18691030_lts015

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Letzte Änderung 03.07.2021, 10:45
Gemeinde Landtag
Bereich oeffentlich
Schlagworte: ltp02,lts1869,lt1869,ltm_
Dokumentdatum 2021-06-27
Erscheinungsdatum 2021-06-27
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Inhalt des Dokuments

am 30. Oktober 1869 unter dem Vorsitze des Herrn Landeshauptmannes Sebastian von Froschauer. Im Beisein des Herrn Regierungsvertreters, k. k. Statthaltereirath Karl Schwertling. Gegenwärtig sämmtliche Abgeordnete. Hochw. Bischof Amberg abwesend. Beginn der Sitzung um 9 1/4 Uhr Vormittags. Landeshauptmann: Die Sitzung ist eröffnet. Vernehmen Sie das Protokoll der vorhergehenden. (Sekretär verliest dasselbe.) Da keine Einwendung gegen dasselbe erfolgt, erkläre ich es als genehmigt. Wir kommen zum ersten Gegenstand der für heule festgesetzten Tagesordnung, dem Comiteberichte in Verfassungsangelegenheiten. Ich ersuche den Herrn Dr. Fetz das Wort zu nehmen. Dr. Fetz: (Verliest den Comitebericht wie folgt:) Bericht des Comite's für Verfassungsangelegenheiten. Hoher Landtag! Der Antrag des Herrn Abgeordneten Hämmerle und Genossen. betreffend die Einführung direkter Reichsrathswahlen wurde dem von dem hohen Hause zur Berathung von Verfassungsangelegenheiten niedergesetzten Comite zur Berichterstattung überweisen. 398 Das Comite hat sich in seiner Sitzung vom 28. d. Mts. nach eingehender Berathung mit einer Majorität von 5 unter 7 Stimmen zu nachstehenden Anträgen geeiniget: 1. Die Einführung direkter Wahlen der Reichsrathsabgeordneten ist im Interesse der Verfassung gelegen. 2. Der Landtag bezeichnet al» wünschenswert: geheime Abstimmung; — einstweilige Aufrechthaltung des Gruppensystems in der Weise, daß in Vorarlberg die Hälfte der Abgeordneten auf die Landbevölkerung, die Hälfte auf die Städte und den Markt Dornbirn entfalle; Ausdehnung des aktiven Wahlrechtes aus alle diejenigen, welche dasselbe für die Gemeindevertretung besitzen; deßgleichen der Mahlbarkeit auf alle Staatsbürger, welche in eine Gemeindevertretung der Westhälfte des Reiches wählbar sind; Beibehaltung der Wahlmänner bei der Wahl der Landbevölkerung; Verdoppelung der Zahl der Reichsrathsabgeordneten; Herabsetzung der Mandatsdauer aus vier Jahre. - Die Minorität behält sich vor im Landtage besondere Anträge zu stellen. Mit den Anträgen der Majorität des Ausschusses sind zugleich jene Fragen beantwortet, welche in dem veröffentlichten, die Wahlfrage betreffenden Rundschreiben Sr. Excellenz des Hrn. Ministers des Innern enthalten sind. Indem sich daher die Begründung der erwähnten Anträge für die Verhandlung im hohen Hause vorbehalten wird, stellt die Majorität des Ausschusses den Antrag: „Das hohe Haus wolle obige Anträge zum Beschlusse erheben." Bregenz, 29. Oktober 1869. Dr. A. Jussel, Obmann. Dr. And. Fetz: Berichterstatter. Dr. Jussel: Ich bitte ums Wort. Ich gehöre zur Minorität des Comite und bringe nun auch einen Antrag der Minorität hier aus den Tisch des hohen Hauses. Ich werde denselben von meinem Standpunkte aus begründen. Der Herr Abgeordnete Deisböck hat erklärt, diesem Antrage auch zuzustimmen, aber dabei von einem andern Standpunkte auszugehen. Ich muß es ihm überlassen, seinerseits die Sache zu begründen. Übrigens finde ich es anständig, zuerst den Antragstellern der Majorität das Wort zur Begründung zu überlassen. Landeshauptmann: Herr Dr. Jussel stellt den Antrag: „der hohe Landtag wolle beschließen, er erkenne die Einführung direkter Wahlen für „den Reichsrath nicht im Interesse der Verfassung, jedoch sei er bereit zum Besten des Reiches sein Wahlrecht in den Reichsrath aufzugeben, wenn ein Reichsgesetz es verlangen sollte." 399 Herr Oberlandesgerichtsrath Hämmerle hat das Wort. O. L. G. R. Hämmerle: Hoher Landtag! Seit ich mir erlaube, in politischen Dingen etwas zu denken, haben hauptsächlich zwei Staatsakte mein lebhaftes Bedauern erweckt. Von dem einen derselben kann hier wohl nicht die Rede sein; der zweite ist das Diplom vom 10. Oktober 1860. In diesem Staatsakte war, wie die Geschichte es beweist, der Keim zum Dualismus gelegt; In diesem Akte ist noch heute der Keim des Föderalismus enthalten. Die erste Saat ist sehr, schnell aufgegangen, die Antwort auf das Oktoberdiplom in Ungarn war das Herabreißen des Doppeladlers von den öffentlichen Gebäuden und die Austreibung der deutschen Beamten. Der Dualismus ist zur Thatsache geworden und es kann sich Niemand darüber täuschen, daß darin eine Schwächung der Machtstellung des Reiches gelegen war; denn beispielsweise, wenn man einen Apfel spaltet, ist es eben nicht mehr der ganze Apfel. Wenn aber der Dualismus die Schwächung des Reiches bedeutet und zur Folge hatte, dann müßen wir sagen, daß der Föderalismus nicht die Schwächung, sondern die Auflösung des Reiches bedeute und zur Folge haben wird. Der Antrag, der von mir und dem Hr. Abgeordneten Dr. Fetz gestellt wurde, enthält den Satz, daß dir Umgestaltung des Abgeordnetenhauses n. der Ländervertretung in ein Volksparlament eine Nothwendigkeit für den sicheren Bestand des Reiches, daher auch eine Forderung und Pflicht der Selbsterhaltung für denselben sei. Wenn ich eben nun auf den Föderalismus Hinweise, so ist damit deutlich gesagt, daß, wenn durch die direkten Wahlen die Gefahr der Förderalismus abgewendet werden kann, damit aber auch die Gefahr der Auflösung des Reiches, der Zersetzung des Reiches in seine Atome abgewendet werde. Es liegt mir daher nur der Beweis ob, daß die Gefahr wirklich vorhanden ist, und daß wenigstens für den Augenblick es kein anderes Hilfsmittel gibt, all jenes, welches wir in unserem Antrag bezeichnen. Daß eine Gefahr vorhanden sei, das meine Herren, dürfte wohl kaum einem Zweifel unter, liegen. Es genügt ein Blick auf die Thätigkeit der Landtage, in welchen eben das nicht deutsche Element die Majorität bildet, in welchen die sogenannten Nationalitäts-Bestrebungen zu Tage treten. Blicken Sie nach Polen, nach Böhmen, der untern Steiermark, Krain, Tirol, so sehen Sie überall dieselbe Erscheinung, daß die Landtage, richtiger jene Landtags-Majoritäten mit dem Gedanken umgehen, die Verfassung nicht mehr als zu Recht bestehend anzuerkennen; mit dem Gedanken, einen Staatenbund aufzurichten statt einen Bundesstaat, mit dem Gedanken, jene Souverainität, welche nur der Staatseinheit zukommt, für sich selbst, für einzelne Nationalitäten in Anspruch zu nehmen. Das, meine Herren, tritt gegenwärtig bei den Bestrebungen so mancher Landtage klar und deutlich an die Oberfläche aller politischen Discussionen. Die Deklaranten in Böhmen, die Resolutionisten in Polen und die Neudeklaranten in Tirol, sie verfolgen alle dasselbe Ziel, und der Traum, ein Königreich Slovenien zu gründen, steht nicht mehr vereinzelt da. Solche Staatenträume können aber 400 nicht verwirklicht werden, ohne daß die Verfassung durch diese Bestrebungen untergraben, ja vollends vernichtet werde. Ein Rettungsmittel ist daher dringend geboten. Wo können wir solches bester finden, als darin, daß wir den Reichsrath von der Abhängigkeit, von dem überwiegenden Einfluß der Landtags-Majorität los zu schälen und zu trennen suchen, dadurch loszumachen suchen, daß wir eben die Ländervertretung in ein Volkshaus umgestalten. Der gegenwärtige Reichsrath in seiner Zusammensetzung durch die Entsendung der Reichsrathsabgeordneten aus dem Schooße der Landtage ist der getreue Spiegel der Landtags Majoritäten, er ist weiter nichts, als ein Conglomerat von Landtags Deputationen. Allerdings ist es richtig, daß die Reichsraths-Abgeordneten von den Landtagen keine Instruktionen, keine Mandate zu empfangen haben. Das ist recht schön in der Theorie, in der Praxis sieht es aber ganz anders aus. Sie sehen ja, daß es von der Landtagsmajorität abhängt, ob der Reichsrath als solcher anerkannt wird, ob daher die Abgeordneten