rasteten. Hinter der verschlossenen Blechtüre surrte es so geheimnisvoll! Schellings Bernhard und seine Anna waren bescheidene alte Leute, geachtet und beliebt. Sie gönnten uns Kindern ihre Langbirnen, Nüsse und «Schnellar»5. Wenn Bernhard zu seiner Sennerei ins Dorf ging, hatte er für junge und alte immer ein fröhliches Wort bereit. Kalbs große Buben Alfons und Hubert waren in vielen Dingen unsere Vorbilder. Eine so schöne Weihnachtskrippe wie sie haben wir nie hergebracht, aber «Koto»6 und viele «Lusbuobo-Stückle»7 haben wir erlernt. Vater Ferde tat sich schwer beim Gehen, im Krieg hatte er die Zehen «erfrört». Im oberen Stock wohnten «Neiolars Lorenzle»8 und seine Frau, die schneidige «TirolarMarie». Als «Schindolar»9 werkten sie fleißig und abends feierten sie fröhliche Feste. Immer blitzblank war es um «Rüsto Tones Hus», und gern saßen wir dort «uf om Bänkle». Aber daß die Buben ihre Hennen einmal mit «Schnapsbröckle» gefüttert haben, das haben ihnen «s Marile» und ihre Töchter lange nicht verziehen. Am meisten Umtrieb herrschte in der Bütze bei Zwickles. Der alte Vater saß, vom Schlag gerührt, bei einem Krug Bier auf der Hausbank und wollte die Söhne regieren. Seppl, Albert und Hermann hatten es mit harter Arbeit und mit Vieh- und Heuhandel zu etwas gebracht und beschäftigten nun Knechte und Mägde, zwei Rösser und später sogar ein Auto und einen Traktor. Allen Nachbarkindern gegenüber waren sie allzeit freundlich und duldeten es, daß wir ihr großes Haus mit Schöpfen und Ställen zu unserem Tummelplatz machten. Hermann ließ uns - zu sechst! - auf seiner schnellen BMW «a Ränkle» mitfahren. Nirgends hat man mit Mägden und Knechten - mit Toblars Ferde, Klockars Geobart, Wirthensohns Gotthard und dem alten Waldinger - so viel übermütigen Schabernack getrieben wie bei Zwickles! Nirgends hat man schöner und länger gesungen! Johann, der angesehene Konsumverwalter, hatte Dutzende von Patenkindern. Seppl und seine Frau Rosa waren herzensgute Nachbarn. Als Krauthobler, Wäscher und Chorsänger war Hintereggers Gebhard dorfbekannt. Den Kindern blieben auch seine freundlichen «Gränna»1 in lieber Erinnerung. Marie teilte ihre letzten «Wihnachts-Krömle»2 mit uns Kindern und Fina brachte ein Stück «BiostKuocho»3 von ihrer einzigen Kuh. Tones Sattlerei war immer Treffpunkt für junge Leute. Von Gorbachs Oskar sind mir eigentlich nur der «Kohle», sein schwarzes Roß, und der magere schwarze Schäferhund «Alf» in Erinnerung geblieben. Umso mehr aber seine geschäftige Frau «Oachobeorgars Kathrie», ihre drei Töchter und die süßen Birnen und Äpfel. Still und unauffällig lebten Stülzes Albertie und Franzisk in ihrem Haus, an dem vorbei ein schattiges Wegleinhinabindie untere Bütze den Weg abkürzte. Der originelle «Tscheppo» mit seiner Pfeife war nur selten daheim. Erst später hat er seine Kuh bei einem Zuber voll Wasser an den Heustock gebunden, wenn er ahnte, daß es heute wieder einmal «spät» werden könnte. «Toblars Hus» an der scharfen Kurve hatte die Nr. 107. Jetzt führten die Nummern hinab in die untere Bütze. Marte, Musikant und Feuerwehrmann, mußte mit seiner Frau in den schweren Dreißigerjahren eine große Familie aufziehen und behielt doch immer seinen guten Humor. Von den sechs schneidigen Buben starben Ferde und Otto im Krieg. Paul war ein technisches Genie und brachte jedes Motorrad-Wrack wieder zum Fahren. Während wir mühsam «Trestorkäsle»4 stampften, hatte er schon eine «Lorkäs»5-Maschine gebaut. Reges Leben herrschte immer bei «Schrinars» hübschen Töchtern. Früher schon bei Anna und Emma. Emma war in ihrem weißen Spitzenkleid 1909 auf einem Schimmel in der Kaiserparade in Bregenz vorausgeritten. Nun fanden Musikanten und Sänger bei der jungen Generation ein gastfreundliches Haus. «Fränzle» gehörte mit Toblars Ferde und Otto zu den besten Wolfurter Turnern. Auch er ist im Krieg gefallen. In der Unterfeldstraße lebten Mohro Josef und Agath mit ihren beiden Kindern in dem kleinen Haus. Als 17jähriger mußte Walter in den Krieg. Ein Jahr später war er tot. Giselbrechts Fridolina nahm immer wieder Lehrpersonen ins Quartier. Bei ihr durften wir «Löost zum Botschomacho»6 ausleihen. Das Haus hatte außer der Reihe die Nr. 367, weil es erst 1928 gebaut worden war. Im Dorf war im August 1937 Metzger Reiners altes Haus abgebrannt. Nun hatte er ein neues ganz weit hinab in die Felder abseits der Straße gebaut und die alte Nr. 122 aus dem 1 2 3 4 5 Seppo Regi = Sepps Regina Spitz zum Uszüho = Klöppelspitzen ausziehen s Gmoandsblättle = Gemeindeblatt uf a Krömle = Belohnung Schnellar = Stachelbeeren 6 7 8 9 Koto = Pferdekot sammeln Lusbuobo-Stückle = Lausbubenstücklein Neiolars Lorenzle = Eigenname - «Näher» Schindolar = Schindelmacher 2 3 4 Gränna = Grimassen Wihnachts-Krömle = Weihnachtsgebäck Biost-Kuocho = Siehe Heimat 11, S. 9/9 Trestorkäsle = Heizmaterial aus Obstabfällen 5 Lorkäs = das Gleiche. Lor ist eigentlich Gerberlohe, die man nach dem Auslaugen ebenfalls zum Verheizen preßte. 