im Reichsrathe ihre Sitze einnehmen, um nach den Beschlüssen der Landtagsmajorität abzustimmen oder nicht. Es ist also der Bestand des Reichsrathes fortwährend durch diese Landtagsmajoritäten in Frage gestellt; es hängt von ihnen ob, ob er beschlußfähig sei oder nicht; es ist ein Reichsrath von Landtags-Gnaden. Es wurde neulich aus ein Beispiel hingewiesen und die Behauptung aufgestellt, es sei eben nicht richtig, was ich jetzt zur Begründung meiner Meinung anführe; aber gerade jenes Beispiel beweist das Gegentheil; denn so viel mir erinnerlich ist, hat es in der Frage über das Volksschulgesetz eben nur von ein Paar Abgeordneten mehr oder weniger abgehangen, ob der Reichsrath beschlußfähig sei oder nicht und wenn nicht eben gerade noch einige nicht deutsche Abgeordnete im Reichsrath Stand gehalten hätten, so wäre es mit der Beschlußfähigkeit übel bestellt gewesen. Es ist begreiflich, daß unter solchen Umständen die Verfassung nicht Bestand haben kann, wenn sie, wie gesagt, immer und ewig in Frage gestellt wird. Es ist eine kontinuirliche Erscheinung, daß Gesetze, welche der Reichsrath beschließt, sobald die Landtage wieder zusammentreten, wieder in Diskussion gezogen — und förmlich in Frage gestellt werden. So ist es nach der bestehenden Gesetzgebung darauf ankommt, ob ein Landtag ein Reichsgesetz auszuführen habe oder nicht, so steht es im Belieben dieser Landtage, über das Reichsgesetz zur Tagesordnung überzugehen. Ich frage, ist es möglich zu regieren, wenn solche 17 LandtagsSonverainitäten neben der Einheit des Staates bestehen? Es ist wahrlich eine Unmöglichkeit! Man ist in den Concessionen an die Autonomie der verschiedenen Königreiche und Lander bis zur äußersten Grenze gegangen. Man hat diese Concessionen eben den Bestrebungen insbesondere der slavischen Partei zu verdanken und wir können meine Herren, keinen Schritt weiter mehr gehen ohne geradezu den Föderalismus als Prinzip in unsere Verfassung ausgenommen zu haben. Das wurde ichon wiederholt sowohl von einsichtsvollen Staatsmännern als von Regierungsorganen erklärt. Das ist die Erklärung, warum ein Ausgleich auf dem Boden der Verfassung mit Böhmen und Polen gar nicht möglich, ja an denselben gar nicht zu denken ist. 401 Unter solchen Verhältnissen, wie gesagt, müssen wir auf ein Rettungsmittel bedacht sein, und dieses Rettungsmittel könnte darin gelegen sei, dass man das unnatürliche Verhältniß aufgebe, nach welchem das Volk seine Vertreter nicht unmittelbar in den Reichsrath wählt, sondern durch das Medium der Landtage. Wir werden dann ein vom Volk gewähltes Parlament haben, und den wiederspänstigen Landtagen mit ganz andern und energischen Kräften entgegentreten können. Es werden nicht mehr die Landtagssouverainitäten im Reichsrath regieren, es wird das Volk jenen Landtagen gegenüber seinen Ausspruch thun und dieser Ausspruch wird eine Kraft haben, die gegenwärtig nicht geahnt wird. Eine politische Nothwendigkeit der Umgestaltung des gegenwärtig bestehenden Abgeordnetenhauses liegt in den Gründen, die ich bisher entwickelt habe, sie liegt aber auch in der Machtstellung des Reiches, sei es dem Auslande gegenüber, sei es gegenüber Ungarn, Es ist sehr begreiflich, daß unser Staat dem Auslande gegenüber, wenn er immerhin eine sehr achtbare Stellung einnimmt, doch nicht mehr jene Kraft, jene Energie besitze, welche er damals hatte, als es nur Ein Reich gab, während wir jetzt eigentlich zwei selbstständige Staaten haben die man Cisleithanien und Transleithanien nennt. Lösen Sie die eine Hälfte des Reiches noch mehr auf, verlegen Sie dieselbe in ihre Atome, stellen Sie die Unabhängigkeit dieser Ländergruppen völlig her, nun dann meine Herren! werden Sie zu antworten wissen, was die Stoßkraft des Reiches gegenüber dem Auslande noch zu bedeuten hat. Ungarn gegenüber sind dann die paritätischen Verhältnisse verschwunden; aber es liegt die Gefahr auch sehr nahe, daß nicht hüben und drüben nach verschiedenen Systemen regiert werden könne, daß, wenn der Föderalismus hier sein Haupt siegreich erhebt, er es auch in Ungarn thun werde, daß auch dort die jetzt bestehenden Verhältnisse neuerdings in Frage gestellt werden — endlose Zerwürfnisse, welche nur mit der Auflösung des Reiches enden könnten! Aber ich hege die Überzeugung, daß diese Gefahr zu beschwören sei und gerade durch das Mittel, welches wir in Vorschlag bringen. Durch direkte Wahlen werden Sie ein Parlament gründen, das feine Wurzeln im Volke selbst hat, das vom Volke selbst getragen wird. Wenn dieses Volk von, dessen gefunden Sinne man es erwarten darf, an der Verfassung festhält, so wird die Verfassung immer bestehen und wir werden dieser traurigen Gedanken los werden, daß die Verfassung und deren Bestand immerfort, von Jahr zu Jahr in Frage gestellt werde. — Das meine Herren, ist die Begründung der politischen Nothwendigkeit jene Maßregel, die in unserem Antrage befürwortet wird. Wir sagen aber auch ferner, daß die Umgestaltung des Abgeordnetenhauses im Interesse des konstitutionellen und parlamentarischen Prinzipes Überhaupt und bann insbesondere im Interesse unserer Verfassung gelegen sei. Ich brauche mich Über diesen Punkt nicht besonders zu ergehen, es wird genügen, wenn ich nur wenige Worte darüber verliere. Daß das konstitutionelle Prinzip in seiner richtigen Auffassung reiner zur Anschauung und zum Durchbruche kommt, wenn das Volk direkt seine Abgeordneten in den Reichsrath entsendet, als wenn dieses durch das Medium der Landtage geschieht, das glaube ich, dürfte im Prinzipe von Niemand angezweifelt werden. Es ist ein unnatürliches Verhältniß, daß die Vertreter der wichtigsten Interessen des Volkes nicht vom Volke gewählt werden, sondern vom Landtage. Es ist nicht abzusehen, warum das Volk seine Vertreter in den Landtag und nicht auch in den Reichsrath zu entsenden haben sollte. 402 Es ist also, wie gesagt, eine Forderung der Gerechtigkeit dem Volke gegenüber, daß wir es demselben vollkommen frei stellen, seine Abgeordneten direkt und unmittelbar in den Reichsrath zu entsenden. Das Parlament wird aus diese Weise, wie schon bemerkt, tiefere Wurzeln im Volke schlagen, die Wechselbeziehungen zwischen den Abgeordneten des Reiches und dem Volke selbst werden dasjenige werden, was sie sein sollen. — Denn offenbar ist es sehr zu bedauern, daß solche Wechselbeziehungen zwischen den Wählern und den Gewählten bei dem gegenwärtigen Systeme nicht bestehen können, wie sie eben das Mandat, das Wesen eines Mandates voraussetzt. Der Gewählte wird veranlaßt werden, seine Thätigkeit im Reichsparlamente von seinen Wählern zu rechtfertigen, er wird öfter und häufig mit ihnen in Berührung kommen, er wird ihre Ideen in sich aufnehmen und wird ihre Ideen im Parlamente vertreten. — Das Alles ist gegenwärtig nicht der Fall. Daraus erklärt sich auch gewissermaßen die geringe Theilnahme, welche das Volk dem Abgeordnetenhause, trotz seiner ausgezeichneten und ersprießlichen Thätigkeit, zuwendet. Es besteht eben eine Kluft zwischen dem Volke und dem Abgeordnetenhause — eine Kluft, die wir auszufüllen bestrebt sein sollen. Die „Umgestaltung des Abgeordnetenhauses" sage ich, ist auch im „Interesse des parlamentarischen Prinzipes gelegen." — Es ist ganz gewiß meine Herren, daß in einem konstitutionellen Staate gerade ein Volksparlament diejenige Schöpfung sei, welche gegenüber den Ausschreitungen einer Regierungsgewalt, welche die Gesetze nicht achten und über dieselben hinwegschreiten wollte, die größte Machte entfalten kann. Eine solche Macht würden Sie vergebens in den Landtagen suchen. Die Landtage bedeuten einer dem Absolutismus sich zuneigenden Regierung gegenüber nichts; sie sind nur in der Negation stark — aber etwas Positives zu schaffen gelänge ihnen nicht, weil ihre Wirksamkeit eben durch ihr Verhältniß zu- und untereinander durch die Leichtigkeit, sie in Widerspruch unter sich zu versitzen, paralisirt wird. Diese richtige Anschauung hat auch seiner Zeit der absolutistische Staat erkannt, denn er war immer bestrebt, ein Volk gegen das andere ins Feld zu führen, die Bestrebungen einer Nation durch die entgegengesetzten der anderen zu paralisiren, zu nichte zu machen und zu verhindern- Dasselbe kann dann nicht mehr der Fall sein, wenn wir ein Volkshaus besitzen. Sie werden mir meine Herren entgegnen: wir haben aber einen Reichsrath. Allein ich beziehe mich aus das früher Gesagte, daß dieser Reichsrath nichts anderes sei, als bet Spiegel der Majoritäten der Landtage und Sie selbst, meine Herren — wenn Sie nur mit einiger Aufmerksamkeit die Verhandlungen unseres Reichsrathes verfolgt haben — werden zur Einsicht gelangt sein, daß sehr oft das Beste, was von irgend einer Parthei, insbefonders von bei deutschen Verfassungsparthei angestrebt wurde, gerade durch die entgegengesetzten Bestrebungen einer anderen Majorität hintangehalten wurde. Wir hätten in mancher Hinsicht freiere Gesetze bekommen, als diejenigen, welche wir besitzen, wenn nicht Polen und Cechen dagegen gewesen wären, wenn man nicht allen Nationalitäten hatte Rücksicht tragen müssen. zwo behaupte ich, es ist im Interesse des parlamentarischen Prinzipes gelegen, ein Volks Haus zu schaffen. — Es liegt dieß auch im höchsten Grade im Interesse der Erhaltung und 403 Fortentwicklung der bestehenden Verfassung. — Daß in dieser Verfassung irgend Etwas gelegen sein muß, was deren Bestand und deren Fortbildung nicht zuträglich ist, das beweisen die Thatsachen, die, wie ich bereits erörterte, all und überall zu Tage treten. Daß diesem Zustande gegenüber, den ich bereits als eine akute Krankheit, als Krisis bezeichnen muß, in der Verfassung selbst nicht die Heilkraft, das Mittel, die Krisis zu überwinden, gelegen sei, das ist ebenso augenscheinlich, als daß die Krankheit seit Jahren fort und fort wucherte, fort und fort sich entwickelte. Die Heilmittel, welche die Verfassung der Regierung an die Hand gab, waren offenbar unzureichend. Es nützen Ausnahmszustände, es nützen Belagerungszustände nichts, man hat diese Erfahrung so oft gemacht, daß es bedauernswerth wäre, wenn man zu denselben noch einmal zurück greisen wollte. Das Heilmittel muß anderswo gesucht werden, in der Verfassung selbst ist es nicht gelegen. Der Umstand, daß wir bereits directe Wahlen haben, welche durch ein Nothwahlgesetz eingeführt würden, bedeutet eben die Unhaltbarkeit des Prinzipes, daß die Wahl der Reichsrathsabgeordneten durch den Landtag erfolgen soll. Es ist das ein Nothbehelf, der aber schon in sich den Fingerzeig enthält, wo eigentlich das Heilmittel gefunden werden muffe. Daß dieser Nothbehelf nicht ausreiche, dafür haben wir hinlängliche Beweise. Es ist nirgends zur Anwendung gekommen und wird auch nicht zur Anwendung kommen; denn es liegt in der Macht der Opposition, — anstatt es darauf ankommen zu lassen, daß die direkten Wahlen zur Ausführung kommen, den Reichsrath allenfalls zu beschicken — gerade in der Macht der dem Reichsrathe feindlichen Majorität das zu Nichte zu machen, was die Regierung und die Verfassungsparthei mit ihm anstrebt. Damit ist bewiesen, daß jenes Nothwahlgesetz die Lücke, welche in der Verfassung gelegen ist, nicht ausfüllt. Es liegt im Interesse dieser Verfassung, die direkte» Wahlen einzuführen, denn nur dann wird sie eigentlich zu dem, was die Verfassung sein soll, zu einer wahren Vertretung der Interessen des Volkes werden. Ob sie dieses jetzt schon sei, kann man nicht behaupten. Es wird allerdings gesagt und auch mit einer gewissen Berechtigung, unsere Verfassung, wenigstens unsere revidirte Verfassung zählt noch ganz wenig Jahre ihres Bestehens, kaum zwei Jahre und es soll schon wieder an derselben gerüttelt werden; man läßt sie nicht Wurzel fassen, nicht in das Volk eindringen, man läßt sie nicht zum Verständnisse desselben gelangen und da begehrt man schon wieder eine Abänderung derselben! Wie ich sagte, es hat diese Anschauung allerdings einige Berechtigung für sich; allein diese Berechtigung kann ich nur in so lange anerkennen, als nicht das Bedürfniß, das allseitig anerkannte Bedürfniß nach einer Abänderung der Verfassung nachgewiesen ist. Ich selbst war noch bis vor kurzer Zeit dieser Anschauung, daß die Wahlreform nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte; allein es sind Umstande eingetreten, welche die Nothwendigkeit der Wahlreform am das Deutlichste darthun, einer Nothwendigkeit, der wir uns nicht mehr verschließen können. Wenn wie gesagt die Krisis bereits besteht, so muß diese Krisis mit den Mitteln, die uns 404 zu Gebots stehen, beseitigt werden, wenn wir nicht wollen, daß der Bau, den wir mühsam aufgeführt haben, über Nacht wieder über uns zusammenstürze. Man sagt: ihr rüttelt an der Verfassung! das ist nicht richtig, meine Herren! — Wenn man an einem Gebäude einen morsch gewordenen Balken herausnimmt, um ihn durch einen neuen ZU ersetzen, so wird Niemand behaupten können, daß man die Grundfeste dieses Gebäudes erschüttere, daß man daran rüttle. Im Gegentheile wird man sagen müssen, sie wollen den Bestand des Gebäudes sichern. Die Verfassung ist nirgends als vollkommen hingestellt; in der Verfassung selbst finden Sie ja die Bestimmung, die eine Abänderung oder Verbesserung derselben in Aussicht nimmt. Zu was würde es heißen, daß eine Zweidrittel Majorität die Abänderung der Verfassung beschließen könne und daß hiebei zur Richtschnur zu dienen habe, einzig und allein zu prüfen, ob die Nothwendigkeit einer Reform der Verfassung gegeben sei oder nicht, ist wohl selbstverständlich. Wenn die Herrn in ihren Schlußfolgerungen dahin gelangen, zu sagen: die Nothwendigkeit ist da, dann sind wir auch verpflichtet, an jene Reform zu schreiten, welche als eine Nothwendigkeit sich zeigt. Ist die Nothwendigkeit nicht da, dann stimme ich denen bei, welche sagen, wir wollen keine Reform. „Nicht, was wünschenswerth, sondern nur, was nothwendig ist, muß den Ausschlag geben!" Auch ich stimme der Ansicht vollkommen bei, daß man die Sache nicht hastig überstürze, daß man das Bessere suche und das Gute dabei opfere; allein wenn es augenscheinlich ist, daß das Gute nicht mehr zu erhalten ist, dann haben wir vollkommen recht, ja, wir haben sogar die Pflicht, zu jenen Reformen zu greifen, welche das Gute erhalten und Besseres zu schaffen geeignet sind. Ich gehe nun auf die weitern Punkte über, die im Anträge enthalten sind und ich will nur Eines erwähnen, weil es insbesondere aus unsere Stellung im Reiche sich bezieht. „Die Verfassung meine Herren! verdankt ihr Entstehen insbesondere der deutschen Parthei." Die deutsche Parthei in Österreich ist diejenige, die vielleicht einzig und allein noch den Namen „Österreicher" beanspruchen darf, — einzig diejenige, welche den Bestand des Reiches in ihr Programm aufgenommen hat; denn wir sehen offenbar, daß die Bestrebungen der andern Nationalitäten in Österreich ganz auf etwas Anderes, aus das entgegengesetzte Ziel dürfte man sagen, gerichtet sind. Ich spreche da eine Anklage aus, die vielleicht schwer wiegt; allein die Umstände, die zu Tage treten, rechtfertigen sie. Kein Vernünftiger kann des Reiches fühlt, daß Reichsrathabgeordneten Ende, sondern das Ende bezweifeln, „daß der Föderalismus zur Auflößung er — wie von dem trefflichen Kaisersfeld gesagt wurde — „nicht der Anfang vom selbst ist." Nun, meine Herren! wenn wir Deutsche uns nicht darum bekümmern, ein Rettungsmittel zu finden gegen diese Gefahr des Föderalismus, Was steht uns bevor? — es steht uns bevor, daß wir nicht nur im Reichsrathe, sondern auch in den Landtagen, wo andere Nationalitäten gemischt mit den Deutschen Sitz und Stimme haben, von denselben majorisirt werden. Der Föderalismus bedeutet für uns den Untergang der Machtstellung des Deutschthums es bedeutet die Slavisirung und nebenher die Auflößung des Reiches." 