6 Löost zum Botschomacho = Leisten für Hausschuhe 18 19 Dorf mitgenommen. Wir schätzten den freundlichen Hausmetzger nicht nur als Meister seines Fachs, sondern auch als strammen Jäger und tüchtigen Pomologen. Das Haus 110 gehörte dem alten Gabelmacher. Er war schon über 90 Jahre, als er unsere ersten Schistöcke machte. «S Uhrowible»' war seine technisch begabte Schwiegertochter Maria im oberen Stock. Mit ihrem großen Plattenkasten unter dem schwarzen Tuch machte sie die schönen Fotos aus unserer Jugendzeit. Gegenüber wurde in dem neuen Haus 339 - im untersten an der Straße nach Lauterach eifrig gestickt. Guldenschuhs Seppl und Manfred waren dort daheim. Jetzt ging es wieder dem Dorf zu. In dem schönen Park bestaunten wir die Villa mit dem Glockentürmchen. Über Veres von Haus Nr. 333 will ich weiter hinten mehr erzählen (S. 22). Thalers Josef, Nr. 111, hatte weit und breit die besten «Krioso». Auch in diesem Haus ist der einzige Sohn Erwin im Krieg gefallen. Bei «Orglars» erreichte man wieder die obere Bütze. Ein schmaler Weg mit Fahrverbot für Autos führte von hier an dem in Mauern gefaßten «Toblars Grabo»2 entlang zur Schule hinaus. Rohners Albert war Schlosser. Er bastelte herrliche Oldtimer-Autos zusammen. Am Sonntag spielte er die Orgel in der Kirche. Mit ihrem Modegeschäft sollen die Schwestern Sophie, Adelheid und Klara einst die am besten gekleideten Jungfrauen gewesen sein. Wir kannten sie nur mehr als schrullig gewordene ältere Damen. Joseph, den jüngsten von Orglars, nannte man den «Musar»3. Er mußte den Bützemädchen und den Buben manchen Streich verzeihen. Wenn wir am Bach spielten, trafen wir beim Haus 113 manchmal den alten Sticker Ferdinand Köb und seine stille Frau mit dem seltsamen Außerferner Dialekt. Wir wußten nicht, daß sie Laura und Emilie, zwei als Chorsängerinnen sehr beliebte Töchter, ganz jung verloren hatten. Nun blieb ihnen nur mehr Tochter Ferdinanda, die damals auf der Post die Telefonstöpsel steckte. Über dem Bach drüben baute 1937 der Schulleiter Mohr ein neues Haus. Weil im Dorf droben ein Haus aufgelassen worden war, erbte er von dort die niedrige Nr. 120. Vor dem Schulleiter hatten alle Buben einen heiligen Respekt, aber im Unterricht haben wir ihn als Lehrer sehr geschätzt. In der KellhofStraße beendigen wir den Rundgang bei «Mohro Stase». Die alte Frau war immer noch voll Temperament. Weil wir bei ihr oft den letzten Honig aus den frischgeschleuderten Bienenwaben kauen durften, haben wir sie in besonders süßer Erinnerung. Die neue Zeit Am Ende des letzten Krieges rissen am 2. Mai 1945 französische Panzer mit ihren Ketten die Kurven in der Bütze tief auf. Marokkaner nächtigten in den Heustadeln und Mulis weideten die Felder ab. Allmählich kehrten die Männer aus der Gefangenschaft zurück. Eine neue Zeit begann. Ab 1949 wurden da und dort Einfamilienhäuser gebaut. 1954 gruben «Baraber»1 tiefe Gräben und verlegten Kanal und Wasserleitung, und 1956 wurden Bützestraße und Lauteracherstraße asphaltiert. So hießen sie jetzt, denn man hatte 1954 die alten Hausnummern abgenommen. Noch zehn Jahre freuten sich die Bützeleute an ihrer neuen Straße. Das änderte sich schlagartig, als 1964 auch die bisher mit Fahrverbot belegte Unterlindenstraße ausgebaut und der Durchzugsverkehr in den Bregenzerwald auf die Bützestraße verlegt wurde. Große Siedlungen in den Feldern waren entstanden, und 1967 wurden an dem einst so beschaulichen kleinen «Bregenzer Weg» die neue Volksschule Bütze und ein moderner Kindergarten eröffnet. In der Lerchenstraße wuchsen Wohnblocks in den Himmel, überbreite Straßen wurden asphaltiert, viele alte Fußweglein verschwanden. Am meisten veränderte sich das Bützezentrum. 1981 errichtete die Raiffeisenbank hier ihr mächtiges Gebäude. Fast gleichzeitig entstand das Unterlinden-Geschäftszentrum mit Sparmarkt, Apotheke und BTV. Der Schwanenmarkt und die Bregenzer Sparkasse vervollständigten den Kreis der Geschäfte. Längst hatte der Gemeindearzt Dr. Schneider seine Ordination von der Hub an den verrohrten Töbelebach verlegt. An der Lauteracherstraße wurde 1979 das schöne Altersheim eröffnet, und auch Dr. Vorhofer ließ sich dort nieder. Verschwunden sind die alten Golgg-Brunnen2 und der Bach. Die meisten Stalltüren sind geschlossen. Kein Viehtrieb wagt sich mehr auf die von Autoschlangen beherrschten Straßen. Kinder müssen mit kleinen Rutschbahnen in Rasengärten vorlieb nehmen, Buben weite Wege zu den Sportplätzen machen. Die vielen neuen Bützeleute fahren mit dem Auto zur Arbeit und zum Einkauf, und am Abend ziehen sie sich an den Fernseher zurück. Viele sind einsam, bleiben einsam. Aber es gibt natürlich auch Ansätze, die Hoffnung machen. In «Toblars Gartohüsle»3 sitzen zum Beispiel an den Sommerabenden Nachbarn beisammen und erzählen von den alten Bützezeiten. Und «bi Flatzo Isidoro duß»4 haben Theo Pompl und sein Team sogar wieder Wasser in den Töbelebach gezaubert. Der Bach hat die Bütze einst geschaffen. Daß dort wieder Wasser fließt, gibt Hoffnung auf ihren Fortbestand. 1 2 3 s Uhrowible = Uhrenweiblein Toblars Grabo = Tobelbach Musar = Mäusefänger 1 2 Baraber = Bau-Hilfsarbeiter Golgg-Brunnen = Pumpbrunnen 3 4 Gartohüsle = Gartenhäuslein bi Flatzo Isidoro duß = bei Flatz Isidor draußen 20 21 Siegfried Heim Veres Stickerei Bis zum Jahre 1840 hatten viele Wolfurter Familien mit den Handwebstühlen in ihren feuchten Webkellern einen Teil ihres Lebensunterhaltes verdient. Als die Konkurrenz durch die neuen Fabriken die Weber brotlos machte, mußten um die Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 200 junge Wolfurter nach Amerika auswandern. Andere fanden in der Kennelbacher Fabrik Arbeit für kargen Lohn. Auch die vielen Nachtstunden am Stickrahmen trugen ein paar Kreuzer ein, allerdings auch entzündete Augen vom dürftigen Licht der Kunkel1. Ab 1865 wurde in Vorarlberg die einnadelige Kettenstichmaschine eingeführt. Bald schnurrte die «Pariser Maschine», wie sie bei uns genannt wurde, in den meisten Häusern, weil man damit bis zu 30 Schweizerfranken im Monat (!) verdienen konnte. In der Schweiz liefen um diese Zeit aber bereits Handstickmaschinen. Von der rechten Hand des Stickers getrieben, stickten einige Hundert auf beiden Seiten zugespitzte Nadeln ihre Muster auf den feinen Stoff. Zwar kostete eine solche Maschine etwa 3.000 Franken, aber sie trug hohen Gewinn ein. Im Jahre 1869 kamen die ersten Handstickmaschinen über den Rhein nach Lustenau und im gleichen Jahr eine auch schon - von allen Leuten bewundert und bestaunt - zu Gebhard Fischer, Seppos, auf die Steig nach Wolfurt. Die Stickerei wurde für die Wolfurter immer wichtiger, besonders seit Joh. Walter Zuppinger 1892 im Schlatt die erste Schiffle-Stickmaschine Vorarlbergs aufgestellt hatte. Eine solche «Schnelläufer»-Maschine kostete etwa 10.000 Franken, leistete aber das Siebenfache einer Handstickmaschine. Mit dem «Pantograph»2 tastete der Sticker das Muster ab und übertrug es in die Maschine. Eine Spulerin, oft ein junges Mädchen, füllte die Schiffchen mit dem Stickfaden und fädelte ein. Die «Noh-Luogare»3 überwachte die Schiffchen und den Lauf der vielen Nadeln. Das Beispiel Zuppingers fand Nachahmer. In Rickenbach waren es vor allem der Kreuzwirt Haltmeyer und Fischers auf der Steig und in Spetenlehen. Im Dorf stellten Lehrers auf dem Bühel, Bildsteins im Röhle und Veres in der Bütze ab 1898 ihre ersten Schiffle-Stickmaschinen auf. Als Antrieb dienten bei Zuppinger die Turbinen seiner Mühle mit einem System von Lederriemen-Transmissionen. Die anderen mußten sich mit teuren Benzinmotoren begnügen, bis Albert Loacker 1900 und 1901 den elektrischen Strom aus seinem Werk Schwarzach nach Wolfurt leitete. Zwar besaßen die meisten Textilfabriken Vorarlbergs damals schon einige Jahre lang ihre eigenen privaten Elektrizitätswerke. Aber Schwarzach und Wolfurt waren durch die Überzeugungskraft ihrer Politiker Johann Kohler und Wendelin Rädler die ersten Gemeinden, die flächendeckend die ganze Bevölkerung mit Licht- und Kraftstrom versorgten. Das nützten vor allem die Wolfurter Sticker aus. Überall wurden Sticklokale in die Häuser eingebaut oder als kleine Fabriken errichtet. Im Jahre 1908 liefen 115 Maschinen von 6 3/4 bis 10 Yard Länge in der Gemeinde. Weil die Arbeitskräfte nicht ausreichten, ließen sich 450 Fremde («Gastarbeiter») hier nieder. Die Einwohnerzahl schnellte auf 2.200 hinauf.1 Über das Stickereifieber hat Chronist Engelbert Köb erzählt.2 An dieser Entwicklung hatten Veres in der Bütze ganz besonderen Anteil. Hier will ich daher zuerst die Familie vorstellen: Veres sind in Wolfurt die älteste Schertler-Linie, älter als Altvorstehers, die Röhle- und die Flotzbach-Schertler3 und viel älter als die Kassiänler-Schertler. Als Sohn des Johann Schertler und der Ursula Greußing in Lauterach heiratete Johann Schertler schon am 25. Mai 1687 nach Wolfurt. Seine Frau Katharina Barth aus Württemberg schenkte ihm 9 Kinder. Anton Johann Schertler heiratete 1729 Agatha Greußing aus Bregenz. Wo sie im Kirchdorf wohnten, ist nicht festzustellen. Aber das zweite von ihren 8 Kindern, Michael Schertler, 1731-1800, läßt sich im Seelenbeschrieb von 1760 bereits als Schreiner an der Feldgasse nachweisen. Sein Haus stand an dem Platz (Kreuzstraße 4), wo heute der Schreiner Josef Bernhard wohnt. Michael war dort zweimal verheiratet und hatte 15 Kinder. Aus seiner zweiten Ehe mit Xaveria Schelling von Bildstein-Gitzen stammt Xaver Schertler, 1771-1833. Ab jetzt hatte die Sippe zwei Hausnamen: vom Vater Michael her hieß sie «Schrinars», nach dem Sohn wurde sie «Veres» genannt. Auch Vere war ein Schreiner.4 Er heiratete im Jahre 1800 Catharina Bildstein aus Hanso Hus. Ihre Schwester Ursula wurde auf der Steig die Mutter von Sepp Fischer und damit die StammMutter der tüchtigen «Seppar»5. Catharina und Vere begründeten in der Bütze ein nicht weniger tüchtiges Geschlecht. Um das Jahr 1805 erbauten sie dort an der Straße nach Lauterach ihr neues Haus, das im Familienbesitz verblieb, bis es «Schrinars» Armin im Jahre 1971 abbrach (Lauteracherstraße 6). 