405 Ich glaube daher, daß die deutsche Parthei insbesondere ein Interesse hat an der Wahlreformdurchführung; daher erklärt es sich auch, daß alle Landtage, wo eine deutsche Majorität glücklicherweise vorhanden ist, in diesem Punkte vollkommen übereinstimmen, während gerade allen andern der Föderalismus das erwünschte Ziel ist, daher alle anderen Landtage gegen die direktes Wahlen sind. Diese Thatsachen, meine Herren, sprechen in einer Weise für dasjenige, was wir beantragen, für unsere Bestrebungen, daß es fast überflüssig ist, mit neuen Argumenten ins Feld zu rücken. Sie mögen sagen, die Deutschen sind von jeher Doctrinäre gewesen, eines Prinzipes wegen opfern sie das Gute, welches sie besitzen. Allein gesetzt, das wäre richtig, so kann sicherlich das Nämliche nicht unsern Gegnern nachgesagt werden. Wenn Jemand über unsere Anschauung Zweifel hegt, so ersuchen wir ihn, in das Lager unserer Gegner hinüberzublicken und er wird sich überzeugen, daß wir das Richtige anstreben. „Wir wollen bei den direkten Wahlen die geheime Abstimmung." Dieser unser Antrag rechtfertigt sich einfach dadurch, daß die Erfahrung gezeigt hat, daß nur durch die geheime Abstimmung die öffentliche Stimme in unverfälschter Weise zum Ausdrucke gelangt. Ich brauche daher in dieser Rücksicht gar nichts weiter beizufügen. Aber insbesondere in einer Zeit, wo die dem Deutschthume entgegenstrebende Parthei zu den extremsten Mitteln greift — wie das in Böhmen vorgekommen ist, — zu Mitteln, deren sich der ausgebildeste Terrorismus nicht zu schämen hat, gerade in einer solchen Zeit ist die geheime Abstimmung eine Nothwendigkeit. Wir beantragen die „einstweilige Beibehaltung des Gruppensystems und des Systems der Wahlmänner bei den Wahlen auf dem Lande." Zu diesem Antrage führen uns Rücksichten der „Opportunität." Insbesondere, was die Beibehaltung des Gruppensystems anbelangt, so ist dasselbe von der größten Wichtigkeit in einzelnen Ländern, wo das Deutschthum an den Großgrundbesitzern eine feste Stütze gefunden hat. Auf bei anderen Seite kann es sicherlich nicht in unserem Interesse gelegen sein, die Gegner der Verfassung die ohnedem zahlreich genug austreten, noch zu vermehren. Es kann nicht in unserm Interesse gelegen sein, die Großgrundbesitzer in das Lager unserer Feinde hinüberzutreiben, um so weniger, als wir wirklich denselben großentheils zu vielem Danke verpflichtet sind, weil sie zumeist für die Verfassung und für die Regierung eingestanden sind. Die Beibehaltung des Systems der Wahlmänner hat wenigstens in der Übergangsperiode — und als Übergangsperiode ist sie jedenfalls gegenwärtig aufzufassen, — ihre Berichtigung; denn Niemand darf verkennen, daß wir, wenn nicht bald, doch mit der Zeit zum System des allgemeinen Stimmrechtes übergehen müssen, weil es siegreich in ganz Europa vordringt; daß, sage ich, man während der Übergangsperiode Schritt für Schritt Vorgehen müsse und daß man, wie ich früher sagte, da nichts hastig überstürzen und übertreiben darf, wenn wir eben unsern Zweck, der in der Ausrechthaltung der Verfassung liegt, erreichen wollen. Es sprechen für die Beibehaltung des Gruppensystems, und des Systems der Wahlmänner überwiegende Gründe und deßhalb gebe ich dem Redner ganz recht, der neulich auf die Verhältnisse in Ungarn hingewiesen hat, wo das allgemeine Stimmrecht zu 406 Ausschreitungen führte, die ich nur als bedauerlich erkennen muß. Es kann wirklich nicht in unserm Interesse liegen, Ähnliches auch bei uns einzuführen. Wir werden langsam vorgehen, wir erwarten, daß die Bildung des Volkes fortschreite, daß eben die Verfassung ihr richtiges Verständniß finde und daß die allgemeine und politische Bildung sich ausbreite; denn nur in einem solchen Falle können wir mit Beruhigung zu anderweitigen Systemen übergehen. Das nun die „Ausdehnung des activen und passiven Wahlrechtes" anbelangt, so findet dieselbe ihre Rechtfertigung nur in dem großen Zwecke, den man im Auge hat, in dem Zwecke, das „Abgeordnetenhaus in ein wahres Volksparlament" umzugestalten, d. h. eben daß das Wahlrecht von seiner gegenwärtigen Beschränkung aut eine breitere Basis gestellt werden müsse, wenn es dieser großen Ausgabe gerecht werden soll. Die „Verdopplung der Zahl der Abgeordneten ist ebenfalls, man könnte sagen eine nachweisbare Nothwendigkeit. Die „Vermehrung der Zahl der Abgeordneten" ist schon deßwegen nothwendig, damit unser Parlament dem ungarischen Parlamente paritätisch gegenüber stehe. Die Ungarn haben in dieser Hinsicht einen großen Vortheil über uns erzielt. Hinter dem ungarischen Parlamente steht das Volk. Das ungarische Parlament drückt fast in doppelter Anzahl von Abgeordneten auf die Entscheidung. Wir haben das insbesondere auch in der Delegation gesehen, und es ist wünschenswerth, daß wenigstens kein nummerisches Übergewicht bestehe. Sollte ein geistiges Übergewicht auf einer andern Seite sich finden, so haben diejenigen dafür zu sorgen, welche die Abgeordneten ins Parlament entsenden, aber die numerische Parität die soll gewahrt werden. Eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten ist deßwegen sehr wünschenswerth, weil es Landtage gibt, die mehr Abgeordnete zählen als unser Reichsrath, z. B. der böhmische Landtag. Ein weiterer Grund für die Vermehrung der Zahl der Abgeordneten liegt in der allbekannten Thatsache, daß eine Überbürdung mit Geschäften seit Jahren schon stattfindet und daß viele ausgezeichnete Männer sich des Mandates entschlagen, oder dasselbe niederlegen, weil sie einer solchen Geschäftsüberbürdung sich nicht gewachsen fühlen und weil ihre häuslichen Verhältnisse es ihnen nicht erlauben, daß sie sich jahrelang bloß den Geschäften des Reichsraths und blos der Politik widmen. Eine Verdopplung der Zahl der Abgeordneten wird aber auch dem Hause frische Kräfte zuführen. Es wird ein frischer Hauch durch dasselbe wehen, der nur fruchtbringend und von Nutzen fein kann. Es wird durch die Verdopplung der Zahl der Abgeordneten eine „große Partheibildung im Hause" selbst ermöglicht; — ein Mangel der schon oft beklagt wurde. Endlich wird auch das nicht mehr zu fürchten fein, was gegenwärtig eingetreten ist, daß, wenn sich aus dem Schooße der Majorität des Abgeordnetenhauses ein Ministerium, ein parlamentarisches Ministerium bildet, dadurch so viele ausgezeichnete Kräfte dem Abgeordnetenhause entzogen werden, daß dieser Verlust schwer in die Wagschale fallen muß. Die „Abkürzung der Mandatsdauer" endlich meine Herren, findet auch ihre Rechtfertigung in mancherlei Gründen. Vor Allem wurde bemerkt, daß die Kräfte bei einer solchen Mandatsdauer wie gegenwärtig durch volle sechs Jahre nach und nach sich abnützen. Es wurde, und ich glaube mit einiger Berechtigung, 407 auch geltend gemacht, daß Abgeordnete, die durch sechs Jahre lang im Parlamente sitzen, vielleicht nicht mehr jenen Ideen huldigen, welche während dieser Zeit ihren Gang durch die Welt gemacht haben. Sie vertreten die Ideen, welche damals maßgebend waren, als sie in8 Abgeordnetenhaus gewählt wurden und vielleicht nicht mehr jene, welche seit der Zeit in die Wahlkreise eingedrungen sind. Es ist übrigens ein weiterer Grund, der die Abkürzung der Mandatsdauer bestimmen dürfte, jener, daß die häufigere Ausübung des Wahlrechtes von Seite des Volkes ganz gewiß als eine werthvolle politische Thätigkeit desselben anzusehen sei. - Nun habe ich, wie ich glaube, mit diesen Erörterungen unsern Antrag so gut, als ich es im Stande zu leisten war, gerechtfertigt Ich will nur mehr auf eine Einwendung Hinweisen, die im Schooße des Comites vorgebracht wurde und die nach meiner Anschauung keine Rechtfertigung in sich trägt. Es wurde behauptet, daß durch die directen Wahlen ins Abgeordnetenhaus, durch die Schaffung eines Volksparlamentes, die zu Recht