7 Kinder hatte man bei Veres. Davon wurde Franziska, 1803-1853, verheiratet im Nachbarhaus mit dem Wagner Martin Dür, eine Ahnin der Schwerzler aus dem Tobel, die heute dort wohnen. 1 2 1 Kunkel = Kerzenlicht, durch ein Kugelglas gesammelt Pantograph = Zeichengerät zum Vergrößern und Verkleinern Noh-Luogare = Nachschauerin 2 3 Viele Angaben sind dem Buch von Hans Nägele «Textilland Vorarlberg», 1949, entnommen. Heimat 5, Seiten 34 und 35 Heimatll, S. 37 und 8, S. 13 4 5 Siehe die Rechnung in Heimat 9, S. 39 Siehe Heimat 11, S. 22 22 23 Der Sohn Josef Anton Schertler, 1806-1878, war wie seine Vorfahren Schreiner. Er holte aus dem Dorf Katharina Vonach, eine Tochter des reichen Vorstehers Andreas Vonach, als Frau in die Bütze. Weil bei ihren 9 Kindern alle die schönen Namen der Familie wiederkehren, schreibe ich sie auf: 1. Franziska 2. Rosina 3. Waldburga 4. Gebhard 5. Xaver 6. Anna Maria 7. Bernhard 8. Andreas 9. Angelika Drei davon machten später Wolfurter Stickereigeschichte: Waldburga, Xaver und Bernhard. Gebhard ist als 25jähriger schon 1866 nach Amerika ausgewandert. Waldburga, 1839-1916, heiratete im Strohdorf den Zimmermann Josef Anton Gmeiner, «Disjockeles». Ihre Kinder waren der Sticker Martin Gmeiner, 1875, «Knore» (Vater von Knores Ziskele), der Sticker Albert Gmeiner, 1878 (Vater von Filomena Fischer) und Franziska, 1877, verheiratet mit dem Sticker Johann Fischer (Eltern von Ratzers Cilla). Xaver Schertler, 1843-1915, - noch einmal ein «Vere» -, kaufte 1873 das alte Haus Kellhofstraße 2 (Höfles, abgebrochen 1980) und hatte dort mit seiner Frau Katharina Böhler neun Kinder, von den sechs groß wurden: Bernhard, 1874, Sticker und Maschinen Vertreter in der Villa (Vater von Villa-Armin und Geschwistern) Maria, 1879, verheiratet mit dem Sticker Anton Fischer im Röhle (Mutter von Sammars Hubert und Geschwistern) Katharina, 1882, verheiratet mit dem Metzger Reiner im Dorf (Mutter von Heidi Rist im Lamm, Neide Böhler, Klara und Liebhilde) Josef, 1886, «Veres Seppl» Anna, 1889, «Schwarz-Anna», verheiratet mit Dür Seppl Xaver, 1893, gefallen 1916 in Rußland Bernhard Schertler, 1848-1923, war im Elternhaus in der Bütze mit Katharina Rohner verheiratet. Von ihren fünf Kindern lebten dort die Töchter Emma, 1889, (Mutter von Schrinars Irma und Hedwig) und Anna, 1894, verheiratet mit Franz Reiner, Schäflewirts aus Lauterach (sieben Kinder: Angelika, Franz, Elsa, Hilda, Luzia, Herlinde und Armin). Um das Jahr 1900 taten sich also die drei Geschwister Waldburga, Vere und Bernhard zu einer Stickereigemeinschaft zusammen. Unterhalb von Schrinars Hus errichteten sie an der Unterfeldstraße eine Halle und stellten darin fünf große Schifflemaschinen auf. Die meisten von ihren vielen Kindern fanden hier Arbeit, die großen Buben als Sticker, die Mädchen als Nachschauerinnen und Schifflefüllerinnen. Täglich rasselten die Maschinen 16 Stunden lang, mit dem neuen elektrischen Licht oft bis Mitternacht. Wohlstand breitete sich aus und wurde in den Spitzenkleidern und seidenen Sonnenschirmen der Mädchen am Sonntag sichtbar. Die Männer ließen sich mit modernen Velozipeds1 aus der Schweiz fotografieren. 1 Velozipeds = Fahrräder, die die alten unbequemen Hochräder ablösten Bernhard Schertler, Veres. 1874-1924. Sticker, Maschinenvertreter, Erbauer der Villa. (Nicht verwechseln mit seinem Onkel Bernhard Schertler, Schrinars, 18481923!) 24 25 Die untere Bütze im Jahre 1910. Links die obere Stickerei und Schrinars Hus, rechts die untere Stickerei und Thalers Hus. Veres Bernhard übernahm zudem die Generalvertretung der Vogtländischen Maschinenfabrik in Plauen und lieferte in dem sich ausbreitenden Stickereifieber zahlreiche «Plauener» Stickmaschinen im ganzen Unterland aus. Darunter waren auch schon »Automaten», bei denen der Sticker und sein Pantograph durch Lochkarten, in die der «Puntschar» 1 das Muster gestanzt hatte, ersetzt wurden. Schnell wurde Bernhard sagenhaft reich. Schon 1905 baute er für sich ganz allein eine zweite Stickereihalle mit ebenfalls fünf Maschinen. Man nannte diese Halle im Gegensatz zur ersten «die untere Spinne». 1907 errichtete er daneben mit der «Villa» ein Landhaus «im altdeutschen Stil», das alle anderen Häuser jener Zeit an Schönheit und Luxus weit übertraf. Nur in der im gleichen Jahr errichteten Villa Zuppinger gab es ein ebenbürtiges Gegenstück. Aufwendige Veranden, ein hoher Glockenturm und der «englische» Park machten schon von außen großen Eindruck. Im Innern sorgten großartige Stuckdecken, kostbare Möbel und zwei beheizte Badezimmer für ganz außergewöhnlichen Komfort. 2 VillaSchertler, 1907, noch ohne Parkanlage. Dahinter die «untere Spinne». Vom lustigen, oft übermütigen Leben der Sticker erzählt man sich vielerlei Geschichten. Eine bezeichnende ist die folgende: Im neuen oberen Friedhof wurden 1911 die Arkaden als Familiengrabstätten versteigert. Die allerteuerste erste erwarb Veres Bernhard mit dem lachenden Hinweis: «Wenn einst die Posaunen zur Auferstehung blasen, will ich auf dem Weg zum Römerstüble' im Schwanen der erste sein!» Die ungesunde Arbeit in den Stickereilokalen forderte auch ihre Opfer. Besonders auf die Kinder, die bloßfüßig in den zugigen Räumen arbeiten mußten, lauerte «s Uszehro» 2 . Als Bernhard Schertler 1924, genau 50 Jahre alt, plötzlich starb, hatte die Stickerei ihren Höhenflug längst beendet. Die Maschinen wurden verschrottet. Die jungen Sticker wanderten nach Amerika aus oder suchten andere Arbeit. 1925 begannen, zuerst in der oberen, ein Jahr später in der unteren «Spinne», Fideles Ernst und Ludwig mit der Erzeugung von «Pappodeckol-Röhrle» 3 für die Spinnerei-Fabriken und mit den ersten Schachteln. 1927 bauten sie selbst eine Halle an der Unterlindenstraße und entwickelten 1 2 ' Puntschar = Vom englischen «punch» = stanzen, lochen 2 In den meisten Wolfurter Häusern baute man erst nach 1955 Badezimmer ein. 26 Das Hinterzimmer im Schwanen hatten die Sticker mit kostbaren geschnitzten Möbeln und farbigen Fenstern als «Römerstüble» eingerichtet. s Uszehro = Tuberkulose 3 Pappodeckol-RöhrIe = Kartonhülsen 27 Siegfried Heim Als Kommunistin in der Schweiz Das abenteuerliche Leben eines Mädchens aus der Bütze Musikanten bei Schrinars, 1938. Die Schwestern Emma Schertler und Anna Reiner, dazwischen Königs Albert und Franz Reiner. Dahinter Toblars Otto, Irma und Johann Schönenberger. daraus die Firma Kartonagen-Gmeiner. In die leeren Sticklokale zog ein Jahr lang die Electricus-Volta ein, deren Betrieb in Bregenz ausgebrannt war. Dann wurde in der oberen Spinne eine Nudelfabrik Hermann Gunz eingerichtet und nach deren schnellem Ende wohnten sogar Leute darin: Frickeneschers Tante Gottfrieda mit ihrem Mann Alois, der hier Stiele und Besen erzeugte. In der unteren Spinne vernickelte eine Zeit lang ein Schwabe allerlei Metallteile. Baufällig geworden mußten in den 30er-Jahren schließlich beide Sticklokale abgebrochen werden. Von der oberen Spinne kann man noch heute die Grundmauern am Eingang zur Unterfeldstraße sehen. Ein paar Blumen finden darin Schutz. Am Platz der unteren Spinne hat Villa-Armin nach dem Krieg die Mosterei Schertler gebaut und seither darin den «Wolfurtar Subirar»1 gebrannt. Armin Schertler, Jahrgang 1912, ist der letzte männliche Namensträger aus «Schrinar Veres» Geschlecht, das seit 1687, also seit mehr als 300 Jahren, Wolfurt und vor allem die Bütze mitgestaltet hat. 1 Wolfurtar Subirar = ein Edel-Obstbranntwein 1901, 11. Jänner, 1/2 9 Uhr spät half die Hebamme Johanna Gmeiner im Strohdorf 154 einem kleinen Mädchen zur Welt. Am anderen Tag wurde es in der Pfarrkirche von Pfarrer J. G. Sieber auf den Namen Filomena getauft. Da sah wohl noch niemand die dunklen Wolken über seinem künftigen Weg. Die Wolfurter Schelling stammten aus Bildstein. Schon im 17. Jahrhundert waren sie ins Frickenesch herab und um 1800 bis ins Tal gestiegen, wo ihre Familien an verschiedenen Orten an der Hub und im Dorf wohnten. Franz Schelling erwarb zur Hochzeit 1876 die eine Hälfte eines alten Doppelhauses (Kaufmanns im Strohdorf, abgebrannt 1935 am Platz Kirchstraße 9), wo er mit seiner aus Bildstein stammenden Frau Filomena Gunz fünf Kinder großzog. Bernhard, 1876, wurde später der Sennereimann in der Bütze. Johannes, 1877, ist 1915 bei Przemysl gefallen. Agatha, 1879, heiratete Florian Klocker («Strickars») und wurde Mutter von fünf Kindern. Gebhard, 1882, lebte mit seiner Frau Josefina Vill in verschiedenen Mietwohnungen, bis sie 1925 «Schellings Hus» im Strohdorf (Kirchstraße 7) erwerben konnten. Von den drei Söhnen blieb dort Walter, Jg. 1910, als letzter von den Wolfurter Schelling. Die Brüder Franz, 1908, und Albert, 1918, waren beide Leiirer geworden. Sie hatten ihre Familien in Bregenz und Hörbranz. Von Albert Schelling (- Er ist an allem Zeitgeschehen sehr interessiert. Sein Sohn ist Stadtrat in Bregenz. - ) habe ich folgende Geschichte erfahren. Er hat mir auch die Unterlagen aus der Zeitung «Schweizer Beobachter» aus dem Jahre 1970 zugeleitet. Sein Vater hatte noch eine weitere Schwester gehabt, von der man wenig sprach: Maria Anna, geboren 1878. Als Mädchen ging sie mit den anderen Strohdörfler Mädchen in die nahe neue Schule. Dann mußte sie Geld verdienen wie die andern, in der Fabrik, in der Stickerei, als Magd. Und dann ist sie «gefallen». Mit 22 Jahren erwartete sie ein Kind. Das war in jener bigottischen Zeit um 1900 für ein lediges Mädchen ein schreckliches Unglück. Mit Fingern zeigte man auf «solche», tuschelte im Kreis der Nachbarinnen, gab sie dem 28 29 Gespött der Männer und der Jugend preis. Maria Anna fand wenigstens bei der Mutter und den Brüdern einen schützenden Winkel, wo sie im Winter 1901 ihr Kind in die Wiege legen konnte. Aber ihr Herz war zerbrochen. Vier Wochen nach der