bestehende Autonomie der Landtage, wenn ich richtig verstand, in Gefahr gerathe. Das meine Herren, kann nicht der Fall sein, indem die berechtigte Autonomie der Landtage auf dem Gesetze beruht, dieses Gesetz zu Recht besteht, und durch den Umstand, daß die direkte» Wahlen eingeführt werden, kein Gesetz abgeändert wird, als das Wahlgesetz für den Reichsrath. Es wurde gesagt, die Landtage werden zu Schattenlandlagen herabsinken gegenüber der Autorität eines Volksparlamentes, welches vom Volke direkt gewählt wird. Meine Herren, diese Gefahr besteht auch nicht nach meiner Anschauung. Aber ganz eine andere Gefahr besteht, „wenn der Föderalismus zum Siege gelangen sollte und daß er zum Siege nicht gelange, " dafür wollen wir ein Mittel finden durch Einführung der directen Wahlen. Wenn der Föderalismus siegt, dann ist es allerdings mit dem Abgeordnetenhause zu Ende; dann werden wir in kürzester Frist statt einem Abgeordnetenhause, vier oder sieben Generallandtage haben, und wenn wir Generallandtage bekommen, dann ist von den kleinen Landtagen keine Rede mehr. — Diese Gefahr, meine Herren besteht, und diese Gefahr ist nach meiner Anschauung eine viel größere als jene, auf welche, wie ich gesagt, einer der Herren Oponenten hingewiesen hat. Zum Schlusse meine Herren läge ich, wenn schon Jemand glaubt und betont, daß die Verfassung in Gefahr stehe, dann kann die Rettung nur dort gesucht werden, wo die Verfassung ihre Kraft und ihre Stärke finden soll, im Volke selbst. Ich hoffe und lebe der Überzeugung, daß der gesunde Sinn des Volkes die Verfassung zu erhalten wissen werde. Wenn es aber dem Volke nicht gelingt, dann meine Herren ist es an der Zeit, »daß wir die Fahne, welche hoch zu halten wir gelobt haben, zusammenrollen und daß wir sie als Paladium für die künftige Zeit aufbewahren." (Mehrseitiges Bravo.) Dr. Jussel: Ich bitte ums Wort. Wahlreform und Verfassungsrevision, zwei offene Fragen, wie sie jetzt in Österreich verbandelt werden, sind nach meiner Anschauung sehr ernster Natur und von der höchsten Tragweite. 408 Die Lösung dieser Fragen steht der Reichsgesetzgebung zu und mit Hinblick auf diesen Umstand ist es außer Zweifel, daß die h. Regierung von den Landtagen als den berechtigten Organen der öffentlichen Meinung nur ein Gutachten, eine Wohlmeinung abverlangt, um der öffentlichen Meinung Rechnung tragen zu können, und um als verantwortliches Ministerium auch der Verantwortungspflicht gerecht zu werden. Es ist allerdings eine schwere Sache für einen einfachen Advokaten, da über hohe Politik zu sprechen. Es ist noch schwerer mit einem Antrage hervorzutreten, der geradezu dem jetzigen Gang- und Geberufe der Presse direkt entgegentritt. Es ist schwer, weil große Autoritäten sich dafür ausgesprochen haben. Indessen nur nachreden, was andere reden, nur stimmen, was bereits andere gestimmt haben, das kann nicht Sache des Landtages sein. Er muß eine eigene Anschauung sich verschaffen, eine eigene Überzeugung sich gründen und es ist daher auch Pflicht eines jeden Abgeordneten, seiner Überzeugung Ausdruck zu geben, mag sie nun einen guten oder schlechten Anklang finden. Ich gestehe, daß ich dem Prinzipe nach mit den direkten Wahlen ganz einverstanden wäre und ich glaube, es wird auch wenige Leute geben, die sie im Prinzipe, der Idee nach, zurückweisen könnten. Wer immer von dem Standpunkte des Constitutionalismus ausgeht, kann es nicht thun. Allein Idee ist eben Idee und keine Wirklichkeit. Ich will nur darauf hinweisen, was in Nordamerika, England und anderen Ländern, namentlich was in Ungarn geschieht, wo direkte Wahlen eingeführt sind. Sind diese Wahlen etwa der reine Ausdruck des Volkswillens? — Ich möchte sagen: nein! — Wahlschlachten, wie sie in Ungarn vorkommen, scheinen mir durchaus nicht geeignet zu sein, als der Ausdruck der Volksstimmung zu glänzen. Wenn wir auf die Ursachen zurücksehen, die solche Wahlschlachten zu Tage rufen, so werden wir uns noch mehr abwenden; denn da sind konstatirte Thatsachen, daß ehrsüchtige Leute oder auch Partheiungen Geld spenden, Trinken und Essen zahlen und die Leute dadurch in einen erregten Zustand bringen, um so ihre Stimme zu gewinnen. Ich bin deßwegen im Jahre 1866 für die offenen und gegen die geheimen Wahlen für die Landtagswahlen im Lande Vorarlberg ausgetreten. Auch damals hat es sich ergeben, daß ich mit einer Seite des Hauses stand, die nicht den gleichen Standpunkt, wie ich eingenommen halte und das ist auch heute wieder der Fall; beim ich habe bereits erklärt, daß meinem Antrage eine Stimme zufällt, die sich ausgesprochen Hal, von einem andern Standpunkte aus auf den gleichen Schluß mit dem meinigen zu kommen. Als ich im Jahre 1866 gegen die geheime Abstimmung und für die offene Wahl gesprochen habe, wurde ich als Idealist verschrien. Ich gebe es zu, ich habe der Idee sehr dabei gehuldiget; allein wenn ich auch dort der Idee mehr gehuldigt habe, habe ich auch dort die wirklichen Verhältnisse nicht ganz ausser Auge gelassen Ich bin schon vermöge meines Vorlebens und meines bisherigen Berufes dahingelangt, in das Leben des Volkes hineinzusehen und berücksichtige daher die Verhältnisse. 409 Wenn ich aber damals bei der Landtagssession 1866 bei der Idee stehen geblieben bin und die reellen Verhältnisse nicht so sehr berücksichtigt habe, so war einfach der Grund der, weil die Folgen höchstens die sein konnten, daß durch Fehler die Leute zur Kenntniß und dadurch zur Besserung kommen, durch Erfahrung gewitziget, vorsichtiger wählen lernen würden. Heute nun huldige ich nicht mehr dem Prinzipe; heute trage ich den wirklich existirenden Verhältnissen vollständige Rechnung. Der Grund liegt darin, weil diesmal weit höhere Interessen, Interessen des ganzen Reiches auf dem Spiele stehen, Interessen, bei denen keine Besserung sondern die gänzliche Auflösung, der Zerfall des Reiches das Ende wäre. „Ich bin nicht für die direkten Wahlen." Seit 1848 hat man in Österreich Provisorien eines nach dem andern geschaffen; provisorische Gesetze sind eine Menge erschienen, und die allgemeine öffentliche Stimme, also die Volksstimme, hat auch fort und fort und immer mehr steigend erklärt: „wenn es doch einmal mit den Provisorien ein Ende hätte! wenn ein stabiles „bleibendes Verhältniß geschaffen würde! An diese Provisorien haben sich Experimente angeschlossen. Es braucht der Erörterung nicht, daß es in Österreich seit 1848 an Experimenten nicht gefehlt hat; leider — in einem Zeitraum von 90 Jahren, waltete das von einem Ast auf den andern springen, das Hin und Zurück, das Auf- und Abwärts vor. Wohin hat es geführt? Es hat eben die Staatsbürger mißtrauisch gemacht, es hat die Staatsbürger wankelmüthig gemacht und darin liegt der Krebsschaden, warum heute die Wahlreform u. die Verfassungsrevision zu Tagesfragen geworden sind. Es hatte sich auch damals die öffentliche Meinung mehr und mehr — allgemein dahin ausgesprochen, „es möchte endlich mit den Experimenten ein Ende haben", und es wurde endlich geradezu erklärt: Österreich verträgt keine weiteren Experimente, wenn nochmals ein Experiment kommt, so ist es um dasselbe geschehen. Daher wurde denn auch laut von den gesetzgebenden Factoren im Jahre 1867 verkündet, daß es mit den Provisorien mit den Experimenten zu Ende sei. Es wurden die Staatsgrundgesetze vom 2l. Dezember 1867 als die Grundlage für den künftigen Bestand des österreichischen Staates proklamirt. Diese Verfassung gibt dem Volke im reichlichen Maße sein Recht. Das Steuer- und Rekrutenbewilligungsrecht und die Theilname an aller Gesetzgebung ist dasjenige, was dem Volke als Recht darin beschieden ist. Aber auch der Staatsbürger, der Einzelne findet darin dasjenige, was er mit Fug und Recht ansprechen kann. Das Menschenrecht und die Menschenwürde ist allenthalben im Staatsgrundgesetze gewahrt. Es sind auch die Nationalitäts-Rechte gewahrt und bestens darin vertreten. Österreich hat endlich in den Staatsgrundgesetzen vom Jahre 1867 den lange festgehaltenen entzweienden, zersetzenden politischen Grundsatz, das divide et impera! gestürzt und hat dafür den Grundsatz der Gleichberechtigung untergestellt. Die Völker Österreichs im Ganzen sowie im Einzelnen sind vollständig sich gleichgestellt. Es gibt jetzt in Österreich für den, der auf dem Standpunkt der Verfassung steht, keine Deutschen, keine Italiener, keine Tiroler, keine Cchechen, keine Slovenen, keine Polen mehr! es gibt eben nur ebenbürtige Brüder, es gibt nur österreichische Staatsbürger mehr. 410 Daraus kann entnommen werden, daß uns denn doch die Verfassung. Alles dasjenige bietet. Alles das gewährt, was immer nur der Mensch nach Billigkeit und Gerechtigkeit verlangen kann. Deßhalb hat denn auch der hohe Landtag im vorigen Jahr den aufrichtigen Dank Seiner Majestät für die Verfassung gezollt und der Landtag hat auch unter dem Ausdrucke der Anerkennung das hohe Ministerium ersucht, kräftig, gewissenhaft für die Aufrechthaltung und Durchführung der Verfassung zu wirken. Und nun soll das Alles anders geworden sein seit gestern? — Ja — unsere Erziehung seit 20 Jahren: das ständige Mißtrauen, der Wankelmuth ist wieder vorgetreten, den wir leider kaum ein Jahr lang abgelegt hatten und zwar im Vertrauen auf die Staatsgrundgesetze. Und ist etwa Ursache dazu da? Hat nicht das jetzige Ministerium mit aller Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeit die Verfassung auszuführen gesucht? Können wir etwa mit den Leistungen des Reichsrathes nicht zufrieden sein? Liegt es etwa in der Verfassung, daß es Unzufriedene gibt? Die Cchechen, die Polen, Slovenen und Tiroler hat nicht die Verfassung vom Jahre 1867 geschaffen meine Herren! sie haben schon vor der Verfaßung anno 1867 bestanden, waren auch schon damals nicht zufrieden, und wenn sie jetzt sich nicht bequemen zu dieser Verfassung zu stehen, so ist eben nicht die Verfassung daran die Schuld, die alles das bietet, was man nach Recht und Billigkeit verlangen kann. Es liegen ganz andere Ursachen dahinter und Ursachen, die mich eben hauptsächlich bestimmen, dagegen zu stimmen, daß an der Verfassung gerüttelt, daß die direkten Wahlen eingeführt werden. — Wer es ehrlich mit dem Staat meint und nicht mehr in Anspruch nimmt, als was man vom Staate mit Rech! verlangen kann, der muß sich zufrieden stellen mit der jetzigen Verfassung. Wer aber mehr verlangt, der hat Hinterhalte, die freilich für den Bestand des Reiches äußerst gefährlich sind. Ich bedauere es aber sagen zu müssen, daß, wie ich die Sache anschaue, nicht diese Unzufriedenen zunächst der Ruin, ich will nicht sagen der Ruin aber doch die Ursache an dem jetzigen Treiben und Thun auf Veränderung der Verfassung sind. Ich möchte da ein Sprichwort anwenden und sagen: „Gott schütze die Verfassung vor ihren eigenen Freunden mehr als vor ihren Feinden!" Denn die Zerfahrenheit der Freunde, derjenigen, welche im Jahre 1867 sich zusammengethan haben, an der Verfassung festzuhalten, sie zu schützen, diese zerfahrenen Freunde sangen an zu rütteln; leider ahmen sie das Beispiel der Gegner nicht nach; diese sind einig; aber die liberale Partei zeigt sich uneinig u. macht eben dadurch der Verfassung Eintrag, verdächtiget damit selbst die Verfassung. — Um ein Gleichniß zu gebrauchen, stelle ich mir vor, als ob im Jahre 1867 in den wohlgeackerten Boden Österreichs fruchtbares Saatkorn gelegt worden, aus daß es dort Wurzel fasse und keime. Es hatte angefangen Wurzel zu fassen und zu keimen; der Keim schaute noch nicht über den Boden heraus und schon wird leichtsinnig der Boden um den Keim herum geöffnet, damit ihn der Sonnenglanz der direkten Wahlen bescheine. Was ist die Folge davon? Die zarten Keime verbrennen an dem Sonnenlichte und um so leichter wird es den Gewittern, die von Polen und Böhmen und anderswoher ausbrechen, der Verfassung zu Leibe zu gehen, ihr den Garaus zu machen. Ich glaube, der hohe Reichscath hat die Tendenzen der Polen gerade nur dadurch zurückzuweisen vermocht, daß er fest an der Verfassung halten zu müssen erklärt hat. Damit allein ist er in die Lag« gekommen, die Resolution zurückzuweisen. Und nun, wenn die Freunde der Verfassung kommen und sagen: die Verfassung genügt so nicht mehr, wir müßen verbessern daran, so heißt das wohl ein Loch in die Verfassung machen; dann werden aber die 411 andern mit um so mehr Berechtigung kommen und sagen: auch wir wollen daran verbessern und rütteln und so kann uns das nicht verweigert werden, was wir verlangen. Was aber verlangt wird, ist im Grunde offenbar u. entschieden der Föderalismus, den auch diejenigen, welche den gegentheiligen Antrag stellen, als das Verderben, den Zerfall und Ruin von Österreich anerkennen. Man sagt wohl, die Verfassung ist unvollkommen. Ja meine Herrn! da mögen Sie Verfassungen bringen, so viel sie wollen, Menschenwerk bleibt immer unvollkommen. Übrigens unsere junge Verfassung will man nicht einmal wachsen und gedeihen lasten. — Bevor man weiß, ob sie etwas werde, bevor man sie großzieht, bevor man ihre Früchte abwartet, will man sie schon zerknicken. Das ist jedenfalls widernatürlich u. zu früh. Will man es aber auch darauf ankommen lassen, es möge geschehen was da wolle und wenn auch noch so gescheide Leute durch die direkten Wahlen in den Reichsrath kommen, so werden sie nie und nimmer im Stande sein, für das polyglotte Österreich eine Verfassung zu schaffen, die Alle befriedigen würde. Sie könnte es um so weniger vermögen, als sie die gegenwärtige Verfassung in dem Maß der Wahrheit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit nimmer zu überbiethen im Stande sein kann. Soll es möglich sein, für Österreich eine Verfassung zu schaffen, die alle befriedigt, dann müsten wir eben bei dem Prinzipe der Gerechtigkeit, wie die jetzige Verfassung es biethet, die nur Österreicher, die keine Nationalitäten, die nur ebenbürtige Brüder kennt, dann muffen wir, sage ich, bei dem Wesen der jetzigen Verfassung stehen bleiben. Das jetzige Vorgehen der Wahlreform. Freunde scheint mir nur dazu angethan, den Beweis zu liefern, daß in Österreich keine Verfassung, keine konstitutionelle Regierung mehr möglich ist, sondern daß entweder der Zerfall bevorsteht, oder die Mahnung an die Krone herantritt, den Verfall durch die Wiedereinführung des Absolutismus zu verhindern. Vorarlberg ist allezeit, auch in schweren und trüben Zeiten treu zu Österreich gestanden und jetzt, wo Österreich die Fahnen der Gerechtigkeit so hoch hält, wird es gewiß um so mehr daran festhalten. Ich habe Ihnen aufrichtig meine Meinung auseinandergesetzt; mag diese Meinung gegründet oder nicht gegründet sein, mag sie der jetzigen Zeitströmung noch so sehr widerstreben, bleibt sie doch meine aufrichtige Meinung, eine Meinung, die ich bisher durch alles, was dagegen angebracht worden ist, nicht erschüttert erachte. Deßwegen verharre ich bei meinem Antrage und werde auch mit vollster Überzeugung dafür stimmen. Feuerstein: Wenn ich in der gegenwärtigen Debatte das Wort ergreife, so geschieht es keineswegs deßwegen, weil ich die Einbildung hege, in politischen Dingen ein entscheidendes Wort mitsprechen zu können, sondern ich erachte mich dazu verpflichtet, um für das Recht des Volkes zu sprechen. Das Volk wurde bisher in Verfassungsangelegenheiten noch nie befragt, sondern dieselben wurden ihm allergnädigst verliehen. Heute tritt die Frage, die eine Grundfrage ist, und die über ein großes constitutionelles System entscheidet, nämlich die Frage des Wahlrechtes an uns heran. Ich hoffe, daß das Comite die Wichtigkeit dieser Frage einsehen werde und daß es 412 wenigstens diejenigen Rechte, die dem Volke so zu tagen als Naturrechte gebühren, wahren werde. Allein dieses scheint mir nicht der Fall zu sein. Zuerst