Geburt der kleinen Filomena trug man die junge Mutter auf den Friedhof. Ein paar Jahre später übersiedelte die Familie in die Bütze. Mit dem Stickereiverdienst der beiden großen Buben Bernhard und Hannes hatte Vater Franz das schöne Bildsteinhaus mit der Nr. 100 in der Bütze (Bützestraße 15) kaufen können. Erstarb schon 1912. Zwei Kinder hatten aus dem Haus geheiratet, Hannes blieb im Krieg. Nun war die kleine Filomena mit der Großmutter und dem ledigen Onkel Bernhard allein. Seit die Stickerei nichts mehr einbrachte, war die Familie arm geworden. Das große Gut beim Haus trug viele Obstbäume. Man konnte eine Kuh und zwei Geißen halten, und Bernhard suchte als Taglöhner Verdienst. Erst 1926 hat er seine Anna geheiratet und noch später die Sennereiarbeit übernommen. Da war aber Filomena längst nicht mehr im Haus. Hatte sie denn nicht auch einen Vater? In den Papieren scheint jedenfalls keiner auf. Er muß aber wohl ein Staatsdiener gewesen sein. Zur Zeit ihrer Heirat 1923 findet er sich plötzlich als Polizeihauptmann in Marienbad und versucht, die Heirat zu verhindern. Seinem Einfluß gelang es, den ungeliebten «Schwiegersohn» von der Polizei einsperren zu lassen, aber Filomena hielt zu ihrem Mann und holte ihn gegen «Vaters» Willen aus dem Gefängnis. Aber so weit sind wir noch nicht. Filomena, das «Ledigkind», wuchs einsam in der Bütze auf. Gleichaltrige Spielgefährtinnen waren Bergers und Zwickles Mädchen, doch Filomena mußte in der Notzeit des Weltkrieges und danach hart arbeiten. Als Bedienung fand sie eine Anstellung in der Schweiz. Im größten St. Galler Cafe wurde sie sogar Kassiererin. Dort trat ihr das Schicksal in Gestalt eines jungen Mannes entgegen. Sie fanden sich schnell, denn auch er hatte bereits ein ungewöhnlich hartes Schicksal hinter sich. Otto Brunner, später als Spanienmajor und oberster Kommunist von Zürich einer der umstrittensten Schweizer, war 1896 in Rieden im Kanton St. Gallen geboren worden. Sein Vater war Sozialdemokrat, wechselte immer wieder seine Arbeitsstellen und wanderte schließlich 1913 mit der Familie nach Brasilien aus. Als Farmer fristeten sie ein kümmerliches Dasein. Der 19jährige Otto wurde zum Wilddieb und mußte fliehen. Er heuerte als Seemann auf einem Frachter an, wurde aber bald in New York zum Dienst in der U.S. Navy gepreßt, obwohl er als Schweizer Ausländer war. Als in Rußland nach der Revolution von 1917 ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, intervenierten die Amerikaner gegen die Bolschewiken. Brunners Schiff brachte «Exilrussen» zum Einsatz nach Murmansk. Als diese meuterten, wurde dort am Hafen jeder zehnte erschossen. Dieses schreckliche Erlebnis brachte Brunner auf die Seite der roten Fahne. Er kehrte in seine Heimat St. Gallen zurück und schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch die kritische Zeit. Im Cafe lernte er die Kassiererin «Milly» kennen. Filomena hatte mit ihrer harten Jugend auch den alten Namen in der Bütze gelassen und nannte sich jetzt «Milly». Schnell waren sich die zwei einig und beschlossen, nach Brasilien auszuwandern. In Wolfurt ging nur die knappe Mitteilung ein: Filomena Schelling verehelicht am 24. Okt. 30 Milly und Otto Brunner als Farmer in Südamerika. 1923 mit Otto Brunner von Rieden im Kanton St. Gallen. Nach Überwindung des Hamburger Gefängnisses fuhren die zwei Flitterwöchner auf einem alten Frachtschiff nach Rio de Janeiro und siedelten sich in einer Kolonie weit oben am Rio Paranä an. Stolz ließ sich Milly auf dem Reitpferd mit ihrem Mann vor dem primitiven Holzhaus fotografieren und schickte das Bild ihrer alten Großmutter nach Wolfurt. Aber Otto war nicht zum Farmer geboren. Bald bildete er eine Selbstschutzgruppe gegen die Übergriffe der Großgrundbesitzer, beteiligte sich aktiv an einer Revolution - und mußte fliehen. Frau Milly stand allein da, verkaufte den Grundbesitz und schlug sich zu ihrem Otto nach Sao Paulo durch, wo er inzwischen als Installateur auf einer Baustelle arbeitete. Im Herbst 1927 trafen sie wieder in der Schweiz ein, diesmal in Zürich. Kaum hatte Otto Brunner hier Arbeit als Heizungs- und Sanitärmonteur gefunden, wollte er auch schon die gar nicht rosige Situation der Arbeiter verbessern. Die 600 Heizungsmonteure wählten ihn zum Anführer. Als solcher organisierte er 1932 in Zürich einen großen Streik, der zu blutigen Unruhen führte und schließlich zusammenbrach. Trotzdem wurde Otto Brunner im folgenden Jahr als Kommunist in den Zürcher Gemeinderat und auch in den Kantonsrat gewählt. Was mögen das für unruhige Zeiten für die einfache Frau an seiner Seite gewesen sein? Aber es kam noch schlimmer! 31 In Spanien war 1936 der Bürgerkrieg ausgebrochen und hatte sich zum Aufmarsch der faschistischen gegen die republikanischen und sozialistischen Kräfte Europas entwickelt. Da trieb es auch Otto Brunner hin. Als Polifkommissar in einem internationalen Bataillon mit 120 Deutschen, 100 Österreichern, 150 Polen, Tschechen und Rumänen und 45 Schweizern kämpfte er an vorderster Front. Mit bunt zusammengesuchten Gewehren wehrten sie sich gegen die glänzend ausgerüstete «Legion Condor» Hermann Görings und gegen Mussolinis Divisionen. Als der Bataillonskommandeur versagte, übertrug man Brunner die Verantwortung. Neun Monate stand er in mörderischem Kampf, dann wurde er lebensgefährlich in der Brust verwundet und kam «nur durch ein WundeD> mit dem Leben davon. Jetzt eilte Milly durch alle Kriegswirren aus der sicheren Schweiz an seine Seite und pflegte ihn gesund. Sie blieb auch bei ihm, als er in aussichtsloser Situation das Kommando über Barcelona übertragen bekam. Erst nach der Bombardierung der Stadt schickte er sie heim in die Schweiz. Der verbissene Kampf gegen die gewaltige Übermacht blieb erfolglos, der geschlagene Rest der internationalen Brigade mußte sich nach Frankreich zurückziehen. In der Schweiz kam Brunner wegen «fremden Kriegsdienstes» für sechs Monate ins Gefängnis. Dann arbeitete er wieder als Monteur in Zürich und als kommunistischer Politiker. Weil er auch die Mißstände in der eigenen Partei hart kritisierte, wurde er 1951 ausgeschlossen. Einen endgültigen Bruch vollzog Otto Brunner, als 1968 sowjetische Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten. Um diese Zeit dürfte auch seine Milly in Zürich gestorben sein. In einem Interview hielt ihr der alternde Revolutionär einen Nachruf: Sie war ganz unpolitisch. Als gütige, mitflihlende Frau, die überall zu helfen versuchte, wo Not herrschte, hat sie mich verstanden. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen. Viel zu früh ist Milly gestorben. - Milly-Filomena, das Mädchen aus der Bütze. Siegfried Heim Wendelin Rädler Schulmann und Sozialreformer Vor 80 Jahren ist er gestorben. An seinem Grab standen hohe Würdenträger, Landtags- und Reichsratsabgeordnete. Dann wurde er vergessen, bis die Raiffeisenbank ihrem Gründer 1985 anläßlich seines 150. Geburtstages eine Gedenktafel widmete. Seine lebenslange politische Arbeit wirkt aber noch heute im ganzen Land nach. Als 1955 der Kanal in der Bützestraße verlegt wurde, stand hinter Kalbs Haus noch Schellings, wo Milly Schelling gewohnt hat. Zwischen beiden Häusern zwängte sich der Bregenzerweg durch. Wendelin Rädler, 1835-1913 33 32 1. Der Lehrer Rädler Am 21. Oktober 1835 kam in dem abgelegenen Bergbauernhof Hegisberg oberhalb Hirschbergsau bei Langen der kleine Wendelin zur Welt. Sein Vater Martin Rädler, 18041881, war dort aufgewachsen, die Mutter Katharina Geiger, 1808-1890, stammte aus Bildstein. Die damalige Not der Bauern mag der Anlaß gewesen sein, daß die Eltern den Bauernpatron St. Wendelin von der Fluh zum Schützer ihres Kindes wählten. Aber schon ein paar Jahre später mußten sie ihren Hof aufgeben und im Fabriksort Kennelbach Arbeit suchen. Dort ging nun Wendelin in die Dorfschule. Als guter Schüler erhielt er schon mit 11 1/2 Jahren sein Entlassungszeugnis. Wie ein Erwachsener mußte er jetzt arbeiten. Er aber wollte lernen. Mit 16 Jahren durfte er den Winter über einen Lehrer-Kurs in Bregenz besuchen. Dafür bekam er anschließend eine Anstellung als Unterlehrer in Kennelbach. Die Vorgesetzten waren so zufrieden mit ihm, daß er drei Jahre später ein «Sehr gut» im Lehrbefähigungszeugnis und für kurze Zeit sogar eine Berufung an die Kreis-Hauptschule Bregenz erhielt. Allerdings war die Entlohnung gar karg bemessen. Von Anfang an mußte sich Rädler als Privatlehrer in der Firma Schindler ein Zubrot verdienen. Im Sommer reiste er als Vertreter für Teigwaren. Außerdem vermittelte er als Auswanderer-Agent Schiffskarten von Le Havre nach New York. Seine Schönschreib-Vorlagen fanden in den meisten Schulen des Landes Verwendung und brachten ihm als «Kalligraph» auch Anerkennung von der Schulbehörde. Im Sommer 1868 besuchte er einen Kurs zur landwirtschaftlichen Fortbildung in Wien und war von jetzt an besessen von seinem Auftrag, die Bauern im Lande zu bilden. 1876 wurde er Schulleiter an der Volksschule Wolfurt. Mit den aus Innsbruck neu zugezogenen Barmherzigen Schwestern baute er die Schule von drei auf fünf Klassen aus. Für die Erwachsenen richtete er eine Wiederholungsschule ein und für die Jugend landwirtschaftliche Fortbildungskurse. Wegen seines verminderten Gehörs ging er als 60 jähriger 1895 in Pension, doch blieb er seiner Schule als Ortsschulaufseher noch viele Jahre verbunden. Er leitete Obstbaukurse und organisierte 1899 bis 1906 eine gewerbliche Fortbildungsschule für Sticker und Handwerker in Wolfurt. Auch wenn er inzwischen seine unermüdliche Schaffenskraft auf andere Gebiete ausgedehnt hatte, so blieb er doch ein Lehrer. Ab 1897 redigierte er daheim in seiner Stube die Zeitung des Genossenschaftsverbandes, die mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren in fast allen bäuerlichen Haushalten Vorarlbergs gelesen wurde. Aus der Fülle seiner pädagogischen Beiträge ein paar Überschriften: - «Was dem Bauer not tut» - «Die