beginnt das Comite damit, das alte Gruppensystem festzuhalten, das Wahlrecht der Städter und der Landbevölkerung in zwei Theile zu theilen, was wahrlich nicht zu Gunsten der Landbevölkerung ausfallen wird. Zweitens räumt allerdings das Comite demjenigen Theile der Bevölkerung, bereits der Hälfte der Bevölkerung, die bisher so schmälich um das Wahlrecht verkürzt wurde, diesem Theile räumt es allerdings das Wahlrecht ein; aber es geht mit diesem Wahlrechte gleich Anfangs ganz wunderlich um, nämlich die Stadtbevölkerung, die Städte, die finden Gnade vor dem Comite. Diesen wird das direkte allgemeine Wahlrecht gewährt, der Landbevölkerung aber nicht, denn da heißt es am Schlusse des ComiteBerichtes: die Landbevölkerung übt das Wahlrecht durch Wahlmänner aus. Das ist nach meiner Ansicht nicht der Grundsatz der Gleichberechtigung. Da heißt es: Bauer das ist ganz etwas Anderes, wie das Sprichwort sagt. Da gelten nicht die gleichen Grundsätze Der Landbevölkerung wird ein Curator gesetzt — nur durch ihre Curatoren, die Wahlmänner, kann sie ihr Wahlrecht ausüben. Ich bitte Sie, meine Herrn, diesen Grundsätzen nicht zuzustimmen, sondern, wenn Sie einmal im Namen des Volkes sprechen, wenn Sie seine Wünsche zur Geltung bringen wollen, dann stimmen Sie für die Grundsätze der Billigkeit und der Gleichberechtigung und gegen die Anträge des Comites. Ich fordere Sie auf, namentlich nicht dem beantragten Absatze des Comites zuzustimmen, wo es heißt: „die Landbevölkerung übt das Wahlrecht durch Wahlmänner aus." Hirschbühl: Ich stimme ganz den Grundsätzen meines verehrt. Freundes u. Vorredners Feuerstein bei u. bedaure sehr, daß die Städte, die nur 20.000 Einwohner haben, die Hälfte der Reichsrathsabgeordneten wählen können, wogegen die übrigen Landbewohner von Vorarlberg, vielleicht 80, 000 an der Zahl nur so viel Reichsrathsabgeordnete zu wählen hätten, als 20, 000 und erlaube mir den Antrag zu stellen: das hohe Haus wolle beschließen, daß die Landgemeinden 3/4 und die Städte 1/4 der Reichsrathsabgeordneten zu wählen haben. Landeshauptmann: Ich bitte diesen Antrag bei der Spezialdebatte zu stellen. Gsteu: Ich bitte ums Wort. Wenn ich das Wort ergreife, so geschieht es auch nicht, weil ich mir heute anmaße, über Politik sprechen zu wollen. Ich will Klos meine Ansicht, die Ansicht eines schlichten Bauers in dieser Frage der h. Versammlung »erlegen. Ich huldige dem Grundsatze: „gleiches Recht für Alle;" darum kann ich auch für die Anträge des Comites stimmen, daß nämlich die Wahlen auf das Volk doch mehr ausgedehnt werden, und wenn sie auch noch für jetzt in einzelnen Punkten etwas beschränkt werden müßen. Was bezüglich der allgemeinen Verhältnisse zu sagen ist, da meine ich, muß doch etwas fehlen in Österreich. Wir haben ja eine Verfassung, um die wir von vielen Ländern beneidet werden. Es wird die Gewissensfreiheit persönliche Freiheit, es wird das Vereinsrecht garantirt, es werden Bestimmungen über Gerichte festgestellt, so, daß bald über alle wichtigen Straffälle durch Geschworne Recht gesprochen wird — in Preßsachen besteht das Geschworengericht schon; überhaupt sind in dieser Verfassung solche liberale freiheitliche Grundsätze hingelegt, daß man glauben sollte, man könnte nicht 413 mehr weiter gehen und doch heißt es überall: unzufrieden. Man will es anders. Wo steckt das Übel? Nach meiner Ansicht hat man eben da bei der Revision der Verfassung den Fehler gemacht, daß man den Landtagen zu viel Recht eingeräumt hat. Da steckt das Übel; durch das sind die Landtage etwas frecher geworden und maßen sich das Recht an, über das Ganze zu urtheilen und über das Ganze befehlen zu wollen. Darin, glaube ich, steckt der Hauptfehler. Nun, wie könnte man diesem Übel abhelfen? Da glaube ich, daß eben das Mittel, welches von uns vorgeschlagen wird — die direkten Wahlen — könnten allenfalls etwas beitragen, nämlich die direkten Wahlen in den Reichsrath vom Volke aus. Bei den jetzigen Verhältnissen in den Landtagen kommen vielfach Kräfte, die für die Verfassung gestimmt wären, nicht zum Ausdrucke im Reichsrathe. Es werden die Abgeordneten vom Landtage gewählt und da bestimmt die Majorität. Wir haben da den Landtag in Tirol. Der läßt eine starke liberale Minorität nicht in den Reichsrath kommen. Wir haben den Landtag in Krain, da geschieht eben dasselbe, in Mähren geschieht eben dasselbe und so noch an manchen andern Orten. Wenn wir nun unmittelbar die direkten Wahlen beantragen, so glaube ich, könnten doch von diesen Ländern einzelne liberale Abgeordnete in den Reichsrath kommen und könnte dadurch die Verfassung gestärkt werden. Alle die Gegner der Verfassung, sowol die Polen die Italiener, Tschechen u. wie die Nationalitäten alle heißen, haben jede ihre eigenen weitauseinander gehenden verschiedenen Interessen vermöge welcher sie die Verfassung bekämpfen; nur in Einem sind sie sich gleich: im Hasse gegen die Deutschen, da treffen alle zusammen. Woher rührt dieser Haß? Hauptsächlich daher, weil sie sehen, daß wir Deutsche an Bildung ihnen überlegen, und weil sie in dieser Beziehung uns nicht gewachsen sind. Darin trifft der Haß gegen die Deutschen bei allen Nationen zusammen. Ich glaube dadurch, daß wir alle deutschen Kräfte in allen Kronländern zusammenfinden und in den Reichsrath zu bringen suchen, dadurch werden wir die Verfassung stärken, weil ja die Deutschen in Österreich besonders für die Verfassung einstehen. Wenn je etwas Österreich mit und durch die Verfassung noch zu erhalten im Stande ist, so ist es deutsche Bildung, deutsche Kraft und deutsche Zähigkeit; sonst werden alle Elemente darauf hinauslaufen, das Ganze auseinanderzureissen. Ich glaube, durch die direkten Wahlen wird hauptsächlich das liberale und deutsche Element aus den Städten aller Kronländer in den Reichsralh kommen, (Ruf: das Gegentheil) und das darum, weil gewöhnlich das liberale und deutsche Element meistens in den Städten vorherrschend ist. Wenn da gewissermaßen die Gruppen beibehalten werden, so wird dadurch dem deutschen Element, das vorherrschend in Städten und größern Orten ist, die Gelegenheit gegeben, eine große Zahl von der Verfassung treuen Abgeordneten in den Reichsrath zu bringen. Was bezüglich der Vertretung von den Landgemeinden gesagt worden ist, dem stimme ich auch bei, daß es besser wäre, wenn man direkt wählen könnte, wenn aber auch nur das Volk hiezu gebildet wäre. — Bis aber das geschieht, glaube ich, ist es besser, wenn wir Schritt für Schritt vorwärts gehen. Ich glaube, solche Beispiele haben wir von besser geschulten Ländern. Die sind in der freiheitlichen Verfassung Schritt für Schritt vorwärts gegangen und haben sich nicht der Gefahr ausgesetzt, durch zu schnelles Vorwärtsgehen Schaden zu leihen. 