Trunksucht, ein Hauptfeind der Sparsamkeit und Wohlhabenheit» - «Über Wert und Unwert des Taschengeldes bei Kindern» - «Wie man mit dem Holze sparen kann» - «Hausregeln für Ehefrauen» - «Verspätetes Mähen gibt wohl mehr, aber schlechteres Heu» Und überall im Land folgten Menschen dem Rat des «Oberlehrers i.R.» Ein Beispiel aus Rädlers Verbandszeitung: Hausregeln für Raiffeisensche Ehemänner. Ein gutes Weibchen, dies merke fein, Will mit Vernunft behandelt sein; Sanft sei Dein Wille, Dein Gebot! Der Mann ist Herr, doch nicht Despot. Macht irgendwas den Kopf Dir kraus, So üb' es nicht am Weibchen aus. Verlang' nicht alles zu genau Du fehlst, warum nicht auch die Frau? Wenn 's Weibchen Dich um Geld anspricht, Und sie bedarf's, so - knurre nicht! Im Aufwand schränke Dich zwar ein, Doch mußt Du auch kein Knauser sein; Lauf nicht zum Trank und Spiele aus, Hast Zeitvertreib genug zu Haus! 35 Das Schulhaus zu Rädlers Zeit (1905). Auf seine Initiative gingen Bienenhaus, Weinreben und Obstbäume zurück, aber auch die Einrichtung einer Gemeindekanzlei. 34 2. Der Casino-Gründer Von besonderer Bedeutung für Rädler war die Begegnung mit dem Politikerpriester Thomas Amman. Als junger Kurat von Kennelbach unterrichtete dieser mehr als zehn Jahre an der gleichen Schule mit ihm. Ammann setzte 1866 sein ganzes Vermögen zur Gründung des «Vorarlberger Volksblattes» ein, das mit Unterbrechung in der NS-Zeit bis zum Jahr 1972 als christlich-soziales Parteiblatt bestand.Erster Redakteur war Pfarrer Josef Rudigier aus Partenen, ein Bruder des streitbaren Bischofs Rudigier von Linz. Von Anfang an sicherte sich Ammann aber auch die Mitarbeit seines Kollegen Wendelin Rädler. Bald wurde die von vielen Geistlichen - nicht vom Bischof - unterstützte Zeitung ein Kampfinstrument, das mit dem Aufgreifen der sozialen Not von Arbeitern und Bauern einen politischen Umsturz einleitete. Als der Kulturkampf in Österreich nach der Niederlage von Königgrätz einem Höhepunkt zustrebte, nahmen fünf Vorarlberger Lehrer 1867 an den Beratungen zum umstrittenen Reichsvolksschulgesetz in Wien teil. Leo Haffner berichtet darüber («Kasiner» 1973, S.147): Bei der Rückreise nach Vorarlberg, welche die fünf Lehrer (ab Innsbruck) zu Fuß unternahmen und die sie über Telfs, Mieming, das Lechtal undSonthofen nach Riefensberg und von dort nach Hause führte, faßten Martin Thurnher, Wendelin Rädler und Konrad Hagspiel den Entschluß, politisch aktiv zu werden. Und sie begannen sogleich während des Fußmarsches aus dem Stegreif Redeübungen abzuhalten. Bald nach der Rückkehr suchten die drei Genannten zusammen mit anderen Männern die Gründung eines Vereins in die Wege zu leiten. So entstanden denn auch jetzt rasch hintereinander der Katholische Lehrerverein, die vielen Katholischen Casinos und 1870 aus deren Zusammenschluß der «Katholischpolitische Volksverein», der sich ab 1893 «christlich-sozial» nannte. Die Not in unserem Land war damals unvorstellbar groß. Auf den Zusammenbruch der Hausindustrie durch den Bau der Fabriken war ganz schnell wegen des Imports von Billiggetreide der Rückgang des Getreidebaus gefolgt. Viele Bauern waren bei den Bürgern der Stadt hoch verschuldet, konnten aber ihre Kredite nicht bezahlen. Viele junge Leute wanderten nach Amerika aus. Die anderen suchten Arbeit in der Kennelbacher Fabrik. Dort waren sie rechtlos. Unter härtesten Bedingungen mußten auch Kinder in einer 78 Stundenwoche täglich 13 Stunden arbeiten. In solches Elend hinein stießen anderswo die Ideen von Marx und Engels vor. Bei uns verbanden sich Lehrer und Geistliche mit Arbeitern und Kleinbauern in den «Casinos». Die beiden ersten entstanden 1868 in Bregenz und Feldkirch, das dritte im Mai des gleichen Jahres in Wolfurt. Unter Vorsitz von Pfarrer Ammann und Sekretär Rädler trafen sich gleichgesinnte Männer aus den Nachbargemeinden jeden Sonntagabend abwechselnd im Rößle oder in der Krone. Sie hörten Vorträge und lasen Zeitungen, diskutierten und politisierten. Das Casino Wolfurt nahm auch den damals in Rom lebenden Wolfurter Maler Gebhard Flatz auf. Die Karte trägt die Unterschrift von Pfarrer Thomas Ammann und Wendelin Rädler. (Karte aus dem Landesmuseum) Das Motto: JHS Das Leben zu erheitern. Das Wissen zu erweitern. Die Kirche zu ehren. Um unser Recht uns zu wehren Dazu sind wir vereint Wer mitthut sei uns Freund! Ein Auszug aus den Statuten: des konstitutionellen, kath. Casino's für Wolfurt und Umgebung. §.1. Das kath. Casino in Wolfurt ist ein Verein kath. Männer zum Zwecke a) des gegenseitigen Meinungsaustausches; b) der Aufklärung durch geeignete Vorträge und einschlägiger Lektüre (Zeitungen, Broschüren, Bücher mit Ausschluß aller der Sittlichkeit und Religion gefährlichen; c) der geselligen Unterhaltung. Anmerkung: Die Vorträge und Gespräche sollen sich beziehen auf Gewerbe, Landwirtschaft, Welt- und Kirchengeschichte, Natur-, Erd- und Völkerkunde, Zeit- und Tagesfragen, Landes- und Gemeindeinteresse ec. 36 37