414 Wenn wir die Bildung berücksichtigen, die wir in den meisten Landbezirken vorfinden, was kommt da heraus? Sie sind noch nicht so weit, selbst richtig zu urtheilen. Sie werden den Spielball bald dieser bald jener Partei abgeben. Weniger geschieht das bei den Wahlmännern; und das sehe ich auch als praktischer Landmann ein, wenn ich auch die Idee — allgemeine direkte Wahlen — schon unrichtig finde, daß ich mich demungeachtet an das Praktische halten muß, welches ich für jetzt für das Bessere erachte. Was bezüglich der Zahl der Abgeordneten gesagt worden ist, kommt ein unbilliges Verhältniß heraus. Wenn man das Gruppensystem in Vorarlberg beibehält und die Zahl der Abgeordneten verdoppeln würde, so würde mein Antrag dahin gehen, daß man die Zahl der Abgeordneten nur um ein Drittel vermehren sollte; dann kommen auf die Städte ein Drittel u. auf die Landgemeinden zwei Drittel Es wäre damit ein annäherndes gleiches Verhältniß hergestellt u. ich würde diesen Antrag für angezeigt finden. Meine Herren! Ich möchte Sie nochmals ersuchen, den Anträgen des Comites beizustimmen. Wenn, wie gesagt, Österreich, dem ich noch eine Zukunft wünsche, noch etwas retten kann, so ist es deutsche Bildung, deutsche Kraft und deutsche Zähigkeit und ich glaube, daß eben das Mittel, das wir vorgeschlagen haben, das deutsche Element im Reichsrathe verstärken werde und ich glaube, daß die Anträge, wie sie das Comite vorgelegt hat, nach meiner Ansicht dem praktischen Sinne, den gegenwärtigen Verhältnissen am besten entsprechen. Statt der Verdoppelung der Reichsrathsabgeordneten, dieselben um ein Drittel zu vermehren, würde ich beantragen, anzunehmen. Dr. Jussel: Ich muß nur noch Eines bemerken. Es ist hervorgehoben worden, daß unsere Verfassung krank sei. Ich habe an der Verfassung noch keine Krankheit entdeckt; denn das, daß sie nicht alle befriediget, kann ich nicht als eine Krankheit der Verfassung ansehen. Man kann in den Text der Verfassung nicht Alles das hineinlegen, was eines Jeden Wünsche erschöpft; es käme das der Unmöglichkeit gleich; das Fehlerhafte liegt an den Menschen, für die die Verfassung gegeben ist, aber nicht in der Verfassung selbst. Wenn dann von den Landtags-Souverainitäten so viel Aufhebens gemacht wird, so sage ich, daß die Verfassung eben noch nicht ausgenützt worden ist. Sie hat ja auch die direkten Wahlen eingeführt; allein die direkten Wahlen, welche in der Verfassung vorgesehen, sind von der hoh, Regierung noch nie in Anwendung gebracht worden. Warum versucht man denn dieses Mittel nicht, um den Landtags-Souverainitäten zu begegnen. — Wenn man dann sagt: man müße jetzt an der Verfassung ausbessern, und erklärt, daß man der Idee des Constitutionalismus vollkommen Ausdruck geben müße, daß man, um den wahren Volkswillen aufkommen zu lassen, auf das Prinzip der direkten Wahlen eingehen müße und wenn das Alles so richtig wäre, dann sage ich auch, daß man nicht beim Halben stehen bleiben könne, daß man die Medizin dem Kranken nicht zur Hälfte vorenthalten solle, sondern daß das Prinzip, wenn es gut ist, ganz zur Durchführung kommen solle, also das Gruppen- und Wahlmänner System zu entfallen hätte. O. L. G. N. Hämmerle: Ich will nur noch Weniges nachtragen, über das, was Herr Feuerstein erklärt hat. Ich gestehe, daß ich im Prinzipe vollkommen dieselben Anschauungen theilen würde, welche Herr Feuerstein zum Ausdruck gebracht hat, und welchen, wie es scheint, auch Hr. Jussel zustimmen 415 will; allein damit bin ich nicht einverstanden, daß man dem Kranken eine zu starke Medizin beibringe, die er vielleicht gegenwärtig nicht vertragen würde. Ich meine eben meine Herrn, daß wir den Zweck im Auge behalten müßen und wie Hr. Gsteu ganz richtig bemerkt hat, müßen wir auch die Mittel, welche wir anwenden, um zum Zwecke zu gelangen, uns genauer besehen. Wenn diese Mittel, gerade anstatt zum Zwecke, zu etwa« ganz Anderem führen würden, zum Entgegengesetzten, dann werden wir sie sicherlich nicht anwenden. Das glaube ich, hat Hr. Gsteu ganz richtig hervorgehoben und es freut mich, daß gerade ein Abgeordneter der Landgemeinden dasjenige hervorgehoben hat, was sonst ich hätte Vorbringen müßen. Landeshauptmann: Da ich bemerke, daß Niemand mehr in der Generaldebatte das Wort zu ergreifen verlangt, erkläre ich dieselbe für geschlossen und ertheile dem Herr Berichterstatter das Wort. Dr. Fetz: Sie kennen meine Herren die Anträge, welche die Majorität des Comites eingebracht hat. Ich mache Sie vor Allem darauf aufmerksam, daß diese Anträge nicht einen Gesetzentwurf enthalten; diese Anträge enthalten nur ein Gutachten. Das scheint mir, müßen Sie meine Herren bei der Abstimmung über die Anträge vor Allem sich klar halten. Die Frage der direkten Reichsrathswahlen — es ist dieß schon vorhin gesagt worden — ist in den Ländern dießseits der Leitha seit einem Jahre beiläufig auf die Tagesordnung gesetzt. Seit Monaten wurde in den öffentlichen Blättern viel darüber geschrieben, und seit Wochen in den verschiedenen Landes - Vertretungen über diese Frage verhandelt. Nicht blos in den Landesvertretungen übrigens, auch in den Volksversammlungen sind die direkten Reichsrathswahlen fast der ständige Gegenstand der Verhandlung gewesen. Es ist nun allerdings schwer, nachdem von Männern, die durch Erfahrung, durch ihre Stellung und Beredsamkeit ausgezeichnet sind, so viel über dieses The n a gesprochen worden ist, noch etwas zu sagen. Ich für meine Person werde, wie ich glaube, mich in Excursionen aus das politische Gebieth nicht verlieren müssen. Ich werde mich nur bemühen, in einfacher, klarer und nüchterner Weise auseinander zu setzen, warum ich glaube, daß der h. Landtag sich für das System der direkten Wahlen in das Abgeordnetenhaus des Reichsrathes aussprechen soll. Es scheint mir, daß, wenn wir uns die Frage stellen, ob wir uns für dieses System erklären sollen, daß wir, sage ich, dann vor Allem darüber klar sein müssen, ob dadurch für das Land irgend ein politisches Recht verloren gehe. Es ist vorhin auf die Autonomie der Lander hingewiesen und gesagt worden, daß die Autonomie der Länder durch die direkten Reichsrathswahlen nicht leide. Das ist auch meine Ansicht. An u. für sich muß es ganz gleichgiltig sein, ob nach den bisher bestehenden Gesetzen der Landtag eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten aus seiner Mitte in das Abgeordnetenhaus des Reichsrathes entsende, oder ob diese oder eine andere Anzahl von Abgeordneten aus der sogenannten direkten Wahl der Bevölkerung hervorgehe, wenn nämlich in dem einen und in dem anderen Fall bezüglich des Wirkungskreises des Reichsrathes und bezüglich des Wirkungskreises der Landtage gleiche gesetzliche Bestimmungen bestehen. Es ist das um so mehr der Fall, wenn, wie thatsächlich die gesetzliche Vorschrift existirt, die Abgeordneten in den Reichsrath auch von den Landtagen eine Instrukton bezüglich ihres Verhallens im Reichsrathe, einen imperativen Auftrag, 416 wie sie stimmen sollen, nicht entgegen nehmen können und auch nicht daran gebunden wären, wenn ihnen ein solcher ertheilt würde. Der Reichsrath hat seinen bestimmten Wirkungskreis nach der Verfassung, die Landtage haben ihre bestimmten Wirkungskreise nach der Verfassung, rücksichtlich nach den Landesordnungen. Es würde dies auch bei den direkten Wahlen ganz gleich bleiben und in soferne sich Jemand in dieser Richtung einer Besorgniß hingeben würde, so wäre diese nach meiner innersten Überzeugung unbegründet, falls diese Besorgniß nicht mit einem gewissen Rückhalte verbunden sein sollte. Ein solcher Rückhalt scheint mir bei einzelnen Landtagen allerdings bestanden zu haben und noch zu bestehen. Es handelt sich nämlich dort nicht darum, daß die Landtage diejenige Autonomie bewahren, die sie gegenwärtig verfassungsmäßig besitzen; man glaubt dort, daß für die Landtage bei dem Fortbestände der gegenwärtigen Verfassung und namentlich bei dem Fortbestände der in der Verfassungsfrage eingerissenen Zerfahrenheit die Autonomie größer werden könnte. Sie glauben, daß es möglich wäre, daß durch die Abänderung des Wahlsystems die Centralvertretung sich consolidiren könnte und daß hierin möglicher Weife ein Hinderniß läge, daß sie ihre weiter gehenden Absichten bezüglich der Autonomie erreichen können. Ein solcher Rückhalt existirt bei uns nicht, wir haben auch keinen Grund, uns einem solchen hinzugeben. Das Land Vorarlberg, — das ist allerdings meine innerste Überzeugung — kann unter den gegenwärtigen Verhältnissen in gar keinem Falle, mögen sich die Dinge gestalten wie immer, möge es bei dem centralistischen Dualismus diesseits der Leitha bleiben, oder möge ein Gruppensystem gebildet werden, möge die Idee des Föderalismus siegen oder der Centralismus schließlich die Oberhand behalten, das Land Vorarlberg für sich allein wird kaum je einer größeren Autonomie sich erfreuen können, als es gegenwärtig genießt; denn der Zug der Zeit geht dahin, daß die kleinen Ländergebilde verschwinden.